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Mittwoch, 12. September 2012 – Widerspruch und Einhelligkeit

Hello, Freunde des Widerspruchs,

was sich widerspricht, kann nicht wahr sein. Ohne Widerspruch kein Motor des Fortschritts – zur Widerspruchslosigkeit. Es gibt keine Widersprüche, weil es keine Wahrheiten gibt. Widerspruchsfreiheit ist die Despotie der Logik. Der Mensch ist kein ausgeklügelt Buch, sondern ein Wesen in seinem Widerspruch. Große Menschen erkennt man an großen Widersprüchen.

Sätze, die sich widersprechen? Sätze, die sich widersprechen. Aus solchen Sätzen ist unsere Kultur aufgebaut.

Statiker müssen die Standfestigkeit eines Hochhauses errechnen. Wenn sie sich widersprechen und zu unvereinbaren Ergebnissen kommen, darf das Gebäude nicht errichtet werden oder es wird zusammenbrechen.

Seitdem die Menschheit mit der Hochkultur in die Vertikale gegangen ist, baut sie an ihrem prächtigen, beeindruckenden, überwältigenden babylonischen Turm, in der Erwartung, dass er eines unbestimmten Tages mit ungeheurem Getöse einstürzen wird.

Seit Beginn der Hochkultur steht diese Prophetie auf heiligem Papier geschrieben und begleitet unser Tun Tag und Nacht. Wir zittern vor dem Zusammenbruch und wir hoffen auf ihn, damit wir von vorne beginnen können.

Risiko nennen wir, wenn wir etwas tun, vor dessen Ergebnis wir zittern und das wir gleichwohl erhoffen. Zittern und Erhoffen sind widersprüchliche Emotionen, Emotionen sind Ergebnisse unseres Tuns. Wer keine Widersprüche eingeht, muss weder zittern, noch hoffen.

Die Natur erzeugt keine Widersprüche. Würde sie es tun, würde sie sich

selbst zerstören. In einer widersprüchlichen Natur gäbe es keine Lebewesen, es gäbe nur Chaos, Gärungen und urgewaltige Kämpfe der Elemente, die sich zur Widerspruchsfreiheit entwickeln und dem Leben eine Chance geben oder sich atomisieren und in Nichts auflösen.

Als die Natur sich durchgerungen hatte, ihre elementaren Widersprüche aufzuheben und mit sich selbst in Einklang zu kommen, gebar sie stufenweise das Leben: zuerst die anorganische Materie, die sich chemisch und physikalisch ordnete und stabilisierte, dann die organischen Einzeller, die sich zu Pflanzen entwickelten, woraus sich die Tiere vom Wurm bis zum homo erectus sapiens bilden konnten.

Die Letzten werden die Ersten sein. Der Mensch definierte sich als das angestrebte Ziel der gesamten Evolution und pries sich als Krone der Schöpfung. Je mehr der kleine Prinz der Schöpfung zum großen Versager der Evolution zu werden droht, je mehr sehnt er sich nach Fortentwicklung und Überwindung seiner selbst, empfindet sich als misslungene Ausgabe der experimentierenden Natur, die in spielerischem Übermut Geschöpfe entwirft, sie tun und machen lässt, was ihnen beliebt – um sie wieder in ihren Brutkasten zurückzuziehen, wenn sie keine Widerspruchslosigkeit mit der Natur zustande bringen.

Der versagende Mensch träumt vom Neuen Menschen, der vollkommen sein wird an Leib und Seele. Oder von denkenden und fühlenden Maschinen, die ihn überrunden werden. Der Neue Mensch war die Vision des Platon, der Erlösungsreligionen bis Marx, Herbert Spencer, Teilhard de Chardin und Hayek.

Gewisse Aufklärer nannten sich Illuminati und Perfektibili, die Erleuchteten und Perfekten. Was sie von den Gläubigen unterschied, war ihnen oft selbst nicht klar. Was jene mit Hilfe des Glaubens erreichen wollten, wollten sie mit Hilfe der Vernunft zuwege bringen.

Perfekt sein wollen, ist heute eine Anmaßung, die sich selbst richtet, da sie menschliche Schwächen nicht überwinden kann. Der demütige Satz: Niemand ist perfekt, gilt nur für das Private, die Stammesentwicklung soll unendlich perfektionierbar sein.

