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Mittwoch, 19. September 2012 – Freiheit

Hello, Freunde der Ungleichheit,

Deutschland auf dem Weg in eine Kastengesellschaft. Es gibt keine Fahrstühle nach oben. Weder mit Bildung, noch mit Geld. Geld wird verteilt nach dem Matthäus-Theorem: wer hat, dem wird gegeben; Bildung ist lächerlich, nur Herrschaftswissen ist gefragt. Man bleibt unter sich, heiratet in dieselbe Kaste. Liebe fällt dort hin, wo Geld hinfällt. Die beiden treibens am liebsten miteinander, weshalb man sagen könnte, Geld und Liebe hecken neues Geld. Gefühle sind börsennotiert. Wir sollten wieder mehr auf unsere Gefühle hören. Gleich und gleich gesellt sich gern, besonders bei denen, die Gleichmacherei ablehnen.

Nicht Hartz4, die pekuniäre Verschlankung unterer Schichten hat Deutschland in den letzten Jahren reicher gemacht, die Liaison Geld & Liebe wurde zur geheimen Erfolgsformel sensibler Großfamilien, die sich den Reichtum der Nation unter den Nagel reißen.

Vor 20 Jahren besaß Deutschland 4,6 Billionen Euros. Inzwischen sind wir bei 10 Billionen angelangt. Allmählich sollten wir wieder vom deutschen Reich sprechen. Ein Reich ist, was immer reicher wird. Wer bisher viel verdiente, hat in jüngster Vergangenheit noch mehr verdient.

Die üblichen 10% der Bevölkerung haben sich inzwischen 53% des Gesamtvermögens gekrallt. Wer die Expansionsquote kennt, könnte mit Hilfe des Dreisatzes ausrechnen, wann die 10%-Kaste sagen wir 90% des nationalen Reichtums unter ihre Fittiche genommen haben wird.

Die Frage bleibt, bei welcher Zahlenkombination wir den Laden schließen müssen:

bei 10- 90% , 10-95%? Vermutlich will sich die 10%-Kaste noch minimieren: 1%- 99%? Wenn wir bei der 0%-100%-Quote angelangt sind, fangen wir wieder von vorne an.

Die Dax-Chefs entstammen immer denselben 3,6% der Gesellschaft. Das muss eine besonders gebildete Brahmanen-Kaste sein, die man leicht an ihrem Verhalten erkennen kann. Brahmanen haben folgende Eigenschaften: Heiterkeit, Selbstbeherrschung, Askese, Reinheit, Nachsicht und Aufrichtigkeit, Weisheit, Wissen und Glaube – und Mitleid mit allen Wesen.

(Ulrike Herrmann in der TAZ: Reich und reich gesellt sich gern)

Die Mittelschicht glaubt unbeirrt an ihren Aufstieg. Welchen Aufstieg? Zählen wir mal eins und eins zusammen. Wenn es nur begrenzte Plätze im Himmelreich gibt, müssten ebensoviele absteigen wie aufsteigen. Würde die ganze Gesellschaft aufsteigen, wären auf dem Gipfel alle gleich. Gleichmacherei auf höchstem Niveau?

Unmöglich. Also kann es gar keine unbegrenzte Aufsteigertheorie geben. Wer aufstiege und einen der knappen Plätze belegte, würde einen anderen von der Plattform kippen. Ein Nullsummenspiel.

Wir haben keine Aufsteiger-, sondern eine Rotationsgesellschaft. Nein, auch die haben wir nicht. Nichts rotiert, alles verfestigt sich. Wir haben eine Kastengesellschaft, die gegeneinander fugendicht abgeschottet ist. Auch hier regiert Religion: Jeder bleibe in seinem Stand, in den ihn Mammon berufen hat.

Kaste kommt vom spanisch-portugiesischen Wort casta: Rasse. Abgeleitet von castus = rein. Wir nähern uns reinen Verhältnissen. Die unsauberen Schichtenvermischungen der Nachkriegsjahre sind gottlob behoben. Die neue Rasse ist die mit dem Zaster.

