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Tagesmail

Montag, 18. Juni 2012 – Vater Geist, Mutter Materie

Hello, Freunde der Eliteforscher,

die Exzellenzinitiative ist ein Versuch der brillanten Frau Schavan, mit wenig Geld die Universitäten anzureizen, unter Aufsicht vorwiegend angelsächsischer Bewerter sich wissenschaftlicher Modethemen wie Nanotechnologie anzunehmen, damit Professoren einen Vorwand haben, sich nicht der Lehre und den ohnehin zu vielen Studenten zu widmen (die bekanntlich eh nicht studieren, sondern nur Diplome und Scheine kassieren wollen), das Klima zwischen den Universitäten zu vermiesen, selbst bei jenen, die exzellent geworden sind, aber nur im nationalen Bereich, denn international haben deutsche Unis eh nichts zu melden, weil angelsächsische Gutachter Kriterien wie Geld und die Anzahl von Nobelpreisträgern entwickelt haben, damit amerikanische Unis auf den ersten Plätzen landen, weshalb in deutschen Unis nicht nur die Grundlagenforschung vernachlässigt wird, sondern auch die obengenannten Studiosi in die Röhre gucken. Sagt Eliteforscher Michael Hartmann aus Darmstadt.

Freiburg ist beim Exzellenzwettbewerb aus der ersten Liga abgestiegen, was nur an den Gemütlichkeitsfallen liegen kann, die überall in der Stadt aufgestellt sind, besonders an der Dreisam, wo Studenten, kaum ist der erste Sonnenstrahl da, die Ufer des Flüsschens dekorieren, darunter mindestens zwei Drittel, die nicht mal den Anschein erwecken, ein Buch in der Hand zu halten, und wenn, dann ein so dickes, dass es nur ein Pilcherroman sein kann, weshalb sie sich nicht wundern sollten, warum sie inzwischen nur semi-exzellent sind, was eine Riesenschande für die ganze Stadt ist, die an einer der schönsten Stellen zwischen Wald und Fluss eine private Eliteuni einrichten wollte, doch wer von der intelligenten Jugend der Welt wollte jetzt noch viel Geld für eine spitzenmäßige Bildung ausgeben, wenn das ganze Klima in der Stadt immer gemütlicher, also bildungsfeindlicher wird und die Uni noch nicht mal auf die Idee gekommen ist, das hochbrisante Thema: „Gibt es einen inhärenten Antagonismus zwischen platonischem und südbadischem Eros, resp. zwischen Bildung und Gemütlichkeit, und wenn ja, sind deshalb die amerikanischen Unis so exzellent, weil sie weder die Sache noch den Begriff Gemütlichkeit kennen und wäre es deshalb nicht sinnvoller, lieber einen Gutedel zu begutachten, als in Silicon-Valley Weltraumforschung zu betreiben oder gar einen völkerrechtswidrigen und militanten Stuxnet zu installieren, der die Iraner noch mehr motiviert, ihr Atomprogramm voranzutreiben?“ als Forschungsthema zu vergeben.

Jetzt ist es für alles zu spät, die ganze Stadt heult. Wenigstens

  die Gutedel- und Ganterbräu-Elite, die traditionsgemäß viel Wert auf seriöse Scheinbildung legte, was so eine Art Doping fürs Image ist, und in diesen Fragen – des Dopings – soll die sportmedizinische Fakultät noch immer mehr als exzellent sein, weshalb es nur ungerecht sein kann, dass wegen einiger fauler studentischer Säcke oder eines mehr als durchschnittlichen Rektors unser exzellenter OB Salomon das Oberhaupt einer immer behäbiger und geistloser werdenden Touristenmetropole werden soll.

Ein Forscher aber muss rühmend aus der Masse der Durchschnittlichen herausgehoben werden. Frühzeitig sah er das Debakel voraus und hat sich mit geradezu prophetischen Fähigkeiten – die in säkular kontaminierten Staaten verloren zu gehen drohen – dem Thema „Einsammlung der Flaschen“ gewidmet.

Sebastian Moser heißt der brave Mann und ist Soziologe, der das Flaschensammeln nicht nur für lustig hält, sondern auch als Möglichkeit, am sozialen Leben teilzuhaben, weshalb überall in der Stadt immer mehr Flaschensammler zu beobachten sind, die auch am sozialen Leben teilhaben wollen, was sonst in der Stadt nicht so leicht möglich ist.