Alle vorhandenen Schwächen der atomaren Entsorgung, der versiegenden Rohstoffe, der Klimaveränderung werden durch kontinuierliche Forschung überwunden. Es gibt keine Probleme, die der Mensch in seinem unendlichen Perfektionsdrang nicht lösen könnte.

Das Einzelwesen bleibt eine bankrottierende Kreatur, doch die Gattung wird die Natur besiegen und in eine fabelhafte Zukunft voranschreiten. Die Prognosen sind pessimistisch für das Individuum und optimistisch für das Menschengeschlecht. Das gilt vor allem für Amerika. Dort werden apokalyptische Aussichten für die Gattung heftig abgelehnt.

Vor Erfindung der Hochkultur durch den Mann lebte die Menschheit horizontal auf Erden. Das Weib hatte den Garten erfunden. Die terrassenartigen Hängenden Gärten der Semiramis waren bereits ein Kompromiss aus Höhe und Bodenhaftung.

Um die Schäden der Hochkultur in Grenzen zu halten, werden heute auf Dächern der Wolkenkratzer Gärten angelegt. Die Zusammenballung und Verdichtung im Vertikalen muss auf gartenmäßige Errungenschaften des archaischen Matriarchats zurückgreifen, um es in Abgasen, Staub und sengender Sonne erträglich zu finden.

Ob Vertikale und Horizontale sich finden werden, steht dahin. Auf jeden Fall hat der Drang nach oben seine Peripherie überschritten und greift auf Erfahrungen des horizontalen Bodens zurück.

Was geschah wirklich am Anfang der Zeiten, als der Mensch begann, in die Wolken abzuheben? „Es hatte aber alle Welt einerlei Sprache und einerlei Worte.“ Trotz Sündenfalls verstehen sich die Menschen. Oder haben wir hier einen Sündenfall durch Technik vor uns?

Vor dem Fall gab es die Einheit der Menschen durch einheitliche Sprache. Doch Harmonie ist langweilig. Auf zu neuen Ufern. Die Technik wird erfunden: Ziegel brennen, der Asphalt dient als Mörtel, lasst uns eine Stadt bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reicht. Und wozu? „So wollen wir uns ein Denkmal schaffen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.“

Technik als Mittel, die Gemeinschaft zur Machteinheit zusammenzuschmieden und zu erhalten. Die Menschheit will eine Einheit bleiben. Doch genau das, was verhindert werden soll, wird erreicht. Am Ende des technischen Aufschwungs steht die Spaltung durch Sprachverwirrung.

Wie gewöhnlich in Religionen wird dieser Fall als Strafe des Gottes für die Überheblichkeit des Menschen gedeutet. „Also zerstreute sie der Herr von dort über die ganze Erde und sie ließen ab, die Stadt zu bauen.“

Und also hieß die ruinierte Stadt Babel, auf Deutsch die Verwirrte, die Durcheinandergewirbelte. Seltsamerweise heißt Diabolo auf Deutsch der Durcheinanderwerfer. Ein sicherer Hinweis, dass es in dieser Geschichte mit teuflischen Dingen zugeht. Gott ist selbst der Diabolus. Der gute und der böse Gott sind eine einzige Person.

Betrachten wir Gott als Erfindung des Menschen, so dient er als Lückenfüller und Sündenbock für die Unfähigkeiten des Menschen. Versagen diese, haben sie stets eine gute Ausrede: nicht wir waren‘s, es war dieser Gott im Himmel. Hier beginnt die Abwälzung der „Schuld“ des Menschen auf nicht vorhandene Fabelwesen, denen man „zum Dank“ immer mehr Macht über das eigene Leben einräumen muss.

Schon Eva hatte die Schuld auf die Schlange geschoben. Wenn immer andere schuld sein sollen, kann der Mensch seine Lernfähigkeit nicht entwickeln. Lernen heißt Fehler in Versuch und Irrtum erklären, um sie nicht wiederholen zu müssen.