Wenn Mitt Romney in den USA ans Ruder käme, würde er die Nation auch einer Generalreinigung unterziehen. Die Hälfte seiner zukünftigen Untertanen würde er expatriieren. Sie blamieren die Nation, da sie als Sozialschmarotzer vom Staat leben wollen.

Demokratie ist Gleichheit, Ökonomie ist Ungleichheit. Gleichheit mal Ungleichheit ist Neoliberalismus.

Aufschrei der Neoliberalen: Demokratie beruhe auf Freiheit. Freiheit aber und Gleichheit schlössen sich aus. So die Grundbotschaft Hayeks. Die ganze politische Kaste schweigt sich über Gleichheit aus. Die Linken meinen zwar Gleichheit, vermeiden aber das riskante Wort. Wer will zur planierten Gleichheit der Kommunisten zurück?

Wer eine freie Gesellschaft will, muss auf Gleichheit verzichten, so Hayek. Nur die Gleichheit der „allgemeinen Gesetzes- und Verhaltensregeln“ sei die einzige Gleichheit, die ohne Gefährdung der Freiheit gesichert werden könne.

Freiheit habe mit allen sonstigen Arten Gleichheit nichts am Hut. Im Gegenteil, sie bringe „unvermeidlich in vieler Hinsicht Ungleichheit hervor.“ Er zitiert G. Leibholz, einen deutschen Staatsrechtler und ehemaligen Verfassungsrichter, mit dem Satz: Freiheit erzeugt notwendig Ungleichheit und Gleichheit notwendig Unfreiheit.“ Nach O.W. Holmes ist Leidenschaft für Gleichheit nichts als die Idealisierung des Neids.

Freiheit habe die Funktion, zu zeigen, dass manche Lebensentwürfe erfolgreicher seien als andere, so Hayek. Schaffe sie das nicht, verdiene sie nicht den Ehrentitel Freiheit. Das Argument für Freiheit beruhe auf der Voraussetzung, dass alle Menschen ungleich seien und die Chance haben müssten, ihre Ungleichheiten unter Beweis zu stellen.

Die Unterschiedlichkeit der Menschen dürfe für den Staat keine Rechtfertigung sein, die Ungleichen – ungleich zu behandeln.

Richtig gelesen. Hayek will, dass alle Menschen vom Staat gleich behandelt werden. Das bedeutet, gleiche Spielregeln für alle. Niemanden bevorzugen, niemanden benachteiligen. Der Staat ist neutraler Schiedsrichter, kein Mitspieler.

Wie im Sport. Dem schnellsten Läufer wird auch keine Zeit abgezogen, um den Unterschied zum zweitschnellsten zu egalisieren. Jeder muss seine ungleichen Anlagen entfalten, zeigen und ausleben dürfen. Wer tüchtig ist, muss seine Power ungehindert in die Tat umsetzen können. Der Beste soll die Trophäe erringen.

Hayek macht dem sozialen Staat den Vorwurf der ungleichen Behandlung. Er würde die Schwachen stützen und die Starken schwächen. Ungleiche Behandlung würde die Ungleichheit der Menschen ramponieren und planieren. Ungleichheiten werden erst durch gleiche Behandlung konkret, sichtbar und erfolgreich.

Der Sport ist nicht sozialistisch. Der Stärkste soll gewinnen. Freie Bahn dem Zähen, Schnellen, Starken.

Oder doch? Warum gibt es gesonderte Paralympics-Spiele? Warum keine gemeinsamen Wettbewerbe für Frauen und Männer? Für Schwergewichte und Leichtgewichte?

Sport ist eine Mischung aus beiden Prinzipien. Zum Teil gerecht und gleich, zum Teil frei – und ungerecht? Ist grenzenlose Freiheit grenzenlose Ungerechtigkeit?