Nein, nicht weil die Stadt asozial wäre, Gott bewahre, sie ist katholisch und liebt die Menschheit wie sich selbst, und vor Nachbarschaftsfesten quer durch die Stadt, vor Monteverdi- und Bachaufführungen kann man sich nicht mehr retten, dazwischen immer mal ein durchreisender Satiriker, ohne dessen ätzende Zwischenrufe die Gemütlichkeit unerträglich wäre.

Nur gibt es eine bestimmte Art der sozialen Selbstdarstellung, die fast so abweisend wie Teflon wirkt. Gemütlichkeit kann ganz schön exkludierend sein.

Herr Moser nun, sein Name sei gepriesen, muss früh die Ahnung gehabt haben, dass das leitende Personal der hiesigen Uni aus lauter Flaschen bestehen muss. Ob es ihm schon geglückt ist, sie einzusammeln und zu entsorgen, ob er sich selbst als praktischen Flaschensammler oder nur als Flaschensammler im Elfenbeinturm betrachtet, wurde in der TAZ nicht mitgeteilt.

Burkhart von Braunbehrens war einmal eine Art Rudi Dutschke von Heidelberg. Heute ist er Künstler. Er gehört zur großen Sippe derer von Braunbehrens, die Miteigentümer der Waffenschmiede Krauss-Maffei Wegmann sind, die Hunderte von Panzern an Saudi-Arabien liefern sollen. Die Mitglieder der altpreußischen Familie sind Humanisten, Psychotherapeuten, Waldörfler und Künstler.

Das „Zentrum für politische Schönheit“ hat eine Kampagne gegen den Clan gestartet, mit dem angeblichen Ziel, sie alle hinter Schloss und Riegel zu bringen. Hier der Bericht der ZEIT.

Auf die Vorwürfe gegen ihn und seine Familie hat sich Burkhart von Braunbehrens zur Wehr gesetzt. Er habe Verständnis für eine öffentliche Debatte, billige aber nicht die Art der Hetzkampagne. Er habe einen Brief an Bundespräsident Gauck geschrieben mit der Bitte, den Deal zu stoppen. Seine eigene Position kann man hier nachlesen.

Als Miteigentümer habe er in der Tat eine Mitverantwortung für die Geschäftspolitik der KMW, die bislang noch gegen keine Gesetze verstoßen habe. Als Waffenhändler wolle er selbst aber nicht auftreten.

Die kritisierten Geschäfte würden meistens direkt von den Regierungen eingefädelt. Die Gesellschafter hätten keinen unmittelbaren Einfluss auf die Geschäftspolitik. Der Einfluss käme allein von der Bundesregierung, dem Bundessicherheitsrat, dem Bundestag und der öffentlichen Meinung. Die offizielle Begründung für die Lieferung, sie diene der „Abwehr eines strategischen Ungleichgewichts zum Iran“ hält er für entscheidend. Auch Israel, das früher immer gegen die Lieferung votiert hätte, habe keine Einwände mehr.

Die innenpolitischen Verhältnisse in Saudi-Arabien allerdings seien ein plausibler Einwand gegen die Lieferung. Es sei auch kein gutes Signal gegenüber der arabischen Revolution, wenn man deutsche Panzer liefert, mit denen man die eigene Opposition niederwalzen könnte. Künstleraktionen seien manchmal plakativer als die Reden der Politiker, die sie angriffen.

Das sind Sätze, die nicht ohne erhebliche Widersprüche sind. Wenn man für eine Gesellschaft Mitverantwortung trägt, kann man sich nicht auf die unschuldige Position zurückziehen, keinen Einfluss auf die Geschäftsleitung zu besitzen. Wer keinen Einfluss hat, kann weder mitreden, noch mitentscheiden.

Braunbehrens erweckt den Eindruck, als sei der Waffenkonzern ein halbstaatlicher Betrieb, dessen Geschäftspolitik von Berlin aus geleitet wird. Das ist ein Scherz. Das Argument, wenn Israel zugestimmt habe, könne das Ganze nicht falsch sein, ist hanebüchen, denn es wird wohl ein Deal auf Gegenseitigkeit gewesen sein: gebt ihr uns die U-Boote, können die Saudis die Panzer haben.

