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Tagesmail

Montag, 05. März 2012 – Gauck und Holocaust

Hello, Freunde der Angie,

sie wandelt anonym unter uns, morgens verschiebt sie Milliarden, abends kauft sie im Supermarkt eine Flasche Wein mit Lauch, trägt ihre Einkaufstasche allein. Sie ist eine von uns und also lieben wir sie – wenn wir uns denn selbst lieben würden.

Den sozialistischen Sarko-Gegner will sie nicht empfangen. Denn Monsieur Hollande will die Reichen mit 75% Steuern belasten und die Geldpolitik der EU überprüfen. Dieser Mann ist gemeingefährlich und muss von ganz Europa unter deutscher Führung gemobbt werden.

Ist Ségos Exmann schon mal im Supermarkt gesichtet worden? Wer nicht selbst im Supermarkt einkauft, kann auch mit Europas Milliarden nicht umgehen.

Die europäischen Völker sind abgemeldet. Wie könnten ungebildete Massen Vorgänge beurteilen, die Experten nicht verstehen? Irland will eine Volksabstimmung. Wenn das mal keine antideutsche, antieuropäische und antifiskalische Geste ist!

Der frisch unterschriebene Fiskalpakt ist möglicherweise verfassungswidrig, er greift in die Haushaltsautonomie des Bundestags ein. Mit dem heutigen Grundgesetz darf der Bundestag seine Budgethoheit nicht an Brüssel abgeben. Merkel will deshalb

den Vertrag mit grundgesetzändernder Zweidrittelmehrheit abstimmen lassen, damit sie eine Volksabstimmung verhindern kann. Das Volk kann Angie offensichtlich nur im Supermarkt ertragen.

Um den Zaren weinen zu sehen, hat das Volk Putin wieder gewählt.

„So paradox es klingen mag: Diese Wahl kann den Anfang vom Ende des Systems Putin markieren.“ An diesem Satz stimmt nichts, er stammt ja auch nur von einem berühmten Professor. Paradox ist etwas, was der Logik zu widersprechen scheint. Keiner Logik widerspricht es, der Psycho-logik schon gar nicht, wenn Zeiten sich ändern, ändern können, und ein korrupter Zarendarsteller von einem aufwachenden Volk in die Tundra gejagt wird.

75% aller EU-Bürger wollen eine Frauenquote. Die herrschenden Elitemänner – und -frauen wollen aber nicht. Wer wird gewinnen?

Die Deutschen wehren sich vorbildlich gegen zunehmende Neonazi-Demonstrationen. Seltsamerweise knüppeln die Polizisten lieber auf Nazigegner ein, als auf die Tätowierten vom rechten Rand. Sie werden doch keine geheimen Sympathien mit den Querschlägern haben?

Karlsruhe dreht durch. Voßkuhle und Kirchhof werben bei den Parteien für die Einführung einer „Mutwillensgebühr“. Allzu viele Querulanten wollen ihr Recht vom Bundesverfassungsgericht entschieden haben, obgleich sie keinerlei Chancen besitzen. Das muss bestraft werden. Wer Recht haben will, bezahlt in bar.

Sein Sohn sagt über ihn, in der Familie habe er alles allein entschieden. Keine Freiheit in Verantwortung für abhängige Familienangehörige. Zudem habe er die Familie vernachlässigt, um andere Leute zu unterstützen.

Ein vorbildlicher Vater, der die Fernsten mehr liebt als seine Nächsten. Doch das ist privat und der Sohn soll die Chose mit dem Vater ausmachen. Was auf Angie zutrifft, trifft auf den Bundespräsidenten in spe nicht zu: wer im Kleinsten nicht treu ist, sollte sich in großen Reden zurückhalten.

Dass er ein Stinkstiefel sei, hat der TAZ bei federführenden Parteien keine Sympathien eingebracht. Jetzt musste sie zwecks Ausgleichs gegensteuern. Dazu führte sie mit Wolfgang Benz, dem ehemaligen Leiter des Zentrums für Antisemitismus-Forschung ein Interview, in dem der emeritierte Geschichtsprofessor den zukünftigen Mann Nr. Eins aus der Patsche ziehen will:

Das Geschichtsbild Gaucks sei „nicht reaktionär, sondern spiegele eine Durchschnittsmeinung wider“, meint Benz.

Wenn die Durchschnittsmeinung selbst reaktionär ist, (was in der Geschichte schon mal vorgekommen sein soll), wäre auch Gaucks Position reaktionär.

