Kategorien
Tagesmail

Freitag, 25. Mai 2012 – Alexander Rüstow

Hello, Freunde der Spaßbremsen,

Jan Feddersen berichtet für die TAZ aus Baku und fordert Gerechtigkeit für Aserbeidschan. Es sei ein westlich anmutendes Land, Religion und Staat seien getrennt, mit einem Ajatollaland nicht zu vergleichen. Auf dem Papier seien selbst die Schwulen anerkannt. Gewiss doch, es gäbe noch ein paar kleinere Probleme, doch die sollte man nicht aufbauschen. Einen Kritiker von Amnesty International nannte er einen Menschenrechtisten und eine Spaßbremse. Von SPIEGEL-Niggemeier wird er deshalb scharf kritisiert. Die TAZ macht ein harmloses PRO und CONTRA aus dem Fall.

Wenn demnächst Merkel nach China fährt, sollte sie möglichst keine Menschenrechtsverletzungen anprangern. Peking könnte sie als Spaßbremse bezeichnen.

Der nächste Schritt, den der lockere Feddersen gehen könnte, wäre die Untersuchung jener Oppositionellen, die für Freiheit eintreten und von den Schlägern des Despoten niedergeknüppelt werden. Ihnen müsste er ordentlich die Meinung sagen: Ihr Opfer, blast euch nicht so auf vor ausländischen Kameras. Ihr nutzt nur die Gelegenheit des Sängerwettbewerbs, um euch als Edelmenschen vor dem Ausland zu präsentieren. Jan Feddersen ist ein sehr gerechter Mann und duldet keine Übertreibungen, schon gar nicht im Kampf gegen sympathische Despoten.

Für Russland treten im Eurovision Song Contest die Buranowskije Babuschki auf, waschechte Großmütter mit Runzeln, Zahnlücken und Goldzähnen. Ihre Originalsprache ist das Udmurtische. Motor des Ensembles ist Galina, 73, die in Udmurtisch Bienenkönigin genannt wird: Muschmumy. Während bei uns

der Jugendwahn herrscht, unter freundlicher Leitung alter Männer, dürfen agile Großmamas das östliche Riesenland vertreten. Bei uns undenkbar, dass Urmütter von der Alm mit zittrigen altbayrischen Jodlern auch nur in die Vorwahl kämen.

Es gibt nicht nur Quacksalber und Creationisten, es gibt auch ihre Kritiker. Barbara Kerneck schreibt in der TAZ über „Die Skeptiker“ (GWUP), die alles Übersinnliche und Phantastische attackieren, das sich wissenschaftlich gibt. Zu den Scharlatanen gehören nicht nur die üblichen Verdächtigen aus der Kaffeesatzecke, sondern die seriöse Wissenschaft. Der größte Teil der Medikamentenstudien werden hierzulande entweder gar nicht veröffentlicht oder nur lückenhaft.

Die Skeptikerbewegung wurde 1976 in den USA gegründet. In den „Entwicklungsländern“ nehme Hexerei dramatisch zu. Viele Menschen seien bei christlichen, traditionellen oder muslimischen Wunderheilern hoch verschuldet. Um zu Zaster zu kommen, empfehlen diese Heiler bisweilen die Tötung oder Verstümmelung unbeteiligter Menschen.

Vor den Klimaskeptikern warnen die Weltskeptiker, das seien Wölfe im Schafspelz.

Da wir grade bei Ärzten sind: rund eine Million Menschen sterben jährlich weltweit an Fehlern und Pfusch seriöser Mediziner. Würden die Ärzte die Checkliste der WHO (Weltgesundheitsorganisation) beachten, könnte eine halbe Million Todesfälle vermieden werden, sagt die Chefin der WHO. Warum nur die Hälfte, wenn die andere Hälfte auch Pfusch ist?

Männer sterben fünfeinhalb Jahre früher als Frauen. Das kann nur die Strafe Gottes für ihre Dominanz sein. Das Herrschen kann nicht sonderlich glücklich machen, sonst würden die Patriarchen alt werden wie Methusalem, der im zarten Alter von 187 Jahren den Lamech zeugte (Wickert will diesen Rekord brechen, sagte er vor der Presse). Dann lebte er noch weitere 782 Jahre stillvergnügt vor sich hin. In welchem Alter er die Riesterrente beantragte, ist nicht bekannt. Bibelexperten arbeiten dran.

