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Tagesmail

Mittwoch, 18. Juli 2012 – Nietzsche

Hello, Freunde der Courage,

Jonathan Enosch aus Israel kann kein echter Jude sein. Er spricht Sätze, die eines Juden nicht würdig sind: „Die Beschneidung ist das am häufigsten akzeptierte Verbrechen in der Geschichte der Welt.“ Ob Beschneidung denn nicht gesundheitsfördernd sei? Das wäre die größte Absurdität. Nach dieser Logik müssten Frauen sich ihre Brüste amputieren lassen, um nicht an Krebs zu erkranken.

Zwei Prozent der israelischen Gesellschaft seien gegen Beschneidung. Die meisten anderen beugten sich dem gesellschaftlichen Druck. Die meisten wüssten gar nicht, was bei der Operation abläuft. Sie sind nicht religiös, essen Schweinefleisch, fahren Auto am Sabbat, doch die Pimmel ihrer Söhne müssen von Jahwe inspiziert und gezeichnet worden sein.

(Immerhin das wichtigste Instrument, um dem göttlich-imperialen Befehl nachzukommen: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über … das Vieh und alle Tiere, die auf der Erde sich regen.“ ( Altes Testament > 1. Mose 1,28 / http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/1/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/1/“>Gen. 1,28)

Der Mensch unterscheidet sich vom Rest der Schöpfung dadurch, dass er alles beherrscht. Das Zeichen des Triumphs ist der stolze Phallus, dessen imperialer Ausdehnungsfähigkeit die verborgene Vulva, die unscheinbare weibliche Natur nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hat.)

Das Absurde sei, so Enosch, dass Juden und Muslime plötzlich die besten Freunde würden. „Wir waren sehr froh, zu beobachten, dass ein deutsches Gericht das

unmoralische Vorgehen verurteilt, ausgerechnet ein deutsches Gericht.“ So viel zum Punkt: ausgerechnet wir Deutschen.

Ernennen wir Jonathan Enosch und seine Gruppe Ben Schalem – wie ihre Gegner es schon lange zu tun pflegen – zu autorisierten Sprechern der Juden, so müssen wir sagen: Merkel ist eine Komikerin von der traurigen Gestalt und hiesige Juden und Deutsche sind durch die Bank Selbsthasser oder Antisemiten.

Was sagt die Tiefenpsychologie? Indem kleinen Juden Schmerzen zugefügt werden nach dem Motto: Wen Gott liebt, den ritzt er mit dem Skalpell, kommen antijüdische Aggressionen der Deutschen projektiv auf ihre Kosten. Ohne Blut geht die Chose eben nicht.

Die nichtjüdischen Deutschen – darunter vor allem die Meinungsführer – ziehen wie immer den Kopf ein, richten sich nach den stärksten Bataillonen, scheren sich nicht um den schandhaften Missbrauch des Holocaust und halten ihre Feigheit für Versöhnung und Minderheitenschutz.

Die Taten ihrer Verbrecher-Väter vernebeln den Söhnen das klare Denken – bis ins dritte und vierte Glied.

(TAZ-Interview von Susanne Knaul mit Jonathan Enosch)

Auch Ronit Tamir aus Tel Aviv, die vor 12 Jahren zur Unterstützung der Beschneidungsgegner in Israel die Organisation Kahal gegründet hat, widerspricht der Behauptung, Beschneidung sei eine elementare Voraussetzung, um sich dem Judentum zugehörig zu fühlen: „Man ist Jude, wenn die Mutter jüdisch ist. „Das hat mit den Genitalien nichts zu tun“. Die Identifikation mit der Religion und deren Werte sei vielmehr ein ganz persönlicher Prozess.“

(Ulrike Schleicher in der Südwest-Presse zur Kritik an der Beschneidung in Israel)

Bei den Muslimen gibt es auch Andersdenkende, auf die hört nur niemand. Prantl will Minderheiten schützen, doch die Minderheiten der Minderheiten sind ihm nicht gehorsam und angepasst genug. Vielleicht sollte der brave SZ-Christ einen Prantl-TÜV entwickeln zur Zertifizierung genehmer Minderheiten.

Da gibt es den Zentralrat der Ex-Muslime, deren Devise eindeutig ist: „Finger weg von meinem Pimmel. Kinder sollten nicht stellenweise im Namen Gottes rituell verstümmelt werden. Zur Religionsfreiheit gehört auch die Freiheit von Religion, somit die Freiheit, keiner Religion angehören zu müssen“.

Die TAZ wird immer mehr zur Partei der Kirchenväter in Turnschuhen. Selbst die FAZ sieht mit Erstaunen, dass gestrige Kritiker des Koran zu eifrigen Bibelrezitatoren geworden seien.