Das von der TAZ abgedruckte Zitat eigne sich nicht zur Skandalisierung, Gauck fordere damit nur eine Rationalisierung, eine konkrete Betrachtung der Geschichte; das sei weder Verleugnung noch Verharmlosung. Wir sollten uns nicht damit „begnügen, den Holocaust in entrückten Sphären zu sehen und nur zu beklagen, zu verfluchen oder zu verdammen.“

Entrücken und rational verstehen, geht das zusammen? Widerspricht das eine nicht dem andern?

Hat Gauck die „Entrückung“ des Holocaust zum absoluten Bösen nicht den Atheisten in die Schuhe geschoben, die sich damit eine Sinnstiftung für ihr Leben versprächen? – Das sei eine „sehr bösartige oder sehr fehlgeleitete“ Deutung. Dass Gauck als gelernter Pastor die Bevölkerung mehr in Gottesfürchtige und Gottlose unterteile als wir „Normalmenschen“, sei doch selbstverständlich.

Da sind wir aber froh, nicht mehr in jenen Zeiten zu leben, wo es für gelernte Pastoren selbstverständlich gewesen ist, die Gottlosen zu martern und zu rösten. Wenn Muslime zwischen Rechtgläubigen und Ungläubigen unterscheiden, klingt das gleich nach Terror.

Offenbar gehört Gauck nicht zu den Normalmenschen, wie abnormal darf ein gelernter Pastor sein?

Benz könne nicht entdecken, dass Gauck mit seinem Zitat irgendeine Bevölkerungsgruppe vom Verständnis des Holocaust ausgeschlossen hätte.

Hat er aber, wenn er die „Entrückung ins Böse“ den Gottlosen in die Schuhe schiebt. Richtig verstehen könnten nur jene Religiösen, die nicht in der Gefahr seien, an die Stelle Gottes das Böse zu setzen, um ihre „Schauer-Bedürfnisse“ zu befriedigen.

In dem Streit ginge es gar nicht um den Holocaust, so Benz, es ginge nur um eine Kampagne.

Zu welchem Zweck denn, Herr Benz? Da diese Frage nicht gestellt wurde, gab’s auch keine Antwort.

Auch Benz habe man vorgeworfen, den Holocaust zu relativieren, indem er Islamfeindlichkeit mit Antisemitismus verglichen habe. – Der Vorwurf des Antisemitismus sei heute das schärfste Mittel, jemanden zu stigmatisieren. Der Holocaust interessiere gar nicht, sondern diene nur als Instrument. Es gebe gar keine Debatte um den Holocaust.

Keine Relativierung, sondern Rationalisierung, so könnte man die Meinung von Benz zusammenfassen.

Rationalisieren ist aber identisch mit Relativieren. Wenn ich rational verstehen will, muss ich vergleichen. Vergleichen heißt, alles mit allem in Beziehung setzen, was der Sinn von Relativieren wäre. Nur Gott will absolut sein und mit nichts Irdischem verglichen werden, weil er mit Vernunft nicht erfasst werden will.

Altes Testament > 2. Mose 20,4 / http://www.way2god.org/de/bibel/2_mose/20/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/2_mose/20/“>2.Mos. 20,4) Als Mose nach dem Namen des Gottes fragt, erhält er die Antwort: „Ich bin, der ich bin“. Gott lässt sich vom Menschen nicht benennen, damit niemand Macht über ihn erhalte. Rumpelstilzchen fühlt sich unangreifbar, solange es triumphieren kann: ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß. Absolutheit ist außerhalb alles Irdischen, von allem Natürlichen losgelöst (ab-solvere = loslösen).

Alles, was kein transzendentes Ereignis ist, kann nicht absolut sein. Es unterliegt irdischem Vergleichen und Relativieren.

Ist der Holocaust ein göttliches, überirdisches Geschehen? Dann wäre das absolute Böse identisch mit dem absoluten Guten, Teufel und Gott wären eins. Das ist in der Tat die Meinung Luthers, der vom verborgenen und offenbaren Gott spricht, den zwei Seiten des biblischen Gottes.

Würde die Einmaligkeit des Holocaust das Relativieren ausschließen, wäre er ein heiliges Geschehen, das man nur anbeten kann, sofern das Heilige göttlich, oder verfluchen muss, sofern das Heilige teuflisch sein will. Anbeten und Verdammen haben nichts mit rationalem Verstehen zu tun.

Das Problem der Debatte besteht darin, dass nicht debattiert wird. Dass jeder seine Begriffe virtuos in die Luft schleudert, anstatt sie zu de-finieren, was bekanntlich abgrenzen und eingrenzen bedeutet.

