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Freitag, 21. September 2012 – Ateş und Rushdie

Hello, Freunde Spaniens,

es gab tatsächlich Kommunisten, die Kompromisse schließen konnten, nationale Versöhnung und demokratische Gesellschaften anstrebten. Im Alter von 97 Jahren verstarb der spanische Kommunist Santiago Carillo, der zusammen mit dem Italiener Enrico Berlinguer und dem Franzosen Georges Marchais zu den wichtigsten Vertretern des Eurokommunismus zählte.

Am Ende seines Lebens war er wenig optimistisch und beklagte die Härte, mit der die Konservativen und die vatikanische Kirche gegen die Homoehe oder das Recht auf Abtreibung wüteten. Dazu kam das Berufsverbot für Richter Baltazar Garzon, der die Verbrechen der Franco-Vergangenheit aufarbeiten wollte.

Ohne Begräbnisfeier wurde die Asche des Verstorbenen im Nordatlantik verstreut.

Wo Kirche um Anerkennung kämpfen muss, predigt sie Liebe, wo sie Macht hat, definieren sie Gewalt als Liebe. Das Lieblingsinstrument der Kirche ist die Orgel, jene mächtige metallene Burg aus Röhren, Pfeifen, Registern, Manualen und Pedalen hoch oben auf der Empore, wo sie ihrem Herrn am nächsten ist. Von der zarten Zimbel bis zu Posaunen des Jüngsten Gerichts beherrscht die Kirche das ganze Register von Verheißung, Drohung und Verdammung.

Momentan ziehen die Herren der himmlischen Töne das Register „religiöse Gefühle“. Gefühle können nur Menschen mit Religion haben. Gottlose sind von Natur aus gefühllos. „Wir tun uns schwer mit den Gefühlen von Gläubigen, weil viele keine Rücksicht mehr nehmen“, schreibt Ludwig Greven in der ZEIT.

Vorsicht vor dem Wir der hinterfotzigen Distanzierung. Der Schreiber ist

ein feinfühliger Mensch, der die Gefühle jener besonders gut versteht, die die Gefühle Anders- oder Nichtgläubiger nicht verstehen. Die Meinungsfreiheit ende dort, wo andere beleidigt werden.

Und wenn sich jemand durch Meinungsfreiheit beleidigt fühlte? Jeder Demokrat muss sich durch solche aufklärungsfeindlichen Kommentare beleidigt fühlen: stampft den ZEIT-Artikel ein! Wie viele Milliarden Predigten gab es schon in der Welt, in denen Andersdenkende in der Hölle versenkt wurden.

Danke für euer liebendes Zartgefühl, ihr Rechtgläubigen, die aus den folgenden Sätzen spricht: „…die Feinde des Kreuzes Christi, deren Ende Verdammnis ist, deren Gott der Bauch ist und deren Ehre in ihrer Schande besteht, die auf das Irdische sinnen.“

Feinde des Glaubens sind alle, die die Unverschämtheit besitzen, nicht den rechten Gott anzubeten. Unglauben ist Blasphemie. Wer nicht für Gott ist, ist des Satans. „Der Gott des Friedens aber wird den Satan unter euren Füssen zermalmen in Bälde.“ „…das Gericht zögert nicht und ihre Verdammnis schlummert nicht.“

Sodom und Gomorrha wurden durch Einäscherung zur Verdammnis verurteilt zum warnenden Beispiel für künftige Gottlose. Engel, die gesündigt haben, werden in finstre Höhlen der Unterwelt hinabgestossen und zur Aufbewahrung für das Gericht übergeben. Die jetzige Erde ist für das Feuer aufgespart für den Tag des Gerichts und der Verdammnis der gottlosen Menschen. Die ganze Natur wird mit gewaltigem Getöse vergehen, die Elemente aber in der Gluthitze sich auflösen und die Erde mit allen Werken auf ihr nicht mehr zu finden sein. Uswuswusw.

Das Neue Testament ist ein einziger Fluch auf alles, was sich die kesse Unverschämtheit des Andersseins erlaubt. Die Bibel, der Koran, der Talmud, alle Erlöser verurteilen das Nichtidentische zum Tod und Verderben.