Im häuslichen Bereich werden Männer immer mehr die Opfer ihrer Mänaden. Das ist der Grund, warum sie ihre Alphatierposen im Außenbereich mit Zähnen und Klauen verteidigen. Zu Hause haben sie nichts mehr zu melden.

Unter den Männergruppen gibt’s militante Antifeministen. Ob die den Feminismus gänzlich tilgen wollen, ist unklar. Jedenfalls halten sie die Frauen schon heute für privilegiert. Privilegien aber sind bekanntlich von Natur aus die Domäne der Männer.

Aus der antiken Geschichte weiß man mit Bestimmtheit, dass roma aeterna unterging, weil Frauen und Christen ans Ruder kamen. Lernt aus der Geschichte, oh meine leidenden Mitbrüder – und kauft massenhaft Kopftücher bei C&A. Dort gibt‘s günstige Sonderangebote.

Um 149 Milliarden sind die Deutschen im letzten Jahr reicher geworden und haben nun 4,175 Billionen auf der hohen Kante. Private Schulden betragen 1,55 Billionen. Der Grund für den Reichtum sei der bedenkenlose Kapitalismus des Landes auf Kosten inländischer Malocher und wenig arbeitsfreudiger Anhänger ausländischer Naturreligionen, sagte die Bundesbank in Frankfurt. Oh, pardon, Zeile verwechselt: sei der stabile Arbeitsmarkt. Vier minus eins ist drei Billionen. Wie hoch waren noch mal die Staatsschulden?

Die Reichen spenden so lange freiwillig, bis der Staat entschuldet ist. Sloterdijk als allererster. Die Mittelmeerstaaten werden grün und gelb vor Neid, wenn wir schuldenfrei bei Null beginnen und nach vorne gucken können.

Wer sagt denn, dass nichts Sinnvolles geschieht im Lande – abgesehen vom segensreichen Wirken von Mutter Merkel, die es im Alleingang schafft, alle Männer zwangszupensionieren?

 

Die Graswurzler kommen, schreibt Annette Jensen in der TAZ. Sie organisieren sich in Kleingruppen, arbeiten und ernähren sich nach Möglichkeit in kollektiven Gemüsegärten und initiieren regionale Solaranlagen. Die Projekte sind überschaubar, technisch unaufwändig und fehlertolerant. Es gibt Kreditinstitute ohne Spekulationen, in 65 Orten werden Regionalwährungen vorbereitet.

Mitmachen tun nicht nur die üblichen Verdächtigen, die Mitglieder dieser Avantgarde-Gruppen kommen auch aus dem mittleren Bürgertum. Verzicht ist nicht die erste Tugend dieser Reformer. Die Presse kann sich nicht genug tun mit der Behauptung, es gebe keine Alternative zum Kapitalismus. Hier ist sie.

Der wahre Neoliberale Rüstow hätte seine Freude gehabt an dieser überschaubaren, menschennahen und naturfreundlichen Art und Weise, sich zu ernähren, ohne Mensch und Planet zu ramponieren. Seine Zukunftsvision war eine Art „Schweizer Modell“ mit autarken Bauern und selbstbewussten Handwerkern, keine riesigen Monopole, keine ungesunden und slumfördernden Großstädte mit verseuchter Luft und versiegelter Landschaft.

 

Kennt jemand Alexander Rüstow? Bedankt euch bei der Vierten Gewalt, die keinerlei Interesse hat, die Geldinteressen ihrer Finanziers durch Aufzeigen von Alternativen zu gefährden. Noch immer lässt sie sich von der Devise leiten: only bad news are good news.

Solange diese eschatologisch gestimmte Selbsterfüllung nicht unterbrochen wird, bleibt der zukünftige Triumphtag der Presse die messianische Apokalypse: Hurra, der Weltuntergang steht bevor. Verfolgen sie das unvergleichliche Geschehen im live ticker bei BILD und SPIEGEL.

