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Samstag, 08. Dezember 2012 – Aldi und Konfuzius

Hello, Freunde der Priester,

in Sachen Pädophilie gibt es keine signifikanten Unterschiede zwischen Priestern und der Bevölkerung. Womit das allgemeine Böse der Menschheit – nicht das partielle Bösesein der Priester – bewiesen wäre. Eine andere Motivation zum Kinderschänden als Bösesein kann‘s nicht mehr geben.

Mit dem Zölibat hat die Sünde der Wollust auch nichts zu tun. Priester transubstantiieren ihren sexuellen Druck beim Betrachten holdseliger Marienbilder in Nächstenliebe. Womit auf einen Streich auch die Überlegenheit des supranaturalen Glaubens über die Natur bewiesen wäre.

 

Reinhold Würth ist durch Herstellen von Schrauben steinreich geworden. Im Alter von 19 übernahm er von seinem Vater einen kleinen Betrieb mit zwei Angestellten. „Wer eine Firma gründet, hat in den ersten Jahren kein Wochenende und keine Freizeit.“ Der Einsatz hat sich gelohnt, heute hat er in 80 Ländern mit über 65 000 Lohnabhängigen einen Umsatz von rund zehn Milliarden Euro.

Er will gern seine Steuern zahlen, dennoch gilt für ihn: „Es ist der Lauf der Dinge, dass die Reichen immer reicher werden. Deshalb ist es auch richtig, dass der Saat ordnend eingreift.“ (Marcel Speiser in der WELT über Reinhold Würth)

Wenn der Staat ordnend eingriffe, würde er dann den Lauf der Dinge so verändern, dass die Reichen nicht mehr automatisch reicher würden? Müsste er nicht

eingreifen, damit sich der Lauf der Dinge verändere? Solange die Reichen noch immer reicher werden, würde dies nicht unmissverständlich zeigen, dass der Staat auf der ganzen Linie versagt?

Die Reichen werden nicht nur immer reicher, sondern auch mächtiger. Als viertmächtigsten Menschen der Welt betrachten die Amerikaner einen gewissen Bill Gates. Nur aufgrund seines Zasters, mit dem er nach Laune und Gutdünken Gutes tun kann, ohne von irgendeiner demokratischen Instanz kontrolliert zu werden.

Einer der reichsten Männer der BRD, Mitbesitzer der Aldigruppe, ist im Alter von 58 Jahren früh gestorben. Die Familien der Albrecht-Brüder gelten als gut katholisch und öffentlichkeitsscheu. Umso verwunderlicher eine riesige Traueranzeige in vielen Tageszeitungen, die auch von dem Familienhund unterschrieben war.

In dem Text der Anzeige wird der Römerbrief zitiert, Neues Testament > Römer 13,8 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/13/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/13/“>13,8 ff: „Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr einander liebet, denn wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt.“ Der Verstorbene wird als Mensch geschildert, der weder geschwätzig noch nachtragend war und von vielen als Vorbild betrachtet wurde. Im Trauertext heißt es weiter:

„Seid niemandem etwas schuldig– diese Aufforderung des Paulus würde mich lähmen, wenn ich sie als überfordernde Moralpredigt verstehen müsste. … Was bin ich andern, mir selbst und Gott schuldig? Was ist im Bereich meiner Möglichkeiten und Fähigkeiten, was kann ich tun, um andern besser gerecht zu werden?“

In welchem Maß die Aldi-Gruppe wohltätig ist, weiß niemand so richtig. Die Traueranzeigen müssen ein Vermögen gekostet haben. Es war schon immer etwas teurer, sich als anonymes Vorbild posthum zu erkennen zu geben.

Mehr von sich reden machten kürzlich die skandalösen Arbeitsbedingungen in den Discounterfilialen. „Ex-Mitarbeiter besonders von Aldi-Süd hatten von der mörderischen Unternehmenshierarchie, von Kontrollwahn und Mobbing berichtet.“ Die Aldi-Stiftungen sind nicht wohltätig, sondern finanzielle Konstruktionen, um das Vermögen vor möglicher Verschwendung durch die Söhne zu schützen.

(Barbara Dribbusch in der TAZ)

 

Das Christentum ist die genialste religiöse Erfindung der Welt, weshalb es zu Recht die Welt erobert hat. Worin besteht die Genialität? In seiner Unwiderlegbarkeit. Popper würde von Infallibilismus oder Unfehlbarkeit sprechen. Die Religion ist nach allen Seiten so gesichert, dass sie in keiner vorstellbaren Situation der Welt falsifiziert oder widerlegt werden kann. Was nicht widerlegbar ist, muss wahr sein.

