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Freitag, 20. Juli 2012 – Lernen und Vertrauen

Hello, Freunde Libyens,

in den ersten freien Wahlen nach 60 Jahren haben nicht die Muslimbrüder, sondern die Liberalen mit einem gemäßigten Islam gewonnen. Die vielen Katastrophenprognosen über den Verfall des Landes nach Sturz des Despoten sind bisher noch nicht eingetreten. Allen Grund, das Ergebnis hierzulande kaum zu erwähnen. Sie werden sich schon noch entlarven, die demokratieunfähigen Araber.

Deutschland liefert Waffen in alle Welt, am liebsten Panzer in autoritäre Staaten und atomfähige U-Boote in Krisengebiete, aber bei der militärischen Verjagung des Diktators standen sie vornehm abseits und ethisch turmhoch über den Verbündeten.

 

Hatte jemand erwartet, dass ein unkontrollierter Verfassungsschutz eine demokratische Mustereinrichtung werden könnte? Das muss ein lustiger Verein gewesen sein, wenn ein Chef sich an seine Berufung nicht mehr erinnern kann, weil er blau war. Wer ihn eingestellt hatte, weiß auch niemand mehr, offenbar befand sich die Regierung in angeheitertem Dauerzustand.

Bei Wein, Weib und Gesang liebten sie die Begleitmusik rhythmischer Schreddermaschinen. Der Vorgesetzte wusste nicht, was seine Geheimagenten trieben, die Geheimagenten wussten nicht, wen sie

beschatten sollten, der Begriff Rechtsradikale war ihnen geheim. Die NSU hielten sie für eine verdienstvolle Motorradmarke mit Liebhaberwert.

Nun rollen einige Köpfe, und die nächsten stehen bereit. Unter ihnen ein Herr Maaßen, der – nomen est omen – kein Maß kennt und dafür bekannt wurde, dass er in der Kurnaz-Affäre dem von Amerikanern unschuldig nach Guantanamo verschleppten muslimischen Mann die Rückreise in die BRD verweigert hatte. Begründung: Herr Kurnaz sei mehr als 6 Monate außer Landes gewesen, damit sei sein Pass ungültig gewesen. So stehe es im Gesetz, Basta!

Damals regierte eine rot-grüne Hoffnungsregierung. Unter ihnen Otto Schily, der liberalste Innenminister aller Zeiten, der sich in typisch deutscher Karriere von einem edlen Menschenfreund in einen Bismarck mit Pickelhaube verwandelt hatte. Alle wussten, dass Kurnaz unschuldig war – die Amis selbst wollten ihn loswerden –, doch kein Grund für maßvolle Demokraten, das ultimative Passgesetz zu ruinieren.

Hier kann man zu Recht jenes lateinische Wort zitieren – das Bommarius fälschlicherweise auf das Kölner Urteil münzte: das Recht muss sich durchsetzen, auch wenn der Mensch krepiert. Zumal der Mensch nur ein Muslim war. Was, wenn der Jünger Allahs ein Jude gewesen wäre?

Herr Maaßen hält seine Entscheidung heute noch für richtig. Der Mann hat sich für höhere Ämter qualifiziert.

 

Und noch einmal fiat pecunia, pereat humanitas. Ein Bäcker besaß die Unverschämtheit, seine überschüssigen Brötchen an Obdachlose zu verschenken. Da hat er nicht mit deutschen Steuerbehörden gerechnet, die ihm nun hochkriminelles Schwarzschenken vorwerfen und nachträglich Strafsteuern für unerlaubte Humanität kassieren wollen.

Bei Kirchen ist das natürlich anders. Wer dort seine Almosen in den Klingelbeutel wirft, muss nicht in einen parallelen Fiskusbeutel den Obolus für den Staat entrichten. Dafür, dass die Kirchen steuerlos Almosen kassieren dürfen, kriegen sie zusätzlich noch viele Gelder unter der Türe zugeschoben.

Das war der entscheidende Fehler des Bäckers. Er hätte die Brötchen zuerst in den Klingelbeutel werfen müssen, dann hätte die Kirche die Liebesgaben selber verteilen und mit ihnen in eigenem Namen prunken können – und der Bäcker wäre wegen Caritas in den Himmel gekommen.

Merke. „Und wenn ich alle meine Brötchen den Armen austeilte, hätte aber der staatlichen Genehmigung nicht, so nützte es mir nichts.“ (1. Kor. 13,3) Liebe muss nicht nur dem nützlich sein, der sie verübt, sondern vor allem der Steuerbehörde.

(Ann-Kristin Mennen im SPIEGEL über einen bizarren Streit mit dem Finanzamt.)