Okay, es ist nicht nichts, einen Brief an den Bundespräsidenten geschrieben zu haben (warum nicht an Merkel, de Maiziere?), doch auch erst dann, als die Verstrickungen der Familie mit dem Waffenhandel bekannt wurden. Ein Brief ist ein persönliches Rechtfertigungsmittel, eine politische Aktion mit Durchschlagskraft ist es nicht.

Die neueste Wendung: der Briefschreiber musste wegen seiner bisschen Kritik den Hut nehmen. Aus dem Kreis der Gesellschafter ist er ausgeschlossen worden. Kein Zeichen für eine muntere und zensurfreie Debatte im Kreis der Eigentümer.

Burkhart Braunbehrens verkörpert den diskreten Charme der Bourgeoisie, die gelegentlich aus kathartischen Gründen gegen sich selbst aufbegehren darf. Doch kaum ist der Zeitgeist weitergewandert, sitzt man, dem Herrn sei Dank, immer noch in den weichen Pfühlen der Macht- und Geldbesitzer.

Nach außen – und vermutlich besten Gewissens – werden humanistische und progressive Berufe ausgeübt, hinter den Kulissen trägt man leise, still und heimlich die alte Elitokratie der Gesellschaft mit, die schwarze Schafe und Rebellen durchaus duldet, wenn das Aufmüpfen dem Schema folgt: wer nicht mit 18 ein Revolutionär, mit 20 ein reuig zurückgekehrter Sohn der Bourgeoisie war, ist ein Dummkopf. Der kreative, immer unfertig und offen sein wollende Künstler Braunbehrens ist kein Dummkopf.

 

Welche Moral vertreten die Linken? Immerhin war Braunbehrens in den 60er Jahren überzeugter Kommunist.

Doch welche Linke? Die Marx-Linken, die auf Revolution setzen? Die Bernstein-Linken, die der Revolution Ade sagten und die Gesellschaft reformieren wollen und identisch sind mit den Sozialdemokraten?

Der extreme Flügel der Linken, vornehmlich Wessis und marxistische Altkader, verweigern sich jedem Kompromiss und scheinen immer noch von der heilbringenden Revolution zu träumen.

Die Ossi-Linken, die vorbildliche Demokraten sein wollen und die Schnauze vom dogmatischen Sozialismus voll haben, sind fleißige Basisarbeiter und kompromissbereite Koalitionäre, die ihre Politfähigkeit im alltäglichen Getriebe unter Beweis stellen wollen.

Beide Lager zermürben sich gegenseitig. Die Personalquerelen sind nur Oberflächenphänomene unbearbeiteter und ungelöster Grundsatzprobleme – die sie aber nicht angehen dürfen, weil sie pragmatisch und polittauglich sein wollen.

Hier beißt sich die pragmatische Katze in den dogmatischen Schwanz. Der Streit zwischen beiden Kohorten geht ans Eingemachte, das niemand zur Kenntnis nehmen will. Reformer wollen den ausufernden Kapitalismus mit Moral zähmen, Marxisten halten Moral für idealistischen Unsinn, für Traumtänzerei.

Gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts versuchte die Gruppe der Neukantianer die beiden Titanen Kant und Marx zusammenzuführen. Sie waren scharfe Gesellschaftskritiker auf der Basis des kategorischen Imperativs. Schlicht formuliert: wenn alle Menschen besser und moralischer werden, ist die ganze Gesellschaft moralisch geworden und hat den menschenfeindlichen Kapitalismus überwunden.

Traditionelle Marxisten halten dies für völlige Überschätzung der Moral im Allgemeinen und der privatistischen im Besonderen. Nicht die Veränderung des Bewusstseins und der Moral veränderten die Gesellschaft, sondern die materielle Veränderung der Gesellschaft bringe den neuen Menschen hervor, der erst im Reich der Freiheit seine moralischen Qualitäten entfalten könne: das Sein bestimmt das Bewusstsein.

Wozu Bewusstsein verändern, wenn es nichts bringt und wenn es sich im falschen Sein gar nicht verändern kann? Im falschen Leben gibt’s kein richtiges und kein halbrichtiges. Gott paktiert nicht mit dem Teufel (nach theologischer Lehre sehr wohl: der „arme“ Teufel ist der betrogene Betrüger, die Marionette Gottes).

Die teuflisch-göttliche Zusammenarbeit gibt es im Marxismus allerdings sehr wohl, aber nur im materiellen Bereich des Kapitalismus, der mithilfe seiner notwendigen Widersprüche sich selbständig aus dem Schlamassel herausarbeitet, die Voraussetzungen für die Revolution schafft, das Proletariat an den Rand des Elends führt, dass es nichts mehr verlieren kann außer seinen Ketten und ins Horn des Umbruchs stößt.

