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Tagesmail

Montag, 13. August 2012 – Ayn Rand

Hello, Freunde Amerikas,

sein größtes Laster sind zwei Tassen Kaffe in der Frühe, sein mormonischer Chef darf kein Koffein zu sich nehmen. Er ist Fitness-Athlet, will aus Gerechtigkeitsgründen das Gesundheitsprogramm für die Armen und die Steuern für die Reichen kürzen. Katholisch, verheiratet, drei Kinder und nun Vize von Mitt Romney.

Kurz, Paul Ryan ist Anhänger von Hayek und Milton Friedman. Vor kurzem war er noch Fan von Ayn Rand, einer russisch-jüdischen Philosophin, von der er sich jetzt abgewandte, da sie Atheistin war.

Kein Gottloser kann Amerika im Kampf gegen die heidnische Welt führen. Denn die Freiheit Amerikas ist keine Errungenschaft des Menschen, sondern ein Geschenk Gottes.

Bei den Deutschen ist Freiheit ein Geschenk der Alliierten, was ungefähr auf dasselbe hinausläuft. Unliebsame Geschenke gibt man in Deutschland an entfernte Verwandte weiter.

Warum nicht alles ein Geschenk Gottes ist, der doch der größte Geschenkgeber im Universum ist, ja die ganze Schöpfung dem Menschen als Geschenk aus dem Nichts vermachte, bleibt ein Rätsel.

Die Sklaverei müsste auch ein superbes Geschenk gewesen sein. Warum hat man es mit Hilfe eines Bruderkrieges an den Absender zurückgeschickt? Merkwürdig ist, dass in Amerika

 alles selbst erarbeitet werden muss, nur bei der Freiheit halten die Selfmademen bei Gott die Hand auf.

Den Deutschen wirft man vor, sie lebten gern auf Kosten des Vaters Staat, niemand wirft den Amerikanern vor, auf Kosten des himmlischen Vaters zu leben.

Es wäre besser für die Deutschen, ihr unansehnliches Väterchen gegen den strahlenden Himmelspatriarchen der Amerikaner auszutauschen.

Selfmademen sind Männer, die sich ohne Hilfe der Natur und der Mütter selbst gezeugt haben. Nur mit Hilfe eines anderen Mannes, der ohnehin alles gemacht hat. Hat er aber alles gemacht, was bleibt dann für Selfmademen übrig?

Das sind unnütze Fragen, mit denen man den amerikanischen Wahlkampf nicht gewinnen kann.

Der SPIEGEL hat ein Zitat von Ayn Rand abgedruckt, ansonsten weiß man hier so gut wie nichts über sie. Kein Medium hält es für nötig, einen großen Artikel über sie zu verfassen. Denn es besteht die Gefahr, dass Deutsche die Amerikaner verstehen lernten, was zu transatlantischen Verstimmungen führen könnte.

Fromme Alphatiere wollen nicht verstanden werden – Verstehen kommt von Verstand –, sie wollen als Führer der freien Welt bewundert werden. Wer bedeutende Menschen verstehen will, will ihnen auf die Schliche kommen.

Hans Ulrich Gumbrecht, deutsch-amerikanischer Professor, der an der Spitzen-Universität Stanford im Spitzen-Areal Silicon Valley (das spitzenmäßige Genies wie Steve Jobs serienmäßig erzeugt) spitzenmäßiges Stroh drischt, wirft den Deutschen ohnehin vor, dass sie von Amerika nichts verstünden, Obama am liebsten für sich behalten, ihn aber nicht gekriegt hätten und vor Neid die Supermacht schon im Abgrund sehen würden, obgleich sie selber mitsamt ihrem Euro dorthin unterwegs seien.

„Allgemeinwohl ist die Wohlfahrt derer, die sie nicht verdienen, jene, die sie verdienen, haben keinen Anspruch auf Fürsorge.“ So Ayn Rand, die zur Riege jener russischen Frauen gehört, die beschlossen haben, ihre wodkasaufenden Gospodins den Weiten der Tundra zu überlassen und den freien Westen zu erobern.

(Sebastian Fischer und Sandra Sperber im SPIEGEL: Der talentierte Mr. Ryan)

 

Eigentlich heißt sie Alissa Sinowjewna Rosenbaum, geboren 1905 in St. Petersburg und gestorben 1982 in New York. Ihre Eltern waren deutschstämmige Juden. Sie erlebte die Oktoberrevolution, in der die Besitztümer ihrer Familie enteignet wurden. Später ging sie nach Amerika und schrieb vernichtende Bücher gegen den sozialistischen Kollektivismus.

