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Natur brüllt! LXXXV

Tagesmail vom 03.06.2024

Natur brüllt! LXXXV,

„Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel. 3Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne? 4Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt immer bestehen. 5Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie dort wieder aufgehe. 6Der Wind geht nach Süden und dreht sich nach Norden und wieder herum an den Ort, wo er anfing. 7Alle Wasser laufen ins Meer, doch wird das Meer nicht voller; an den Ort, dahin sie fließen, fließen sie immer wieder. 8Alles Reden ist so voll Mühe, dass niemand damit zu Ende kommt. Das Auge sieht sich niemals satt, und das Ohr hört sich niemals satt. 9Was geschehen ist, ebendas wird hernach sein. Was man getan hat, ebendas tut man hernach wieder, und es geschieht nichts Neues unter der Sonne. 10Geschieht etwas, von dem man sagen könnte: »Sieh, das ist neu!« – Es ist längst zuvor auch geschehen in den Zeiten, die vor uns gewesen sind. 11Man gedenkt derer nicht, die früher gewesen sind, und derer, die hernach kommen; man wird auch ihrer nicht gedenken bei denen, die noch später sein werden.“

Predigen, immer wieder predigen: sag, was du willst – dann verzieh dich!

„Machen wir uns keine Illusionen: an drei Grad Erhitzung werden wir uns kaum anpassen können. Der Klimawandel wird immer öfter zu verheerenden Überflutungen führen, sagt der Forscher Stefan Rahmstorf. Hier erklärt er, wie das zusammenhängt und warum Deutschland schlecht auf solche Extremlagen vorbereitet ist.“

Das müssen wir uns einhämmern: machen wir uns keine Illusionen: An drei Grad Erhitzung werden wir uns kaum anpassen können. Drei Grad würden nicht doppelt so schlimm, sondern viel schlimmer. (SPIEGEL.de)

„Nichts Neues unter der Sonne“? – welch ein Unfug. Wir befinden uns im Jahr 2024. Täglich wird die ganze Welt neu und einmalig, täglich wird sie überschwemmt von unermesslichen Erfindungen und Erneuerungen.

Bleib mir weg mit deinem alten Kram, den du rotieren lässt wie ein Gaukler im Zirkus.

Von Anfang an war die Welt nach dem gleichen Muster bedroht. Von Anfang an fühlte sich der Mensch gefährdet. Wer hat beispielsweise die folgenden Verse deklamiert?

„Was den Menschen angeht, so sind seine Tage gezählt,
was immer er unternimmt, es ist nichts als Wind.“

Die Verse stammen aus dem Gilgamesch, zweite Hälfte des zweiten Jahrtausends v.d.Z.

Niemand weiß genau, wie es der Mensch in die Evolution schaffte. Als er aber anwesend war, sah es aus, als sei er schon immer dagewesen. Von Anfang an waren seine Tage gezählt, denn von Anfang an machte er aus der wunderbaren Schöpfung Allotria und Unfug.

Heute fliegen sie auf den Mond, früher bauten sie Türme zum Himmel:

„Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen:
Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.“

Von Anfang an – von Adam und Eva abgesehen – zerstörten sie ihre gemeinsame Sprache, brüsteten sich auf zu Göttern und machten ihnen Konkurrenz.  

Sofort erkannte Gott die Gefahr des Konkurrenten Mensch und reagierte auf der Stelle:

„Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! 8 So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen.“

Gott erkannte sofort die Fähigkeiten des Menschen und verurteilte ihn zur Vielsprachigkeit, auf dass niemand niemanden verstehe – doch erfolglos.

Gott wollte mit klugen Geschöpfen brillieren, doch diese rebellierten und unternahmen alles, um ihm gleich zu sein. Mit Erfolg.

Seitdem ist Gott gezwungen, den Menschen mit allen Tricks unvollkommen zu halten. Es gelingt ihm nur phasenweise. Immer wieder schafft es das rebellierende Geschöpf, gleichauf mit dem Schöpfer zu werden.

Doch jetzt muss er ein besondere Herausforderung bestehen: er muss den in die Hölle gefahrenen und wiederauferstanden Sohn Gottes in den Schatten stellen. Durch Tod zum ewigen Leben.

Doch der Mensch hat nicht verzagt und ist heute schon wieder dabei, sich in den Tod zu stürzen, um ihn in ewiges Leben zu verwandeln. Der Tod ist das sich abzeichnende Ende des Kollektivs, die Auferstehung das ewige Leben des Menschen mit Hilfe eines selbst erschaffenen künstlichen Geschöpfs.

„Intelligenz – das wichtigste Phänomen im Universum – kann natürliche Grenzen überwinden und die Welt nach ihrem Bild umgestalten. In der Hand des Menschen, als menschliche Intelligenz, hat sie uns in die Lage versetzt, die Beschränkungen unseres biologischen Erbes zu überwinden und uns selbst in diesem Prozess zu verändern. Wir sind die einzige Spezies, die dies tut.

Der Mathematiker Irvin J Good, schrieb 1965: „die erste hyperintelligente Maschine wird die letzte Erfindung sein, die die Menschheit jemals wird machen müssen.“ Er bestimmte eine solche Maschine als eine, die „die intelligenten Handlungen eines jeden Menschen übertreffen könne, egal, wie klug er ist.“

Das Universum zu erwecken und – indem wir es mit unserer menschlichen Intelligenz in ihrer nichtbiologischen Form durchdringen – über sein Schicksal zu entscheiden, das ist unsere Bestimmung.“ (Ray Kurzweil, Das Geheimnis des menschlichen Denkens)

Sollte Elon Musk noch nicht genau wissen, was er mit seiner übermenschlichen Intelligenz anstellen kann, muss er Ray Kurzweil lesen. Und dann nichts wie ran an den vermoderten homo mortalis.