Inzwischen erheben sich Stimmen, welche die Toleranz im Namen der Vernunft zum intoleranten Fundamentalismus erklären, die Hass- und Vernichtungsgesänge auf Natur und Menschheit für besonders schützenswert halten. Hier kann man nicht mehr von sancta simplicitas sprechen. Wer von solchen Liebenden geliebt wird, braucht keine Todfeinde mehr. Nehmt Reißaus, wir werden geliebt.

Seehofer will die Gesetze gegen Blasphemie verschärfen. Heribert Prantl hält dagegen.

Alles, was den rechten Kniefall verweigert, ist Gotteslästerung. Alles, was keine Höllenstrafe ist für abweichendes Denken und Tun, entstammt fundamentalistischem Menschenrechtsgeflunker. Bringt das Rechtswesen wieder auf die heilige Höhe der Inquisition und das himmlische Niveau der Hexenprozesse. Unrecht hat, wer leugnet, Unrecht zu haben. Wer widerspricht, ist schon widerlegt. Wer es wagt, seinen eigenen Kopf zu benutzen, ist ewiger Qualen schuldig.

Geht in Deckung, Heilsreligionen sind im Anmarsch. Vielmehr, geht nicht in Deckung. Ergreifet die ganze Waffenrüstung der Demokratie, haltet nun stand, an euren Lenden gegürtet mit der Wahrheit des Rechtsstaats und angetan mit dem Panzer der Menschenrechte, beschuht an den Füßen mit Bereitschaft zur Toleranz, ergreifet bei allem den Schild der Vernunft und nehmet an euch den Helm der Aufklärung und das Schwert der Liebe zur Natur, welche die wahre Liebe zu allen Lebewesen auf Erden ist.

Der Friede der alma mater, der bachamama, der natura naturans und natura naturata, des ewigen Kosmos, der unerschaffenen und unvergänglichen Natur sei mit euch allen. Amen.

 

Seyran Ateş erhielt wegen ihres Buches „Der Multi-Kulti-Irrtum“ Morddrohungen und muss unter Polizeischutz leben. Sie bezeichnet sich als Muslimin und als leidenschaftliche Demokratin.

Von dem filmischen Machwerk einer Zündlermafia aus Amerika fühlt sie sich nicht beleidigt. Ihr Gott ist nicht zu beleidigen. Über heilige Dinge müsse man lachen können, denn Gott sei ein liebender Gott. „Deshalb können wir Gläubige durch Gelassenheit zur Befriedung der Welt beitragen. Ich glaube, dass wir Muslime einen viel toleranteren Gott haben, als viele glauben.“

Was steht im Koran? Vers 4,89: „Wenn sie sich abkehren, tötet sie, wo immer ihr sie findet.“ Sure 33,61: „Verflucht sind sie. Wo immer man sie trifft, wird man sie ergreifen und unerbittlich töten.“

So gut wie nie werden in deutschen Medien die heiligen Schriften im Wortlaut zitiert. Es könnte entlarvend wirken, wenn der heiliggesprochene Hass unverhüllt ans Licht der Öffentlichkeit kommt und hermeneutische Jongleure davor warnen, eindeutige Aussagen eindeutig zu nehmen. Man muss erst bei Experten nachgefragt haben, ob der Befehl: Tötet sie, nicht vielleicht die Bedeutung hat: Macht in Neukölln ein Integrationsprojekt mit Andersgläubigen.

Die Angst der Schriftgelehrten geht um, dass ihre heiligen Texte publik werden. Lest sie erst gar nicht ohne unsere gütige Anleitung, ihr werdet sie nicht oder falsch verstehen.

Die heiligen Schriften werden unter Verschluss gehalten, damit die Laien nicht nachlesen können, welche Liebestaten von ihnen verlangt werden, um ihre Nachbarn prophylaktisch zu quälen, damit sie nicht in die Hölle wandern. Experten schreiben mündigen Menschen vor, wie sie zu lesen haben.

Wer liest, was er liest, macht sich des fundamentalistischen Textverstehens verdächtig. Hängt doch alles von der Deutung und von historischen Zusammenhängen ab, sagen die Großdeuter und Alpha-Hermeneuten, die den Urtexten einen zeitgeist-verträglichen Geheimsinn vorschreiben.

Was sie damit bezwecken, ist löblich. Sie wollen die Majorität der Muslime vom Verdacht befreien, Angehörige einer mörderischen, intoleranten Kultur zu sein.