Bei Popper sind unwiderlegte Behauptungen wahr, aber nur vorläufig. Denn es könnte immer der Fall eintreten, dass neue Umstände oder Argumente die bislang bewährten Thesen widerlegen könnten. Naturwissenschaftliche Wahrheiten sind stets vorläufig und prinzipiell widerlegbar.

Im Gegensatz zur Moral, die nur immanent widerlegt werden kann. Wer die Welt verderben will und sich entsprechend verhält, ist unwiderlegbar. Wer die Welt als Garten der Menschlichkeit gestalten will, ist ebenfalls unwiderlegbar – wenn er es durch Taten beweisen kann.

Durch Kontrastieren des Zieles mit den Mitteln kann man jemanden auf seine Widersprüche hinweisen: Du willst Frieden, schießt aber ständig mit gehässigen Worten und todbringenden Kanonen um dich, wie passt das zusammen?

Wer die Welt verderben wollte und es durch adäquate Taten realisierte, der wäre die reale Inkarnation des Bösen. Das wäre der bewusste und angestrebte Suizid der Gattung. Das Böse müsste man – nicht im metaphysischen Sinn – als Absicht definieren, die ganze Menschheit vom Erdboden zu vertilgen.

Ob die Ausrottung der Menschheit auch unter dem Blickwinkel der Natur böse wäre oder ob Natur durch das Verschwinden der „Krankheit homo sapiens“ eher aufatmen würde, das erfahren wir, wenn wir bei Seinen Engeln sind.

Allerdings, dieses Böse existiert nirgendwo in der Welt. Der krasseste Bösewicht glaubt im Recht zu sein, wenn er seine Untaten verübt. Er rächt sich an der Welt, weil er sich ungerecht behandelt fühlt und glaubt, einen Beitrag zur Gerechtigkeit zu leisten, wenn er seine infamen Feinde ausrottet.

Feinde sind immer die Bösen. Vertilgt man sie, trägt man zum Wohlgefühl der Guten bei. „Böse Taten“ wären die besten und effizientesten Methoden, die Guten von den Bösen zu befreien. Das war bei Stalin nicht anders als bei Hitler.

Im Ziel einer bösenbefreiten Welt sind sich alle Menschen einig. In diesem Punkt gibt’s tatsächlich eine absolute Harmonie unter den Menschen: das Böse muss weg, das Gute muss siegen. Die Unterschiede betreffen die zumeist unverträglichen Definitionen des Bösen und die Methoden, das Böse zu beseitigen.

„Schaffet den Bösen aus eurer Mitte hinweg.“ ( Neues Testament > 1. Korinther 5,13 / http://www.way2god.org/de/bibel/1_korinther/5/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_korinther/5/“>1.Kor. 5,13) „Wir gebieten euch aber, ihr Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr euch von jedem Bruder zurückzieht, der unordentlich wandelt und nicht nach der Überlieferung, die sie von uns empfangen haben.( Neues Testament > 2. Thessalonicher 3,6 / http://www.way2god.org/de/bibel/2_thessalonicher/3/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/2_thessalonicher/3/“>2.Thess. 3,6) Das wäre nicht Vernichtung, sondern Exklusion (= Ausschluss).

Ähnlich klingt das Gleichnis vom Unkraut im Weizen, das vom Satan bei Nacht gepflanzt wurde, welches man aber stehen und wachsen lassen soll. Doch im Endgericht wird’s verbrannt. Das ist keine Exklusion mehr, sondern Vertilgung, wenn auch in zeitlicher Verzögerung.

Rächet euch nicht, überwindet das Böse mit dem Guten, klingt das nicht herzenserwärmend? Doch die finale Quittung kommt wie das Amen im Gebet: Mein ist die Rache, spricht der Herr. Die Christen haben das bekannte Kommissarspiel erfunden: der gute Kommissar lullt ein, der böse droht und schikaniert – jeder mit der Absicht, mit unterschiedlichen Methoden den Täter zu überführen.

Die Genialität des christlichen Dogmas besteht in ihrer Nicht-Ausschließung aller nur denkbaren Varianten und Widersprüche menschlicher Verhaltensmöglichkeiten. Man kann lieben, man kann aus Liebe strafen, beschädigen und töten, was nur für naive Gemüter das Gegenteil von Liebe wäre.

Alles ist möglich, anything goes, ist ein christlicher Grundsatz und heißt bei Augustin: ama et fac, quod vis – liebe, dann kannst du machen, was du willst. Sündige tapfer, sagte Augustin-Schüler Luther, wenn du nur glaubst.