Menschen sind ungleich. In welcher Hinsicht? An Talenten und Fähigkeiten. Ginge es allein nach diesen Kriterien, müssten leistungsstarke Erwachsene mittleren Alters am meisten abräumen – gegen alle Frauen, Kinder, Greise, Kranke, Unbegabte in der Gesellschaft.

Jeder Erfolgreiche würde seine Kinder in die Schranken weisen, wenn sie am Mittagessen durch Schnelligkeit und Körperstärke den weniger Fixen die besten Happen vor der Nase wegschnappen würden. Familienmoral ist das Gegenteil der Hayek’schen Wirtschaftsmoral.

Würde ein erfolgreicher Manager behaupten, seine Kinder, denen er Fairness innerhalb der Familie gegenüber kranken und weniger begabten Familienmitgliedern abverlangt, würden in Unfreiheit erzogen?

Warum halten ausgerechnet jene Familien, die besonderen Wert auf korrektes und höfliches Verhalten legen, den Unterschied zwischen privater und wirtschaftlicher Moral für unerlässlich? Familiär, im Nestbereich halten sie für richtig, was sie öffentlich für falsch halten und umgekehrt. Entweder ist ihre Privatmoral unfrei oder ihre öffentliche Moral ungerecht.

Nun fällt auf – worauf Ulrike Herrmann hinweist –, dass der Reichtum der Gesellschaft immer mehr in den Händen diverser Großfamilien landet. Zwar gibt es Konkurrenz zwischen den Kindern des Firmenmoguls, der nur den Besten als Nachfolger seines Familienbetriebs einsetzen will. Gleichwohl gibt es keine gnadenlose Konkurrenz innerhalb der Familie wie draußen in der Gesellschaft. Selbst die Unbegabtesten kriegen noch einen Job im Familienimperium, den sie auf freier Wildbahn niemals erhielten.

Das Geheimnis einer erfolgreichen Familie ist eine gekonnte Balance aus Konkurrenz und Loyalität. Denn jeder Angehörige weiß, wenn die Familie zerbricht, zerbrechen auch seine Chancen auf Macht, Geld und Reputation.

Das wahre, bisher noch nicht zur Kenntnis genommene Erfolgsmodell im individuellen Liberalismus ist nicht der Einzelne, sondern das Familienkollektiv. Hinter jedem erfolgreichen Mann steckt eine ehrgeizige Frau. Frauen und Kinder zählen in Deutschland nicht zur Biografie der Erfolgreichen. Die Amerikaner sind hier ehrlicher, kein Wahlkampf ohne die ganze Sippe als Podiumsdekoration.

Wenn ein Sprössling nicht gerade das Zeug zum schwarzen Schaf hat, weil er Künstler werden will, wird er gewiss des öfteren über den Zwang zur Gruppensolidarität seufzen oder fluchen, aber niemals das erfolgreiche Familienmodell völlig in Frage stellen.

Gewiss wird er nach jugendlichen Irrungen und Wirrungen sagen: meine Interessen und die meiner Familie waren trotz aller Schwierigkeiten vereinbar.

Das zoon politicon kann in der Gemeinschaft auf seine Kosten kommen. Aristoteles würde noch weiter gehen, nur in der koinonia kann der Einzelne sich entfalten und zu sich kommen. Der Einzelne und die Gruppe, Familie, Dynastie, der Stadtstaat, der Staat, die europäische und die globale Menschheit müssen sich nicht mittels grenzenloser Freiheit unbarmherzig zur Strecke bringen.

Menschen sind ungleich in ihren Talenten und Fähigkeiten. Aber nicht in ihren psychischen Elementarbedürfnissen. Jeder Mensch will anerkannt, akzeptiert, ja geliebt werden. Müsste nicht jeder freie Mensch auch das Recht haben, dass seine Bedürfnisse befriedet werden? Ist Freiheit nicht nur die Pflicht, der Gesellschaft zu geben, sondern das Recht, von ihr im Falle der Not zu nehmen?

