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Montag, 02. Juli 2012 – Die neuen Attacken der Religionen

Hello, Freunde des Singens,

wir nähern uns dem Singen und dem Tod. „Siam pronti alla morte“, wir sind bereit zum Tod, singen die Italiener vor einem Fußballspiel und gewinnen gegen deutsche Nichtsinger.

Da wir die beste Nationalmannschaft der Welt und ein Recht auf den Titel haben, ist es nicht hinnehmbar, dass wir durch fahrlässiges Nichtsingen heuer schon wieder leer ausgingen. CDU- und CSU-Politiker fordern zu Recht eine Singpflicht für Nationalspieler, besonders für jene mit ausländischen Namen. Es genügt nicht, wenn der Trainer alleine singt. So schön kann er gar nicht singen, selbst bei „högschter“ Stimmentfaltung.

Auch, wenn die Mannschaft zurückliegt und ihren kämpferischen Geist vor lauter Schönspielen vergessen hat, sollte auf ein unauffälliges Zeichen von der Trainerbank ein munteres Lied die Recken anfeuern. Bewährte Pfadfinderlieder, zu Unrecht vergessen in der trüben Flut all des vaterlandsvergessenen, ausländischen Liedguts, eignen sich für Aufholjagden besonders gut.

Wie etwa: „Wilde Gesellen, vom Sturmwind durchweht, Fürsten in Lumpen und Loden, ziehn wir dahin, bis das Herze uns steht, ehrlos bis unter den Boden“. Aus diesem Lied weht uns eine frische Brise ehrloser Kämpfergesinnung an, die unsere allzubraven Löw-enjungs, die eigentlich

Kuscheljungs heißen sollten, bisher haben vermissen lassen.

Wir haben unsere alten deutschen Werte vergessen, sagte Olli Kahn – energisch mit seinem herausragenden Unterkiefer malmend.

 

Eine Ähnlichkeit zwischen Olli Kahn und Merkel wäre rein zufällig. Im Gegensatz zu Macho Olli kann Angie verlieren, ohne das Gesicht zu verlieren. Auch verfügt sie nicht über so markante Unterkiefer wie der ZDF-Fußballexperte.

Aber das Lied vom Tod kennt sie bereits und geht mit heroischem Untergangswillen in jedes Entscheidungsmatch mit mediterranen Polit-Darstellern: keine Eurobonds, solange sie lebt, zu Deutsch: nur über ihre Leiche.

Ist sie lebensmüde, müssen wir uns Sorgen machen? Noch vor kurzem hieß es, Merkel habe kein Programm, kein Profil, keine Haltung. Sie mache Politik nach Hausfrauenart, von Tag zu Tag sich irgendwie durchwursteln. Aber das war eine Beleidigung der Mütter, die sowieso keine mehr sein wollen, sondern Multi-Verträglichkeitstalente.

Woher nur der neue Starrsinn der Pommerin? Den hatte sie nie aufgegeben, nur eine Zeitlang in ihrer Orientierungsphase ein bisschen suspendiert. Erst wollte sie wissen, wie demokratische Politik funktioniert, welche Strömungen und Ideologien es im Westen gibt. Als das Praktikum vorbei war und sie das Gefühl hatte, den Laden in- und auswendig zu kennen, kehrte sie zurück zur dogmatischen Kanzelpose ihres Vaters.

Von der Kanzel zur Kanzlerin war ein großer Schritt für die Menschheit, nur ein kleiner für eine wendige Ossifrau, die als Siegerin über den Sozialismus dem Westen zeigen wollte, wie man erst ein Wendehals und dann eine lutherische Rechthaberin sein kann.

Natürlich muss man in Brüssel Kompromisse schließen. Weiß Merkel nicht, dass ihre Untertanen dies schon lange wissen? Warum sagt sie dann ihr leicht falsifizierbares, entschiedenes Nein, obgleich alle Welt weiß, dass sie mit Ja nach Berlin zurückkehren – und tun wird, als sei nichts geschehen.

