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Natur brüllt! LXXXII

Tagesmail vom 24.05.2024

Natur brüllt! LXXXII,

„Blüh im Glanze dieses Glückes,
blühe, deutsches Vaterland!“

Väter holen sich das Land zurück. Mutterländer gibt es keine.

Auch wenn alles verwelkt und ver-blüht: in Vaterländern beginnt es wieder zu blühen und zu gedeihen, welch ein Glück für das deutsche Land.

Selbst ein Freund Putins sucht den Beifall der Menge und wird von seiner früheren Nachfolgerin überaus freundlich begrüßt:

„Unter dem Sonnendach auf dem Großen Forum zwischen Bundestag und Kanzleramt scherzten die Ex-Regenten über Kollegen und das schöne Gefühl, sich nicht mehr um das große Ganze kümmern zu müssen.“ (BILD.de)

Die Ex-Kanzlerin verknüpfte einst das Glück Deutschlands mit dem Öl des Russen – und schloss dafür die Augen bei Kleinigkeiten wie der Eroberung der Krim.

Und Putins bester Freund, ein Prolet, der es von ganz unten in die Reihen der Weltbesten schaffte, verdient heute noch an seinen Geschäften mit den Rohstoffen der östlichen Tundra. Gleichwohl erfreut er sich der Sympathien seiner früheren Untertanen, die keinen ihrer einstigen Heroen in die Wüste schicken.

Die eine hat ein dickes Buch geschrieben, um sich ihren Nachruhm mit russischer Unterstützung zu sichern, der andere hat die Grenzen des Sollens und Nichtsollens längst überschritten, als dass er mit politischer Tugend um Beifall betteln müsste.

All das sind Früchte eines wieder voll erblühten deutschen Vaterlandes.

Moment mal: hat die Nationalhymne das Geheimnis des deutschen Nachkriegsglücks tatsächlich wiedererkannt?

Einigkeit und Recht und Freiheit
für das deutsche Vaterland!
Danach lasst uns alle streben
brüderlich mit Herz und Hand!

Gibt es wieder ein isoliertes Nationalglück wie einst unter Bismarck, dem Gründer des deutschen Reichs? Endet das Glück wieder exakt an den Grenzen des auferstandenen Vaterlands?

Doch heute ist das Land wieder zum Teil Europas geworden. Und Europa hatte das politische Fernziel, alle Völker der Welt miteinander zu verbinden. Durch eine universelle Politmoral, in der es keine Verlierer und Gewinner geben sollte – oder etwa nicht?

Wozu das Gebilde einer UNO, wozu das Gerede von einer globalen Wirtschaft – wenn sich an der vernichtenden Konkurrenz der Kulturen nichts ändern sollte?

Wenn wir jedoch genauer hinschauen, entdecken wir das Geheimnis der globalen Wirtschaft: die Weststaaten, mit den USA an der Spitze, wollten unter dem Deckmantel einer „gleichberechtigten“ Wirtschaft die schwachen Länder der Welt völlig an die Wand fahren und der Macht ihrer haushoch überlegenen Ökonomie unterordnen.

Wer sich traute, sich dieser Westordnung zu entziehen – wie einst arabische Ölländer – der wurde von Schnellfeuerwaffen an die Wand geknallt.

Das war keine universelle Moralordnung mehr – Moral überhaupt wurde von den neuen Weltherren verlacht und verpönt –, sondern die Vorkriegsordnung, die – geschickt neukostümiert – nicht zugeben wollte, dass sie ihre universelle Neuordnung über Bord geworfen hatte.

Die Deutschen hatten sich daran gewöhnt, eine westliche Nation zu sein, gleichzeitig aber das Lieblingskind ihrer transatlantischen Freunde. Doch die hatten inzwischen die Schnauze voll von globalem Klimbim, in dem ihre herausragende Einzigartigkeit nicht mehr zur Geltung kommen würde.

„Amerika zuerst“ wurde ihr neues, gleichzeitig uraltes Motto einer unersättlichen Weltmacht.

Der neu erwachte Bible Belt betrachtete die Nachkriegswelt mit den uralten Augen seiner Heiligen Schrift, unterstützt von den Ultra-Augen der neuen israelischen Nation.