Das TAZ-Interview ist ein Paradebeispiel für das momentan herrschende Blinde-Kuhspiel der Medien und der seriösen Wissenschaft. Nach dem Gespräch wissen wir sowenig wie vorher.

Jede Kritik wird als bösartige Kampagne geschmäht, weshalb Benz die Gegenkampagne durchführen muss. Der hochverehrte Pastor soll dem „Parteiengezänk“ oder dem demokratischen Relativieren entzogen werden. Die Professorenriege marschiert auf, unseren gefühlten Volkspräsidenten in allen Ehren zu rehabilitieren.

Harry Nutts Übersicht über die Problemlage ist ein Desaster. Wenn die emsige Suche nach faulen Stellen in Gaucks Reden denunziatorisch sein soll und keine journalistische Pflicht, kann sich die Vierte Macht einbalsamieren lassen.

Der nächste Verteidiger Gaucks ist Götz Aly, der keine Schwierigkeiten hat, seine Gegner als missgelaunte, verlederte und wenig neugierige Rechthaber „hinter den Sandsäcken ihrer Überzeugung“ zu bezeichnen. Die Vorwürfe gegen Gauck hält er für infam.

Der Kandidat habe Recht, das radikal Böse als Ersatzreligion der Gottlosen zu kennzeichnen. Wenn letztere schon keinen Halt hätten, hielten sie sich an der Absolutheit des Grauens fest, um ein Minimum an Sinn und Sicherheit zu erhalten. 

Der TAZ-Kritiker erschauere vor der „Singularität des wahnhaften Mordens“, um sich auf der vermeintlich sicheren Seite der Geschichte zu fühlen.

Heißt das in Reinschrift, jener Kritiker bete die Singularität an, um nicht den bösen Vorwurf des Antisemitismus zu kassieren? Dann wäre das Erschauern nichts als Heuchelei und ein Kotau vor jenen (den „rachsüchtigen“ Juden vor allem?), die sofort alle Kritiker der Einmaligkeit mit dem Vorwurf Antisemitismus ausgrenzen und bestrafen würden.

Gauck hingegen trete als Geschichtspessimist und Skeptiker auf, der wohl wisse, dass das Grauen sich jederzeit wiederholen könne. Die Eltern Gaucks seien Hitleranhänger gewesen, im Wesentlichen aber würden sie sich von uns Heutigen nicht unterscheiden.

a) Jederzeit könne sich der Holocaust wiederholen. Also sei es sinnlos, aus Angst vor Stigmatisierung von Singularität zu sprechen. Aly verteidigt den Kandidaten vor dem Vorwurf, er leugne die Einmaligkeit, indem er – dem Vorwurf Recht gibt: in der Tat, das Verbrechen könne sich jederzeit wiederholen.

b) Zwischen den bekennenden Nazis und uns Heutigen gäbe es keinen nennenswerten Unterschied. Auch in uns lauere das Böse (das absolute?) und könnte jederzeit zur Tat schreiten.

Woraus zu schließen wäre, dass die ganze Bewältigung der Vergangenheit für die Katz war.

Aly nennt als kausalen Grund für die deutsche Vernichtungsmaschinerie die moderne Zweckrationalität. Das ist ein Begriff von Max Weber, der heute nach Belieben als Inbegriff guter Moderne oder als Ausbund des Bösen benutzt wird.

Zweckrationalität ist die Fähigkeit der Ratio, sich Zwecke zu setzen. Hier stock‘ ich schon, wer hilft mir weiter fort? Sind die Zwecke rational? Oder die Mittel, Zwecke zu verfolgen, die so irrational sein mögen, wie sie wollen?

Max Weber meinte den ganzen Prozess aus Wissenschaft und Wirtschaft, der den Fortschritt der Moderne ausmache. Vor allem dachte er an Amerika und dessen Potenz, die sich damals anschickte, die Herrschaft über die Welt anzutreten. Obgleich Weber kein Freund des Kapitalismus war, meinte er doch, dass Deutschland den amerikanischen Weg konsequent einschlagen müsse, um nicht von den schicksalhaft verlaufenden Vorgängen überrollt zu werden.

Über die letzten Prinzipien dieses Weltprozesses könne man nicht rational debattieren. Hier walteten persönliche Götter, die ihren furchtbaren Kampf mit Hilfe menschlicher Marionetten führen würden.

Die letzten Zwecke der Menschheit seien nicht rational, sondern dämonisch-irrational, ein apokalyptisches Gemetzel undurchschaubarer Schicksalsmächte. Mit gutwilligen Gesprächen und vernünftigen Argumenten nicht zu überbrücken.