Der Beginn der heiligen Geschichte ist der Anfang der Lernunfähigkeit durch Verschieben eigener Fehler auf Wesen, gegen die man sich nicht wehren kann, weshalb man sie mit wachsender Macht ausstatten muss, bis sie allmächtig geworden sind und man auf die Stufe eines ohnmächtigen Kindes regredieren darf.

Ginge es logisch zu in den religiösen Etagen, müsste der Mensch angesichts eines übermächtigen Vaters im Himmel unschuldig sein. Das Gegenteil ist der Fall: der Mensch ist an allem schuld, Gott muss in allen Dingen unschuldig sein, ja, sogar die Schuld des Menschen auf sich nehmen, damit die Kreatur eine minimale Chance zur Seligkeit erhält.

Mit Logik und Widerspruchsfreiheit wäre das nicht passiert. Doch ein allmächtiger, allwissender und allpräsenter Gott ist das Grab der Logik: er will alles bewirken, alles verursachen und doch an nichts schuld sein.

Seid leise, wir erleben die Geburt des Gottes aus dem Gehirn des irrenden und wirrenden Menschen, der an seinem Schicksal nicht schuld sein will – und am Ende an allem schuld war.

Wohlgemerkt, der Herr, der von oben kommt, zerstört nicht selbst den himmelsstrebenden Bau. Er verwirrt nur die Sprache der Menschen. Das genügt, der Rest geschieht automatisch. Die Menschen verstehen sich nicht mehr und können nicht mehr kooperieren. Der Turm zerfällt als Folge der verlorenen Verständigungsmöglichkeit der Menschen.

Wenn man nicht mehr dieselbe Sprache spricht, verliert man den Zusammenhalt, zerstört man die politische Gemeinschaft. Der Mensch verwandelt sich aus einem zoon politicon in einen homo religiosus.

Ab jetzt kann der Mensch dem Menschen kein Mensch mehr sein. Alles läuft über die Bande der Vertikalen. Wenn du einem Menschen helfen willst, musst du Gott helfen, erst dann hast du einem Bruder geholfen. „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

Wer dem Schwachen helfen will, ohne den Sohn Gottes zu meinen, hat auch seinem Bruder nicht geholfen. Wer Charity üben will, muss ein heiliges Fest veranstalten, sonst hat er keine guten Werke getan.

Gott mischt sich in alle menschlichen Angelegenheiten. Im Grunde sind alle Nervenverbindungen zu Menschen primäre Nervenverbindungen zu Gott. Die soziale Kompetenz des Menschen in Freundschaft und Liebe wird ausgerottet, weil Gott alle Beziehungen an sich reißt.

Willst du ein Fest feiern, lade keine Freunde ein, sondern die „Hilfstruppen des Himmels“, die dir nicht auf reziproker Ebene Gutes „zurückzahlen“ können. Stattdessen wird der Himmel dir alles vergelten.

Es geht nicht um uneigennütziges Handeln, der Christ tut nichts umsonst. Doch der Lohn kommt von oben, die Menschen werden des mündigen Tuns auf gleichberechtigter Ebene entrissen. Alles muss über die jenseitige Vertikale laufen, damit die Beziehungen zu Freunden und Liebsten äußerlich funktionieren.

Wohlgemerkt: die Armen und Krüppel, denen man im Namen des Herrn Gutes tun soll, haben keine Chancen, zu Freunden und Brüdern zu werden. Sie dienen als beliebig auswechselbare Charity-Objekte. Nicht anders als die künstlich gezüchteten Bettlerheere im Mittelalter nicht um ihrer selbst willen abgespeist wurden, sondern um den Bischöfen als schlagkräftige Heere im Kampf um Einfluss im Staat zu dienen.

Lade zum Fest nicht Freunde und Brüder, sondern lade „Arme, Krüppel, Lahme, Blinde ein, und du wirst glückselig sein, weil sie dir nicht vergelten können; denn es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“ ( Neues Testament > Lukas 14,12 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/14/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/14/“>Luk. 14,12 ff)

Dasselbe wie bei der Rache. Räche dich nicht selbst, überlass Gott die soziale Interaktion: „Die Rache ist mein, spricht der Herr.“ Gott ist eifersüchtig auf die Fähigkeiten des Menschen, Freundschaften zu bilden und Gemeinschaften zu pflegen. Er ist eifersüchtig und neidisch auf die autonome politische Kompetenz des Menschen, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.

