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Freitag, 26. Oktober 2012 – Plagiat

Hello, Freunde der Genialität,

„weh dir, dass du ein Enkel bist“, bedauert Goethe die Nachkommen, die zum Plagiieren, Imitieren, Nachahmen, Abschreiben verurteilt sind. Sie können keine Genies und Originale sein, sie müssen das Alte reproduzieren. Zum Neuen sind sie unfähig, alles Wichtige ist schon gesagt. Nachkommen sind Epigonen, die im wörtlichen Sinne tatsächlich Nachkommen sind. Wir Spätgeborene stehen als Zwerge auf dem Rücken früher Giganten, tun aber, als seien wir den Giganten um Haupteslänge überlegen.

Um seine Originalität zu beweisen, muss man heute eine Doktorarbeit schreiben, die zu 110% darin besteht, bei anderen Leuten abzuschreiben. Wenn ich bewiesen habe, dass ich mit korrekten Anführungszeichen abkupfern kann, kriege ich summa cum laude mit Rücksicht auf die Eltern. Hab ich abgeschrieben ohne Anführungszeichen, heiße ich Guttenberg und Schavan und wollte den Doktortitel nur aus Fortkommensgründen.

Die Qualität von Kopfarbeitern wird an der Summe ihrer geschriebenen Seiten, Artikel und Bücher gemessen. Wer am meisten Buchstaben in gebundener Rede emittiert, wird an eine Exzellenz-Uni berufen. Wer noch mehr, kommt nach Harvard, Stanford und heißt Gumbrecht und darf zur Anerkennung in der FAZ schreiben, weil die klugen Köpfe dahinter unendlich viele Buchstaben verschlingen können, ohne dass man es ihnen am Anschwellen ihres Kopfes und Leibes anmerken könnte.

(Nebenbei: der Erfinder des original-genialen Satzes, „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“, hat gerade die OB-Wahl im unoriginellen Schtuegett verloren. Wahlkampf und Werbung hat „der, der alles kann, nur nicht Politik“, zu wenig auseinander gehalten. Da freute sich Klein-Fritzchen – aber abgeklärt wie

ein großer Staatsmann. Die Grünen mussten erst grau werden, bevor ihnen das Pietistenland wie wurmstichiges Ökoobst vor die Füße fiel.)

 

Einen ausgezeichneten Artikel zum Thema hat Evelyn Finger in der ZEIT geschrieben.

Seit wann, fragt Simplicius, ist Quantität gleich Qualität? Das weiß doch jedes Milchmädchen, dass man aus weißem Wasser keine Butter machen kann.

Man glaubt es nicht, es muss Professoren geben, die beim Neuen-Wahn tatsächlich noch Skrupel haben. Gerade die Originalitätssucht erzeuge Konformität. Wenn Studiosi einen Satz schreiben mit dem Begriff „Die Wissenschaft“, müssen sie erst nachweisen, wie oft und in welcher „Kontextualität“ derselbe seit Herman dem Cherusker in deutschen Bibliotheken zu finden ist.

Kann sich noch jemand des Wissenschaftstheoretikers Thomas Kuhn erinnern? Das war jener Kritiker Poppers, der in der Wissenschaftsgeschichte herausfand, dass es in der Realität der Wahrheitssucher anders zuging als Popper mit korrekter Falsifikation und experimentum crucis gefordert hatte.

Käme ein Juniorprofessor und bewiese mit Verve, dass sein renommierter Kollege nur Stuss geschrieben hätte, ja was dann? Stehender Beifall im Auditorium maximum? Der Widerlegte gäbe neidlos das Staffelholz an die nächste Generation, unter Murmeln des Satzes, es ginge nicht um Sokrates, sondern um die Wahrheit?

Um ein wirklich neues und revolutionäres Paradigma durchzusetzen, so Kuhn, müssten erst die alten Platzhirsche ein wenig abgestorben sein, bis das Neue Anerkennung fände. Wenn jeder Dissertant Neues brächte, müsste es zum rituellen Honoratiorenmord kommen, um ein neues Gedankenfündlein in die – hemmungslos plagiierenden – Wissenschaftsseiten der Gazetten zu bringen.