Der Begriff Zweckrationalität ist von Weber falsch gewählt. Er hätte von Mittelrationalität im Dienste irrationaler Zwecke reden müssen.

Vermutlich ist die „fabrikmäßige, keine Ausnahme zulassende Methode“ des Mordens gemeint, die hier als zweckrational, systematisch und effizient vorgestellt wird. Doch das betrifft gerade die Mittel und nicht den „rationalen Zweck“ des Mordens.

Zwecke sind moralisch und müssen moralisch beurteilt werden. Zweckrationalität hingegen bezieht sich auf Instrumente, mit denen moralische Zwecke erreicht werden sollen. Wer nur die Effizienz der Mordswerkzeuge erkannt hat, hat noch lange nichts vom Holocaust verstanden. 

Mit dem Begriff Zweckrationalität sollen wir aber auch Ratio und Aufklärung verbinden. Aly steht im Banne von Adorno und Horkheimer, die in ihrem bekannten Buch von der Dialektik der Aufklärung reden, was auf deutsch heißt: die Aufklärung besitzt eine gute und eine schlechte Seite, die unlösbar in sich verschlungen sind.

Wer das Gute will, müsse auch das Böse wollen, sonst gäbe es keinen Fortschritt in der aufgeklärten Moderne. Dieser Dialektik widerspricht jedoch ihre völlig undialektische Äußerung, dass Aufklärung im Kern totalitär sei.

Nach den beiden Frankfurtern gibt’s keine Hoffnung in der Geschichte, weshalb ihr Gegner Georg Lukács vom „Grandhotel Abgrund“ gesprochen hat. Entweder Fortschritt, dann mit ständigen kollektiven Verwüstungen im höchsten Grad oder aber Stillstand und Rückkehr – was auch nicht mehr möglich sei.

Erstaunlich ist, dass die beiden Dialektiker die Moderne als Verwirklichung der Aufklärung betrachten und andere Faktoren gar nicht wahrnehmen, die mit ihr nicht das Geringste zu tun haben, ja, ihr vollständig widersprechen.

Dass Kant unter aufgeklärten Weltzuständen, die er noch in unabsehbarer Ferne sah, einen allgemeinen Frieden unter den Völkern verstand, ignorieren die Frankfurter vollständig. Wir leben noch nicht in aufgeklärten Verhältnissen, sagte Kant. Sondern in Zeiten, die sich langfristig aufklären müssen. Indem sie peu à peu humane Zustände für die Menschheit herstellen.

Über diese Problemverschlingungen geht Aly hinweg. Es hat sich heute die Methode der historischen Verdunkelung eingebürgert. Man redet über Dinge, die man nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Unerledigte Probleme früherer Zeiten werden nicht hervorgeholt, um sie weiter zu klären. Man wirft sie auf den geschichtlichen Abfall und lässt sie vermodern.

Ist Gauck ein böser Nazi? Gewiss nicht. Hat er unbewusste „Nazi-Anteile“, die er in seinen Reden unfreiwillig entlarvte? Möglich, wer könnte schon sagen: wir Deutschen hätten unsere Vergangenheit bis ins letzte unbewusste Jota überwunden?

In diesen brisanten Fragen sind wir kein ausgeklügelt Buch, sondern Wesen im Widerspruch, den wir nur in mühsamer Selbsterkenntnis reduzieren können. Solche Fragen sollte jeder Deutsche an sich selbst stellen.

Um hier weiterzukommen, müssten wir uns darauf verständigen, was der Kern des Nationalsozialismus sei. Von einer ungefähren Einigung in diesen Zentralfragen sind wir weit entfernt.

Die Entweder-Oder-Frage ist kontraproduktiv: Gauck – ein Schurke oder eine Lichtgestalt? Er ist Weder-Noch, sondern, wie wir alle, ein Sowohl-Als-Auch. 

Jetzt müsste die Debatte beginnen: welche Elemente sind es, die uns als Selbstverrat aus allen Poren dringen? In welchem Ausmaß bei jenem Mann, der an die Spitze der Bundesrepublik will, dass wir sagen könnten: okay, er ist tragbar?

Diese Fragen werden nicht mal gestellt, geschweige beantwortet. Das ist umso misslicher, als die politischen Verhältnisse nicht warten, bis der theoretische Elfenbeinturm der Praxis zu Hilfe eilt.

Die momentanen Debattenbeiträge der Medien und Gelehrten verschärfen nur das Tohuwabohu.  

Alan Poseners Artikel zum selben Thema in „Starke Meinungen“ wird konkreter. …

Dazu morgen mehr.