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Montag, 03. September 2012 – Sokrates

Hello, Freunde Russlands,

sie ist stolz, schön und trotzig – und leidet an einer „vielfachen Persönlichkeits-Störung, die sich in einem aktiven Sendungsbewusstsein äußert.“ Im Breschnew-System wäre Nadjeschda in der Psychiatrie verschwunden, gebrochen und zerstört worden. Nicht ausgeschlossen, dass man, solange sie in Haft sitzt, ihrem Mann die zweijährige Tochter wegnimmt und in ein Heim steckt.

Die psychiatrische Wissenschaft hat weder im Osten noch im Westen Schwierigkeiten, sich dem jeweiligen System anzudienern. In Norwegen sollte die Bluttat des Massenmörders mit der Gesellschaft nichts zu tun haben.

Marieluise Beck fordert nun eine härtere und eindeutigere Politik gegen den Kreml. Keinen neuen kalten Krieg.

Doch warum fordert der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft nicht mehr Rechtsstaatlichkeit, Rechtssicherheit und Kampf gegen die Korruption? Warum bezieht der Europarat keine klare Position? Warum kritisieren Amerika und die EU nicht unmissverständlich die schandbaren Prozesse gegen drei junge Frauen, die die Verflechtung von Macht und Kirche anklagen? Warum ist das Wort von der lupenreinen Demokratie eines Ex-Kanzlers noch immer nicht vom Tisch?

In Wirklichkeit sind es einflussreiche westdeutsche Polit- und Wirtschaftskreise selbst, die klammheimlich die Aktion der Pussy-Riots verurteilen und die aufkommende Macht der Religion zur Stützung der öffentlichen Arbeits- und Untertanenmoral begrüßen.

Während die Internationale der Linken kaum noch

auf dem Papier steht, schließen sich die Reihen der internationalen rechten Mächte – mit und ohne Soutane.

 

Die ZEIT versorgt ihr Publikum regelmäßig mit christlichen Erbauungstraktaten. Vor kurzem war es die Erweckung zweier Berliner Literaten im christlich verklärten Südafrika, wo weiße Polizisten im wieder erwachten Geist der Apartheid schwarze Bergarbeiter-Demonstranten erschießen.

Heute fordert ein Artikel von Christine Brinck mehr Kenntnisse in biblischer Literatur. Nicht um dieselbe kritischer unter die Lupe zu nehmen – was absolut notwendig wäre –, sondern mit der Begründung: „Wie Kinder Märchen brauchen, brauchen die Menschen einer Kulturgemeinschaft die Mythen, Legenden und die Religion, auf deren Basis diese entstand.“

Kinder brauchen Märchen, doch keinen Glauben an Märchen. Die Verteidiger der Religion kennen keine Schamgrenze, ihre auf absoluter Wahrheit beruhende Offenbarung, die in geschichtlichen Taten ihre Mächtigkeit erwiesen habe, als Märchen und Legenden einzustufen.

Die europäische Kultur beruht, halten zu Gnaden, noch immer auf zwei Pfeilern, die keineswegs eine entente cordiale bilden, sondern sich im verleugneten Widerspruch befinden: dem von oben dekretierten Glauben – und der mündigen Selbstbestimmung griechischer Aufklärung.

Langsam verwandelt sich die Graecomanie der Klassiker in biblio-manische Graecophobie. Synchron mit dem Hass auf Neugriechenland wird die Vernunft altgriechischer Philosophenschulen entsorgt.

 

Der Kannibalismus der Religion schreitet munter voran. Alle Themen, die sie einst mit Feuer und Schwert bekämpften, haben sie inzwischen eingemeindet, auf dem Niveau eines fränkischen Edelmanns plagiiert und als eigene Erfindungen ausgegeben.

„Made in Religion“ gilt inzwischen nicht nur für Menschenrechte, Ökologie, Demokratie, Feminismus, sondern auch für Sexualität und Sinnenfreundlichkeit. Inzwischen sind es die alten Philosophen und die modernen Aufklärer, die Körperfeindlichkeit gepredigt haben sollen.