Es ginge nicht, die Vorhaut als Vorwand zu nehmen, um „Ressentiments“ gegenüber dem Glauben loszuwerden, so die TAZ. Nun werde wieder pauschal gegen die Religion gekeilt.

Viele Linke sind inzwischen päpstlicher als der Papst. Sie wiederholen die Regression der Spätromantiker in den alleinseligmachenden Glauben. Da hat es mal einen Pastorensohn namens Nietzsche gegeben, der den Glauben als Ressentiment analysierte.

Alle Argumente der Aufklärer gegen die Religion haben sich die Schlauberger unter der Soutane leise, still und heimlich zu eigen gemacht und gegen ihre Erfinder gewendet. Vernunft ist autoritär, Religionskritik ein Ressentiment, Aufklärung totalitär.

Das hat die Kirche schon immer blendend verstanden. Was sie nicht bezwingen kann, kassiert sie bei Nacht und Nebel und – hat es selbst erfunden. Nun werden die gottlosen Feinde mit eigenen Waffen geschlagen. Gottes Kohorten sind wendiger und verwandlungsfähiger als der Teufel, der nach Luther ein Tausendkünstler ist.

Die Intellektuellen und Tageschreiber haben sich zu Messie-Virtuosen der Begriffe gemacht. „Da hatt’ ich doch mal …“ wühlen sie in chaotischen Beständen ihrer überquellenden Begriffe. „Ach hier, wusst’ ich’s doch: Ressentiment.“

Stolz wird die Beute in den nächsten Kommentar als Prunkstück aufgenommen. Klingt irgendwie französisch und vornehm. Ist der Artikel im Kasten, fliegt der One-night-stand-Begriff wieder zurück unter Hempels Sofa. Bis zur nächsten mnemotechnischen Findungsleistung.

 

Was ist Ressentiment? Das französische Wort bringt uns nicht weiter, es heißt nur fühlen, nachempfinden. Es geht um das Gefühl einer irreparablen Beschämung und Demütigung, das auf Rache sinnt, ohne selbst die Chance zur rächenden Genugtuung zu sehen.

Ein dauerhaft beschädigtes Selbstbewusstsein delegiert seine Vergeltungs- und Wiedergutmachensbedürfnisse an eine höhere Instanz: an den Himmel. „Herr, knick meine Feinde, die mich in den Staub gezwungen, die mich vorgeführt, all meine Habe weggenommen haben. Räche mich, dass mein Name wieder hergestellt sei und meine Feinde vor mir kriechen.“

Stolze, mächtige und selbstbewusste Menschen haben keine Ressentiments, so Nietzsche, sie sind nicht beschädigt. Und sollten sie es mal sein, können sie sich selbst rächen und ihren Ruf wieder herstellen. Als die Ehre der Griechen durch den Raub Helenas ramponiert war, fuhren sie übers Meer und rächten sich an den Trojanern. So vermieden sie kollektive Ressentiments, wurden ein freies Volk, das die Demokratie, die Wissenschaft und die Philosophie erfand.

Ewig nagender Groll ist nur für Zukurzgekommene und Schwache, fürs niedrige Volk. Für Nietzsche ist das Christentum die Religion des Ressentiments. Das Evangelium erlöst den Menschen zum Preis einer nie endenden Erniedrigung zur bankrottierenden Kreatur. Der erlöste Mensch ist der Mensch ohne Selbstbewusstsein, der alles Gute vom Himmel erbetteln und erflehen muss. Weshalb Nietzsche von der Sklavenmoral des Christentums spricht.

Diesen minderwertigen Kreaturen stellt Nietzsche seine Vornehmen und Gutgeratenen gegenüber, die auf niemanden angewiesen sind, um ihr Leben in Saft und Kraft zu verbringen:

„Während der vornehme Mensch vor sich selbst mit Vertrauen und Offenheit lebt, so ist der Mensch des Ressentiment weder aufrichtig, noch naiv, noch mit sich selber ehrlich. Seine Seele schielt, sein Geist liebt Schlupfwinkel, Schleichwege und Hintertüren, alles Versteckte mutet ihn an als seine Welt, seine Sicherheit, sein Labsal; er versteht sich auf das Schweigen, das Nichtvergessen, das Warten, das vorläufige Sich-verkleinern, Sich-demütigen.“

Warum spricht Nietzsche nicht schlicht und einfach von Glücklichen? Warum die Selbstergriffenheit, die Verzückung um einen Menschen, der das zufällige Glück hatte, glücklich zu sein und nicht zu den Schwachen zu gehören? War es sein Verdienst, in die richtige Umgebung hineingeboren zu werden?