In der Eucken-Gruppe war Rüstow der entschiedendste Gegner der Milton Friedman-Boys in der legendären Mont Pèlerin Society (MPS). Nachdem Eucken früh verstarb, war Rüstow vermutlich die Triebfeder, die den unvermeidlichen Bruch mit dem schrankenlos amerikanischen Kapitalismus – den er nicht Neo-, sondern Paläoliberalismus, also Steinzeitliberalismus nannte – provozierte.

In einem idyllischen Schweizer Örtchen vollzog sich jene Kluft zwischen Amerika und Alteuropa, die uns heute zu schaffen macht, obgleich niemand weiß, wie es zu diesem prinzipiellen Auseinandersdriften kommen konnte.

Durch den Niedergang der amerikanischen Wirtschaft vor dem Krieg hatte Roosevelt den New Deal durchgesetzt. Das war eine Art sozialer Marktwirtschaft, die in den ersten beiden Dekaden nach dem Krieg dem Kontinent einen gesättigten Wohlstand, einen gediegenen Mittelstand, eine durchaus nicht abgehängte Unterschicht und eine gemäßigte reiche Oberschicht bescherte. Die Superreichsten wurden gnadenlos besteuert, Milliardäre gab es so gut wie keine.

Amerika sonnte sich im doppelten Triumph seines militärischen Sieges und seines weltführenden ausgeglichenen Wohlstands. Bis Milton Friedman mit gnädiger Hilfe des Ronald Reagan der allzu schönen und behaglichen Romantik ein Ende bereitete. (Desgleichen Maggi Thatcher in England, die von Hayek inspiriert wurde, dem Gedankengeber Friedmans.)

Thomas Mann hatte in seinem dreibändigen Roman „Josef und seine Brüder“, den er in großen Teilen im amerikanischen Asyl schrieb, die Wirtschaftspolitik Roosevelts als Vorbild der segensreichen Wirtschaft des Pharaostellvertreters Josef genommen. Wenn‘s dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis. Idyllen und Behaglichkeiten sind das größte Gift für Fortschritt und endloses Wachsen der Konjunktur.

Schon Kant – den man als philosophischen Vorläufer grenzenlosen Fortschritts nehmen kann – hatte die Eintracht und Genügsamkeit der Menschen als absolute Feinde des über Stock und Stein ins Unendliche vorwärts stürmenden Aufstiegs der Menschheit betrachtet. In einem „arkadischen Schäferleben“, so Kant, würden „alle Talente auf ewig in ihren Keinem verborgen bleiben; die Menschen, gutartig wie die Schafe, die sie weiden, würden ihrem Dasein kaum einen höheren Wert verschaffen, als dieses ihr Hausvieh hat.“ („Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“)

Upps, kein deutscher Kantianer denkt daran, seinen geliebten Königsberger als Vorläufer Milton Friedmans oder Hayeks zu sehen und zu diffamieren. Wie dieser unersättliche Fortschritt mit seiner Friedensutopie oder dem kategorischen Imperativ zusammenhängt, darüber gibt’s kein Sterbenswörtchen bei unseren Denk-Titanen und Großgelehrten.

Wir müssen mit der Fama aufräumen, Deutschland sei quasi von Natur aus antikapitalistisch. Vermutlich hätte sich Kant die Augen gerieben, wenn er miterlebt hätte, was aus seinen schäfer- und idyllefeindlichen Fortschrittsideen geworden ist. Nicht anders als Marx wollten die christentumskritischsten Aufklärer von ihrer automatischen Heilsgeschichte nicht lassen.

Erst die naturschwärmenden Romantiker, die als erste verpestende Schornsteine und schwarze Gewässer erblickten, entwickelten die Grundlagen für einen prinzipiellen Antikapitalismus. (Vor allem Adam Müller, der aber in vielen Dingen ein reaktionärer Bewunderer des Mittelalters war.)

So ergaben sich verhängnisvolle Koalitionen, die uns noch heute das Leben schwer machen. Ausgerechnet die kritischen Aufklärer verbanden sich mit einem kritiklosen, quasi-christlichen Fortschrittsautomatismus, während die theokratischen Romantiker wie Novalis den englischen Frühkapitalismus verabscheuten.