Von Epikur, den Kynikern, dem philosophischen Eros, von Sappho haben sie noch nie gehört. Dass Erbsünde laut Augustin durch den Sexakt übertragen wird, dass Paulus die Ehe nur zur Vermeidung der Unzucht akzeptierte, dass die begehrliche Frau in der Bibel als Verderberin des Mannes galt, Frauen wegen sexueller Lüsternheit als Hexen verbrannt wurden, wissen normale Gazettenschreiber nicht mehr. „Es gibt Kastrierte, die sich selbst kastriert haben um des Reiches der Himmel willen. Wer es fassen kann, fasse es.“

Welche Themen werden als nächstes eingemeindet? Wie wär‘s mit Schwulenehe, Blasphemie oder dem unbändigen Siegerlachen des Erlösers am Kreuz?

Die Kirche sei nicht leibfeindlich und Gott habe die Sexualität erfunden, sagt ein Bischof, der für härtere Blasphemiestrafen eintritt, nicht weil Gott, sondern weil die Seelen der Gläubigen, somit ihre Menschenwürde verletzt seien. Wenn Gott alles erfunden hat, hat er auch den Hass auf die irdische Lust erfunden.

Wie viele Seelen alltäglich von der allpräsenten kirchlichen Botschaft verletzt werden, will der Kirchenredakteur der SZ nicht wissen. Weshalb man mit Jesus lachen kann, obgleich es deutlich in der lukanischen Bergpredigt heißt: Weh dem, der lacht, muss von den beiden würdigen Herrn nicht erörtert werden. Steht ja nur in der Schrift.

(SZ-Interview mit Erzbischof Schick)

 

Was ist mit einem heiligen Text vereinbar und was nicht? Das bestimme nicht der Heilige Text, erklärt Arno Widmann in der BZ, das bestimmten allein die Leser.

Wenn das die Leser bestimmen, wozu bräuchten sie noch einen heiligen Text, den sie – unter Strafe der Unseligkeit – penibel beachten müssen?

Was mit einem Text vereinbar ist, bestimmt allein der Text. Keine neugermanische Deutungswillkür. Hier entlarvt sich die Arbeitsmethode eines Feuilletonisten bis auf die Knochen. Was in einem Buch steht, entscheidet noch immer ein deutscher Kritiker.

So, wie sie Texte im Namen eines allmächtigen Fichte-Ichs kujonieren, kujonieren Techniker und Ökonomen die gestaltlose Natur. Natur war für Galilei eine andere Offenbarung Gottes. Das Buch der Natur und das Buch der Bücher werden von faustischen Buchbesitzern zu projektiv grenzenlosen Abenteuerrevieren erklärt, in denen sie nach Herzenslust herumstromern und wildern können.

Abendländer traktieren ihre heiligen Schriften wie einstmals die minderwertigen Bewohner ihrer eroberten Länder, die sie zu Sklaven ihrer Macht und Bedürfnisse degradierten. An deren Stelle sind beliebig antastbare heilige Papyri getreten, mit denen sie jeden Tag ein anderes Allotria betreiben.

Leser können über ihr Leben bestimmen, müssen sich keinen Schriften beugen, können aber nicht nach Lust und Laune über Texte herfallen und sie drehen und wenden, wie sie wollen – Perspektiven subjektiver Deutungen, die sich am Text erweisen müssen, inbegriffen. Sonst hätten sie ihre heiligen Schriften in unheilige Schriften ent-substantiiert und entweiht.

Aus Heiligem mach Unheiliges. Das ist möglich und wünschenswert. Was aber nicht geht, ist: Heiliges anbeten und es dennoch traktieren, als sei es beliebig formbare Knetmasse. Dann sollte man ehrlich sein und die ganze Kategorie Heiligkeit ad acta legen.

Normale Bücher sind nicht heilig, aber auch kein Freibeuterwild. Bücher sind schrift-gewordene Menschen und wollen ernst genommen werden. Man kann ihnen das Wort im Mund nur umdrehen – wenn man deutscher Redakteur ist.