Wenn alles erlaubt ist, ist nichts wirklich verboten. Du kannst nichts grundsätzlich falsch machen – wenn du glaubst. Glaubst du nicht, kannst du nichts richtig machen. Selbst wenn du der moralischste Mensch wärst, würdest du nicht der Hölle entgehen. Auch Sokrates wird vermutlich in der Hölle schmoren, seine Tugenden sind nur goldgeschminkte Laster, wie Heidenhasser Augustin formulierte.

Auch wenn die Falschen alles richtig machten: keine Chance, sie müssen ins Feuer. Auch wenn die Richtigen alles falsch machten: kein Grund zur Betrübnis, sie werden zur Rechten des Vaters sitzen.

Sie töten, was sie lieben. „Wenn dich dein Auge ärgert, reiß es raus und wirf es von dir. Denn es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verloren geht und nicht dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird.“ Diese Amputationsliebe steht in der Bergpredigt, der Spitze der christlichen Weltmeistermoral.

Nach dieser Methode verfährt auch der liebende Vater im Himmel, der lieber die meisten Menschen in der Hölle verschwinden lässt, dafür aber wenige Fromme in den Himmel retten kann. Es geht immer um den Heiligen Rest, der ans Ziel kommt. Die andern speisen beim Gouverneur.

Das betrifft übrigens auch das jüdische Volk, das nicht in völkischer Geschlossenheit die Ziellinie ins Paradies überschreiten wird. Ein durchweg tabuisierter Umstand, der das geschlossene Wir-Bild – im Zweifelsfall halten wir zusammen – der Kinder Israels tragisch unterminiert. „Alsdann wird heilig heißen, wer noch lebt in Zion und wer übrig bleibt in Jerusalem.“( Altes Testament > Jesaja 4,3 / http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/4/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/4/“>Jes. 4,3) „Gehe doch mit deinem Sohne Schear-Jaschub – das bedeutet, ein Rest wird umkehren – dem Ahas entgegen.“ ( Altes Testament > Jesaja 7,3 / http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/7/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/7/“>Jes. 7,3).

Für die Ultras war die Shoa kein Unglück, im Gegenteil, es war eine notwendige Strafe und Läuterung. Gott exekutierte mit seiner Hitler-Marionette das Strafgericht über alle vom jüdischen Glauben abgefallenen weltlichen und assimilierten Juden. Besonders die in Deutschland. Hitler war der Antichrist, der zuvor als Verhängnis über die Welt gekommen sein muss, damit der wahre Messias kommen kann.

Vernachlässigt man die finalen Ziele der Heilsgeschichte, klingt vieles im Neuen Testament von weitem nach Sanftmut, Lindigkeit, Versöhnung und Liebe. Doch diese Partikular-Perspektiven entlarven sich, wenn man an das Ende sieht, als bloß retardierende und taktische Momente. Die Spreu wird vernichtet, selbst in Angelegenheiten, wo man es nicht für möglich hält. So werden alle Arbeitsunwilligen zum Tod verurteilt. Dagegen ist selbst BILD als Hetzerin über Hartz4-Schnorrer ein humanes Blatt: „Wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen.“ ( Neues Testament > 2. Thessalonicher 3,10 / http://www.way2god.org/de/bibel/2_thessalonicher/3/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/2_thessalonicher/3/“>2.Thess. 3,10)

Ob die Christen das Endgericht bereits in vorwegnehmendem Gehorsam hienieden durchführen können, hängt von ihrem Geschichtsbild ab. Gehören sie zu den altmodischen Augustinern, die Himmel und Erde bis zum Jüngsten Gericht auseinander halten, dürfen sie es nicht und müssen das Unkraut wachsen lassen. Gehören sie zu den triumphalistischen Joachimiten (Anhängern von Joachim di Fiore), müssen sie das Gericht mit Feuer und Schwert bereits hienieden vollstrecken.

Auch hier gibt es keine Variante, die es nicht gibt. Wie hätten Sie es denn gern? Alle modernen ecclesiogenen Totalitarismen von Hitler über Stalin bis Pol Pot waren Joachimiten und vollstreckten das Jüngste Gericht in vorbeugendem Gehorsam schon im Hier und Jetzt.

Der christliche Glaube ist ein riesiger Supermarkt, vom Schrecklichsten bis zum Selbstaufopfernden ist hier alles zu haben. Wer nur einzelne Stellen unverbunden herauspicken will, dem ist alles erlaubt. Er kann lieben wie Mutter Theresa und wüten wie ein mexikanischer Drogenboss.