In der Familie sind das Selbstverständlichkeiten? Keine Familie von Rang lässt sich nachsagen, dass ihre Kinder ungleich und ungerecht behandelt worden sind. Dass jedes Kind fair, gerecht und gleich behandelt werden muss, wissen sie nicht aus altruistischen, sondern aus egoistischen Motiven. Ungeliebte Kinder sind nicht in der Lage, ihre Talente so zu entwickeln, wie sie es könnten, wenn sie geliebt worden wären.

Womit wir bei der Frage landen: woher die Ungleichheiten? Sind sie das willkürliche Geschenk einer ungerechten oder blinden Natur? Oder müssen die Naturgeschenke der Begabung durch angemessene Erziehung nicht erst herausgekitzelt und gefördert werden?

Wenn letzteres, wären die „Talentloseren“ die Opfer einer unangemessenen, lieblosen Erziehung. Müssen sie ihr ganzes Leben dafür büssen, dass sie das Pech hatten, in eine lieblose Familie hineingeboren zu werden?

Wenn Talente nur Geschenke der Natur wären, bestünde die Freiheit à la Hayek allein darin, die Zufälligkeit der Natur dem ganzen Leben bedingungslos aufzuoktroyieren. Der freie Mensch unterwürfe sich der Diktatur einer ungerechten Natur.

Diese Position wird Naturrecht genannt. Naturrecht der Starken. In diametralem Gegensatz zum Naturrecht der Schwachen. Beide Naturrechte wurden von den Griechen in einer Klarheit durchdekliniert, die keine moderne Erörterung über Kapitalismus oder Sozialismus je erreicht hat.

Hayeks griechischer Vorgänger war Thrasymachos, der das Recht des Starken als Gerechtigkeit verteidigte. Der Mann, der zu Großem fähig sei, sollte auch mehr Vorteile haben. Selbst wenn dies im Widerspruch zum Recht stünde.

Gerechtigkeit im hergebrachten Sinn sei einfältig. Das Leben des Ungerechten sei besser als das des Gerechten, die vollendete Ungerechtigkeit sei nützlicher als die vollendete Gerechtigkeit. Dabei denkt Thrasymachos – dem der Edelste aller Liberalen, Ralf Dahrendorf, einst ein Loblied sang – nicht an kleine Hühnerdiebe. Sondern an Männer, die „fähig sind, Unrecht im großen Stil zu begehen und Städte und Völker zu unterwerfen“.

Wer denkt hier nicht an Nietzsche und seine besten deutschen Schüler, die Weltpolitik im großen Maßstab machen wollten?

Hayek verteidigt eine Denkhaltung, die der nationalsozialistischen gleicht, obgleich er in seinem berühmten Buch: „Der Weg zur Knechtschaft“ eine scharfe Abrechnung mit dem Nationalsozialismus hielt.

Auch Hayeks Liberalismus entpuppt sich als Sprössling desselben Naturrechts der Starken, auf das sich die Nazischergen beriefen. Freie Fahrt den Tüchtigen und Starken war die Darwin‘sche Losung der totalitären Deutschen.

Zwischen Kapitalismus und Nationalsozialismus besteht nur der „kleine“ Unterschied, dass die Freiheit der letzteren mit dem undemokratischen Schwert, die der ersteren mit dem demokratischen Mammon exekutiert wurde. Am Ende gab‘s hier und dort eine Menge Verlierer, Schwache, Kranke und Tote.

Hayek und Thrasymachos halten es beide für gerecht, wenn Starke die Lizenz erhalten, die Schwachen bedenkenlos zu überfahren. Hier sehen wir, an welcher Stelle Hayek seinen Denkprozess abwürgt. Er stellt nicht die Frage, ob die von der Natur ungleich verteilten Fähigkeiten gerecht sein können – immer vorausgesetzt, sie hängen allein von der Natur ab. Was nie und nimmer der Fall ist.