Ihre Philosophie nennt sie Objektivismus, der einen erfreulichen Kontrast zum alteuropäisch-dekadenten Subjektivismus darstellt. Endlich spricht jemand aus, dass die Welt im Dasein und Sosein nicht von Feuilletonchefs abhängt, deren transzendentales Ich jede Woche das Sein neu möbliert. Ein Buch mit dem Titel: Wer bin ich und wenn ja, wie viele, wäre in Amerika eine Lachplatte. Ein Bestseller in Amerika müsste fragen: Wer bin Ich und wenn ja, wie viele Dollars?

Höchster Wert für die wie eine Heilige verehrte Ex-Russin ist der Selbstwert des Lebens, den sie als rationalen Egoismus bezeichnet. Das Ich muss im Mittelpunkt des Weltalls stehen. Wer nicht Ich sagen kann, ist ein irrationaler Egoist oder schlimmer: ein Altruist.

Altruisten sind schlimmer als leninistische Kollektivisten. Wenn sie an der Regierung wären, würden sie kaltblütig den Kapitalismus, die beste Wirtschaftsform aller Zeiten, der Nächstenliebe und der Fürsorglichkeit opfern. Der Staat ist nur dazu da, das Leben der heiligen Ichs vor Gewalt zu schützen. Ansonsten hat er Sendepause. Den Rest fechten die Ichs egoistisch, aber rational untereinander aus.

Dummerweise erkrankte Rand an Lungenkrebs und ließ sich mit Hilfe des staatlichen Medicare-Programms behandeln, war sogar auf Gelder der Sozialversicherung angewiesen. Ihr Egoismus war so rational, dass er seine eigenen Grundsätze ignorieren konnte.

Während Fachwissenschaftler die Schriften von Ayn Rand nicht zur Kenntnis nehmen, ist das Image der Schreiberin im Land des Dollars legendär. Hinter der Bibel und Karl May kommt sie bereits an dritter Stelle. Vor allem bei Greenspan und anderen genialen Verursachern der Weltfinanzkrise, die das Debakel nur herbeiführten, um rational-egoistisch ihre Säckel zu füllen.

Ihr Hauptwerk trägt den seltsamen Titel „Atlas Shrugged“, was etwa heißt: Atlas wirft die Welt ab. Ob Atlas Amerika ist, das die lästige Welt abschüttelt, darf auf Grund des folgenden Zitates als gewiss gelten:

„Stellen Sie sich vor, dass Sie Atlas sehen, den Riesen, der die Welt auf den Schultern trägt. Sie sehen ihn da stehen, Blut rinnt ihm über die Brust, seine Knie knicken ein, seine Arme zittern, versuchen dennoch, die Weltkugel mit letzter Kraft zu stemmen, doch je mehr er sich bemüht, desto schwerer lastet die Welt auf seinen Schultern. Wenn Sie ihn so vor sich sehen, was raten Sie ihm? Die Welt abzuwerfen.“

Für bayrische Christen ist diese Denkweise unvorstellbar. Müssten sie doch an jeder Wegkreuzung ihrer Heimat den gemarterten Heiland vom Kreuz befreien und dem nächsten Rettungssanitärer übergeben.

In Rands Phantasien ahnen wir eine versteckte antichristliche Blasphemie. Denn wie sollen egoistische Gläubige in den Himmel kommen ohne das Erlösungswerk ihres Heilands – der durch sein scheinaltruistisches Erlösungswerk egoistisch zum Herrn des Universums aufrückt? Atlas ist der Gekreuzigte, den Frau Rand heilsegoistischen Christen aus den Händen reißen und einem normalen Leben zuführen will.

Wie lässt sich das Rätsel lösen, dass Rand und ihr glühender Fan Greenspan Atheisten und dennoch im wiedererweckten Amerika zu solchem Einfluss gekommen sind? Das erklärt sich aus der erstaunlichen Tatsache, dass in den USA Atheismus und Christentum so verwechselbar wurden, dass sie als identisch betrachtet werden können. Man könnte auch sagen, die USA sind so bibelfest, dass selbst Gottlose keine Chancen haben, unchristlich zu denken.

