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Millionenspiel

Hello, Freunde des Millionenspiels,

was vor Jahren ein preisgekröntes Fernsehspiel in einem fiktiven Privatsender war, fand gestern in der ARD unter der Regie des Deutschland-bin-Ich-Darstellers, Drei-Sterne-Rechercheurs, Kriminalisten, BILD-Kumpans, gnadenlosen Entlarvers und Tele-Vollstreckers Günter Jauch statt.

Eine öffentliche Hatz gegen einen ausländischen Politiker unter der Pegidissima-Devise: haltet den hellenischen Dieb der deutschen Rentner-Groschen, den Scharlatan, der vorgibt, brillanter Ökonom zu sein, den Beleidiger Schäubles – der gebrechlichen Vater-Figur der deutschen Gesellschaft –, den linken Don Quichote, der gegen die neoliberalen Stahlmühlen Brüssels antritt, den virilen Motorrad- gegen den demütigen Rollstuhlfahrer, den eloquent amerikanisch sprechenden Wirtschaftsexperten gegen den englisch radebrechenden Juristen, der die Dogmen einer hayekianischen oeconomia militans et triumphans als Regeln eines ehrbaren altdeutschen Kaufmanns und verlässlichen Hausvaters ausgibt.

Was fehlte? Die Kamera mit dem Fadenkreuz, mit dem die in herzlicher Eintracht verbundenen Jauch- und BILD-Meuten den Bonvivant aus dem Kabinett Tsipras vor laufender Kamera hätten herausschießen und exekutieren können. Schon das Ambiente mit Ikea-Standardregal Billy und abgegriffenen Studentenschwarten im Hintergrund bei immobiler Standkamera sollte dem deutschen Publikum Schlichtheit und Einfachheit vorgaukeln.

Jauch als gnadenloser Ankläger, ehrenamtlicher Regierungssprecher und Verteidiger abendländischer Survival-Werte übertraf sich selbst und spielte die Rolle seines Lebens. Ohne Zweifel: Jauch, beliebtester Deutscher und Kandidat für alle lukrativen Posten und Ehrenämter, brachte sich

in politische Stellung. Nicht Merkel, nicht Steinbrück sollen Nachfolger Gaucks werden. Ab gestern muss es heißen: Jauch for president.

Eine schamlosere und selbstgefälligere „Deutschland-über-alles-Sendung“ war nie. Heute Abend zum gleichen Thema: Plasberg, Rohrstockmoderator, in erhobener Frontal-Stellung, wie Saul das Volk um Haupteslänge überragend. (1 Sam. 9,2)

„Ich bin der Chef im Ring“, sagte ein Schweizer Moderator seinen beiden eingeladenen Kolleginnen aus China und der Türkei, als sie es wagten, zu ausschweifend zu parlieren. Angemessene Länge und Kürze einer Rede bemessen sich nach der vermuteten Aufmerksamkeitsquote des leicht gelangweilten und zur Zerstreuung neigenden Publikums. Nicht nach der Qualität oder Stringenz des gesprochenen Inhalts.

Erfolgt nicht die erwünschte Antwort oder zeigt sich der Mitdisputant dem Moderator allzu weit überlegen, wird er vom Gesprächsdompteur – zumeist einer energisch sein wollenden Frau in reinen Männerrunden – harsch ausgebremst. Wie oft hat ein Redner seine Hauptthese durch herleitende Worte präpariert, um sie als schlüssiges Fazit zu präsentieren – und kurz vor seinem Ergebnis wird er von den Chefs im Ring rüde unterbrochen, die auf die Meinung des Gesprächs-„Partners“ nicht im Geringsten neugierig waren. Das Gespräch wird zur beliebigen Wiederholung eines verbalen Koitus interruptus.