Die Überlegenheit der KI-Maschine über seinen Erfinder offenbart auch die endgültige Überlegenheit des Mannes über die Frau. Denn die Frau ist zuständig für die Fruchtbarkeit dieser zerfallenden Erde.

„Die Fruchtbarkeit der Erde entspricht der weiblichen Fruchtbarkeit; daher liegt die Verantwortung für eine reiche Ernte bei den Frauen, denn sie kennen das „Geheimnis“ der Schöpfung. Es handelt sich um ein religiöses Geheimnis, weil es den Ursprung des Lebens, die Nahrung und den Tod lenkt. Die Scholle wird der Frau gleich gestellt. Nach der Entdeckung des Pfluges wird man die Feldarbeit mit dem Geschlechtsakt vergleichen. Aber über Jahrtausende hinweg war es Mutter-Erde allein, die auf dem Weg der Parthenogenese gebar. (Hera wird ohne Mann schwanger, ob Maria geschwängert wurde, bleibt – ohne himmlischen Überbau – ein Geheimnis.) Aus der Erde geboren, kehrt der Mensch nach seinem Tod wieder zu seiner Mutter zurück. „Krieche hin zur Erde, deiner Mutter“ formuliert ein vedischer Dichter.

Die alleinige Zuständigkeit der Frau zum Fruchtbarmachen der Erde führt unausweichlich zur periodischen Erneuerung alles Irdischen. Und die Erfahrung der kosmischen Zeit im Rahmen der Landwirtschaft führt schließlich zur Idee der zirkulären Zeit und des kosmischen Zyklus, als unendliche Wiederholung des immer gleichen Rhythmus von Geburt, Tod und Wiedergeburt. (Mircea Eliade, Geschichte der religiösen Ideen, Bd. 1)

Da zyklische Zeit weiblich ist, muss der Mann die lineare Zeit erfinden, um die Herrschaft des Weibes zu verhindern.

Lineare Zeit ist die Erfindung der maskulinen Erlöserreligion. Hier darf alles im Prinzip nur einmalig sein. Jeder Augenblick ist singulär und unvergleichlich. Die Frommen sollen nie nach hinten schauen, das Geheimnis der Erlösung liegt in der Zukunft. Futurismus ist die Männerreligion der Gegenwart.

Fassen wir zusammen und rufen: Entwarnung. Zwar werden viele Katastrophen kommen, aber die weibliche Erde ist zirkulär, ein absolutes Ende bleibt unausdenkbar.

Seit der Herrschaft der männlich-linearen Zeit sind Menschen völlig vereinzelte und singuläre Ichs. Sie kennen nur sich und haben keine empathischen Beziehungen zu anderen Wesen. Unvergleichlichkeit wird zum Signum der Einmaligen und Auserwählten – im Gegensatz zur weiblichen Erde mit Geschöpfen, die sich alle miteinander verbunden fühlen, weil sie sich im Andern wiederentdecken.

Männliche Freiheit ist demnach eine absolute Trennung von allem andern, was den Einzelnen auch nur im Geringsten einschränken könnte. Insofern ist Hayeks Ökonomie eine supermännliche Angelegenheit.

Weibliche Ökonomie hingegen ist Verbundenheit aller Wesen mit allen Wesen. Freiheit ist für sie alle Empathie des Natürlichen mit der Natur.

Wenn wir dieser Erzählung folgen, steht die männliche Schöpfung vor dem selbstverschuldeten Zerfall. Ihre Lebensenergie hat sie verbraucht. Ihre Linearität kommt ans tote Ende.

Da die weibliche Erde eine große Krise durchmacht, aber immer wieder von der Zirkulation alles Seienden aufgefangen wird, können sich die Frauen freuen: auf ihre nutzlosen Männer können sie verzichten.

Welche Schlüsse ziehen wir daraus: der Feminismus greift zu kurz, wenn er sich der männlichen Ökonomie unterordnet. Er muss umfassender werden und eine neue, uralte Welt mit zyklischer Wiedererneuerung gegen die autistischen Männer stellen.

Nietzsches maskuline Übermenschen-Ideologie brach zusammen, als er in der Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen Zuflucht vor seinen Männerängsten und -phantasien fand. Hören wir ihn selbst:

„Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: ‚Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge – und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!‘ – Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete? Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt, wo du ihm antworten würdest: ‚du bist ein Gott und nie hörte ich Göttlicheres!‘ Wenn jener Gedanke über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen; die Frage bei Allem und Jedem ‚willst du dieses noch einmal und noch unzählige Male?‘ würde als das grösste Schwergewicht auf deinem Handeln liegen! Oder wie müsstest du dir selber und dem Leben gut werden, um nach Nichts mehr zu verlangen, als nach dieser letzten ewigen Bestätigung und Besiegelung.“

Bricht eine Welt zusammen, kann sie nur männlich-linear sein. Geben wir dem weiblich-zirkulären Rhythmus der Erde eine Chance – und wir werden der gottgleichen Trostlosigkeit des Mannes für immer Ade sagen können.

Fortsetzung folgt.