Absurd natürlich, dass die meisten Atheisten in der Wolle gefärbte gläubige Schäfchen sein könnten. Und diese gläubig-ungläubige Synthese will die Idee der moralischen Überlegenheit des Kapitalismus spirituell unter die Leute bringen. Mit anderen Worten: es gibt nichts Moralischeres und Heiligeres als die Anbetung des Mammons.

Da werden die deutschen Heiner Geißlers und Wolfgang Hubers schlucken müssen, dass in Amerika nicht nur Gottlosigkeit und Frömmigkeit dasselbe sind, sondern vor dem Altar des Geldes gemeinsam die Knie beugen.

Übrigens war Rands Denkfabrik nicht nur federführend gegen Obamas sozialistische Gesundheitsreform, sie ist auch der spirituelle Motor der Tea-Party, die besser Ego&Ego-Party heißen sollte.

Rands Botschaft ist wenig originell. Viele kennen sie unter dem Markenzeichen des christlichen Seelenheils. Nichts ist wichtiger als das Heil der eigenen Seele, Familien, Kollektive oder ganze Nationen kommen nicht gemeinsam in den Himmel: „Nur Ich zähle, die Gemeinschaft zählt nicht“. Regierungen sind schrecklich und müssen auf ein Minimum gesundgeschrumpft werden.

Ach ja, wenn kreative Denkfabriken zugange sind, bringen sie ihre Ideen auch in der Welt der Jugend unter. Die Gestaltung des Computerspiels BioShock 1 und 2 sind von Rands Ideen inspiriert. Der Name des Spiels legt nahe, dass deutsche Bio- und Ökokultur dem Egoismus der Amis auf den Hammer geht.

Zwar soll Natur objektiv sein, was aber nicht bedeutet, sie könne tun, als sei sie wichtig. Die Ehre der Natur besteht darin, im Dienst des Menschen verzehrt zu werden.

Einige rührende Glaubenslehren aus Rands Evangelium, die von Nachwuchskräften der Zocker- und Börsengilden auswendig gelernt werden müssen. Sonst haben sie bei Goldmann & Sachs keine Chancen:

„Ich schwöre bei meinem Leben und bei meiner Liebe zum Leben: Ich werde nie für andere leben, und ich werde nie von anderen verlangen, dass sie für mich leben.“

Hier ist der befreiten Frau Atlas ein kleiner Denkfehler unterlaufen. Wenn alles für mein Ego da sein soll, können andere Egos sehr wohl auch für mich da sein. Sollten sie sich damit selber schädigen, was geht’s mich an? Dieser Egoismus ist noch verbesserungsfähig: kleiner Tip für Rands Denkfabrik.

„Die Person, die alle liebt und überall zu Hause ist, ist der wahre Hasser der Menschheit. Sie erwartet nichts vom Menschen, also kann keine Form der Verderbtheit sie entrüsten.“

Offensichtlich war Frau Rand eine gute Schülerin von Carl Schmitt, dessen Zitat unsere Leser bereits kennen: „Wer Menschheit sagt, will betrügen.“ Ein Kernsatz der deutschen Bewegung, die sich mit ihrem völkischen Egoismus (oder Sonderweg genannt) vom allgemeinen Menschheitsgefasel des Westens absetzen wollte. Womit wir mit Bedauern feststellen müssen, dass die Besiegten wieder einmal die Sieger gedanklich besiegten.

Wir wollen nicht kleinlich sein, aber auch hier sind merkwürdige globalisierungsallergische Töne zu vernehmen. Soll denn eine rationale Person im Dienste des Profits nicht überall zu Hause sein? Nach dem guten amerikanischen Motto: ubi bene, ibi patria, auf Deutsch: wo der Rubel rollt, da bin ich an der richtigen Stelle?

Interessant auch, dass die Hohepriesterin des kalten Eigennutzes im Grunde ihres Herzens – die Menschheit liebt und sie vom Verderben des Altruismus retten will. Selbst bei Adam Smith ist dieses Motiv gelegentlich spürbar. Ist dieser Erlösungswille nun egoistisch oder altruistisch?

Eigennützigkeit und Uneigennützigkeit sind im Christentum keine trennscharfen Kategorien. Sie überlagern und amalgamieren sich zur Unkenntlichkeit. Noch immer bestimmen und verwüsten sie in ihrer Beliebigkeit die moralischen Debatten der Moderne.