(Momentane Originalitätsglanzlichter der SPIEGEL-Rubrik „Wissenschaft“: Liebesduette bei Zaunkönigen stärken die Partnerschaft, Niederländer wollen Radwege beheizen – beim Verfeuern überflüssiger Wissenschaftsliteratur?)

„Der Anspruch, etwas Neues und Eigenes zu sagen, erzeugt bei den Studenten Angst, sich frei innerhalb ihres Wissensgebietes zu bewegen.“ War von Sagen die Rede? Würde jemand im Seminar wirklich was Ketzerisches sagen, könnte er sich gleich die Exmatrikulation abholen. Von Doktoranden, Habilitanden und sonstigen Tanten gar nicht zu reden, deren gesamte Lebensplanung von ihrem korrekt abgeschriebenen Renommiertext abhängt.

Der Soziologe Hans Joas will was Neues geboten kriegen, mit anderem ist sein faustischer Wissensdrang nicht zu befriedigen. Natürlich wisse er, dass das Neue per se nicht immer das Bessere sei. Da sei ein Irrtum, der aus der Wirtschaft komme.

Irrtum, Herr Professor. Auch ein Religionssoziologe sollte schon von der in hiesigen Landen nicht unbekannten Christenreligion gehört haben, die – gegen die zeitlose Wahrheit der Griechen – die Wahrheit temporalisiert hat. Wahrheit ist abhängig vom erreichten Stadium der Heilsgeschichte:

„Ist somit jemand in Christo, so ist er ein neues Geschöpf, das Alte ist vergangen, siehe, es ist neu geworden.“ „Denn weder Beschneidung gilt etwas noch Vorhaut, sondern nur eine Neuschöpfung.“ „Gedenket nicht mehr der früheren Dinge und des Vergangenen achtet nicht. Siehe, nun schaffe ich Neues.“ „Siehe, ich mache alles neu“. „Man füllt nicht neuen Wein in alte Schläuche, sonst zerreissen die Schläuche und der Wein wird verschüttet und die Schläuche gehen zugrunde. Sondern man füllt neuen Wein in neue Schläuche.“ (Dem Bilde gemäß müssten Doktoranden neue Schläuche heißen.) „In neuen Zungen werden sie reden“. „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wer nicht neu, von oben her geboren wird, kann das Reich Gottes nicht sehen.“ „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander lieben sollt.“ „Wir sind durch die Taufe auf seinen Tod mit ihm begraben worden, damit wir … in einem neuen Leben wandeln.“ „Schaffet den alten Sauerteig hinweg, damit ihr ein neuer Teig seid, darum lasst uns das Fest nicht begehen mit altem Sauerteig.“ „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blute.“ „Der uns tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes.“ „… sollt ihr anziehen den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist.“ „Siehe, es kommen Tage, spricht der Herr, da will ich … einen neuen Bund aufrichten.“ „Indem er sagt, einen neuen Bund, hat er den ersten für veraltet erklärt. Was aber veraltet ist und sich überlebt hat, ist dem Verschwinden nahe.“ „ den er uns eingeweiht hat als einen neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang.“ „… ich will auf ihn den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, schreiben.“ „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde sind verschwunden und das Meer ist nicht mehr … und der Tod wird nicht mehr sein und kein Leid noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ „Die Ersten werden die Letzten sein, die Letzten die Ersten.“ „Denn siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde; man wird der früheren Dinge nicht mehr gedenken und niemand wird sich ihrer mehr erinnern.“ „Wir erwarten aber nach seiner Verheißung neue Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt“.

Das Neue ähnelt dem Uralten im Paradies, das durch den Fall hoffnungslos korrumpiert wurde. Dennoch keine zyklische Rückkehr zum Ursprung, sondern linearer Fortschritt ins doppelt Unendliche: in himmlische Seligkeit und höllische Verworfenheit.