Warum sind Geisteswissenschaften keine Gegenmacht gegen das Allmachtsgetue der Wirtschaftler, Praktiker und Techniker? Weil sie selbst dem Allmachtsgetue verfallen sind. Das omnipotente Ich regiert seit Fichte und Schleiermacher Natur und Geist. Was Naturschänder mit der Landschaft anstellen, treiben Textschänder mit wehrlosen Büchern.

Glaube kann Berge versetzen, Deutung Bücher in Magie und Hokuspokus verwandeln. Sola scriptura bedeutet heute: allein durch den, der den Text nach Belieben verschandelt.

(Leitartikel von Arno Widmann in der BZ)

Der „Großmeister“ der Philosophie wird von der Bühne gejagt (ZDF: diese Geschichte ist „auserzählt“), der „redegewandte Dressman“ kommt. Kann Philosophie im Fernsehen dargestellt werden? Isolde Charim hat sich in der TAZ Gedanken gemacht.

Peter Sloterdijk war für die Wienerin der Großmeister. Eine Inszenierungsform „für die allgemeine Verständlichkeit kein vorrangiges Ziel ist“. Das Publikum wolle den Guru gar nicht verstehen, es wolle an ihn glauben. Nichtverstehen sei ein Teil der Faszination der „Figur Sloterdijk“. Dessen Programm war nicht das Erklären, sondern die Versicherung, dass es „ein anderes Wissen, eine nichtempirische Weltbetrachtung“ gebe.

Precht hingegen sei der Typus des „Übersetzers“, der die „Unübersehbarkeit des Wissens überbrücken“, die hohe Theorie in Alltagssprache übersetzen wolle. Precht habe ein pädagogisches Programm, vor allem wolle er verständlich sein.

„Während Sloterdijk einen fremden Diskurs vorführt, eine andere Art, über die Welt zu sprechen, bestätigt uns Precht, dass wir alles verstehen können, alles übersetzbar ist, dass es keine Fremdheiten gibt.“

Charim entscheidet sich gerecht – für keinen der beiden TV-Geistesriesen. Beide seien gleichermaßen fernsehtauglich. Der eine leiste die „Eitelkeit der Gegenbehauptung, des Unzeitgemäßen, der Überlegenheit des Wissenden“, der andere die Eitelkeit „des Informierten, der Normerfüllung“. Leichtes Plus für den Unangepassten, leise Animosität gegen den Normerfüller. Frauen mögen keine schönen Männer. Und schon gar keine schönen Denker.

Weder als Guru, noch als Übersetzer wären beide Herren Philosophen. Der eine wäre Halbgott und Heilsguru, an den man glauben muss. Der andere sein dolmetschender Prophet, der auf den Berg Sinai klettert und die Botschaften der unverständlichen Herren der Berge in Pöbeldeutsch ins Tal bringt.

In Philosophie geht’s nicht um Vermittlung von Wissen, von Gegenbehauptungen, von nichtempirischer Weltbetrachtung. Was ist übrigens eine Gegenbehauptung, wenn es keine Behauptung gibt? Precht übersetzt nur, er besitzt keine eigene Botschaft.

In Philosophie geht’s um Denken, um selbst Denken. Nach Charim wäre Kant eine Fernsehkatastrophe. Fällt aber Kant weg, fällt Aufklärung im öffentlich-rechtlichen Kanal flach. Ob Precht nun übersetzt oder nicht, wenn seine „populistischen“ Seichtigkeiten dem Leser oder Zuseher das Denken ersparen wollten, wäre er ein Gegenaufklärer, ein Verdummer des Volkes.

Nichts anderes als der Guru aus der anderen Welt, der sich nicht mal bemüht, sein überlegenes Wissen dem Publikum der Prüfung zu übergeben.

Ein unüberprüftes Leben ist nicht lebenswert, lautet das Motto des hässlichen und wenig vornehm gewandeten Sokrates. Obwohl auch kein Ausbund an Schönheit, war Sloterdijk ebenfalls kein mäeutischer Satyr, welcher in Athen alles andere als verblasene Unverständlichkeiten und Geraune eines Wolken- und Nebelschiebers aus einer andern Welt bot.