Die Phönix-Variante des gnadenlosen Unterbrechens besteht im Vorwand, dem verblödeten Publikum etwas erklären zu müssen, was es angeblich nicht wissen kann – obgleich alle Spatzen es von den Dächern pfeifen. Da der „Ball“ von jedem Redner unmittelbar an den Moderator zurückgegeben werden muss, das Spiel zwischen den Gästen unerwünscht ist, kann es zu keinem lebhaften „Schlagabtausch“ konträrer Meinungen kommen. Der Moderator ist ein eifersüchtiger Gott und duldet keine Streitsequenzen, die von seinen – oft von Karteikarten abgelesenen – Wortzuteilungen unabhängig wären.

Den Verlauf des Gesprächs bestimmt nicht die Logik der streitbaren Gedanken, sondern die vorbereitete Assoziationskette der Gesprächstyrannen. Das Gespräch ist mitnichten ein demokratischer Wettstreit auf der Agora, sondern ein Ringelreihen rund um gnädig worterteilende Phraseure.

In öffentlich-rechtlichen Medien gibt es keine Gesprächskultur. Die Moderne hasst aporetische Dispute, Gespräche ohne Ergebnisse, die von der Presse schwarz auf weiß wiedergegeben werden könnten. Es kommt darauf an, was „hinten raus kommt“, wie der vorderpfälzische Philosoph Helmut Kohl formulierte – der keine Mühe hatte, am folgenden Tag seine früheren Äußerungen für nichts zu erklären: was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.

Ein wahres Gespräch ist nur möglich als Dialog zweier Partner, die bereit sind, die Ursachen der Meinungsverschiedenheiten in anamnestischer Mühe zu ergründen. An welcher Stelle waren wir noch einer Meinung? Wo sind wir auseinandergedriftet? Welch unterschiedliche biografische Erfahrungen haben uns intellektuell auseinander getrieben?

Die Grundannahme des sokratischen Dialogs – dass unverbildete Kinder von Natur aus einer Meinung seien – wird von der Moderne verworfen. Alles, was nach Einheit riecht, ist für sie Zwang und Dressur – doch wehe, man verwirft Zeitgeistimperative wie Kapitalismus, Fortschritt oder: alle Religionen sind Früchte der Liebe.

Eliten sind geistig planiert und nivelliert. Ihre Erfolge determinieren ihr Weltbild: jeder kann, wenn er will. Wer scheitert, ist selbst schuld. Die Zukunft – die niemals eintritt – ist Ziel eines unendlichen Strebens, das nie zur Ruhe kommen darf. Ruhe ist Stillstand, Muße und Glück sind Motivationskiller. Das Gute kommt durch das Schlechte, dem man nicht ausweichen darf. Egoismus ist der Motor des Wohlstands, der nie zum gefühlten Wohl ausarten darf, damit die Reise in eine unbekannte Zukunft unter ständiger Gefahr des Scheiterns fortgeführt werden kann.

Erfolgreiche sind immer einer Meinung. Loser hingegen müssen durch Welten getrennt sein. Auch hier gilt das „Teile und Herrsche“. Wer einer Meinung sein darf, kann miteinander kooperieren. Eine Mär, dass in Oberschichten der Wettbewerb am schärfsten wäre. In den oberen Etagen gibt es fast keinen Wettbewerb. Man hält zusammen wie Pech und Schwefel. Wie anders wäre die zeitenüberdauernde Zähigkeit und Dauerhaftigkeit des Adels, der Reichen und Gebildeten zu erklären?

Hinzu kommt, dass Eliten sich vor allem durch sich selbst erneuern. Die Oberschichten, die die Weltdeutungen ihrer Abhängigen bestimmen, verurteilen die Unteren zu unüberbrückbaren Differenzen. Obgleich diese täglich hautnah erleben, dass es ihren Nachbarn so schlecht ergeht wie ihnen, dürfen sie nicht eines Geschlechtes sein.