Das Alte ist nicht zu retten, es muss vernichtet werden. Die Wiedergeburt zu einem neuen Leben ist – durch Untertauchen im heiligen Wasser – die totale Auslöschung der alten Kreatur und eine tatsächliche Neuschöpfung von oben.

Die Eliminierung des Alten ist identisch mit der Auslöschung der Erinnerung. „Niemand wird sich ihrer mehr erinnern. Gedenket nicht mehr des Früheren“. In der Formel „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“ hat sich Freud von seinem jüdischen Mutterboden am meisten entfernt und sich auf griechisches Terrain begeben.

In schärfstem Kontrast zum jüdisch-christlichen Leben steht die Lehre von der Wahrheit als Erinnerung. Alle Wahrheit haben wir in uns, aber im verdeckten Zustand. Also müssen wir die Irrtums- und Lügenschichten wegräumen, um den Ursprung freizulegen.

Sokratische Mäeutik ist Erinnerungsarbeit ums unbefleckte Original, das wir vom Kosmos als unverlierbaren Bestandteil unserer Persönlichkeit erhielten, über den wir aber nur verfügen, wenn wir ihn ununterbrochen freischaufeln. Was du ererbt von deinen Müttern, erwirb es, um es zu besitzen.

Dass Platon aus der Wiedererinnerung die Folgerung eines präembryonalen Aufenthalts in einem Ideenreich zog – das dem christlichen Dogma entgegenkam – ignorieren wir.

In bestimmter Hinsicht wiederholt sich der Kampf um die Anamnesis bei Locke und Descartes. Lockes tabula rasa ähnelt der christlichen Auffassung der reinen, unbefleckten von vorne beginnenden Seele, die keine Altlasten mit sich herumträgt, welche mühsam ans Tageslicht geholt und gereinigt werden müssten.

Der Locke’sche Mensch lernt allein durch Wahrnehmungen der Außenwelt, die ergo die Qualität einer Offenbarung erhalten. Wenn ich keinen inhärenten Gradmesser der Wahrheit besitze, bin ich zur Kritik an den Botschaften der Umgebung nicht fähig.

Der außengeleitete Mensch, bei David Riesman noch kritisch gesehen, ist der eigentliche homo christianus, der seine Offenbarung von außen und oben erhält. In der Bekehrungsgeschichte des Saulus präzis beschrieben: „… und plötzlich umstrahlte ihn ein Licht vom Himmel her und er stürzte zu Boden.“

Erst bei dem platonisch gebildeten Augustin wandert Gott von außen ins Innere des Menschen und nimmt jene Stelle ein, die bei Sokrates und seinen Nachfolgern die Vernunft, der Logos, war.

Auch Descartes wollte den ganzen scholastischen Irrsinn endgültig entsorgen und hinter sich lassen. Doch seine Reinigung des Individuums scheute die Umwandlung der Vernunft in ein leeres Gefäß. Die eingeborenen Ideen allerdings sollten reine Vernunftprinzipien sein, die allen Menschen gemeinsam waren und von außen nicht bestätigt werden müssen.

Wohl war der Mensch auf empirische Sinnesinformationen von außen angewiesen, die durch angeborene Vernunft aber auf innere Stimmigkeit überprüft werden mussten. Ähnlich Kants Unterschied des a priori und a posteriori (von vorneherein und im nachhinein). Empirische Sinnesdaten muss der Mensch zwar von außen beziehen, doch sie müssen die Qualitätskontrolle der angeborenen Vernunft passieren, wo sie gründlich auf Herz und Nieren geprüft werden.

Man erkennt hier deutlich einen Unterschied zwischen dem mitteleuropäischen und dem insular-angelsächsischen Denken. Lockes Mensch war wesentlich außengeleiteter – damit auch leichter von außen verführbar, was dem kapitalismus-freundlichen Konsumismus mehr entgegenkommt, als dem eher konsumallergischen und kapitalismuskritischen Verhalten der Kontinentaleuropäer – als der innerlichkeitsgelenkte Lutheraner und Kantianer.