Wenn alles erlaubt und nichts kategorisch verboten ist – die Theologen reden von Antinomie, die Wiedergeborenen stehen über dem Gesetz – kann niemand kritisiert werden. Der Erwählte ist vollendet und unfehlbar. Niemals kann er auf falschem Fuß erwischt werden.

Es ist kindisch, den Christen unmoralisches Tun vorzuwerfen, von schreienden Widersprüchen zwischen ihren heiligen Texten und ihrem unheiligen Tun zu reden. Bei solch harmlosen Vorwürfen kann der bibelfeste Fromme innerlich nur lachen. Er muss nicht perfekt sein. Bis zum letzten Atemzug darf er fehlbarer Sünder sein, dem Gott in Christo Jesu vergeben wird. Bereut er seine Taten und gelobt Besserung, ist die Kuh vom Eis – und die nächste kann fröhlich durchs Dorf gejagt werden.

Der Grund für diese panoptische Beliebigkeit und Willkürlichkeit des christlichen Glaubens ist seine historische Entwicklung als perfekte Mischmoral. In ihren archaischen Anfängen noch voll wilder und erbarmungsloser Rache- und Vernichtungsphantasien gegenüber allen Andersdenkenden und -gläubigen reichern sich die biblischen Schriften im Verlauf ihrer Entstehung immer mehr mit Elementen der neu aufkommenden Human-Moralen an, besonders aus hellenischen Kreisen.

Immerhin währte die Besatzung des Heiligen Landes durch die Griechen ab der Eroberung Alexanders bis zur Übernahme durch die Römer fast 300 Jahre. Auch die Römer hatten in hohem Maße die stoische Philosophie von den Hellenen übernommen. Wenigstens in tonangebenden höheren Kreisen. Als nach der Zeitenwende das Christentum aufkam, verwechselte man es geradezu mit der Stoa des Seneca.

Im Verlauf seiner über 1000 Jahre währenden Entwicklung hatte das Juden-Christentum unendlich viele Einflüsse aus umliegenden und siegreichen Kulturen übernommen. Da das Empfinden der Widerspruchslosigkeit noch nicht vorhanden war, legte keiner der biblischen Schriftsteller höheren Wert auf Eindeutigkeit. Im Gegenteil, je mehr man – im Kontrast zum griechischen Denken – sich der Kraut- und Rübenwillkür bewusst wurde, umso trotziger stand man dazu. Bis man die Antagonismen zum sigillum veri, zum Zeichen der Wahrheit, machte.

Das logische Denken der Griechen machte man zur Torheit vor Gott und schon war es abserviert. Tertullian war nur konsequent, wenn er das Siegel der Offenbarung in der Absurdität sah: Credo, quia absurdum. Ich glaube, weil es absurd ist.

Das ist übrigens der Grund, warum Streitgespräche mit Frommen so gut wie immer zum Scheitern verurteilt sind. Die Gottlosen kommen mit Logik und wollen Widersprüche nachweisen, die Erleuchteten spotten der logischen Verführungskünste des Teufels.

 

In China kann man die Entstehung des Christentums exemplarisch wie im Labor verfolgen. So ungefähr waren die Umstände im römischen Reich, als die Frohe Botschaft in die Massen der Armen und Schwachen eindrang.

Insgesamt sollen es schon 76 Millionen Christen im Land der verlorenen Mitte sein, die ihr wachsendes Elend nur noch mit religiösen Opiaten bewältigen können. Die alte chinesische Philosophie ist in den Hintergrund getreten. Die schizophrene Moral eines Kommunismus, der bald die mächtigste Wirtschaft der Welt sein wird, macht die Menschen mürbe. Wenige werden superreich, die Eliten schwören vordergründig auf Gerechtigkeit und bereichern sich vor aller Augen mit dem Reichtum des Volkes.

Im antiken Rom das gleiche Schauspiel. Die Eliten gaben sich stoisch und philosophisch, dabei schindeten sie die Massen der Sklaven und Enteigneten und akkumulierten schwindelerregende Reichtümer. Hier wie da gab es keinen Sinn des Lebens mehr.

Das Christentum ist die Ideologie des weltbesiegenden Westens. Also müssen ehrgeizige, aber sich ohnmächtig fühlende Chinesen dieselbe importieren, um den Aggressor mit dessen eigenen Waffen zu schlagen.

