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Montag, 22. Oktober 2012 – Der Schoß

Hello, Freunde des Schoßes,

eines der schönsten Liebeslieder der Weltliteratur ist das Hohelied im Alten Testament.

„Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems,

was wollt ihr aufstören,

was wollt ihr wecken

die Liebe, ehe es ihr gefällt …

Lege mich wie ein Siegel an dein Herz,

wie ein Ring an deinen Arm,

Denn stark wie der Tod ist die Liebe,

Leidenschaft hart wie die Unterwelt;

Ihre Gluten wie Feuersgluten,

ihre Flammen wie Flammen des Herrn.

Grosse Wasser können die Liebe nicht löschen,

Ströme sie nicht überfluten.

Gäbe einer auch all sein Gut um die Liebe,

würde man ihn verachten?“

Die Gewalt des Eros in jenen frühen Zeiten, als die Menschen noch auf Erden lebten, kann man nur ahnen. Liest man die Liebeslieder des Gilgamesch, der indischen, ägyptischen und arabischen Poesie – von denen sich Goethe im West-östlichen Divan anregen ließ – stehen wir trauernd vor

einer untergegangenen Welt. Zum Vergleich altägyptische Liebeslyrik.

Bei Goethe wird die Liebe schon an Verdienst, Gewinn, Reichsein und Heldentum gemessen. Noch gewinnt sie den Vergleich:

„Ja, Lieben ist ein groß Verdienst,

Wer findet schöneren Gewinst?

Du wirst nicht mächtig, wirst nicht reich,

Jedoch den größten Helden gleich.“

Pardon, was, Herr Geheimrat, hat Lieben mit Heldentum zu tun?

Das Hohelied bewegt sich noch im Revier ungezügelter Urelemente: Liebe ist stark wie der Tod, Leidenschaft hart wie die Unterwelt, grosse Wasser können sie nicht löschen, Ströme sie nicht überfluten. Selbst die Sintflut könnte sie nicht überwinden? Dann wäre Liebe stärker als Gottes Strafgericht.

Harter Schnitt. Mit irdischer Inbrunst und verzehrender Sehnsucht („an deiner Liebe wollen wir uns berauschen“) hat das Hohelied nichts zu tun – behaupten jüdische und christliche Schriftausleger unisono. Es handele sich um allegorische Darstellung der Beziehung Gottes zu seinem Volk (Rabbi Akiba) oder von Christus zu seiner Kirche. Die irdischen Leidenschaften werden an den Himmel verwiesen.

Wie kann man dem jungen Hegel nachfühlen, als er schrieb, dass es „unseren Tagen vorzüglich aufbehalten blieb, die Schätze, die an den Himmel verschleudert worden sind, als Eigentum der Menschen, wenigstens in der Theorie, zu vindizieren (verlangen), aber welches Zeitalter wird die Kraft haben, dieses Recht geltend zu machen und sich in den Besitz zu setzen?“

Hegels Philosophie war die Rückforderung der Schätze des Himmels, die dieser der Erde entwendet hatte, um sie den Menschen zurückzugeben. Er begnügte sich mit der Theorie. Marx wollte die materielle Praxis hinzufügen, doch mit Vertröstung auf ein ominöses Endreich.

Der Kapitalismus reduzierte alles auf Money, doch mit apokalyptischer Endabrechnung. Kapitalismus und Sozialismus versprachen nur Materielles, Eros wurde verboten und zum Sex degradiert.

Was uns Fortschrittlern verloren gegangen ist, zeigen die wunderschönen Verse (Hld 5,1 ff):

„Ich kam in den Garten meiner Schwester und Braut,

pflückte meine Myrrhe und meinen Balsam,

ich ass meine Wabe und meinen Honig,

trank meinen Wein und meine Milch.

Esset, ihr Freunde und trinkt

Und berauscht euch in Liebeslust.“

Welcher Vorgang wurde hier beschrieben? Moderne würden von Koitus oder Penetration sprechen. Penetrare, Eindringen, Durchdringen – das ist technische Ingenieurssprache zur gewalttätigen Durchbohrung eines Gotthardtunnels.

Garten ist der Schoß der Frau. Der Garten Eden war das Paradies der matriarchalischen Eva, die gegen die Enteignung durch den Himmel protestierte und mit Tücke aus ihrem Revier hinausbefördert wurde – wie so viele amerikanische Hausbesitzer durch göttliche Banken.