Die oblique Frontenbildung erkennt man noch heute, wenn überzeugte Naturfreunde als Feinde des Fortschritts und der Maschinenwelt angeklagt werden, während Naturschänder sich als progressive und risikobereite Fortschrittler und Freunde der Zukunft feiern lassen.

An dieser Stelle setzt Rüstows Kritik am rücksichtslosen amerikanischen Liberalismus ein, (den er als Paläoliberalismus beschimpfte: sein moderater und sozialer Liberalismus war Neoliberalismus. Heute ist Neoliberalismus das Gegenteil des Rüstowschen Neoliberalismus, der von Geissler unter die Ordoliberalen gerechnet wird. Das ist nicht ganz falsch. Doch ein Unterschied bleibt, auch wenn er bis heute unter den Teppich gekehrt wird: der umfassend gebildete Preuße war strenger Kritiker des Christentums und kein Katholik).

Rüstow glaubte nicht an einen automatischen Fortschritt, dem man bedingungslos folgen müsse. Subjekt der Geschichte war für ihn der autonome Mensch, der mit Verstand und einer humanen Moral die Wirtschaft so einzurichten habe, dass die Menschheit zur Ruhe und Muße kommt. Nicht die Wirtschaft sollte im Mittelpunkt des menschlichen Lebens stehen, sondern das bunte, vielfältige und vitale Leben.

Für ihn hatte der erbarmungslose Paläoliberalismus mit Adam Smith fast nichts zu tun. Er war eine darwinistische Degeneration des menschlich gesonnenen Schotten.

Doch einen Vorwurf machte er dem modernen Stoiker. Smiths Glaube an die stoische Ausgeglichenheit und das selbstregulierende Gleichgewicht des Kosmos sei nicht unerheblich dran schuld, dass die moderne Wirtschaft sich dem Glauben hingeben konnte, alle Probleme seien nur schnell vorübergehende Trübungen der kosmischen Balance, die sich automatisch wieder einpendeln würden.

Richtig daran ist, dass die Stoa, besonders in ihrer römischen Endphase, nicht mehr die politische Kraft und demokratische Frische der klassischen Philosophie besaß. Anfänglich war sie noch wie selbstverständlich politisch, heute würde man sagen, von ganz links bis staatstragend.

Je mehr aber das römische Staatselend sich verschlimmerte, indem die Reichen unermesslich reich und die Armen viehisch arm wurden, je mehr zog sich die Liebe zur Weisheit ins Innere der Menschen zurück, bis sie bei Seneca eine Form annahm, die mit passiven und gottsuchenden Elementen des Christentums verwechselt werden konnte.

Ein Grund, warum man einen Briefwechsel zwischen Paulus und Seneca erfand, um der neuen Sekte die Respektabilität der Griechen zu verschaffen. Kaiser Marc Aurel, den Helmut Schmidt als sein Vorbild betrachtet, musste sich mit anstürmenden germanischen Feinden beschäftigen, an eine Reform des Staates dachte er nicht.

Der wahre Glaube an die vollautomatische Vorsehung aber stammte nicht aus der Stoa, sondern aus dem Glauben an einen allmächtigen Gott und Schöpfer, ohne dessen Zutun nicht mal ein Härchen auf dem Haupt des Menschen gekrümmt werden konnte ( Neues Testament > Matthäus 10,30 / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/10/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/10/“>Matth. 10,30).

Der deterministische Glaube an die vollendete Vorsehung (Providentialismus) war ein christliches Gewächs, das im puritanischen Allmachtswahn Gods own country in Amerika errichtete.

Rüstow hatte nach seiner Rückkehr aus der türkischen Emigration im klerikalisierten Adenauerstaat seine Christentumskritik entweder aus taktischen Gründen aufgegeben oder aus sonstigen Gründen verdrängt. Der strengste und scharfsinnigste Gegner des heutigen Neoliberalismus war kalt gestellt worden oder hatte sich selbst kalt gestellt.

Dem karitativen und religiös eingetrübten Ordoliberalismus der sozialen Marktwirtschaft fehlten alle Instrumentarien, um sich dem weltweit siegenden Neoliberalismus à la Milton und Hayek mit aller Wucht zu widersetzen.

Nicht nur die CDU, auch die SPD verfiel dem Größenwahn der Eliten und der Verachtung der Abgehängten fast widerstandslos.