Ohne Amerika hätte sich die Omnipotenz der Außenwerbung in Alteuropa nicht durchsetzen können. Der „oberflächliche Optimismus“ des Amerikaners mag mit dieser Locke’schen Abschaffung eines angeborenen inneren Maßstabs zusammenhängen. Überflüssig zu erwähnen, dass „machtgestützte Innerlichkeit“ (Thomas Mann) nicht weniger verführbar ist als konsumgelenkte Äußerlichkeit.

Es ist klar, dass der neue Kontinent nicht viel zu erinnern hat. Im Gegenteil. Die neuen Einwanderer waren froh, das Elend des verrotteten Old Europe hinter sich gelassen zu haben. Deshalb sind die seltenen Erinnerungsszenen in amerikanischen Filmen immer nur persönlich und lokal eng begrenzt: „Weißt du noch, an der 40. Straße gab es damals noch den alten Jazzclub …? “

In Deutschland gibt’s aufgrund des Filmrisses im Dritten Reich so gut wie keine kollektiven Erinnerungen, die an die Geschichte pränazistischer Zeiten anknüpfen könnten. Der erste Erinnerungsknoten in der Nachkriegszeit ist Bern 1954: Rahn müsste schießen, Rahn schießt: Tooor, Tooor, Toor. Kann eine Nation „stolz“ sein auf ein gewonnenes Fußballturnier? Kann sie auf Fritz & Ottmar Walter eine nationale Identität gründen?

Dasselbe Problem bei der traditionellen Verankerung der Parteien. Die Christen hätten noch das älteste Programm, allein, kein Mensch kennt die Heilige Schrift und niemand aus CDU/CSU möchte daran rütteln. Das Erwachen wäre zu schrecklich, dass die heutigen Apokalypsen von biblischen Schriftstellern gewollt und vorhergesehen wurden.

Die FDP hätte noch am ehesten die Chance, auf den angelsächsischen Liberalismus zurückzugreifen. Doch kein neoliberaler Ökonom will mit Adam Smith etwas zu tun haben oder nach dem Crash an Hayek & Co erinnert werden – wenn er ihn überhaupt kennt.

Die Linken haben Marx im Schrank, den sie keinen Deut anders behandeln als die Christen ihre Heilige Schrift. Irgendwie hat er alles schon gewusst und vorausgesehen. Konkret aber kann man nichts mehr mit ihm anfangen. Die kritische Fortentwicklung linker Ideen über Bernstein bis Popper kennt man ohnehin nicht.

Die schlimmste tabula rasa findet sich bei den Grünen, deren Naturvorstellungen mit den Nazis assoziiert werden, weshalb sie keinen einzigen Heiligen anzubieten haben, den sie als Trophäe in den Schrank stellen könnten. Dass die originale Ökophilosophie aus dem zirkulären griechischen Denken kommt, hat sich bei Wuselkopf Fischer und allen pastoralen Damen von Künast über Roth bis Göring-Eckardt noch nicht herumgesprochen.

Natürlich haben die Nationalsozialisten Naturverklärung bei den Romantikern inhaliert. Aber religiöse Naturverklärung ist nicht zyklische Naturerklärung. Romantiker waren auch knallharte Bergwerks-Ingenieure, die keineswegs eine Rettung der Natur beabsichtigten. Ihre Natur wurde viel zu sehr mit dem Jenseits in Verbindung gebracht. Ihre blaue Blume war mehr das Symbol für Mutter Maria als eine reale kostbare Pflanze.

Nazis waren durch und durch schizophren. So sehr sie den schönen Wald so hoch da droben besangen, so rücksichtslos konnten sie die Natur beschädigen, um ihre Waffentechnologie unabhängig von ausländischen Ressourcen zu machen. Hitler war ein sentimentaler Natur-Anbeter wie ein eisenharter Technikbewunderer und Maschinennarr.