Die erste Erzählung der Bibel ist die Geschichte einer Enteignung, der Enteignung der Frau – durch einen Mann, der sich zum Allmächtigen aufbläst.

Noch liegen die meisten Frauen der Gegenwart vor ihren Enteignern im Staub und beten sie an. Ein Feminismus, der etwas auf sich hielte, würde sich seinen Garten zurückerobern und die gottähnlichen Macho-Besatzer zum Teufel jagen.

Aber das Paradies auf Erden steht unter Lustangst und Utopieverbot – ausgesprochen von klugen und weisen Männern, die ihrerseits keine Probleme haben, die Menschen mit totalitärer Peitsche zu ihrem Glück zu zwingen.

„Ein verriegelter Garten ist meine Schwester und Braut,

ein verriegelter Garten mit versiegeltem Quell.

Dein Schoss ist ein Park von Granatbäumen mit allerlei köstlichen Früchten, Cypertrauben samt Narden …“ (Hld 4,12 f)

Goethe übernimmt die Bezeichnung „Schwester und Frau“ in seinem Gedicht an Charlotte von Stein „Warum gabst du uns die tiefen Blicke“:

„Ach, du warst in abgelebten Zeiten,

Meine Schwester oder meine Frau.“

Die Verbindung von Bruder und Schwester galt bei altägyptischen Pharaonen als exzellenteste Verbindung. Die abendländischen Inzestallergiker reden ständig vom Ödipuskomplex, aber nie vom pharaonischen Schwester-und Bruderkomplex.

Ein verschlossener Garten ist ein hortus conclusus, wenn die junge Frau noch nicht „mannbar“ ist. Symbol für, na, wen wohl? Für die jungfräuliche Maria. Die irdischen Früchte des weiblichen Schoßes werden verschlossen und dem Himmel reserviert, der sie nur zu Zeugungszwecken benutzt und die minderwertige Lust der Frau verschmäht.

Spätestens hier wurde der Eros der Frau mit amtlichem Siegel von Oben durchlöchert. Die christliche Zeugungsehe und der komplementäre Pornobetrieb begannen ihre abendländische Karriere. Beide Inventionen bedingen sich gegenseitig.

Sibylle Berg beklagt zu Recht das Elend der Huren und Dirnen, will aber nur die Freier bestrafen. Die christliche Ehe lässt sie unberührt, als ob „normale Frauen“ – und zum Teufel, sogar die Männer – nicht in gleichem Maße unter Erosmängeln und Erniedrigungen litten. Der gekreuzigte Eros ist keine Gender-, sondern eine Menschheitsfrage.

Man blättere ein paar Seiten in der Bibel zurück – und das ganze Szenario ist auf den Kopf gestellt. Die Frau wird zur gefährlichen Verführerin. Später sogar zur besten Waffe und Komplizin des Teufels, um den labilen Adam in die – Gottlosigkeit zu verlocken. In Sprüche 7,15 ff wird eine detaillierte Verführung beschrieben und der Trottel folgt widerspruchslos der verruchten Schlange.

Männer kriegen heute noch Angst, wenn starke Frauen sie offensiv auf ihr Lustlager bringen wollen:

„Einfältiglich läuft er hinter ihr drein wie ein Ochs, (Ochsen sind kastriert!)

der zur Schlachtung geht,

wie ein Hund, der zur Kette geführt wird,

wie ein Vogel ins Garn eilt, und merkt nicht,

dass es sein Leben gilt,

bis der Pfeil ihm die Leber durchbohrt.“ (Spr. 7,22 f)  

(Domestizierte Tiere dienen als Verachtungs- und Dämonisierungssymbole, Natur wird zum Abschaum.)

Aus der Frau als Quelle und Garten des Lebens wurde eine tödliche Gefahr für den Mann. Als Hexe musste sie vergewaltigt, gesteinigt und verbrannt werden.

Wenn man neueren Stimmen folgen will, ist der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch keine Darstellung „tierischer Triebhaftigkeit“, sondern Darstellung eines utopischen Traumbildes eines Liebesparadieses: „ein fried- und freudvolles Beisammensein von Mensch und Tier.“ Würde bedeuten, dass Bosch sich gegen das christliche Denk- und Sinnlichkeitsverbot aufgelehnt hätte.