Für Griechen war Natur die Mutter aller gleichberechtigten Lebewesen. Erlöserreligionen kennen zwei diametral verschiedene Arten von Wesen, die von Ewigkeit zu Ewigkeit nichts miteinander gemein haben. „Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, welche du mir gegeben hast.“ Gottes unergründliche Gnadenwahl spaltet die Menschen in zwei völlig unterschiedliche Gattungen:

„Weil ihr nicht aus der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, deshalb hasst euch die Welt. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und wenn sie euch ausschließen und schmähen und euren Namen als bösen erachten. Den Jakob habe ich geliebt, den Esau aber habe ich gehasst.“

Leibniz’ Monaden sind kugelrunde, verschlossene, geistig-atomare Symbole für isolierte Menschen, die zur Kontaktaufnahme unfähig sind. Würde Gott die Verschlossenen nicht durch gnädige Intervention lenken und leiten, wäre das Zusammenleben nach Leibniz nicht anders als bei Hobbes: jeder wäre dem anderen ein Wolf. Fiele Gott weg, blieben nur Aliens, die sich im anderen nicht erkennen.

Im Bereich der Religion kann es keine Dialoge geben. Jeder Mensch ist vom andern höllenweit entfernt – oder himmlisch identisch mit ihm. Wer die Menschheit in Fremde aufspaltet, die nichts Gemeinsames teilen, verurteilt sie zur Dialogunfähigkeit. Dann hätte jeder nur seine vergangenheitslose Meinung, deren Entstehung nicht ergründet und deren Unterschiede nicht überbrückt werden könnten.

Im sokratischen Dialog kehren die Partner mit Hilfe der Logik in die Vergangenheit ihrer Meinungswerdung zurück. An irgendeiner Stelle waren die Streithähne gleicher Meinung gewesen. Haben sie den gemeinsamen Urboden rekonstruiert, können sie die Ursache der nun beginnenden Differenzen erkennen. An diesem Punkt können sie „einträchtig in der Wahrheit“ werden. Die Eintracht, das sich gegenseitige Verstehen haben sie sich selbst erarbeitet.

In Heilsreligionen kommen alle Erkenntnisse als Offenbarungen von oben. Die Weisheitsfähigkeit der Menschen wird verflucht: „Ich danke dir, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen und es Unmündigen geoffenbart hast. Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott, durch die Torheit der Predigt die zu retten, die glauben.“

Hier entsteht die Misologie, die von Kant mit „Hass auf die Vernunft“ übersetzt wird. Die feindselige Ablehnung des Logos, des Denkens, ist identisch mit der Unfähigkeit zum verständigen Dialog. Wer Vernunft nicht als gemeinsame Potenz der Menschen anerkennt, kann nur labyrinthische Talkshows führen, deren Ideal das unverständige Chaos ist.

Je mehr die Menschen ihre Unterschiede betonen, je uniformer sind sie mit jenen Meinungen verschmolzen, die ihnen von mächtigen Meinungsführern aufoktroyiert wurden. Das ist die Crux der Moderne: sie will unüberbietbar individuell und originell sein und ist doch nur ein vollständiger „Gipsabdruck“ (Kant) der herrschenden Meinungen.

Unterschichten, die sich nicht verstehen dürfen, sind für Oberschichten keine Gefahr. Sie sind leicht zu führen, weil sie von ihrer Einmaligkeit überzeugt sein müssen.

Der Kapitalismus wird erst überwindbar sein, wenn die gespaltenen Individuen ihre Unvergleichlichkeit im Spiegel ihrer menschlichen Gleichwertigkeit erblicken. Erst auf der Basis der Gleichberechtigung können Menschen ihre Einmaligkeit erkennen, die nicht in autistischer oder solipsistischer Atomisierung besteht, sondern in anregender „Verschiedenheit des Gleichen.“

Der Neoliberalismus lässt keine Gleichheit zu. Doch seine behaupteten Ungleichheiten sind nur quantitativer Natur. Die Individuen unterscheiden sich allein durch quantitative Grade der Macht und des Reichtums. Qualitativ sind sie Klone der Habgier.