Precht stellte Fragen, die länger waren als die Antworten seines Gegenübers. Er spielte den Interviewer, der am liebsten doziert hätte. Ein Interviewer ist eine Kunstfigur der modernen Medien, die früher Hanswurst oder Hofnarr hieß und tun musste, als verstünde sie nichts – obgleich sie oft besser Bescheid wusste als die edlen Herren oder der fette Hofkaplan.

Interviews gibt’s in der ganzen Tradition der Philosophie nicht. Es gibt Vorträge, messerscharfe Auseinandersetzungen, hitzige Streitgespräche oder – mäeutische Erkenntnisarbeit. Niemand muss oder darf sich dumm stellen und stellvertretend für andere fragen: Herr X, Kritiker behaupten über Sie Wenn der Frager die Behauptung für richtig hält, muss er sie selber vertreten.

Im Namen anderer kann in der mündigen Philosophie niemand reden. Jeder spricht für sich. Jeder hat eine Meinung und wenn er keine hat, muss er sich eine bilden.

Nichtwissen ist kein Grund, einem Gespräch aus dem Weg zu gehen. Jeder Mensch weiß genug, um aus der Perspektive seiner beschränkten Erfahrung zu allgemeinen Einsichten zu gelangen. Ein Gefälle zwischen Frager und Befragtem, Wissenden und Unwissenden, Gurus und Pöbel ist ausgeschlossen.

Jede Meinung ist überprüfbar und muss überprüft werden können. Eine Rollenverteilung in Eingeweihte und Uneingeweihte ist lächerlich. Jedes philosophische Gespräch war ein Agon, ein Wettkampf der Geister, in dem jeder die Chance hatte, jeden auf die Matte zu strecken.

Jeder Sklave hätte einen Sokrates vorführen können. Sokrates blamierte und führte die hohen und illustren Geister seiner Zeit vor, die Autoritäten seiner Stadt, die fahrenden Lehrer aus fernen Landen, die viel Honorar für ihre Vorträge fordern konnten. Es waren die Sophisten, heute würde man sie Aufklärer nennen.

In der deutschen Tradition haben sie zu Unrecht ein schlechtes Image als Wortverdreher und rhetorische Gaukler, nur weil Platon, Liebling aller deutschen Philosophieprofessoren, die Sophisten hasste. Die „Weisen“ waren alles andere als einer Meinung. Es gab überhaupt keine Meinung, die nicht von diesem vertreten und von jenem aufs schärfste missbilligt wurde.

Unter den Sophisten waren auch die ersten Vertreter der Gleichheit aller Menschen, dem Kern unserer modernen Menschenrechte (Antiphon).

Gleichzeitig gab‘s jene, die das Naturrecht der Starken vertraten, die Urform des sozialen Darwinismus oder des Übermenschen Nietzsches, dessen Wille zur Macht alle Schwachen unterdrücken oder eliminieren kann. (Thrasymachos).

Das mäeutische Gespräch war pädagogisch, aber nicht im modernen Sinn des Vermittelns, bei dem die Belehrten keine Denkanstrengung leisten müssten. Im Gegenteil, hier war eigenes Denken am schärfsten gefordert. Denn jeder hatte jeden logischen Schritt, jede Form der Widerlegung oder Behauptung, penibel zu überprüfen – wenn er vom Mäeuten nicht beim gedankenlosen Plappern ertappt werden wollte.

Die von Sokrates entwickelte Hebammenkunst gründete auf dem Glauben, dass jeder Mensch alle Wahrheiten in sich birgt – ohne es zu wissen. Durch Fragen konnte er dieses Wissen gebären oder zur Welt bringen. Niemand war gezwungen, die Weisheiten anderer – der Autoritäten, Lehrer oder Eltern – im Modus des bewundernden oder blinden Fürwahrhaltens zu übernehmen.

Im Erkennen war jeder Mensch autark und autonom. Was er an Einsichten brauchte, hatte er unbewusst in sich und konnte es durch autonomes Denken ans Licht bringen.