Das ist eine Fähigkeit, die nicht jeder hat. Vermutlich kann man das nur verstehen, wenn man sich empathisch in die Psyche der Frauen hineinversetzt, was für echte Männer aussichtslos ist. Da hilft uns bestimmt der alte Kalauer weiter: ein Mann, ein Wort, eine Frau, ein Wörterbuch. Merkel weiß, dass Männer ab und an gewinnen müssen, besonders wenn sie permanent von einer Mutter Europas drangsaliert werden.

Also gönnt sie den traumatisierten Männern gelegentlich einen Sieg, damit sie nicht von der Rolle fallen. Ihr Nein ist nur eine paradoxe Intervention wie bei störrischen Kindern, denen man nur das Gegenteil sagen muss, damit sie das Erwünschte tun. Diese hinterfotzige Strategie ist exzellent, wird von tumben Durchschnittspolitikern nicht durchschaut, streichelt die Verliererseelen des untergehenden Patriarchats – und am Schluss haben alle gewonnen.

Das war ein Vorblick auf den neuen Führungsstil der Frauen. Lasst die Männer ab und zu gewinnen, dass sie Ruhe geben. Dann können wir unseren Kurs unbemerkt fortsetzen.

Sollte Merkel am Ende auch die gehassten Eurobonds – gestatten, mein Name ist Bond, Euro Bond – abnicken müssen, könnte es passieren, dass wir von einer lebendigen Leiche regiert werden. Rein machttechnisch ist das kein Problem. Schon jetzt regiert sie mit einer Koalition aus Schwarzen, Roten und Grünen.

Das wird auch so bleiben, Alternativen gibt’s keine. Die hat sie prophylaktisch längst weggebissen. Männlich-brutal kann sie nämlich auch. Womit sie über zwei androgyne Herrschaftsstile verfügt, während die Männer simpel eindimensional bleiben.

 

Man muss die erste Strophe der Nationalhymne nicht singen, man kann sie auch exekutieren. Statt Deutschland, Deutschland über alles in der Welt, exekutiert der dritte Ossi, der uns im Griff hat, Verteidigungsminister de Maiziere (der erste ist Pastor Gauck), leicht abgewandelt: Deutschland, Deutschland überall in der Welt.

Grundsätzlich gebe es keine Regionen in der Welt, in denen deutsche Soldaten nichts zu suchen hätten. Das ist hintersinnig formuliert. Was suchen sie denn überall in der Welt, (die doch längst unter alle Völker verteilt ist)?

Wer sucht, der findet, soll die Lieblingslosung der begleitenden Militärbischöfe sein. Sie werden doch nicht die Schätze der Völker suchen? Auch Gauck war bereits da und hat alle Waffen gesegnet. Nicht mit Weihwasser, er ist ja nicht katholisch, sondern mit Verantwortung für alle Welt.

Bis jetzt war kein exotisches Land vor deutschen Touristen sicher, ab jetzt ist es vor keinen deutschen Soldaten sicher. Womit empirisch gesichert ist: zuerst besetzen die Touristen das Land, indem sie die Brieftasche zücken, dann besetzen die Soldaten das unterentwickelte Land, welches sie dringend zur Errichtung von Schulen, Brücken und Polizeistationen benötigt, wie es am Hindukusch so vorbildlich demonstriert wurde.

Früher kam das Duo Priester & Soldat, um die wilden Naturvölker dem Evangelium einzuverleiben. Heute ist es das Duo Tourist & Soldat, um fremde ungenutzte Ressourcen dem Evangelium zuzuführen.

Man lasse sich durch verschiedene Etiketten nicht täuschen. Selten spricht man Tacheles von Froher Botschaft, lieber von globaler Wirtschaft, freiem Markt und sonstigen Fortschritten der Menschheit.

Natürlich könne man nicht wegen jeder simplen Menschenrechtsverletzung Soldaten in ein fremdes Land schicken, es müssten schon ganz nüchterne Dinge abgewogen werden. Als da sind die Kosten an „Geld und Blut“.

Der momentane Kurswert des Blutes ist mir unbekannt. Doch so unerschwinglich kann er nicht sein, sonst gäb‘s nicht so viele Soldaten auf der Welt. Soldatenblut ist ohnehin nicht so teuer wie Politiker- und Wirtschaftlerblut. Es stammt aus niedrigen Schichten, die auf dem Markt nichts Besseres anzubieten haben als ihr ordinäres Tauschwert-Blut.