Der vielgerühmte Individualismus der liberalen Ökonomie setzt gleichförmige Exemplare des homo oeconomicus voraus. Wer dieser Norm nicht genügt, kommt unter die Räder. Die Welt besteht für Neoliberale nur aus quantitativ verschiedenen Gütern, die durch Geld – dem Hauptinstrument der Quantität – käuflich erworben werden können.

Ludwig von Mises sieht in der Allmacht des Geldes die Chance, alle humanen Güter des Daseins gegen Cash zu erwerben. Der Mensch muss weder freundschafts- noch liebesfähig sein, er kann ein roher Klotz und Barbar bleiben. Besitzt er das nötige Kleingeld, kauft er Liebe und Freundschaft zum Schnäppchenpreis. Was ist Weisheit, was menschliche Reife und Humanität, wenn ich die Gunst der Menschen erkaufen kann?

Versteht sich, dass demokratisches Streiten, Abstimmen und Wählen überflüssig ist, wenn ich die Stimmen kaufen kann, um die Allmacht über die Polis zu erwerben.

Der Neoliberalismus ist der Tod der Demokratie. Er setzt humanoide Maschinen des Gelderwerbs voraus. Menschliche Gefühle und Gedanken sind zum naturverpestenden CO2-Ausstoß geworden. Weder vor dem Geld noch vor dem Gesetz können bizarre Aliens gleich sein. Wer nicht den Gesetzen der Quantität gehorcht, um den ist es nicht schade, wenn er den Erwählten nicht den Sauerstoff raubt und von der Bühne der Welt abtritt. Überflüssige und Schwache können von der Natur nicht ernährt werden: dieser Glaube des Pastors Malthus ist zum herrschenden Glauben des weltumspannenden Kapitalismus geworden.

Unglaublich, aber wahr: in der gestrigen Jauch-Performance ging es um die Kritik der neu gewählten griechischen Regierung am verhärteten Hayekianismus der EU – und kein einziges Wörtchen fiel zum Inhalt der Kritik. Schon die Auswahl der Gäste zeigte – mit Ausnahme von Ulrike Herrmann, die sich fast übersachlich gab, um den vergifteten Emotionen keine Nahrung zu geben –, dass die Runde auf Krawall gebürstet war.

Hier der heutige Herrmann-Kommentar zur Troika. Man hätte sich gewünscht, dass die TAZ-Frau den Machos noch deutlicher heimgeleuchtet hätte:

„Nur der Nationalismus hat allseits zugenommen. Viele Griechen empfinden die Troika als „Besatzer“ und haben das Gefühl, dass allein das Ausland an ihrer Misere schuld ist. Die Griechen sind in ihrem Stolz verletzt. Auch sinnvolle Reformen werden blockiert, weil sie vom Ausland oktroyiert werden. In Deutschland ist es nicht besser, der Nationalismus äußert sich nur anders. Hier herrscht bräsige Selbstgerechtigkeit, die Finanzminister Schäuble gern bedient. Man will die Griechen wie Kinder „erziehen“.

Ernst Elitz, Alt-Radaubruder der BILD, und der strauß-imitierende CSU-Sixpack Söder, hatten, außer bierseligen Unverschämtheiten, nichts zu bieten. Sie spielten sich auf, als wollten sie den Griechen vorschreiben, welche Regierung sie zu wählen hätten, wenn sie die Gunst der überlegenen Deutschen erringen wollten. Söder verstieg sich zur verräterischen Formel, die Athener Schwätzer sollten gefälligst Schäuble folgen.

Die bei Hayek unpersönlichen Regeln des Marktes erhalten von Söder den Namen eines irrelevanten Menschleins, das niemals in der Lage wäre, die überragende Intelligenz des Marktes zu erklären oder zu verteidigen.

Die Herren waren guillotine-appetent, doch der kluge und souveräne Grieche wies sie kühl in die Schranken.