 

England steht vor der gewaltigsten militärischen Herausforderung seit dem Koreakrieg. Überall werden Kontrollen verschärft, auf Londoner Dächern Luftabwehrraketen installiert. Zum dritten Mal finden im Land des Regens die Olympischen Spiele statt. l

Standardisierter Geschlechtsverkehr verheirateter Paare als vorsätzliches Dopingmittel ist streng verboten, unkontrollierter wilder Sex auf Rasenplätzen und Parkanlagen hingegen erlaubt.

Neben der sexuellen und militärischen Bedrohung ist die Gefahr, dass hochtrainierte Athleten sich politisch äußern, relativ gering. Sportliche Betätigung soll zwar die Durchblutung des Gehirns anregen, das Denken aber unberührt lassen.

Auf Sporthochschulen werden Spitzensportler nicht ausgebildet, so neulich ein Sport-Philosoph, um politische Sprüche loszulassen. Dafür reiche die durch Fitness stimulierte Blutzufuhr nun doch nicht aus.

Weswegen der Philosoph den Kapitän unserer verdienstvollen Fußballnationalmannschaft schwer rüffelte, weil der – auf ausdrückliche Anregung von Politikern – es gewagt hatte, den ukrainischen Superdemokratenpräsidenten zu rüffeln. Auch Platini, FIFA-Chef und Rummenigge schlugen sofort auf den kleinen armen Lahm ein – weswegen die Deutschen prompt gegen die Italiener verloren, die niemals auf die Idee kämen, ihr Idol Berlusconi vor einem Spitzenspiel in Frage zu stellen.

Auch sonstige kleinere Korruptionsvorkommnisse rund um den ungreifbaren Herrn Blatter beweisen, dass der heutige Spitzensport nur bedingt zur Charakterbildung der Nachwuchssportler taugt. Der smarte Hermann Hesse-Kenner Franz Beckenbauer ist schon zur Speichelleckerfigur der Gazprom-Herren Putin und Schröder geworden. Hesse würde sich in seinem Tessiner Grab umdrehen.

Dass, wie so vieles andere, auch die Idee des sportlichen Wettkampfs aus Griechenland stammt, ist der christogenen Moderne peinlich. Also muss man bei obligater Erwähnung von Olympia sofort hinzufügen: aber die frühen Spiele waren so was von korrupt, dass man sie eigentlich vergessen könnte.

 

Ohne die Idee des Agons, des Wettstreits, wäre die sokratische Philosophie nicht geworden, was sie geworden ist. Die Weimaraner sprachen vom Wettstreit der Edlen: die Idee der Wahrheit ist so kostbar, dass um sie mit größtem Einsatz und nach fairen Regeln gekämpft werden muss.

Heute gilt der größte Einsatz nicht dem Erringen der Wahrheit, sondern dem Scheffeln von Zaster. Zaster kann man abzählen, im Portemonnaie tragen und in viele nützliche und unnütze Dinge verwandeln. Wahrheit sieht und fühlt man nicht, also wurde sie abgeschafft.

Ein philosophischer Agon war ein Faustkampf mit Argumenten, wer will sich heute schon mit Argumenten die Fresse polieren lassen? Es gibt keinen schlimmeren Gesichtsverlust als in einem sportiven Dialog zu verlieren: k.o. in der zwölften Runde nach entscheidenden Treffern mit Hilfe des Satzes vom Widerspruch.

Daraus könnte man schließen, dass die Menschheit gar nicht so verroht sein kann, dass sie in ihrer konsumistischen Seele nicht ahnte: wenn sie Wahrheit verleugnet, verleugnet sie sich selbst.

Von morgens bis abends geht der Mensch mit Wahrheit um, verlässt sich auf Wahrheit und baut auf Wahrheit. Doch abends liest er das deutsche Feuilleton und jaucht beim postmodernen Credo, dass es keine Wahrheit gebe.

Was hassen die Menschen am meisten? Dass man sie anlügt. Wenn jemand in Wort und Tat nicht verlässlich wäre, könnte er nicht mal Chefredakteur oder Priester werden. Natürlich flunkert jeder gern, seltsamerweise aber immer zum Zwecke der Aufrichtigkeit.

Dass Urpfälzer Kohl es an die Spitze des Staates schaffte mit dem Motto: was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, ist nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Doch wehe, das hätten ihm seine zwei strammen Söhne gesagt, um eine Notlüge zu rechtfertigen. Dann hätt‘s im Oggersheimer Bungalow gezischt.