Doch ihre Mittel sind pervers. Die meisten Gläubigen haben ihre Religion überwunden – aber nicht ihre Loyalität zu Texten, die das Gegenteil von dem fordern, was sie mittlerweile für richtig halten. Die meisten Christen, Juden und Muslime sind keine Menschenfresser mehr und haben sich in ihrem täglichen Leben weit vom Originalsinn ihrer archaischen Texte entfernt. Sie haben sich selbst zu Demokratie und Menschenrechten humanisiert.

Die Krux ist jedoch, dass sie sich noch immer auf Texte stützen, die ihr humanisiertes Leben in Grund und Boden verfluchen. Innerlich haben sie sich längst gelöst vom sensus literalis, vom Ungeist des Buchstabens, und vertreten das Gegenteil von dem, was schwarz auf weiß in ihren Büchern steht. Aus vielfältigen politischen Loyalitätsgründen aber können sie sich nicht davon lossagen, noch immer Christ, Jude oder Muslim zu sein.

Säkulare Juden müssen religiöse Juden bleiben, obgleich sie die Machenschaften der Ultras für verabscheuenswert halten. Aus Loyalität dem ganzen Judentum gegenüber, das Schreckliches erdulden musste.

Säkulare Muslime müssen sich Muslime nennen, obgleich sie die Hassausbrüche ihrer „Glaubensbrüder“ für katastrophal halten. Aus Loyalität mit allen muslimischen Völkern, die vom Westen politisch und militärisch dominiert und drangsaliert werden.

Säkulare Christen müssen sich noch immer Christen nennen, obgleich sie den Fundamentalismus eines Dabbelju und des Bible Belt verachten. Aus Loyalität zu einem Bergprediger, den sie fälschlich für den Erfinder der Menschenrechte halten.

Ateş hält nichts von einem Verbot des idiotischen Films. „Wenn wir die Aufführung verbieten, schließen wir uns dem Streit der Extremisten auf beiden Seiten an.“ Es sei besser, demokratisch gegen den Film und dessen Vorführer vor dem Kino zu demonstrieren. „So sehen wir die Gesichter der Rassisten und stehen weiterhin für die Meinungsfreiheit.“

Frau Ateş ist eine mutige Demokratin, die vor den Feinden der Demokratie nicht in die Knie gehen, geschweige deren Methoden übernehmen will. Undemokratische Machenschaften dürften nicht mit undemokratischen freiheitsberaubenden Methoden bekämpft werden. Sonst hätten die Feinde des Rechtsstaates ihr Ziel erreicht: die Zerstörung des Rechtsstaates.

Ob allerdings der liebende Gott der Autorin mit dem Gott des Korans identisch ist, muss bezweifelt werden. Sie hat ihn stillschweigend kritisiert und fortentwickelt zu einem Gott universeller Liebe zu allen Menschen. Diesen Vorgang nennt man Aufklärung.

Die Griechen waren die ersten, die diesen Weg gegangen sind. Xenophanes hatte seinen philosophischen Gott aus der Kritik an den vorhandenen lächerlichen Göttern entwickelt. Für seine Götter ist jeder Mensch selbst zuständig. Wenn sie nicht mehr up to date sind, die UN-Charta der Menschenrechte nicht unterschrieben haben, müssen sie bedenkenlos aus dem Olymp ausgestoßen werden. „In seinen Göttern malt sich der Mensch“.

Das tat auch Frau Ateş und erhielt das Ebenbild ihrer aufrechten demokratischen Verfassungstreue. Mit Allah trägt er den falschen Namen.

„Niemals lebte ein Mensch, noch wird ein solcher je leben,

Der von den Göttern und allem, wovon ich rede, Gewisses wüsste;

Und spräche sogar das Vollkommenste jemand darüber,

Weiß er es selbst doch nicht, nur Schein ist alles und Meinung.“ (Xenophanes)

(ZEIT-Interview von Evelyn Finger mit Seyran Ateş)

Auch Salman Rushdie ist ein Opfer des bedenkenlosen Rache-Islam. Durch die Fatwa wurde sein bis dahin erfolgreiches Leben von einem Tag auf den anderen in ein Leben der Angst, Verfolgung und persönlicher Drangsale verwüstet. Mehrere Jahre war er in der Gefahr, sich zu verlieren. „Nicht schreiben können, nicht arbeiten können, nicht klar denken können.“