Fast alle deutschen Kommentare zu Jauch sind höhnisch bis hämisch. Den einen sprach Varoufakis zu viel, den anderen zu wenig. Niemandem fiel auf, dass Jauch eine Hinrichtung per Entlarvung inszeniert hatte. Schon die eingespielten Videos des jungen Akademikers wurden mit Schauspielerstimmen unterlegt, die in gekonnt ambivalentem Sound Misstrauen an Varoufakis schüren sollten. War er tatsächlich ein studierter Ökonom? War er nicht ein aufgeblasener Scharlatan, dem man früh die Flügel hätte stutzen müssen?

Keine einzige Frage zum phänomenalen Buch des scharfsinnigen Griechen: „Der globale Minotaurus“. Wie im heutigen Beschleunigungs-Journalismus üblich, liest kein Interviewer mehr das Buch des Verfassers, den er befragen soll. Der Schreiber hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den Inhalt des Buches in einsdreißig zusammenzuhaspeln. Wer es nicht könnte, wäre schon im Vorfeld ausgeschieden. Wer‘s nicht wollte, wäre für alle Medien wegen Eigendünkel gestorben, bevor er überhaupt bekannt worden wäre.

„Ich bin hier der Boss“ ist das Machtgetue aller Talkmaster und Edelschreiber. Wer sich den Unterwerfungsregeln der Vierten Allmacht nicht fügt, ist persona non grata. Sachliche Fragen wurden Varoufakis überhaupt nicht gestellt. Dazu fehlte den Stammtischstrategen alles, die nationalistische Ressentiments und Verdächtigungen in Richtung Athen emittierten, sodass es allen Zuschauern schlecht gegangen wäre, wenn es bereits sensuelle Ganzheitsbildschirme gäbe.

Das Gespräch war das erste in Deutschland mit einem Vertreter der neuen Regierung. Erste Kontaktgespräche haben den Sinn, ein Grundvertrauen herzustellen, um auf dieser Basis die Differenzen zu bearbeiten.

Nicht so bei Jauch, der den Neuling in deutschen Wohnstuben mit unsachlichen und persönlichen Vorwürfen überhäufte. Kaum, dass der Angesprochene in überlegener Form auf die Unterstellungen einging, wurde er von Meister Jauch unterbrochen und mit weiteren Vorwürfen überschüttet.

Als Ulrike Herrmann, die einzige deutsche Stimme der Vernunft, den Standpunkt der Griechen erklärte, reagierte Jauch, wie alle deutschen Interviewer bei Dissens zu reagieren pflegen: „Sie sehen, Herr Varoufakis, auch bei uns gibt’s Meinungsverschiedenheiten – trotzdem …“. Nach dem Trotzdem wiederholte der chauvinistische Eiferer seine zuvor geäußerte Meinung.

Trotzdem: das ist die Zauberformel inkompetenter Schreiber, die nicht mal den Versuch unternehmen, einen Dialog in Rede und Gegenrede einzufädeln. Varoufakis widerlegte alle Vorwürfe, doch keiner der Herren war in der Lage, seinen Widerlegungen stand zu halten. Anstatt auf die Argumente ihres Gegenübers – der für sie kein adäquater Gesprächspartner, sondern ein athenischer Eseltreiber war – einzugehen, warfen die liebreichen Herren die nächste Schippe Unrat in Richtung Mittelmeer.

Die deutschen Medien sind nur sensationsgesteuert. Ist nun das Video mit Stinkefinger gefälscht oder nicht? Varoufakis erklärte das Video zum Fake. Jauch, konsterniert, ließ seine Fachleute auf das Video los.

Er hätte zuhören sollen, was er selber sagte: dass Varoufakis in seiner Eigenschaft als griechischer Fachminister die deutsche Regierung beleidigt hätte. Wie kann Varoufakis als Minister jemanden beleidigen, wenn er auf dem Video – ob gefälscht oder nicht – gar kein Minister war?