Wenn man seinen Nächsten lieben soll wie sich selbst, kann es zwischen Egoismus und Altruismus keinen Widerspruch geben. Wenn aber jeder für sich allein sein Seelenheil besorgen muss, gibt’s keine Solidarität zu anderen Menschen. Nicht mal mit seinen Liebsten.

„Um sagen zu können: Ich liebe Dich, muss man zunächst sagen können: Ich.“

Zunächst ja, aber dann? Ist ein liebendes Dich im rationalen Egoismus überhaupt zugelassen? Ist Liebe nicht Verschmelzen von Ich und Du?

Hier sehen wir den tiefsten Kern einer menschheitsliebenden Frau, die um der Liebe willen sich als Egoistin tarnen muss, um das Rettungswerk der Weltbeglückung unter dem Etikett einer neutralen Objektivität unter die Menschen zu bringen. Sie meint es nur gut mit den Menschen, auch wenn sie wie eine eiskalte Megäre auftritt.

„Zivilisation ist der Fortschritt zu einer Gesellschaft der Zurückgezogenheit. Des Wilden gesamte Existenz ist öffentlich, geregelt durch Stammesgesetze. Zivilisation ist die Entwicklung zur Befreiung des Menschen von seinen Mitmenschen.“

Amerika den Amerikanern in heiliger Isolation. Zurück zu den Klöstern und Eremiten der Auserwähltheit.

Die ins private Leben Zurückgezogenen hießen in Athen Idioten. Ayn Rand bringt das nicht genug zu bewundernde Kunststück zuwege, den Amerikanern den Weg in den isolierten Idiotismus zu predigen – ohne dass die einfältigen Amis den geringsten Verdacht schöpften.

Nur nebenbei erwähnen wir, dass egoistisches Isoliertsein mit globalen Wirtschaftsinteressen schwer vereinbar ist. Ganz abgesehen davon, dass Demokratie eine Sache der Öffentlichkeit ist. Gelegentlich sogar in Gottes eigenem Land.

Womit wir kurz und robust zusammenfassen können: Ayn Rand will die Menschheit retten, indem sie die verbohrte Gattung von sich selber befreien will. Das ist wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

Auf jeden Fall ist Kapitalismus der einzige Weg zur Vollkommenheit, womit sich der Trend zur unberührbaren Eremitage elegant vereinbaren lässt. Werdet vollkommen durch sacro egoismo. (Wer hat noch mal diesen mussolinischen Satz geprägt?)

„Jede Arbeit ist eine philosophische Tat. [Kleiner Hinweis an die Philosophen, endlich mal was Sinnvolles zu tun und nicht schwatzend auf der Agora herumzustreunen.] Wenn die Menschen lernen, schöpferische Arbeit als Maßstab ihrer moralischen Werte zu betrachten, dann werden sie jenen Zustand der Vollkommenheit erreichen, den sie verloren haben, als sie ihr Geburtsrecht verrieten.“

Nun erhärtet sich der Eindruck, dass es sich bei Rands Evangelium um eine innerweltliche Vollkommenheitsethik handelt. Der Mensch an sich ist etwas, was überwunden werden muss – durch Entfaltung des Egoismus zur Vollkommenheit. Der weltliche Erfolg ist das Selektionsmittel, die Wahren von den Falschen zu sondern wie Schafe von den Böcken.

Wir dürfen Frau Rand als eine der erfolgreichsten PropagandistInnen des american way of Calvinismus betrachten. Sie kennt auch das Patentrezept, um Armut auf der Welt ein für allemal zu besiegen:

„Der wichtigste Beitrag, den jeder Mensch zur Lösung des Armenproblems leisten muss, besteht darin, selbst nicht arm zu werden.“

Das klingt stupend und einleuchtend. Wenn jeder Mensch reich geworden ist, gibt es keine Armen mehr. Wenn jeder Sünder heilig geworden ist, gibt es keine Verworfenen mehr.

Wir schließen mit einem Satz, der den öffentlichkeits-süchtigen Amerikanern aus der Seele gesprochen sein muss: „Im Tempel seines Geistes ist jeder Mensch allein.“

Summa: Paul Ryan, vom Geiste Rands geprägt, ist der ideale Vize-Kandidat, um den Menschen von den Menschen zu befreien – auf dem unbeirrbaren Weg zur amerikanischen Vollkommenheit.