(ZEIT-Interview von Susanne Mayer mit Salman Rushdie)

Als Rushdie seinen islamkritischen Roman „Die satanischen Verse“ schrieb, hielt er die Macht der Religionen für gebrochen. Der Libanon war eine offene säkulare Gesellschaft, Beirut nannte man das Paris des Ostens, Teheran und Bagdad waren kosmopolitische Städte. „Religiösen Fanatismus kannte man nicht.“ Das sei naiv gewesen.

Heute weiß der Autor, dass wir in Gesellschaften leben, „deren Plage die Rückkehr der Religionen ist.“ Nicht nur die des Islams. In Amerika erstarken die christlichen Rechten, in Indien erhebt sich der rechte Hinduismus. Pakistan sei ein dunkler Ort.

Trotz allem Unglück erlebte der Schriftsteller viele Akte der Solidarität. Von Menschen, die sich damit selbst in Gefahr brachten. Unglaublich, aber wahr – in Deutschland erleben wir zurzeit denselben Vorgang –, seinen Unterstützern wurde ein „fundamentalistischer Menschenrechtsbegriff vorgeworfen“. Die religiösen Faschisten, so Rushdie, behaupteten, die Verteidiger des Rechts auf freie Meinungsäußerung seinen absolutistisch.

Ob er denn verstehe, so die Interviewerin, warum er die Gefühle von Leuten verletze? „Es ist mir egal“, antwortet der Autor, „warum sie sich verletzt fühlten. Das Gerede von Verletztsein ist Quatsch. Keiner hat das Recht, verletzt zu sein.“ Sonst müsste man auch Harry Potter in Amerika verbieten, weil es angeblich Hexerei unterstütze.

Ob er sich jemals selbst töten wollte? Nein. „Ich hatte Menschen, die zu mir standen, meine Familie, meine Frau Elizabeth, mein Sohn.“

Die Religion schien verschwunden, so Rushdie, warum kam sie wieder ans Ruder?

Der Schein wird trügen, solange die heiligen Texte nicht bis ins Mark kritisiert worden sind. Schonungslose Kritik ist das Gegenteil zur Mauschelei der unbegrenzten Deutung, die die Texte in ihrer theokratisch-faschistischen Urfassung belässt und sie nur zeitgemäß koloriert und dekoriert.

Bei dieser Methode der ständigen Neukostümierung menschenfeindlicher Gerippe darf man sich nicht wundern, dass Tote länger leben und bei der erst besten Gelegenheit aus ihren Scheingräbern auferstehen.

Manche Islamexperten vertreten die Meinung, der militante Islamismus sei kein Produkt des Korans, sondern eine reaktive Anpassung an die westliche Zivilisation, die die arabischen Länder mit Hilfe des Kapitalismus und einer dekadenten, doppelzüngigen Verwahrungsmoral überwältigt hätte. Unter dem gleißnerischen Vorwand, Demokratie und Menschenrechte zu bringen, war der moderne Wirtschaftsimperialismus Anlass für die Regression der Nahostländer ins Fanatische.

Doch Anlass darf nicht mit Ursache verwechselt werden. Regredieren kann man nur dorthin, wo die eigene Vergangenheit präsent ist und nie gründlich bearbeitet wurde.

Religion hat viele Fähigkeiten. Eine davon ist, sich leblos zu stellen – um nach vielen Jahren wieder aufzuerstehen, als sei sie nie abwesend gewesen. Bekanntlich hat sie den Tod überwunden.

Man stelle sich vor, Salman Rushdie – der sich dem religiösen Terror so beispielhaft entgegenstellte – hätte in Deutschland gelebt und geschrieben. Dann hätte er erfahren dürfen, wie sein Kollege Martin Mosebach ihn höchstpersönlich wegen Blasphemie beim nächsten Staatsanwalt angezeigt hätte.

In Deutschland steht die Majorität der Intelligenz – wie immer seit der Romantik – auf der Seite des rechtgläubigen Geistes. Sie können nicht existieren ohne den Rauschtrank, zu den Lieblingen des Himmels gehören. Selig die Armen im Geiste.