Seine These hat Jauch mit inadäquatem Material belegt – und also betrogen. Das ist selbst der SZ aufgefallen:

„Was Jauch verschweigt: Vaorufakis spricht in dieser Aufnahme aus dem Jahr 2013 darüber, wie die griechische Regierung im Januar 2010 hätte handeln sollen. «Mein Vorschlag war, dass Griechenland sich einfach für insolvent erklären sollte, innerhalb der Euro-Zone, im Januar 2010», sagt Varoufakis. «Und es sollte Deutschland den Finger zeigen und sagen: Ihr könnt das Problem jetzt alleine lösen.»“ (Bastian Brinkmann in der SZ)

Was Varoufakis als Privatier sagt, kann seiner Ministertätigkeit nicht vorgeworfen werden. Welche Äußerungen macht Schäuble im Schutz seiner Familie über den frechen Herausforderer? Kommt‘s bald so weit, dass von der NSA abgehörte intime Aussagen an die diplomatische Glocke gehängt werden?

Was Jauch – als erster deutscher Gastgeber des Griechen – sich hier an BILD-Schweinigeleien erlaubt, zeugt von der verlotterten Qualität der ARD, die den Kwiss-Kasper als ihren besten Talkmaster ins Rennen schickt.

Hat Varoufakis Herrn Schäuble beleidigt? Das behauptet nicht mal die WELT:

„Vermutlich hat Varoufakis Recht. Äußerungen, in denen er den Bundesfinanzminister persönlich beleidigt hätte, finden sich nicht. Im Gegenteil. Öffentlich redet er immer sehr achtungsvoll über Wolfgang Schäuble.“ (Jan Dams in der WELT)

Schäuble jedoch hat Varoufakis beleidigt: a) indem er ihn für dümmlich-naiv erklärte, b) indem er ihm das Vertrauen der deutschen Regierung entzog. Das ist ein fundamentaler Verstoß gegen jede faire Verhandlungsführung. Die Stimmung in der EU muss derart autoritär sein, dass jeder Kritiker per se als unglaubwürdiger Dummkopf hingestellt werden kann.

Hat eine neue antikapitalistische Regierung nicht das Recht, die hayekianischen Regeln Brüssels zu attackieren? Hat Jauch ein einziges Mal die korrupten Reichenfreunderl und Vorgänger der Syriza-Regierung so attackiert wie Varoufakis?

Beim Stichwort Gerechtigkeit wandte sich Jauch hilfesuchend an Söder und fragte: Haben wir nicht auch einen Gerechtigkeitssinn? Wir? Wer ist Wir? Die Deutschen, Schäuble & Merkel? Hier agieren die Lügenmedien, wenn sie mit Hilfe vieldeutiger Sprache die Wahrheit verdrehen. (ZEIT Online)

In Washington gilt für jede neue Regierung eine Schonzeit von 100 Tagen. Die EU, Schäuble und die deutschen Medien fallen über die Syriza-Regierung her, als müsste sie innerhalb von Tagen das Gelbe vom Ei erfinden.

Nein, es gibt kein Zeitfenster, das sich automatisch schlösse. Die Fenstergucker sitzen im Kabinett und in den Redaktionen und haben sich an faire parlamentarische Gepflogenheiten zu halten. Was in Deutschland geschieht, ist ein nationales Bashing der Griechen.

Warum die Griechen? Weil sie noch nicht so abgestumpft die neoliberale Plutokratie durchwinken wie mittlerweilen ganz Europa von Lissabon bis ins Baltikum. Eine neue Regierung wird gemobbt und geprügelt, weil sie tut, was sie im Wahlkampf versprochen hat.

Bedarf es weiterer Beweise, dass die EU dabei ist, sich zu einem überstaatlichen demokratiefeindlichen Moloch aufzublähen? Jauchs Sendung war ein Tiefschlag für Europa, ein medialer Bankrott für Deutschland.

Jauch for president. Der gewiefte Selbstdarsteller in der Maske des ehrlichen Maklers könnte in Bellevue nicht so viel Schaden anrichten wie unter den Scheinwerfern seines überdimensionalen Studios.