Heute ist die Vagina endgültig zur Fratze des Teufels mutiert. An diesem Tattoo wird klar, wogegen die aggressiven Piercings an der Vagina rebellieren: gegen abgeschlossene, angekettete Lust.

Noch nicht lange her, dass der Bundestag die Vergewaltigung in der Ehe bestrafen wollte. Heftiger Protest von Christen, die sich lieber Konservative nennen.

Der Grund war klar und neutestamentlich begründet. In gesalbten Ehen kann‘s gar keine Vergewaltigung geben: die Frau hat gar nicht das Recht, sich zu verweigern. „Die Frau hat über ihren eigenen Leib nicht die Verfügung, sondern der Mann.“ (1.Kor, 7,4) Der Mann kann ebenso wenig über sich und seine Lust bestimmen: „Ebenso aber hat der Mann über seinen eignen Leib nicht die Verfügung, sondern die Frau.“

Womit klar ist, was christliche Nächstenliebe in der Ehe bedeutet: der Akt der Penetration ist kein Akt der Lust, sondern gnädiger Charity. Das gilt auch für die Almosen-Charity, die nur Lust bereitet, wenn sie mit einem prachtvollen Fest bei Fressen und Saufen verbunden ist. Die Hilfsobjekte will niemand sehen oder höchstens dann, wenn Kameras die Wohltaten der very important persons in alle Welt tragen.

In England konnte bis 1884 eine Ehefrau zu Gefängnis verurteilt werden, wenn sie sich ihrem Mann versagte.

Das schreckliche Beispiel einer Gruppenvergewaltigung mit anschließender Todesstrafe des Opfers durch den Mann der vergewaltigten Frau lesen wir in Richter 19,1-30:

Eine Horde „ruchloser“ Menschen wollte den männlichen Gast eines Leviten vergewaltigen. Der Levit schützt den Mann mit Verweis auf das heilige Recht der Gastfreundschaft und bietet der Meute stattdessen seine jungfräuliche Tochter an. „Ihr mögt sie schwächen und mit ihr machen, was euch gefällt.“ Was ist schon eine Tochter im Vergleich mit einem männlichen Gast.

An Stelle der Tochter aber wird die Nebenfrau ausgeliefert, welche die ganze Nacht lang vergewaltigt und halbtot vor der Türe liegen gelassen wird. Der Vater bringt sie am nächsten Morgen nach Hause: „Und als er heimkam, nahm er das Messer, ergriff seine Nebenfrau und zerstückelte sie Glied um Glied in zwölf (!) Stücke und sandte diese in alle Gaue Israels.“

Das ist kein Blaming the victim (Opferschelte), das ist Killing the victim. Die vergewaltigte Frau war objektiv besudelt und beschädigt, subjektive Schuldlosigkeit war damals noch nicht erfunden. Die kaputte Sache muss weggeworfen werden.

Derselbe psychische Mechanismus liegt heute bei „Huren und Dirnen“ vor. Zuerst werden sie von Männern benutzt, danach werden sie zum Dank verachtet und gedemütigt.

Zum Vergleich: Hetären in Athen waren hochgebildete Frauen. Aspasia war Gefährtin des Perikles, gründete einen philosophischen Salon und war vermutlich literarisches Vorbild der Diotima, der Lehrerin des Sokrates im Gastmahl. Dies in einer Stadt, in der Frauen nur unterdrückt gewesen sein sollen.

Die Verhältnisse im heutigen Kongo müssen schauderhaft sein. Besonders für Frauen. Die vielen marodierenden Soldaten vergreifen sich regelmäßig an ihnen, um ihren Heldeninstinkt zu bedienen. (Bianca Schmolze und Dominic Johnson in der TAZ über Vergewaltigungsopfer im Kongo)

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kämpft energisch dafür, die soldatischen Sexualtäter vor Gericht zu bringen. Eine Expertin schätzt die Zahl der Vergewaltigungen im Kongo auf mehrere Millionen – begangen von allen Kriegsparteien.

Ein 14-jähriges Mädchen wurde von mehreren Männern vergewaltigt. Danach wollte der Vater, dass sie das Haus verlasse, da sie „Schande über die Familie gebracht“ habe. Blaming the victim. Noch schrecklicher erging‘s einem Mädchen, das auch vergewaltigt wurde. Anschließend schlug man ihr die Zähne aus und tötete sie, indem man ihr mehrfach in die Vagina schoss.