Gott will gebraucht werden. Also dringt er in den Lebenskreis der Menschen ein, zerstört das Gewebe der koinonia, um sich als unvergleichlich besseres Ersatzgewebe anzubieten. Gott kann nicht überleben, wenn der Mensch nicht von ihm abhängig ist.

Wie Frauen, die zu sehr lieben, weil sie liebend gebraucht werden wollen, so liebt Gott den Menschen, um ihn von seiner Liebe abhängig zu machen – die jener gar nicht benötigt. Das ist der Kern der Turmbau-Geschichte.

Warum zerstört Gott die gemeinsame Sprache der Menschen? Weil er Angst hat, die geeinte Menschheit könnte ihn einholen, überholen, ihn ersatzlos streichen: „Und der Herr sprach: Siehe, sie sind ein Volk und haben alle eine Sprache. Und dies ist erst der Anfang ihres Tuns; nunmehr wird ihnen nichts unmöglich sein, was immer sie sich vornehmen.“

Wie Eltern die Intelligenz ihrer Kinder in Grenzen halten, damit sie ihnen nicht über den Kopf wachsen, so verdirbt Gott die soziale Intelligenz des Menschen, um sich selbst unentbehrlich zu machen.

Das ist das Urspiel des „Teile und Herrsche“. Gott zerschlägt die Einheit der Menschen und zerstreut sie über die ganze Erde. So, in viele Völker auseinanderdividiert, voller Ressentiments und hasserfüllter Vorurteile, kann er jedes Volk gegen jedes Volk, jedes Individuum gegen jedes Individuum aufbringen.

„Jeder, der Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Väter oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen verlassen hat, der wird es vielfältig empfangen und das ewige Leben erben.“

Das also ist die Uneigennützigkeit der Christen. Sie sollen nicht nur ihre Liebsten, sondern auch ihr Eigentum dahingeben: im Himmel wird es ihnen vielfältig vergolten. Die Rendite der Agape wird grenzenlos sein. Man tut, als ob man auf das ordinäre do ut des (ich gebe, damit du gibst) verzichtet. In Wirklichkeit wird am Ende grenzenlos belohnt und bezahlt.

Unter der Dominanz der religiösen Vertikale kann der Mensch seine soziale Kompetenz nicht lernen, er soll sie auch nicht lernen. Lernend und reifend kann er sich nicht vervollkommnen. Er darf nicht perfekt werden.

Nur im Glauben – ohne empirische Belege – kann er vollkommen werden. „Ihr nun sollt vollkommen werden, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ Die Vollkommenheit des Menschen ist abhängig von der Vollkommenheit des Vaters.

Die Entwicklung des Menschen darf keine Evolution durch selbständiges Lernen sein. Seine Perfektion muss er von anderen Mächten erwarten: von der Darwin‘schen Natur, der wirtschaftlichen Überlegenheit des Hayek‘schen Marktes, der Fortentwicklung des Computers zum fühlenden und denkenden Gehirn (Kurzweil) – oder vom Gott der Geschichte.

Bei dem jesuitischen Anthropologen Teilhard de Chardin ist es Christus, der die Geschichte als Alpha beginnt und als Omega beendet: „Weil Christus der Punkt Omega ist, ist das Universum bis in das materielle Mark hinein durchtränkt von dem Einfluss seiner übermenschlichen Natur.“

Womit er das Wort in der Offenbarung des Johannis erfüllt: „Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Dürstenden aus dem Quell des Lebens geben umsonst. Wer überwindet, wird dies erben.“

Der Quell des Lebens ist der Todfeind des natürlichen Quells, des irdischen Wassers. Die Welt muss in eine Wüstenei verwandelt werden, die man erst überwinden muss, um als Endsieger den eschatologischen Hürdenlauf zu beenden.

Wo ist der Widerspruch abgeblieben? In der zerstörten Sprache. Kein Mensch kann den andern verstehen, wenn die Gesetze des Denkens zerstört sind. Wenn gemeinsames Aufspüren unserer Missverständnisse in verdeckten und offenen Widersprüchen, wenn Finden einer gemeinsamen Sprache verpönt wird, bleiben wir im Gehäuse autistischer Einzelwesen isoliert.