De Maiziere beruft sich ausdrücklich auf den Segen des Bundespräsidenten und wünscht sich eine tabulose Debatte in der Gesellschaft.

 

Mehr als die Hälfte der Deutschen ist für ein Beschneidungsverbot. Da läuten die Alarmglocken bei den Religionen, die sich kollektiv angegriffen fühlen. Da man schlecht von einer antisemitischen Tat sprechen kann, wenn ein Gericht deutsches Recht spricht, müssen tiefenpsychologische Deutungen ins Feld geführt werden.

Für Broder steht fest, dass hinter dem Urteil der Sexualneid der Nichtjuden steht, die eifersüchtig seien auf die überlegene Koituskompetenz der „lüsternen“ Juden, die durch Beschneidung physiologisch unterstützt werde.

Broder bemerkt nicht, dass er sich in diametralen Widerspruch zu Freud setzt. Für den Wiener lag der Ursprung des Antisemitismus gerade in der Tatsache des durch Beschneidung symbolisch „kastrierten“ Juden, den körperlich unversehrte Christen verachten durften.

Würde man Freud Recht geben, gäbe es kein wirksameres Mittel, um Antisemitismus auszurotten als die Beendigung des medizinisch-religiösen Rituals. Aus Freud‘scher Sicht hätte das Gericht einen enormen Schritt zur Bekämpfung des Antisemitismus getan. Für fromme Juden ein unvorstellbarer Gedanke, denn der Schnitt bedeutet das Zeichen des Bundes, den Gott mit seinem auserwählten Volk schließt.

Ob das auch für säkulare Juden gilt, darüber gehen die Meinungen in der israelischen Gesellschaft auseinander. Womöglich ein Grund für die Abwesenheit einer grundsätzlichen Religionskritik im heiligen Land. Der atheistische Gründungszionismus ging später vor der Orthodoxie in die Knie. Wenn die Identität eines Volkes atmosphärisch in der Religion liegt, wäre jeder Angriff auf die Religion ein Angriff gegen die Identität der Nation.

Auch die jüdische Religionsphilosophin Bruckstein Coruh sieht andere Gründe hinter dem Verbot. Es ginge dabei nur um die Frage: wie viel Islam wollen wir in Deutschland? Die Deutschen hätten Angst vor einer gewaltbereiten muslimischen Religion. Es sei aber absurd, einen Grundwertekonflikt zwischen Muslimen und Juden einerseits und Christen andererseits anzunehmen.

Eben gab es noch eine Art größere Nähe zwischen Christen und Juden, das Kölner Urteil scheint eher Muslime und Juden in ein Boot zu setzen.

Das sei eine Verzerrung der Wahrnehmung. Denn in Wirklichkeit gäbe es keine Unterschiede zwischen den Religionen. Jede Tradition fordere Güte, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und ein Recht auf Unversehrtheit von Körper und Seele. Selbst die Grundwerte des deutschen Grundgesetzes könnten „sehr gut mit jüdischen und islamischen Traditionen begründet werden.“

Das wäre die Böckenförde-Formel, erweitert auf alle drei abrahamitischen Religionen. Danach wäre ohne religiöse Fundamentierung jede Demokratie in der Gefahr, säkular zu kollabieren und abzusterben.

Das ist eine elegante Umdrehung der bisherigen Debatte, dass Demokratie eine Lebensform ist, die sich ihr Daseinsrecht in heftiger Loslösung von intoleranten und alleinseligmachenden Erlöserreligionen erkämpfen musste.

Bekämpften die Religionen bislang alles Demokratische und Menschenrechtliche mit Feuer und Schwert, haben sie mittlerweilen die Vergeblichkeit ihres Tuns eingesehen, sich kurzerhand an die Spitze der bisherigen feindlichen Bewegung gesetzt und erwecken den Anschein, als hätten sie nie etwas anderes gepredigt als Freiheit des Denkens und Toleranz des Fremden und Andersgläubigen.

Sollte es jüdische und islamische Zitate geben, die das Gegenteil behaupten, so die jüdische Professorin, wären das nur nicht-autorisierte Äußerungen aus der internen Debatte jüdischer und muslimischer Gelehrter.