Inzwischen beginnen sich die Frauen zu wehren und vor Gericht auszusagen. „Die kongolesischen Frauen sind die mutigsten der Welt“.

Die militärischen Kämpfe in aller Welt gehen nicht nur um „Roh“-Stoffe, sondern um die Erniedrigung der Frau. Die Emanzipation der Frau soll mit allen Mitteln verhindert werden.

In Indien werden weibliche Embryos getötet, die wenigen Frauen dann von Männerrudeln vergewaltigt.

Und wo steht der westliche Feminismus? Er hat sich den Männern unterworfen unter dem absurden Motto, Kind und Beruf, Mutterdasein und Kapitalismus unter einen Hut zu bringen, womit die avantgardistische Frau das doppelte Pensum erbringen muss wie der Mann, der nur malochen geht.

Der Mann definiert seine Arbeit als wert-schaffende Erwerbsarbeit, die Arbeit am Leben, an der Erziehung der Kinder und der Pflege der Häuslichkeit darf die Frau mit links und unbezahlt machen.

Um ihre Aggressionen gegen die Frauen zu rechtfertigen, haben die Männer den Mythos der Vagina dentata – der Vagina mit dem Hai-Gebiss – erfunden. „Drei Dinge sind unersättlich: die Wüste, das Grab und die Vulva der Frau“, lautet ein moslemisches Wort.

Geschichten von der verschlingenden Mutter gibt es überall. Die Ejakulation war oft kein Lustgewinn, sondern ein Samenverlust, der die Männer schwächen sollte. Es gibt bestimmte Sexualriten, die es dem Mann ermöglichen, den Samen zu behalten. Oft werden Mund und Vulva der Frau gleich gestellt. Wie der Mund zubeißen kann, so die penis-neidische Vagina, die den hilflosen Mann kastrieren und dann höhnisch lachen will. Siehe das Märchen Hänsel und Gretel. Was kein Mann verträgt, ist das höhnische Lachen sinnlicher Frauen über seine jämmerlichen Bettfähigkeiten.

Es muss ja einen Grund geben, warum es so wenig weibliche Kabarettisten gibt: Frauen trauen sich nicht, sich über vagina-lose Prachtexemplare lustig zu machen. Selbst Bertold Brecht, der angebliche Frauenfreund, schob alle Schuld der Welt dem weiblichen Schoß zu, als er schrieb: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das Scheusal kroch.“

Die Frauen gebären das Böse direkt aus ihrem natürlichen Schoß. Nicht die – männliche – Kultur erzieht das unschuldige Kind zu einem Monstrum, dieses kommt satanisch-perfekt direkt aus dem Schoß der Mutter.

Es gibt immer mehr Männer, die das Böse als angeboren betrachten („es steckt ins uns“) und die Geburt des Bösen direkt der Mutter in den Bauch schieben.

Gestern Arno Widmann, heute der Gerichtspsychiater Hans-Ludwig Kröber. „Gewalt gehört zur conditio humana, dies zu verleugnen ist lebensgefährlich. Der Mörder ist in uns allen.“

Zur Vorbeugung gegen Gewalt müssten die Jungen den körperlichen und geistigen Kampf lernen. Weil der Mörder in uns ist – weil wir so der Mutter entschlüpft sind –, brauchen wir eine „energische Pädagogik, machtvolle Vorbilder.“ Mit anderen Worten, wir brauchen wieder echte Männer, um die verdorbenen Früchtchen der Mütter auf Vordermann zu bringen.

Doch es gibt noch sinnvolle Stimmen, die aus Bolivien kommen, dem ersten Staat mit einem Indio an der Spitze. Boliviens Außenminister war in Berlin und stellte das Konzept „buen vivir“ vor, das gute Leben in Eintracht mit der Natur, ein Motto, das zur bolivianischen Staatsdoktrin erhoben wurde. (Wolf-Dieter Vogel in der TAZ über buen vivir)

„Im Kapitalismus zählt nur das Geld, im Sozialismus nur der Mensch, uns geht es aber um das gesamte Leben.“ Buen vivir ist das Gesetz der Mutter Erde, das eine „von Gegenseitigkeit geprägte Beziehung zwischen Mensch und Natur fördern soll. Jeder muss seine Gedanken und Gefühle ausdrücken können, gemeinsam gilt es, einen gemeinsamen Konsens zu finden.“

Wie käme Europa dazu, von Indios das gute Leben in Symbiose mit Mutter Natur zu lernen?