Die Moderne liebt es, sich da, wo sie bieder ist, verrucht zu geben, um sich da, wo sie verrucht ist, bieder und unschuldig zu geben. Das sind noch immer Reaktionssbildungen auf eine Kanzelmoral, die die Menschen nicht nur überforderte, sondern durch widersprüchliche Signale – Double Binds – schlechterdings in Verzweiflung trieb.

Du sollst deinen Nächsten lieben, im vaterländischen Krieg aber ihm den Hals im Namen Gottes rumdrehen. Du sollst gute Werke tun, aber mit guten Werken deinem Nächsten glühende Kohlen aufs Haupt sammeln. „Wenn dein Feind hungert, so speise ihn, wenn er dürstet, so tränke ihn, denn wenn du dies tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“ ( Neues Testament > Römer 12,20 / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/12/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/12/“>Röm. 12,20)

Überfordern kann gelegentlich sinnvoll sein, wenn man sich unerreichbare Ziele setzt, um über sich hinauszuwachsen und Fähigkeiten zu erreichen, die man zuvor für unmöglich hielt.

Das aber ist nicht der Sinn der moralischen Überforderung durch eine unerreichbare Bergpredigt-Moral. Diese hat den Zweck, den Menschen zu zerschmettern und zu degradieren, um dem Würmlein zu zeigen, dass er den Großen Helfer benötigt, um seinen Seelenfrieden zu retten.

Man muss vielleicht nicht mit jeder scharfen Nachbarin das sündige Bettchen teilen. Dass aber unsteuerbare emotionale Begehrlichkeiten sündig sein sollen, auch wenn man ihnen nicht folgt, ist so einleuchtend, wie wenn man täglich Persil schlucken müsste, um seine Innereien porentief zu säubern.

Eine Moral, die nicht kontrollier- und zurechenbare Taten zählt, sondern natürliche Spontaneitäten verurteilt, sollte ehrlicherweise sagen: Mensch, mach, was du willst, du bist immer schuld. Du bist schuld, weil du bist. Das ist keine Moral, sondern ein Vernichtungsurteil.

Das muss man sich vor Augen führen. Die Vernichtungsorgie im trügerischen Mantel der Moral prasselte zwei Jahrtausende auf die abendländische Kreatur herab. In der Moderne sehen wir die unvermeidbaren Zerrüttungsfolgen der systematischen Seelendekonstruktion.

Doch zwischen inneren Motiven und äußeren Taten gibt es keine Automatismen. Der Mensch ist fähig, sich wahrzunehmen, seine Innerlichkeiten zu bewerten und seine äußeren Taten zu steuern. Vorausgesetzt, er hat diese Dinge lernen dürfen.

Wer in der heuchlerischen Double-Bind-Hölle zerrieben wurde, erhielt nur die Chance, Terrorist, Psychotiker, Krimineller oder faschistischer Politiker zu werden.

Das Christentum hat das Innere mit dem Äußeren gleichgesetzt. Das hat den Gläubigen zur moralischen Ruine gemacht. „Denn von innen, aus dem Herzen kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord Alle diesen bösen Gedanken kommen von innen heraus und verunreinigen den Menschen.“ ( Neues Testament > Markus 7,21 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/markus/7/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/markus/7/“>Mark. 7,21 ff) Da man sein Inneres mit dem Skalpell nicht rausschneiden kann, ist man dem Bösen rettungslos ausgeliefert.

Natürlich kommen alle Gedanken aus dem Innern, die bösen, aber auch die guten, die die bösen in Schach halten können. Mit bösen Gedanken verhält es sich wie mit Haustieren. Wenn man sie schlecht behandelt, können sie einem das Leben schwer machen. Ist man gut zu ihnen, sind sie es auch zu uns, werden lammfromm und anschmiegsam.

 

In welchem Maße Kinder heute noch beschämt und erniedrigt werden, zeigt ein FR-Interview am Beispiel der Schule. Dazu gehören verletzende und entwertende Worte, Beleidigungen, Schmähungen:

„Hier hast du keine Chancen. In Mathe bleibst du eine Niete. Jetzt zeig mal deine großartigen Fähigkeiten. Dir fehlt schlicht der nötige Grips. Na, wo soll‘s auch herkommen bei deiner Herkunft.“

Das rechnet Pädagoge Benno Hafeneger alles zur psychischen Gewalt, die schlimmere Folgen haben kann als körperliche.

Ein Viertel aller Schüler gibt an, von Lehrern lächerlich gemacht worden zu sein. Schlechte Leistungen werden immer den Heranwachsenden in die Schuhe geschoben. Schule und Lehrer sind nie schuldig.