Der Westen hat nicht viel zu erinnern. Seine Geschichte ist voller menschlicher Katastrophen, daran erinnert er sich nicht gern. Vorbei ist vorbei.

Die Moderne leidet an progressiver Amnesie. Ihre Sünden von den Kreuzzügen über die Verwüstungen der außerchristlichen Welt bis zum Holocaust will sie verleugnen und ungeschehen machen.

Historiker unermüdlich an vorderster Stelle, um alles zu relativieren und zu historisieren. Sodann die postmoderne Philosophie, die nur Wandel und die Sucht nach dem Neuen kennt. Begleitet von unendlichen Produktionszwängen der Industrie auf steter Suche nach der nächsten Wundermaschine. Untermalt vom theologischen Grundakkord der Vernichtung der alten Natur, in Erwartung des neuen Himmels und einer neuen Erde.

Bergson lehnte exemplarisch das Statische, Logische und Rationale ab, das er das Alte nannte. Er wollte ein ständiges Fließen in Richtung auf ein Neues, das nie greifbar und definierbar werden durfte. Das Ziel des unendlichen Fließens durfte weder erkennbar noch erreichbar sein. Wer ein klares Ziel ansteuert, das durch Handeln erreicht werden soll, wird abgeschmettert mit dem Argument, dass ein im Voraus gewusstes Ziel ja nichts Neues wäre.

„So sind wir verurteilt, im Handeln blinde Sklaven des Instinkts zu sein: Ruhelos und unaufhörlich stößt uns die Lebenskraft vorwärts. In dieser Philosophie ist kein Raum für einen Augenblick kontemplativer Einsicht“, wie Bertrand Russell kritisch schreibt.

Wer immer das Neue will, braucht Genies, die das Neue ex nihilo schaffen. „Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt“, definierte Kant den kreativen Menschen, der in der Romantik zum gottgleichen Creator emporgehoben wurde. Ein Genie zeichnet sich durch Originalität seiner Produkte aus, wie es beispielhaft in der Kunst zelebriert wird.

Kunst aber ist nicht lehrbar und in ihren Ergebnissen nicht erklärbar. Der Geniekult der Kunst hat längst alle Sparten der Moderne durchdrungen. Alles soll irrational, instinktiv, rassistisch und triebgesteuert sein. Mit einem Wort: genial. Nur Genies können das Neue in ihrem rauschhaften Schöpferdrang aus sich herausschleudern.

Dieses Unerlernbare und Unerklärbare sollen deutsche Studenten und Doktoranden in öden, verschulten und geisttötenden Seminaren – erlernen. Hier entlarvt sich die Moderne bis auf die Knochen. Indem sie der Geniereligion und dem Neuigkeitswahn huldigt, zeigt sie, dass sie vom Lernen nichts hält. Lernen ist medioker, borniert und macht gleich. Nur Genialität bringt die gottgewollten Unterschiede zum Leuchten.

Die Moderne ist keine lernende Gesellschaft, sondern ein eruptiver Vulkan des Unberechenbaren, Riskanten und Abenteuerlichen.

Bedeutet die Absage ans Geniale eine ewige Reproduktion des Gleichen? Wie wär‘s mal – horribile dictu – mit Kritik am Traditionellen? Kritik ist auf Neues nicht geeicht. Sie könnte das Älteste für richtig halten, weder das Alte noch das Neue hält sie für sakrosankt. Sie sucht überhaupt nichts Heiliges. Sondern schlicht und einfach das Wahre.

Die Natur ist immer alt und immer neu. Sie ist zeitlos wahr. Dessen müssen wir uns nicht schämen: Erkenntnis ist nichts anderes als Plagiieren und Imitieren der vollkommenen Natur.

Wie schrieb Tolstoi? „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, aber jede unglückliche Familie ist auf ihre besondere Art unglücklich“.