Eine gemeinsame Sprache ist eine mit einem Mindestmaß an gemeinsamer Wahrheit ausgestattete Sprache. Wir werden nicht lernen, unsere Geschicke auf Erden zu meistern, wenn jeder bei der eigenen Logik, beim eigenen Idiom verharrt und wir keine Dolmetscherfähigkeiten entwickeln, um unsere Sprachen ineinander zu übersetzen.

Als sich die Demokratie in Athen entwickelte, gab es viele Sprachen und Redeweisen. Um sich zu verständigen, entwickelte Aristoteles die Prinzipien der Folgerichtigkeit und der logischen Konsequenz. Ohne diese Fähigkeiten hätte es keine Herrschaft des gleichberechtigten Volkes geben können.

Als die Athener diese Fähigkeiten verloren, als sie verlernten, sich auf der Agora mit schlüssigen Instrumenten der Argumentation zu streiten, sich anzunähern, sich zu verständigen, waren die Tage der Demokratie gezählt.

Heute wird Logik als totalitärer Logozentrismus über Bord geworfen. Die Folgen sehen wir im schleichenden Verschwinden der demokratischen Kompetenz.

Nehmen wir als aktuelles Beispiel die Niederlande (TAZ-Interview von Gunda Schwantje mit der Ökonomin Esther-Mirjam Sent):

Seit die Pfarrer nichts mehr zu sagen haben, verschwindet der Sinn des Lebens. Es gibt keine Visionen mehr, so eine Professorin.

Die ganze Zeit galt Helmut Schmidts Zynismus: Wer Visionen hat, soll zum Arzt. Das Abfluten der Glaubensgewässer hinterlässt nur Morast und Abwässer, weil der Vernunft, die das Ruder übernehmen müsste, die rote Karte gezeigt wird. Glaube – oder Vernunft. Ein Drittes gibt es nicht.

Im Land gibt es nur noch Widersprüche. Zwei extreme Parteien, die eine links, die andere rechts – doch beide konservativ? Politische Chiffren werden abgeschliffen, unscharf und beliebig, sowohl widersprüchlich wie unbegrenzt kompatibel, indem sie sich in harmloser Nettigkeit auffressen. Einerseits gibt es eine Sehnsucht nach vergangenen Tagen, andererseits müssen die Bürger „neue Werte mitproduzieren“.

Wie wär‘s mit ganz alten Werten der Demokratie? Können Werte nach Belieben „produziert werden“? An welchem Fließband in welcher Fabrik? Niederländische Kinder gehörten zu den glücklichsten der Welt, doch es herrsche Unzufriedenheit im Land.

Merkt niemand den schreienden Widerspruch? Wer glücklich ist, ist zufrieden. Ist er’s nicht, kann er nicht glücklich sein. Kann man nicht beides gleichzeitig sein?

Wohl leben wir in Widersprüchen, doch das ist der Grund, warum wir stagnieren und apathisch werden. Erst wenn wir diese Widersprüche wahrnehmen würden, könnten wir eine rationale Vision entwickeln. Wer bei Glück an Langweile denkt, steht im Widerspruch zwischen Lustangst und glücksverheißendem Einklang mit der Natur.

Die Moderne ist ein Steinbruch voller Widersprüche. Die Linke weiß nicht, was die Rechte tut. Und wenn sie es weiß, macht sie das Gegenteil. Zwei Schritte nach vorn und drei zurück. Gas geben und auf die Bremse treten. Nach links blinken und nach rechts abbiegen. Die Konservativen bewahren nichts, die Progressiven stagnieren, die Linken beten die Arbeit an, die Kompromisse haben ihre ursprünglichen Meinungen vergessen.

Allmählich ahnen wir, wie wir gefesselt sind in unseren unbewussten Widersprüchen, Ambivalenzen und Denkfaulheiten. Wären wir im Reinen und Klaren mit uns, würden wir eine rationale Politik machen.  

Denken heißt einhellig mit sich werden. Wer mit sich nicht einhellig wird, kann mit der Natur nicht einhellig werden.