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Tagesmail

Mittwoch, 20. Juni 2012 – Hymne und Hayek

Hello, Freunde Karlsruhes,

schon zum dritten Mal in diesem Jahr musste Karlsruhe die Regierung daran erinnern, dass wir in einer Demokratie leben. Die Berliner Regierung hat anderes zu tun, als sich mit solchen Marginalien abzugeben und tat erfreut über die Erinnerungshilfe.

Beide Gewalten haben vereinbart, dass Karlsruhe halbjährlich der Regierung ein aide-memoire zukommen lässt: wir leben noch immer in einer Demokratie, lasst das Parlament mitreden. Wen? Die Regierung konnte nicht versprechen, die Gedächtnishilfe zu implementieren. Sie ist ohnehin damit ausgelastet, Konferenzen in der ganzen Welt zu besuchen, um die sogenannte Rettung der Welt zu hintertreiben oder die Finanzkrise als Dauerphänomen einzurichten.

Krise für wen? pflegen jene zu lachen, die von der Finanzkrise profitieren. Kann es eine Krise geben, wenn der Mammon in der Welt schon zum Ozean angeschwollen ist? Man muss ihn nur dorthin leiten, wohin er von Natur aus gehört: zu uns. Den einen die Krise, den andern das Gegenteil, schlagen sie sich krachend auf die Schenkel.

Der Klub der Millionäre wächst erfreulich, allerdings ist er beunruhigt über Milliardenverluste in ihren Verkaufsläden. Der neidische Pöbel klaut, was nicht niet- und nagelfest ist. Es wird Zeit, dass wir den Klerus wieder stärken, um die Moral der verkommenen Schichten an die Leine zu nehmen, sagen die Millionäre. Was machen die Popen eigentlich den ganzen Tag, wenn es

ihnen nicht mehr gelingt, den Auswurf der Menschheit zu disziplinieren?

Martin Mosebach, nach vorne, hast du noch alle Tassen im Schrank? Du hetzt die Christen-Scharia auf die Blasphemiker? Von dieser Sorte gibt’s doch keine mehr. Hast du noch immer nicht kapiert – wie oft haben wir dir das gesagt – dass wahre Blasphemie der Neid der Zukurzgekommenen ist? Geht das nicht in deinen gregorianischen Schädel? Wenn du weiterhin so versagst als unser PR-Prophet, werden wir dir die Subventionen für deine sogenannte Literatur streichen müssen, die ohnehin niemand liest.

Sag deinen verkommenen Priesterkohorten, sie sollen endlich die normalen Puffs frequentieren und die Kinder in Ruhe lassen, das macht sich nicht gut in der Öffentlichkeit. Wie sollen die Leute noch glauben, dass sie vom Heiligsten ein für alle Mal ihre ungewaschenen Pfoten lassen sollen: von unserem schwer erarbeiteten Geld?

Knie nieder, katholische Kreatur und schreib dir ein für alle Mal hinter die Ohren: Wir sind der neue Mensch, der Alpha- und Omegamensch, der homo novus der Evolution. Was, du Sohn eines Psychoanalytikers kennst noch nicht mal deinen jesuitischen Glaubensgenossen Teilhard de Chardin? Der Gott zum Führer der Evolution und dessen Sohn zum Punkt Omega ernannt hat, damit „das Universum bis in das materielle Mark hinein durchtränkt ist von dem Einfluss seiner übermenschlichen Natur?“

Das Omega der Evolution; das sind wir. Glaubst du noch immer, uns geht’s ums Geld? Geld ist Dreck, das auf der Straße liegt. Wir veredeln es zum Duft der Evolution. Merkt das denn niemand von dieser Menschheitsmischpoke? Wir reißen uns den Arsch auf und jeder Tropf hält uns für geldgierig. Was interessiert uns schnödes Geld? Geld ist nur die materielle Seite der siegreichen Idee, die wir in perfekte Realität verwandeln.

Nein, wir sind die Erfüllung der Verheißung, dass aus Minderem das Höhere kommt. Wir sind die Verwandlung von Dreck in vollkommene Energie, in Leib und Blut des Vollendeten. In uns hat die Selektion ihr Ziel erreicht. Wir verkörpern, wovon die Evolution träumte, als sie noch in den Windeln lag.

Der Sieg des Christentums über die Welt hat bewiesen, dass es zu den führenden Kräften der Evolution gehört, Evolution heißt Auswahl der Besten und der Tüchtigsten. Evolution und Erlösungsreligion fallen zusammen, wenn sie nachweisen können, dass sie sich die Erde untertan gemacht haben. Das ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Die früheren Kolonialmächte machten einen gewaltigen Fehler, als sie das Duo Soldat & Priester auf niedere Rassen und Naturreligionen losließen. Daraus haben wir gelernt und begnügen uns vordergründig mit der Rolle der Ökonomen, indem wir die Welt mit Zahlen und Dingen füttern. Das ist beweisbar, das kann jeder nachrechnen, davon hat jeder was, wenn er einen Kühlschrank und ein Auto besitzt.