Gleichwohl war Erkennen keine autistische Tat, sondern ein soziales Ereignis. Jeder Erkennende ist auf andere Erkennende angewiesen, die ihm nicht nur mitdenkend beim Entbinden behilflich sind, sondern seine Erkenntnisse im Lichte der eigenen Wahrheit unter die Lupe nehmen.

Das soziale Hervorbringen und Überprüfen der Erkenntnisse war der Kern und Höhepunkt der Demokratie. Jeder überprüft jeden, vor der Wahrheit und dem Irrtum sind alle Menschen gleich. Niemand ist im Besitz unfehlbarer Wahrheit. Irrtumsfreie Päpste und Priester kannten die Griechen nicht.

Unfehlbarkeit gibt es so wenig wie absolute Dummheit. Wir sind alle gleichermaßen wahrheits- und irrtumsfähig. Der Glaube an die allgemeine Wahrheitsfähigkeit war kein blinder Glaube: durch die Praxis des denkerischen Wettstreits auf der Agora wurde er täglich bestätigt – wenn die Demokratie eine lebendige war. Oder wurde widerlegt, wenn Demokratie in Tyrannis, Plutokratie, Oligarchie oder Ochlokratie verfiel.

Autonomes Denken und allgemeine Wahrheitsfähigkeit jedes einzelnen Bürgers waren identisch mit der Bestandsfähigkeit der Demokratie.

Ist Sokrates‘ Glaube an die Wahrheit in wahrheitslosen postmodernen Zeiten nicht eine Erscheinung der vierten Dimension? Wenn wir den Glauben an die Wahrheit der Demokratie, des Findens bester Lösungen politischer Probleme durch methodisches Streiten und gleichberechtigtes Debattieren, an den künftigen Kurs der Weltpolitik zu immer humaneren Zuständen verlieren, wenn wir nur noch machiavellistische Interessen am Werk sehen, die sich mit Gewalt, List und Tücke durchsetzen, dann werden wir jene Zustände schaffen, an die wir am meisten glauben.

Was wir für unwahr und unmöglich halten, werden wir niemals in Realität umsetzen. Unser Glaube ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Glauben wir an die Verderbtheit des irdischen Lazaretts, werden wir das Stadium des irdischen Lazaretts nicht überwinden.

Die Wahrheitsfrage bezieht sich weder auf Geschmacksfragen noch auf private Verhaltensweisen, die die Öffentlichkeit nicht berühren. Hier kann jeder mit oder ohne Wahrheit nach seiner Facon selig werden.

Wir müssen uns darauf einigen, worauf wir uns einigen müssen: das werden die wesentlichen Wahrheitsfragen sein. Sind es die richtigen Fragen gewesen, werden wir unsere Existenz auf Erden sichern. Waren es die falschen, werden wir uns gegenseitig zugrunde richten.

Welche Kernaussagen müssen wir für essentiell wahrheitsfähig halten, damit wir auf Erden eine Überlebenschance, ja, die Chance zu einem gelungenen Leben haben?

Sokrates antwortet mit der schlichten Erkenntnis, „dass das Unrechttun und der Ungehorsam gegenüber dem Besseren – sei es ein Gott oder ein Mensch – ein Übel und böse ist, das weiß ich.“ Götter sind Dienstleister des Menschen zum Gutsein und Besserwerden.

Alles muss dem Ziel dienen, die humanen Verhältnisse immer humaner zu gestalten. Wenn das Utopie sein soll, muss sie als wahrheitsfähig und nicht als ort-los gelten. Die Voraussetzung zu einer sinnvollen Utopie ist die inständige Arbeit jedes Demokraten an sich selbst, sei es im Privaten oder im Politischen.

Eine Arbeit, die Sokrates als „Sorge für die Seele (Therapie der Seele)“ beschrieb, „damit diese so gut wie möglich werde.“ Das war keine privatistisch eigensüchtige Seelsorge für ein Jenseits.

Das war politische Arbeit für den Erhalt der demokratischen Polis – der menschlichsten Weise des Zusammenlebens, die bislang von der Menschheit erfunden wurde.