Hätte es keine Schwachen in riesiger Zahl gegeben, nie wäre ein Christentum entstanden. Eine glückliche und wohlgeratene Menschheit braucht keine zweite fiktive Welt, in die sie alles entgangene irdische Glück hinaufprojizieren muss. Wer braucht eine eingebildete Ersatzwelt, wenn er in der ersten auf seine Kosten kommt?

So wohlgeraten, vertrauensvoll und offen kann Nietzsches ressentimentloser Übermensch nicht sein, sonst hätte er ihn nicht zu einem Über-Menschen stilisieren müssen. Sind Übermenschen, die das Menschsein überwunden haben wollen, nicht schon wieder Götter, die auf die Schwachen hernieder schauen und sie verachten, weil sie nicht „gut riechen“?

Sind Gleichgültigkeit gegenüber Unglücklichen und Verachtung der Vielzuvielen keine Zeichen mangelnder Wohlgeratenheit? Wer hat es nötig, auf andere herabzublicken, nur um sich im Spiegel der Grandiosität anzubeten?

Ein wirklich selbstbewusster Mensch verachtet niemanden. Er versteht. Nicht von oben, sondern auf gleicher Höhe. Er sieht das Leiden und den Kampf, den Menschen führen, um ein Leben zu erringen, das man wahrhaft Leben nennen kann. Er weiß, wie viele Gründe es gibt, um sie zum Scheitern zu bringen. Ist er nicht selbst ein Gescheiterter, der das Urteil des Gescheitertseins nur mühsam abweisen konnte?

Soll er Unglückliche verachten, um deren Unglück zu vergrößern und sein eigenes Ego zu glorifizieren? Wäre er wirklich wohlgeraten, würde er alles tun, um die Ursachen des Unglückseins und die Zahl der Schwachen zu reduzieren. Sein Mitleiden würde das Leiden verringern und es nicht – wie die Frommen – vergrößern, um von über-menschlichen Erlösern permanent abhängig zu sein.

Sein Mitleiden verklärte das Leiden nicht zum Zeichen eines herausgehobenen Menschseins. Sonst müsste er alles unternehmen, um die Quellen und Ursachen der Leiden auszudehnen – wie es die Champions auf allen weltpolitischen Ebenen unermüdlich tun.

Nietzsches wohlgeratener Mensch ist der Übermensch: der Mensch ist etwas, was überwunden werden muss. Es ist der leidende, schwache, missratene Mensch, der Überflüssige, Untaugliche und Lästige, der überwunden werden muss.

Mit welchen Methoden der Übermensch erzeugt werden soll, zeigt eine Notiz aus dem Jahre 1844. Der „künftige Mensch“ soll durch „Züchtung und Vernichtung von Millionen Missratener“ geschaffen werden. Die prächtigsten Exemplare der Gattung Mensch ertragen nicht mehr das Ungeziefer, das sich im Verlauf einer alten, dekadenten Kultur im Bodensatz angesammelt hat.

Ab und zu bedarf die morsch und krank gewordene Gesellschaft einer Generalreinigung. Mit eisernen Besen muss gekehrt werden, auf dass die Erwählten das wohlige Gefühl haben, unbefleckt von vorne zu beginnen. Tabula rasa, weiße Leinwand, jungfräulicher Neubeginn, porentiefe Katharsis. Die Stunde des Faschismus.

Faschisten sind Menschen, die mit aller Macht das Neue wollen und das Alte vertilgen müssen. Jetzt und sofort. Sie sind übermäßig allergisch gegen das Misslungene und Missratene. Ein Faschist will die totale Neuschöpfung. Bevor aber das Neue in die Welt tritt, muss das Alte komplett verschwunden sein, damit das Neue nicht mit dem Aussatz des Alten befleckt wird.

Die weiße Leinwand Platons kommt dem Nihil des christlichen Gottes am nächsten. Creatio ex nihilo: wie viele Welten hat der Schöpfer schon verschlissen, um von vorne zu beginnen? Die jetzige ist auch schon zur Vernichtung ausgeschrieben. Fast von Anfang an war sie für den Untergang bestimmt, seitdem lebt sie von einer Gnadenfrist. Seit Altes Testament > 1. Mose 8,21 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/8/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/8/“>1. Mose 8,21 ff hängt das Damoklesschwert über ihr.

Gott scheint sehr kreativ, doch seine Kreativität ist mangelhaft. Es ist die typische Kreativität der Männer seit Erfindung der Hochkultur. Die Schöpfungskraft der männlichen Hochkultur könnte man so beschreiben: der Fortschritt der Wohltaten kriecht auf dem Zahnfleisch, der Fortschritt der Übel eilt in Siebenmeilenstiefeln. Wer dieses Wettrennen gewinnen wird, können sich selbst Politiker ausrechnen.