Wir erleben, wie heilige Schriften aller drei Religionen nach dem gleichen Muster modernisiert und nachmanikürt werden: durch Anpreisung hochmoralischer Stellen und durch Verwerfung martialischer Schriftworte, die man aus dem Kanon heiliger Verbindlichkeiten unauffällig entfernt.

Ohne Beschneidung könne es keine Zukunft für Juden in Deutschland geben. Denn Judesein und Beschnittensein gehöre zusammen. Das kann nicht stimmen. Schon mittelalterliche Rabbiner haben das apodiktische Gebot gelockert, wonach nur beschnittene Juden authentische Juden sein könnten.

Seltsam, dass die weibliche Perspektive der causa circumcisionis nie zur Sprache kommt. Hat Jahwe denn nur mit Männern einen Bund geschlossen? Von weiblicher Beschneidung haben wir bis jetzt nur aus muslimischen Kreisen gehört.

Traumatische Spätfolgen der Beschneidung werden von Almut Bruckstein geleugnet, offensichtlich hat sie weder die medizinische Forschung noch die Bedenken vieler israelischer Eltern zur Kenntnis genommen.

Arno Widmann gibt allen Recht, Befürwortern wie Gegnern der Beschneidung. Doch letztlich ginge es nicht um Recht oder Unrecht haben, es ginge um eine Abwägung zwischen denen, die Beschneidung für überflüssige Quälerei hielten – wie er selbst – und anderen, die solche Praktiken zum wesentlichen Bestandteil ihrer Religion zählen.

In dubio, so Widmann, pro reo: im Zweifel für die Anhänger der Religion, die nicht in den Untergrund getrieben werden dürften. Das Zusammenleben verschiedener Religionen könne nur auf dem Boden der Toleranz fremder Riten möglich sein. Zwar gelten alle Gesetze für alle in gleichem Maß, doch ohne Rücksichtnahme unliebsamer Gepflogenheiten ginge es eben doch nicht.

Widmann scheint entgangen zu sein, dass sein gütlicher Kompromiss auf Kosten der Kinder ginge. Schließlich hielten „wir“ es auch für schrecklich, den Kindern einzubläuen, dass der gemarterte Jesus um unserer Seligkeit willen gekreuzigt worden sei – und dennoch würden wir es hinnehmen. Andere religiöse Traditionen sollten wir nicht kritischer behandeln als unsere eigenen.

Da gäbe es noch eine sinnvollere Konsequenz aus dem Kölner Urteil: dass wir mit unserer Religion genau so kritisch umgingen wie mit anderen und alle dem gleichen demokratischen Recht unterwürfen.

Allmählich verbünden sich die Religionen immer mehr und bilden eine gemeinsame Front gegen – das allgemeine Recht, das keiner heiligen Gruppe Sonderkonditionen zubilligt. Die drei Erlöserreligionen unseres Landes, die intolerantesten unter allen Religionen der Welt, jahrtausendelang erbitterte Gegner der griechisch-heidnischen Demokratie und der stoisch-aufgeklärten Menschenrechte, begnügen sich nicht länger mit defensiver Abwehr ihrer rechtsunfähigen Sonderriten.

Nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung gehen sie immer mehr dazu über, sich an die Spitze der bislang verfluchten und bekämpften Bewegung zu setzen und alle Errungenschaften der Freiheit und Mündigkeit aus dem riesigen Fundus ihrer heiligen Schriften abzuleiten.

Sie drehen den Spieß um und attackieren die Vernunft mit just den gleichen Vorwürfen, die sie bislang von jener zu hören bekamen.

Über Nacht gibt’s nichts Schlimmeres als eine Vernunft, die sich absolut setzt. Oder einen rationalistischen Ersatzglauben. Oder einen Vulgärrationalismus. Oder einen gottebenbildlichen Säkularismus.

Kinder haben aus dieser Methode ein Spiel entwickelt: was man sagt, das ist man selber.

Während die Völker den heiligen Hallen der Religionen unaufhaltsam entfliehen, werden die dogmatischen Lehrsätze von nationalen Eliten freudig willkommen geheißen – als altvertraute Instrumente der Macht über die Völker.