Was in dem Artikel zu kurz kommt, ist die generelle Kränkung der Kinder durch Noten, die generelle Macht der Lehrer, mit ihrer subjektiven Einschätzung das Schicksal der Kinder als Agenten des Staates zu entscheiden.

„Ihr seid nichts Besonderes!“ rief ein amerikanischer Lehrer seinen Schülern auf der Abschiedsfeier zu. Das Video ging in Blitzesschnelle um die Welt. Welchen Hass muss ein Lehrer auf seinen Beruf und seine Erziehungsobjekte angesammelt haben, dass er diese Botschaft der Verächtlichkeit in die Welt posaunt.

Einerseits sollen alle Menschen in amerikanischen Serien „etwas Besonderes“ sein, andererseits werden sie von ihren eigenen Erziehern, die an ihnen versagt haben, ohne ihre Niederlage einzugestehen, zur gewöhnlichen Fabrikware Mensch erniedrigt.

Kein Mensch muss etwas Besonderes werden, denn er ist etwas Besonderes. Das Besondere zeigt sich nicht in ökonomisch verwertbaren menschen- und naturfeindlichen Spitzenleistungen, sondern in Empathie zu allem Leben auf dieser Erde.

Kinder wollen Vertrauenspersonen. Vertrauen und Machtausübung schließen sich aus. Schulen sind staatliche Zwangsveranstaltungen. Lernen und Zwang schließen sich aus. Lernen ist Denken, Denken ein freier Akt.

Wer nicht frei über sich bestimmt, lernt nichts, sondern wird gedrillt und durch vorgeschriebene Lerninhalte indoktriniert. Muss man Kinder nicht zum Lernen zwingen, damit sie wenigstens das Einmaleins beherrschen?

Kinder sind lern- und denksüchtig. Kennt jemand eine Fünfjährige, die sich nicht auf die Schule freute? Wie lange dauert es, bis die Freude durch benotete Erniedrigung und Beschämung ausgetrieben wurde? Die Gesellschaft will keine Kinder, die sich ein freies Urteil über die Welt der Erwachsenen bilden.

Es hilft alles nichts, die Beschneidung der Kinder findet auf allen Ebenen statt. Die Zwangsschule ist im Interesse eines machtpolitisch und wirtschaftlich ausgerichteten Staates erfunden worden, um den Kindern das frische eigenständige Denken operativ zu entfernen.

Sokratisches Lernen beruhte auf dem Gegenteil von Beschämung und Erniedrigung, denn Sokrates glaubte an die Erkenntnis-Fähigkeit der Menschen. Alle Menschen haben die gleiche Veranlagung zur Vernunft, die aber aktiviert und entfaltet werden muss.

In seiner Mäeutik, der Hebammenkunst, brachte Sokrates niemandem etwas von außen bei. Er war überzeugt, dass alle Erkenntnisse im Innern des Menschen vorhanden sind. Das ist die genaue Gegenwelt zu der jesuanischen: alles Gute ist komplett in deinem Innern, du musst es nur aus dem Dämmerschlaf erwecken.

Für die Kunst der mentalen Geburtshilfe wird Sokrates als größter Manipulator der Geschichte gescholten. Er habe nur trickreich hineingelegt, was er seinem Opfer zu entbinden vorgab.

Jede Methode ist pervertierbar. Jesuiten haben die mäeutische Methode benutzt, um Kindern das ganze Evangelium aus den Rippen zu schwitzen.

Mäeutik muss ein offener Vorgang sein, damit jeder sich selbst ein Urteil bilden kann. Deshalb war der Klassenraum des Sokrates der Marktplatz von Athen. Hier konnte jeder zuhören, seine Kritik ad personam loswerden und sich selbst am Streitgespräch beteiligen.

Begründen aber musste er seine Meinung schon. Dann wurde auch er in die Mangel genommen von jenem lästigen Kobold, der sich eine Stechmücke und Bremse am Leib der Polis nannte. Wer etwas behauptete, musste es beweisen und so schlüssig wie möglich darlegen: im Agon, im edlen Wettstreit der Geister um die Wahrheit.

Heute ist das Messen der Argumente außer Kraft gesetzt, indem man die Wahrheit in die Wüste geschickt hat. Gibt es keine Wahrheit mehr, ist jeder immun und unfehlbar.

Stellt sich die Frage: Wer ist es, der hier manipuliert? Die suchenden Wettkämpfer der Wahrheit – oder die unfehlbar Wissenden der Unwahrheit, die ihren Kindern keine Chance lassen, sich eine eigene Meinung über die Welt der Erwachsenen zu bilden?