Die minimalen Wohltaten werden stets als Alibi genommen, um die potenzierten Übel zu rechtfertigen, die die Wohltaten regelmäßig zum Frühstück verspeisen. Doch kommt Zeit, kommt Rat. Die zukünftigen Wohltaten werden garantiert alle Übel beseitigen und eine tiefengereinigte Menschheit auf einer frischen und neuen tabula- rasa-Erde erschaffen. Da capo bis zur nächsten Verblendung.

Nietzsche ist die geheime erste Liebe pubertierender Flegel, die im Konfirmandenunterricht den geplagten Gemeindehirten sekkieren. Es hätte was aus dem einsamen Wanderer werden können, wenn er nicht denselben Fehler gemacht hätte wie das von ihm so tiefgründig gescholtene Christentum. Er hätte den Menschen nicht überwinden und zum engelgleichen Übermenschen mit dem Flammenschwert erhöhen, pardon, erniedrigen dürfen.

Am Schluss endet er in der Identität mit dem Objekt seines Abscheus: Dionysos oder der Gekreuzigte. Beide steigerten ihr Machtgefühl, indem sie das Leben anderer vernichteten. Wie das christliche Credo die Mehrheit der Menschen zur ewigen Qual freigibt, so steigerten die NS-Schergen ihren Lebensrausch, indem sie andere zu Untermenschen ernannten und der Hölle übergaben.

Die Deutschen haben ihre Beziehung zu Nietzsche nie geklärt. Von allen Seiten wird er in Schutz genommen. Wie bei allen geistigen Heroen heißt es auch bei ihm, man habe ihn missverstanden, missbraucht. Das Gute und Heilige werde instrumentalisiert. Die Tradition der Deutschen sei piccobello, leider vor bösartigem Missbrauch nicht gefeit.

Religionen seien reine Liebesveranstaltungen, ständig würden sie missbraucht und für schreckliche Zwecke benutzt. Weil er einige Juden lobte, kann Nietzsche kein Antisemit sein. Weil er gegen Nationalismus war, kann er kein Vorläufer des Nationalsozialismus sein. Weil er sensible psychologische Erkenntnisse hatte, kann er nicht das Vorbild von Schlächtern sein. Als ob die Schlächter in ihrer Binnenwelt nicht sensible Väter, Künstler, Tierfreunde, ja sogar Judenretter gewesen wären.

Es ist wie bei der Auslegung der Heiligen Schrift. Man selektiert das Genehme, um das Gemeine zu schützen.

Der Übermensch kann vor Kraft nicht laufen. Er hat einen Überschuss an Lebenskraft und Willen zur Macht und ist Schöpfer neuer Werte, die er aus sich selber gebiert.

Warum sollte der Mensch – wenn er nicht gottebenbildlich sein will – neue Werte hervorbringen? Gibt’s nicht schon ein Überangebot an Werten, die wir vielleicht mal misten sollten nach dem Motto: alles prüfet, das Beste behaltet?

In seinem Originalitäts- und Geniekult, in seiner Vernarrtheit in das absolut Neue wird Nietzsche deckungsgleich mit seinem insgeheim bewunderten Jesus. Ein verhängnisvoller Widerspruch zu seiner Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen, mit der er den griechischen Glauben an die regelmäßig wiederkehrende Natur der christlich-linearen Fortschritts- und Untergangsgeschichte entgegen setzen wollte.

Nicht Werte nach Belieben gebären, sondern Werte auf Menschlichkeit überprüfen – das wäre Autonomie.

Die Menschheit als Masse sollte, so Nietzsche, dem Gedeihen einzelner Titanen geopfert werden. Das Ziel der Menschheit sei die Züchtung einer Herrenrasse, welche zur Herrschaft über Europa berufen sei. Die Höherzüchtung des Menschen erfordere die Vernichtung alles Entartenden und Parasitischen. Kann hier jemand die geringste Ähnlichkeit mit dem Nationalsozialismus entdecken?

Nietzsches Kritik am spirituellen Christentum verendete in der Konstruktion eines politischen Christentums: Viele sind berufen, wenige sind auserwählt. Der Weizen muss geerntet, die Spreu vernichtet werden.

Die Religion rachsüchtiger Götter kann nicht durch eine neue Religion gottgleicher Übermenschen überwunden werden, die die Menschen schon hienieden in die Hölle schicken. Sondern durch Vertrauen in den törichten, gequälten, schwachen Menschen, der durch Versuch und Irrtum lernen kann.