Das Duo aus Soldat und Priester haben wir zusammengeschweißt in die Person des Investors. Wir setzen andere Instrumente ein und benutzen andere Strategien. Wir geben uns sachlich, unsere Sachgesetze sind mit jeder Kultur verträglich.

Wir brauchen keine Waffen, wenn wir mit Coca Cola und dem Scheckbuch kommen, Arbeitsplätze schaffen und das Land nach oben bringen. Darauf fahren alle Völker ab, die alle eitel genug sind, nicht die Letzten im Ranking der Völker zu sein. Alle wollen im Gerangel um die besten Plätze vorne mitmischen – und also haben wir sie am Bändel und führen sie unseres Weges.

Geld ist das Zaubermittel, das uns ihre Rohstoffe verschafft, ihre billige Arbeitskraft sichert und sie in allen Dingen von uns abhängig macht. Geld ist das Schlüsselwort, das Herzen öffnet und widerspruchslose Gefolgschaft sichert.

Jesus soll Befürworter der Armut gewesen sein? Seinen Gefolgsleuten verhieß er die wahren Schätze, die unverrottbaren Reichtümer jener, die Herren der Welt sein werden. Ja, er verschmähte die billige Armut, die mit ihren Pfunden nicht wuchern mochte. Sein Loblied auf die Armut war Werbestrategie: macht euch unabhängig von einem bisschen Wohlstand, schafft euch Distanz zur satten Behaglichkeit, denn ihr werdet alle Reichtümer erringen – wenn ihr neben mir als Herren und Richter der Welt sitzen werdet. Begnügt euch nicht mit Pea Nuts, denn ihr sollt alles erhalten.

Wahre Armut ist Distanz zum Geld als schnöde Sättigungs- und Eitelkeitsbeilage. Wahre Armut ist Erfassung des Geldes als Zeichen der Erwählung. Nur wer Geld als sigillum veritatis würdigt, der ist wahrhaft reich. Er wird zu den Siegern der Evolution gehören. Wer Reichwerden zum materiellen Akt erniedrigt, ist neureicher Narr und gehört nicht zu uns.

Wahre Reiche erschauern über das Mysterium, das über sie hereingebrochen ist ohn all ihr Verdienst und Würdigkeit. Ja, wir mussten uns abstrampeln, doch wahrer Verdienst kann nicht verdient werden. Ist all unsere Tüchtigkeit nicht eine unverdiente Gabe von oben? Was haben wir, das wir nicht als Geschenk erhalten hätten? Ja, jetzt sind wir endlich Meister des Universums, doch immer demütig geblieben.

Die Verheißungen unserer Religion sind Realität geworden. Endzeit ist jetzt, jetzt kassieren wir rund um den Planeten. Jetzt sind Himmel und Erde verschmolzen. Jetzt ist das wahre Dritte Reich, das wahre Tausendjährige Reich, das deutsche Narren mit dem Schwert erobern wollten.

Wir haben unsere Lektion gelernt. Die Story vom Jenseits brauchen wir nicht mehr, auf missionierende Worte und Predigten können wir verzichten. Wir lassen die materiellen Ströme des heiligen Geistes so fließen, dass niemand eine Chance hat, Nein zu sagen. Unsere Überzeugungskraft fällt zusammen mit der Faszination unserer Bankkonten und unserer ökonomischen und technischen Unwiderstehbarkeit.

Mögen die Völker uns hassen, in der Tiefe ihrer Seele bewundern sie uns und wollen sein wie wir.

Gottesbeweise haben wir nicht nötig, unser Gott ist nicht mehr unsichtbar. Heut schauen wir, was wir einst geglaubt, unser Glaube hat sich als wahr erwiesen. Er hat alle besiegt, die sich ihm in den Weg stellten. Von Gott und göttlichen Dingen reden wir nur unter uns oder gar nicht, in der Welt reden wir in der Sprache der Welt.

Wir reden nicht mehr von Theologie, sondern von Ökonomie, nicht mehr von Charisma, sondern von Bruttosozialprodukt, nicht mehr von Gnade, sondern von Effizienz, nicht mehr vom Reich Gottes, sondern von der Zukunft. Nicht mehr vom Hässlichen und Minderwertigen, sondern vom Alten, nicht mehr vom Messianischen, sondern vom Neuen.

Wir haben es geschafft, die ganze Sprache auszutauschen und dennoch die alten Inhalte zu bewahren. Die ganze Welt fährt auf die neue Sprache ab, ohne zu bemerken, dass in, mit und unter den weltlichen Begriffen die Botschaft unserer Exzellenz kostenlos mitgeliefert wird, die sich in die Herzen der Völker frisst, damit sie unseren way of life als den der Vorsehung erkennen.