Mit extrem ungleich verteilten Talenten hat Natur nichts zu tun. Sie sind auf dem künstlichen Boden der männlichen Hochkultur gewachsen – und dies über Jahrtausende. Bei Naturvölkern gibt’s nur minimale Unterschiede des Könnens.

Erst in den Treibhäusern der Zivilisationen, die sich mehr und mehr von der Natur abgenabelt haben, konnten extrem differente Begabungen heranwachsen. Dies aber nicht nach Prinzip Zufall, sondern in kastenmäßig gezüchteter, bewusster und gewollter Akkumulation. Wer hatte, dem wurde gegeben. Präziser: wer hatte, der nahm sich immer mehr auf Kosten jener, die weniger hatten.

Die Schichten der Starken wurden überproportional stärker als die Schichten der Schwachen. An einem beliebigen Punkt erklärten die Starken den Stand der Ungleichheit zum Punkte Null, als begönne ab hier und jetzt der Wettlauf der Kasten ganz von vorne. Sie hatten bereits viele Schätze an Reichtum und Können im Tresor, die sie als ihre gerechte Mitgift ausgaben, während die Schwachen unwissend, talentlos und ohne Energie in die Röhre guckten.

Dann kam der Trick mit der Freiheit. Freiheit nannten die Privilegierten das angebliche Recht, mit einem Riesenvorsprung den Wettlauf in die Zukunft zu absolvieren und die über Jahrhunderte mit ungerechten Methoden herbeigeführte Differenz als Stimme der Natur zu deklarieren. Alle Ungerechtigkeiten einer langen Tradition wurden der Natur in die Schuhe geschoben, als mache sie elementare Unterschiede zwischen ihren Geschöpfen.

Was war geschehen? Die willkürliche Methode des Auserwählens und Verwerfens im Namen eines calvinistischen Gottes wurde bedenkenlos auf die Natur projiziert. Das hatte den Vorteil, dass man religiöse Dogmen ignorieren und sich auf „objektive“ Gesetze der Natur beziehen konnte.

Wir sind doch alle frei, sagten die vor Kraft Strotzenden den miserablen Massen der vielen Schwachen, Armen und Unbegabten, die von allem ferngehalten wurden, was sie energisch gemacht und mit Talenten ausgestattet hätte.

Die Selektionsmoral eines liebenden und hassenden Erlösergottes hatte man der Natur untergeschoben, um den neuen gottlosen Horden klar zu machen, dass ihre bedrückende Lage einem objektiven Naturgesetz entsprach. Freiheit wurde zur Fanfare derer, die ihre Privilegien als Geschenk der neutralen und gerechten Natur betrachten wollten.

Deutsche denken immer an Gerechtigkeit, nie an Freiheit, sagen die angelsächsischen Neoliberalen. Und Gerechtigkeit führt immer zur totalitären Unfreiheit.

Stimmt – wenn Gerechtigkeit mit Zwang angestrebt wird. Was aber, wenn nicht in Zwang, sondern in Freiheit, in demokratischer Entscheidung, in Abstimmung mehrheitlich gewählter Gesetze?

Hayek hält alle Gesetze einer Demokratie, die seiner Vorstellung von ökonomischer Freiheit widersprechen, für – totalitär. Kein frei gewähltes Parlament dürfe per Gesetzgebung die Freiheit der Wirtschaft einschränken. Und täte sie es doch, wäre sogar putschistischer Widerstand erlaubt. Ein solches Parlament müsste abgesetzt werden, notfalls mit Gewalt.

Es gebe kein Recht des Volkes oder frei gewählter Abgeordneter, die grenzenlose Freiheit der Starken per Mehrheitsbeschluss einzuschränken. Das wäre der Akt einer neidischen Masse, des anarchischen Pöbels.

Hier spricht Hayek als wirtschaftliches Pendant zum platonischen Weisen, der allein weiß, wie ein Volk gerecht werden kann und diese Vorstellungen dem Volk, wenn nicht anders, mit Gewalt aufzwingen darf.