Ein Zurück zum naturverbundenen Yin und Yang erscheint unattraktiv, denn die traditionelle Konfuzius-Philosophie ist statisch und zirkulär. Wer mit Dynamik die ausländische Dynamik überholen will, kann sich auf zirkulärem Gleichgewicht nicht ausruhen. Mit linear-unbegrenzem Wachstum wollen die Chinesen die aggressiven Westökonomen in den Schatten stellen.

Bei Bloch sehen wir denselben Vorgang. Als Marxist vertraute er nicht der moralischen „Leere“ des Sozialismus und schlüpfte beim Christentum unter: wahre Christen seien Atheisten, wahre Atheisten Christen. Auch hier kriechen die verlorenen, pseudoemanzipierten Söhne heimlich, still und leise zurück an die Fleischtöpfe des Vaters.

Je gewaltiger die bestehenden und zukünftigen Probleme des Riesenreichs, je mehr benötigen die verängstigten Menschen transzendente Hilfe. So findet sich zusammen, was schon immer zusammengehörte: gottebenbildlicher Titanismus mit teuflischen Problemen – und die Überwindung der Probleme durch einen titanischen Gottessohn, der Tod und Teufel überwältigt. Gegen Kapitalismus hilft nur Christentum, die spirituelle Akkordanz der ökonomischen Welteroberung.

(Sophia Lee im SPIEGEL über Christen in China)

 

Der fromme Unternehmer Albrecht fragt sich, ob er jemandem etwas schuldig geblieben sei. Auf seine vielen Untergebenen und Lohnabhängigen, die er ausbeutete und drangsalierte, scheint er nicht gekommen zu sein. Niemandem will er etwas schuldig geblieben sein, außer in der Liebe, in der wir alle schuldig sind.

Liebe ist kein freudiges und spontanes Bedürfnis, sondern unendliches Abtragen einer unendlichen Schuld. Liebe soll die Erfüllung des Gesetzes sein, doch wenige Seiten zuvor steht im Römerbrief eine harsche Absage an alle Werke des Gesetzes. Bei allen Liebestaten bleiben wir in Gottes Schuld, die nur sola gratia, (allein durch Gnade), getilgt werden kann.

Albrecht selbst lehnt eine Liebe als „überfordernde Moralpredigt“ ab. Wenn er sie ablehnt, mag er vielleicht selig werden, doch wie will er seiner Umgebung gerecht werden? Hohe Töne der Selbstpreisung und Selbstrechtfertigung – und dennoch das alte mea culpa (meine Schuld): liebe Mitarbeiter, auch ich bin nur Sünder vor dem Herrn und ermangele des Ruhms vor Gott. Albrechts Heil ist sein privates Heil im Jenseits, an den irdischen Verhältnisse ändert sich nichts, sie bleiben, wie sie sind.

In seinem Römerbriefkommentar fordert Karl Barth zur Stelle Römer 13,8 – die von Albrecht zitiert wurde – „das Verneinen und Zerbrechen des Bestehenden.“ Die angesprochene Liebe sei eine „revolutionäre“. „Denn sofern wir uns untereinander lieben, können wir nicht das Bestehende als solches erhalten wollen.“ Also weg mit dem Kapitalismus!

Doch gottlob gibt es nicht nur die neucalvinistische Auslegung der Schrift, sondern auch die lutherische. Und die sagt genau das Gegenteil: alles beim Alten lassen. Jeder bleibe im Stand, in den Gott ihn berufen hat. Ohnehin steht der Herr schon vor der Tür.

Prophete links, Prophete rechts: wie hätten Sie‘s denn gern? Nichts ist verboten, alles ist erlaubt, wenn du nur glaubst. Ein solcher Glaube ist unwiderlegbar, ein unwiderlegbarer Glaube ist allmächtig.

Aus einem System logischer Widersprüche kann man Alles und Nichts, Beliebiges und Willkürliches ableiten. Ein solches System ist weder durch Tod noch durch Teufel überwindbar. Zur Verbesserung der Welt ist es untauglich, ja, es rechtfertigt alles, wie es ist.

Die Gläubigen dieses Systems fühlen sich unfehlbar und unbezwingbar. Je mehr der Neoliberalismus Schwache und Ohnmächtige erzeugt, je mehr erzeugt er potentielle Christen. „Denn alles, was aus Gott gezeugt ist, überwindet die Welt, und das ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube.“

China wird den Westen mit dessen eigenen Waffen besiegen – oder eines Tages den vieldeutigen Trug abschütteln und zum unzweideutigen Konfuzius zurückkehren: „In einem gut regierten Land ist Armut eine Schande, in einem schlecht regierten Reichtum“.