Die Hymne auf Hayek-Deutsch:

„Wir verdanken es teilweise mystischen und religiösen Überzeugzungen, insbesondere, glaube ich, den großen monotheistischen Religionen, dass vorteilhafte Traditionen zumindest lange genug erhalten und weitergegeben wurden, um den Gruppen, die an ihnen festhielten, ein Wachstum zu erlauben und die Möglichkeit zu geben, durch natürliche oder kulturelle Auslese sich auszubreiten. Das heißt: Ob es uns passt oder nicht, wir verdanken die Beibehaltung gewisser Handlungsweisen und die Zivilisation, die in ihnen ihren Ursprung hat, teilweise der Unterstützung durch Vorstellungen, die nicht im selben Sinne wie wissenschaftliche Aussagen wahr oder verifizierbar oder überprüfbar sind und die sicherlich nicht das Ergebnis rationaler Argumentationen sind. Manchmal denke ich, es wäre passend, zumindest einige von ihnen, wenigstens als Geste der Dankbarkeit, als „symbolische Wahrheiten“ zu bezeichnen, da sie ihren Anhängern dazu verhalfen, (im Sinne von Gen. 1,28) fruchtbar zu sein, sich zu vermehren und sich die Erde untertan zu machen. Selbst diejenigen unter uns, die so wie ich nicht bereit sind, die anthropomorphe Vorstellung eines persönlichen Gottes zu akzeptieren, müssten zugeben, dass der vorzeitige Verlust dessen, was wir als Nicht-Tatsachen-Glauben ansehen, die Menschheit in der langen Zeit der Entwicklung der erweiterten Ordnung, die wir jetzt genießen, einer starken Stütze beraubt hätte, und dass selbst heutzutage der Verlust dieser Glaubensvorstellungen, seien sie nun wahr oder falsch, große Probleme schafft.

Jedenfalls mag die auf religiöser Seite vertretene Auffassung, die Moralvorstellungen seien durch uns unverständliche Prozesse geformt worden, der Wahrheit mehr entsprechen … als die rationalistische Irrmeinung, der Mensch hätte mit Hilfe seiner Intelligenz die Moral erfunden, die ihm die Macht verlieh, mehr, als er je vorhersehen konnte, zu erreichen. Wenn wir uns das überlegen, können wir jene Glaubenslehrer besser verstehen und würdigen, die von einer gewissen Skepsis gegenüber manchen ihren Lehren gepackt worden sein sollen und diese dennoch weiter lehrten – aus Angst, ein Verlust des Glaubens würde einen Verfall der Moral nach sich ziehen. Sie hatten zweifellos recht, … Von den Religionsgründern der letzten zweitausend Jahre lehnten viele Eigentum und Familie ab. Aber die einzigen überlebenden Religionen sind diejenigen, die das Eigentum und die Familie gutheißen … Wir sind heute Zeugen, wie in kommunistischen und sozialistischen Ländern die natürliche Selektion religiöser Vorstellungen mit den schlecht angepassten verfährt.“  („Die verhängsnisvlle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus“)

In Kurzform: selbst wenn die überkommene Religion falsch ist, hat sie sich als erfolgreich erwiesen und uns eine Moral beschert, die alle konkurrierenden Moralen weggebissen hat. Die sozialistische wird auch verschwinden (geschrieben vor dem Fall der Mauer).

Unsere Vernunft ist nicht fähig, sich eine durchsetzungsfähige Moral auszudenken. Das ist gut so, denn Markt und Moral müssen klüger sein als wir selbst. Uns bleibt nur, blind den Fanfaren einer allesbesiegenden Ethik zu folgen.

Hayeks Neoliberalismus ist Spross des aufklärungsfeindlichen habsburgischen Katholizismus, den er in brillanter Weise in Ökonomie übersetzt hat. Hayek spricht als Agnostiker, Habermas gibt sich religiös unmusikalisch, beide halten Religion für unerlässlich. Viele Aufklärer waren Gegner des Christentums, dennoch hielten sie Religion für notwendig, um das Volk, die Kanaille, zur Arbeit und zum Gehorsam zu zwingen.

Hayek ist bedingungsloser Gegenaufklärer. Vernunft ist für ihn tot oder schädlich. Es lebe der Glaube an die evolutionäre Vorsehung: der Mensch denkt, doch Gott lenkt. Der Markt ist der Sohn Gottes, die fleischgewordene Weisheit seines Vaters, an die wir glauben müssen, weil wir sie nicht verstehen.

Doch ihre unwiderstehlichen Wirkungen können wir erkennen, wenn wir ihren weltgeschichtlichen Siegeslauf betrachten. Ein alter Kirchenvater nannte diese Einstellung: ich glaube, weil es absurd ist.

Weil die Moderne so lächerlich absurd geworden ist, dass man es nicht glauben kann, ist Absurdität zum solistischen Glauben der Gegenwart geworden.