Hayek verabscheute den Totalitarismus und propagierte gleichwohl eine Art ökonomischer Freiheits-Diktatur. Seine Vorliebe für Despoten à la Pinochet wird hier verständlich. Wer sich den Generälen der Freiheit widersetzt – und sei es das ganze Volk –, der hat mit Kanonen freiheitsberaubender Freiheit zu rechnen.

Gegen Gleichheit vor dem Gesetz hat Hayek nichts einzuwenden. Weiß er doch, wie die meisten Gesetze zustande kommen und den Starken nicht gerade in die Zügel fallen. Gleich vor dem Gesetz, das Ungleiche gezielt bevorzugt? Kein Einwand von dem Sprössling eines habsburgischen Adelsgeschlechts.

Was wäre, wenn das Grundgesetz den Freiheitsparolen Hayeks mit eindeutigen Worten widerspräche?

Heribert Prantl ist einer der Wenigen, der nicht müde wird, den neuen Armuts- und Reichtumsbericht unter dem Blickwinkel des § 14, Absatz 2 des Grundgesetzes zu betrachten. Und der lautet kurz und prägnant: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“

Prantl zitiert den früheren Bundesrichter Böckenförde mit dem Satz, die Ungleichheit dürfe „ein gewisses Maß nicht überschreiten, sonst geht sie über in Unfreiheit“.

Ja, Menschen sind ungleich und unvergleichlich. Ja, jeder ist eine „Welt für sich“. Ja, jeder soll mit gleichen oder ungleichen Pfunden wuchern dürfen.

Aber auf Kosten anderer? Zu Lasten jener, die vom Schicksal benachteiligt wurden? Und überhaupt, warum soll man nur mit wirtschaftlichen Pfunden wuchern? Warum nicht mit Fähigkeiten, die das Menschsein auszeichnen, als da sind Rücksichtsnahme, Einfühlungsvermögen, Weisheit und Klugheit?

Sokrates war der Klügste in der Polis. Hätte er mit diesem Titel das Recht auf größten Reichtum gehabt? Weisheit, so die Antwort, sei nur subjektiv, Mammon aber könne man nachzählen.

Sind nur quantitative Talente von Bedeutung? Wie steht‘s mit den qualitativen Kompetenzen zur Erhaltung der Demokratie? Wären arme, aber zufriedene Demokratien schlimmer als reiche, aber unzufriedene?

Ist es ein Zufall, dass Buthan, ein armes konstitutionelles Königreich, als erstes Land der Welt ein Bruttosozialglück eingeführt hat? Während die reichen Demokratien zusehends auseinanderfallen?

Die wesentlichsten Punkte haben wir noch gar nicht angesprochen. Diente Freiheit ursprünglich nicht dem Zweck, das Gute zu verwirklichen, das den Menschen ein erfülltes Leben bietet?

Ist das Gute identisch mit quantitativer Wirtschaft und einem Übermaß an äußeren Dingen, die wir nicht benötigen? Ist Freiheit der Drang, jeden Menschen als Nebenbuhler zu betrachten, dem man zwanghaft seine Überlegenheit beweisen muss? Ist Freiheit die Nötigung, sinnlose Schätze anzuhäufen und Mensch und Natur zu schänden? Ist Freiheit die Notwendigkeit, durch unerbittliche Konkurrenz den Rest der Gesellschaft zu Gegnern und Feinden zu machen?

Freiheit ist die innere Verfassung einer Demokratie, die nicht nur fuggert und rafft, sondern miteinander redet, streitet, singt, feiert, tanzt und auf der Agora beschließt, nach welchen Regeln sie zusammenleben will.

Eine Polis ist die „Gemeinschaft freier Menschen, die nach außen souverän ist und im Innern nach eigenem Ermessen ihr Leben regelt. Freiheit und Autonomie sind die Wahrzeichen der Polis.“

Kaum zu glauben: in Freiheit ist es sogar gestattet – ein zwanglos menschliches Leben zu führen.