„Dean Acheson, einer der führenden Architekten der Weltordnung nach dem Krieg, hielt die UN-Charta für unbrauchbar und die Vereinten Nationen selbst für ein Beispiel eines fehlgeleiteten Wilsonschen „Glaubens an die Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen und an den Anbruch eines Zeitalters des universellen Friedens und der Herrschaft des Gesetzes“. Nach Beginn des Kalten Kriegs setzte sich bei den Amerikanern immer mehr die Überzeugung durch, dass ihr eigenes Wohl wesentlich vom Wohl anderer Staaten abhängig sei, ihre Prosperität aufs Engste mit weltweiter Prosperität verknüpft sei.“ (Robert Kagan, Macht und Ohnmacht)

In Deutschland, dem adoptierten Sprössling der USA, dominierte ein internationaler Dämmerzustand. Die Probleme der Welt überließ man vertrauensvoll den Washingtoner Mächten und bosselte lediglich an deutschen Schrauben und Motoren herum.

An Weltpolitik hatten sie sich die Finger verbrannt, also weg mit der bösen Welt. Die neue Welt der Deutschen begnügte sich mit touristischen Reisen. Das aber machte sie nicht sehend, sondern führte sie ins Reich der Dämmerung.

Welterblindet sahen die Deutschen nicht, was sich in der Welt „der Großen“ abspielte:

„Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, da die Europäer, befreit von den Ängsten und Zwängen des Kalten Kriegs, begonnen haben, es sich in ihrem postmodernen Paradies gemütlich zu machen und die Werbetrommel für ihre Doktrinen vom Völkerrecht und von den internationalen Institutionen zu rühren, schlagen die Amerikaner den entgegengesetzten Weg ein. Sie wenden sich ab von der Solidarität mit Europa und besinnen sich auf eine Unabhängigkeitspolitik, die ältere historische Wurzeln hat, auf jene einzigartige Form des universalistischen Nationalismus.“

Es entstand eine neue Weltordnung der Empfindsamkeit. „Es ging jetzt nur noch um die Gefährdung und Verwundbarkeit Amerikas, nicht mehr „des Westens“.“

Das änderte nichts daran, dass die Vereinigten Staaten die „unverzichtbare Nation“ sein wollten. Noch immer wollen sie eine freiheitliche Weltordnung verteidigen, doch die einzige Weltordnung, die sie sich vorstellen können, müssen sie mit amerikanischer Macht verteidigen.

Diesen neuen Weg wollten sie nicht alleine gehen, sondern nur zusammen mit der neuen Macht Israel. Aber jetzt wird’s problematisch. Ursprünglich waren Zionisten, die vornehmlich aus dem Osten kamen, reine Atheisten und Gegner aller Rabbiner. Aber auch diese waren zerstritten, in welchem Maß sie sich an dem neuen Staat beteiligen – oder ob sie nicht doch lieber abseits stehen bleiben sollten.

Je stärker das junge Israel wurde, umso einiger wurden die Frommen, dass sie die neuen Machthaber ihrer uralten biblischen Heimat nicht allein regieren lassen konnten. Langsam, aber systematisch begannen sie das neue Land mit dem Geist Jahwes zu durchsäuern. Heute haben sie ihr Ziel in hohem Maße erreicht: ohne ihre Zustimmung wagt Netanjahu es nicht mehr, seine imperiale Politik durchzusetzen.

Das bedeutet, die vorbildlich neue Demokratie ist längst zu einer totalitären Theokratie verkommen: also Abschied vom Universalismus der neuen Weltordnung und zurück in die düstere Welt des Mittelalters.

Dort hatten Theologen über die Welt geherrscht und alles in die Hölle verdammt, was sich ihnen widersetzte.

Das ergibt die doppeldeutige Welt von heute:

„Als gute Kinder der Aufklärung glauben die Amerikaner zwar noch immer an die Vervollkommnung des Menschen und sie hegen auch noch gewisse Hoffnungen, dass sich die Welt vervollkommnen lasse.“

Gleichzeitig aber kehren sie immer mehr zurück in die doppelte Welt der Religion: den Himmel für die Auserwählten, die Hölle für die Verworfenen.

Inzwischen hatten die nächsten Verbündeten der USA, die Europäer, sich immer mehr von der Religion gelöst und die Idee einer globalen Weltgemeinschaft angestrebt.

Die sich ständig erweiternde EU sollte das Vorbild einer Weltordnung werden, die, immer religionsunabhängiger, sich dem Urbild einer gleichen und gleichberechtigten Weltordnung näherte.

Ohne es zu bemerken, entfernten sich die Verbündeten immer mehr voneinander.

Warum sahen sie nicht die neue Spannung zwischen Amerika und Europa?

Weil sie unfähig waren, den theologischen Gehalt ihrer neuen Differenzen zu sehen und zu analysieren.