Nicht anders wie im Liberalismus ist die Wirtschaftsordnung ein selbstheilendes System – Moral überflüssig und schädlich. Wieder einmal zeigt sich die verborgene Ähnlichkeit von Sozialismus und Kapitalismus. Die einen darben im Elend, die andern im Überfluss.

Liberalismus und Marxismus funktionieren nach dem Motto Hegels: der Geist, der die Wunde schlägt, heilt sie auch. Bei Marx: die Materie, die sich selbst beschädigt, repariert sich selbst. Denn die gesunden Anteile hat sie ebenso in sich wie die kranken, die auf Dauer gegen die gesunden keine Chance haben. Es ist wie bei Fieber, das erst eine bedrohliche Höhe erreichen muss, bis der Umschlag auf dem Höhepunkt eintreten kann.

Dieses Gesetz hat Marx sowohl dem Tode Gottes entnommen, der eintreten muss, bevor er wieder auferstehen kann, wie der Dramaturgie des griechischen Trauerspiels, wonach erst die Peripetie, der äußerste Punkt der Verwicklung, erreicht werden muss, bis der Umschlag ins Rettende erfolgen kann. Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch, sagt Hölderlin.

Der dialektische Prozess ist nichts als der Kampf der gesunden gegen die kranken Anteile. Die kranken Anteile glauben bereits gewonnen zu haben, doch kurz vor dem Exitus tritt die Gesundung ein.

Diese Selbstheilung ist auf den materiellen Teil der Geschichte beschränkt und gilt nicht für die ideellen Teile des Menschen, für seine Bewusstseinsbildung. Die bleibt stets ein Anhängsel der wirtschaftlichen Autoevolution und besitzt keine Kraft, die wirtschaftlichen Gesetze der Gesellschaft zu beeinflussen:

„Hiernach sind die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und Umwälzungen zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, in ihrer zunehmenden Einsicht in die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern in Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind nicht zu suchen in der Philosophie, sondern in der Ökonomie der betreffenden Epoche“, schreibt Engels. „Die Philosophen haben die Welt nur interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern.“ (Marxens 11. These über Feuerbach)

Das muss man sich vorstellen, zwei der gewaltigsten Denker der deutschen Geschichte, Marx und Engels, produzieren ein riesiges philosophisches Werk, um ihr eigenes Tun als vergeblich und sinnlos darzustellen – wenn die Geschichte nicht selbst ein Einsehen hätte, die Schwachen und Ausgebeuteten an die Hand nähme, um sie persönlich ins Paradies zu führen.

Wurden bis dahin alle Fortschritte dem Geist und Denken zugetraut, stellt Marx alles auf den Kopf. Man könnte von einem ausgesprochenen Selbsthass der linken Denker sprechen.

Wie Adam Smith den klerikalen Altruismus hasste und ablehnte, so Marx den gut meinenden und edel wollenden Geist der Moralisten, der seiner Meinung nach auf der ganzen Linie versagt hätte.

Wenn der Geist versagt, bleibt die Materie. Familiär ist das die Revolte der Kinder gegen den Patriarchengeist – zugunsten der völlig unterschätzten Mutter, die den Vater vom Thron stößt und alles in die eigene Hand nimmt. Weg mit den Phrasen der Männer und Väter, her mit der handfesten und konkreten Tat der Mutter, die keine geistige Befruchtung des Mannes mehr benötigt, sondern sich selbst ausbrüten und ihre internen Krankheitskeime autonom überwinden kann.

Das Reich der Freiheit gebiert Mutter Materie selbständiger als Maria den Gottessohn, die immerhin vom heiligen Geist überschattet wurde.

Die reformerisch und idealistisch gewordenen Linken setzen heute auf Bildung, Kita, Schule, lebenslanges Lernen, Bewusstseinsarbeit (inklusive Psychotherapie), Debattieren und Argumentieren: zumindestens auf dem Papier.

Die materialistisch-marxistischen Linken halten dies alles für “utopischen Sozialismus“, also für Gedöns: sie warten auf den Einsatz der großen Dirigentin Geschichte.

Beide Standpunkte sind so vereinbar wie Obama mit der Tea Party.

(Wird bei Gelegenheit fortgesetzt.)