Besonders Deutschland spielt das Spiel einer selbstverständlich frommen Gemeinde, die selbstverständlich aufgeklärt genug ist, um die Weltdeutungen der Bibel hinter sich zu lassen.

Besonders Merkel war die perfekte Agentin dieser neuen Doppelgleisigkeit. Das war umso einfacher, je lutherischer sie ans Werk ging. Schließlich ist sie die Tochter eines lutherischen Pastors.

Für Lutheraner ist Weltpolitik nicht die Sache der Christen, sondern wird allein von Gott entschieden. Echte Christen schweben hier schon auf höherer Ebene. Mit der bösen Welt – und mit böser Politik – haben sie nichts zu tun.

Christen sind Bürger zweier Welten. In der irdischen Welt tun sie, was von ihnen verlangt wird, in der höheren Welt sind sie reine Engelsgestalten. Streng genommen ist Merkel gar keine weltgestaltende Politikerin, sondern nur eine gehorsame Magd ihres Gottes.

Diesen Stil der gelangweilten Bedeutungslosigkeit haben ihre Nachfolger übernommen, weshalb in Berlin alles drunter und drüber geht, da die Kunst des strengen Planens nicht vorhanden ist. Eine rationale Gestaltung der Erde wäre für sie eine Blasphemie himmlischer Vorstellungen.

„Luther war zutiefst davon überzeugt, dass diese Welt nicht Gottes Reich sei. Sein eignes deutsches Volk war ihm nicht Subjekt einer anmaßenden religiösen Behauptung, Die Welt wird nach Gottes Willen allein von der Obrigkeit regiert. Dass die Menschen sündig sind, weiß man ohnehin.“ (Dibelius, Britisches Christentum und britische Weltmacht, 1940)

Lutherische Politiker sind keine kreativen und autonomen Selbstdenker, sondern gehorsame Knechte eines himmlischen Willens, den sie widerstandslos akzeptieren müssen.

„Das weltliche Reich wird nach Gottes Willen von der weltlichen Obrigkeit regiert; die Gehorsamspflicht gegen die Behörde ist nicht abhängig vom Grad der Moral der Behörde. (Hier liegt eine Hauptursache der deutschen Moralallergie.) Die Kirche hat sich in weltlichen Dingen zu bescheiden und nur darauf zu sehen, dass die Predigt des Evangeliums ohne Hemmung vor sich gehe. Für Lutheraner gibt es nicht den christlichen Staat und die christliche Politik, sondern nur den gegebenen weltlichen Staat. Politisches Handeln bleibt profan oder weltlich.“

Briten und Amerikaner hingegen sind Calvinisten. Calvins Gott bestimmt völlig allein alles von Anfang an.

Um herauszufinden, ob sie von Gott auserwählt oder verflucht sind, müssen Christen aktiv werden. Je tüchtiger und erfolgreicher sie sind, umso klarer wird ihnen, dass sie zu den Auserwählten gehören. Gott duldet nichts Schwächliches und Erfolgloses.

Unschwer zu erkennen, dass wir hier auf dem Mutterboden des Neoliberalismus stehen. Die Superreichen bestätigen den Willen Gottes, indem sie alles überflügeln. Die Armen hingegen soll der Teufel holen.

Calvinistische Politik ist ungespalten, entweder erfolgreich und gottgewollt oder erfolglos und nach dem Willen des Teufels. In deutschen Landen ist Kirche dem Staat untertan, sie hat zu tun, was jener vorschreibt.

In angelsächsischen Ländern sind Kirche und Staat einhellig verschmolzen. Hier beugt sich niemand niemandem.

Das ist der Grund, warum deutsche Kirchen sich stets der Obrigkeit unterwarfen – während die unzähligen Sekten in England und Amerika die herrschende Politik mit- bestimmten.

Die erbarmenswürdige „Rutsch-mir-den-Buckel-runter-Politik“ der Berliner ist somit die Frucht ihrer lutherischen Ergebenheit. Niemand ist an nichts schuldig. Deus lo volt.

Von daher das Grundverhältnis der deutschen Politik zur amerikanischen:

„Stets erhoffen die Europäer darauf, die Macht der USA zu beschränken, ohne selbst Macht auszuüben. Sie trauen sich ein unerhörtes Meisterstück an Raffinesse und indirekter Einflussnahme zu: sie möchten den Koloss dadurch bändigen, das sie an sein Gewissen appellieren.“

Salopp könnte man formulieren: die Europäer gestatten sich ihr gelangweiltes Durchwursteln, weil sie an Amerikas Tatkraft glauben. Das wird sie in die Irre führen.

Fortsetzung folgt.