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Freitag, 16. März 2012 – Apokalypse

Hello, Freunde Chinas,

warum ist uns das Riesenreich der Mitte überlegen? Es ist nicht die reine Quantität, es ist die Philosophie, die hier eine Rolle spielt, schreibt Stefan Aust, Nachfolger Rudolf Augsteins beim SPIEGEL, der nie einen Kommentar schreiben wollte, weil ihm die Schuhe seines Vorgängers zu groß waren.

Seitdem sind Chefredakteure zu stummen diskreten Managern der Macht verkommen. Wofür eine Zeitung steht, weiß man heute nicht mehr. Die Gazetten verwechseln domestizierten Pluralismus mit Meinungslosigkeit, die sich den herrschenden Mächten prostituiert.

Ein Philosoph ist bekanntlich ein unerträglicher Mensch, der seine Privatmeinung für Wahrheit hält. Der Philosoph der Weltmacht heißt in lateinischer Form Konfuzius. Sollten die Chinesen tatsächlich von Kungfutse, Kungfutzu – nicht mit Kungfu zu verwechseln – gelernt haben, dürften wir keine Sekunde zögern, uns mit dem Herrn aus der Stadt Qufu im chinesischen Staat Lu zu beschäftigen.

(Lu nicht zu verwechseln mit Ludwigshafen am Rhein, woher auch ein bedeutender Denker kommt, der aber in allen Dingen das Gegenteil zu Kungfutse lehrte und

Ernst Bloch hieß: Zukunftshoffnung und Revolution gegen Harmonie in ewiger Gegenwart, marxistischer Naturüberwinder und -erlöser gegen Verehrer der vollendeten Natur, wie sie ist, war und immer sein wird).

Das Entscheidende beim Konfuzianismus sei die Betonung des Humankapitals und Sozialkapitals – ein schöner Kontrast zur Herrschaft des Finanzkapitals, so Aust. Gerade in Krisenzeiten hätten sich konfuzianische Werte als „wertvoll“ erwiesen. (Wären sie nicht wertvoll, wären sie ja auch keine Werte oddr?)

Das zeige sich an chinesischen Managern, die äußerst anpassungsfähig und kosteneffizient arbeiten würden. Das hat Aust mit eigenen Augen gesehen, wenn vor chinesischen Restaurants zwischen 5 und 6 Uhr die Kellner vor der Tür dem Manager lauschen und auf „gemeinsame Erfolge eingeschworen werden“.

Ob Aust die chinesische Sprache spricht oder nur die Körpersprache dieser seltsamen Wesen zu entschlüsseln versteht, hat BILD nicht verraten, die mit dem Vorabdruck des Buches begann.

Wer die Rubrik „Leute“ liest, weiß, dass Springer-Gesamtchef Döpfner mit Aust gemeinsame Skiurlaube machte. Vermutlich ist das Buchprojekt in jenen kreativen Momenten entstanden, als beide Herren elegant in absoluter Harmonie mit der Natur die Berge herunterwedelten.

Chinesische Human- und Sozialkapitalisten würden Netzwerke nutzen, die vor allem auf Vertrauen basierten, weniger auf Verträgen. Konfuzius betone menschliche Beziehungen, Harmonie (schon wieder), Vertrauen, aber auch den Respekt für Autorität, Respekt für die Alten, Respekt für Menschen in Führungspositionen. (Vertrauen scheint für Aust das Gegenteil von Respekt zu sein).

Womit wir wissen, dass Leute in Führungspositionen nicht nur Menschen sind, sondern auch respektiert werden sollten. Was im degenerierten Westen immer weniger der Fall ist, weswegen westliche Menschen in Führungspositionen dieses Buch jedem ihrer Mitarbeiter freudig in die Hand drücken werden.

Ob Führungspositionen auch Respekt vor ihren Mitarbeitern haben, teilt uns Ex-Chef Aust nicht mit.

Hiesige Manager werden sich freuen, wenn sie den ganzen Vertrags- und Tarifkram ignorieren können und mit bloßem Handschlag – der vor allem, aber nicht ganz auf Vertrauen beruht – den neuen kosteneffizienten und anpassungsfähigen Mitarbeiter begrüßen dürfen.

So werde der gesellschaftliche Zusammenhalt gewahrt, wir im Westen seien hingegen eine Konfliktgesellschaft. Da wird’s höchste Zeit, diese unendlichen Konflikte zwischen Respektspersonen und andern hinter sich zu lassen und den Zusammenhalt mehr zu betonen.

Schluss mit den „Spitzfindigkeiten des Rechtsstaates“, mehr gesunder Menschenverstand, den wir bei dem Chinesen reichlich fänden. Er vertrete eine Philosophie der Ordnung, aber auch des Pragmatismus, der Menschlichkeit und der Aufklärung.

Er predige Moral und Gemeinschaftssinn ohne Bezug auf Übersinnliches. Und natürlich Erfolg. Gewiss doch Erfolg, sonst hätte Aust sich mit den ollen Chinesen gar nicht beschäftigt.

Doch was heißt: „ohne Bezug auf Übersinnliches“ und warum hat Aust diese Bemerkung verschämt versteckt? Das wird doch nicht christentums- und abendlandskritisch sein?

Ohne Gott will Konfuzius Erfolg haben? Nur gut, dass bei dem Weisen reichlich Moral und Aufklärung vorhanden ist. Doch worüber soll aufgeklärt werden? Über Gott, den es nicht gibt? Über Tricks von Jenseitspriestern, die nicht existent sind? Doch das sind Fragen aus einer immer maroder werdenden Konflikt- und Disharmoniewelt.

Das waren noch Zeiten, als der SPIEGEL alles, was nach law and order klang, in Grund und Boden schrieb. Heute singt Aust das Loblied auf Harmonie & Ordnung. Kritische Fragen an das Buch sind deshalb eher unerwünscht. Schließlich ist das Buch nicht in der Reihe Philosophie erschienen, sondern in der erfolgsträchtigen Abteilung: Management, Erfolg und Weltpolitik: „Mit Konfuzius zur Weltmacht“.

 

Eben hatten wir noch Tag der Frauen und nun das: „VW – zu groß für Frau Ursula“. Hörten wir nicht einen ganzen Tag lang, Frauen seien für alle Posten gut? Sie hätten einen wesentlich sinnvolleren Führungsstil als die Paschas, nämlich „moderne Mütterlichkeit“?

Und nun wettert ein BZ-Gladiator gegen Piechs Frau, die bei VW eine tragende Rolle spielen soll? Dieser Weltkonzern sei eine Nummer zu groß für die ehemalige Erzieherin?

Ja, diese Vetterleswirtschaft – Verzeihung, alle Vetter dieser Welt, man müsste präzis von Weiberleswirtschaft sprechen – gefährde das ganze Unternehmen, das gerade dabei ist, die Weltspitze zu erklimmen?

Ein Rückfall in den schlimmsten Nepotismus? (Nepos heißt Neffe, das trifft’s auch nicht). Sollen wir von Genderismus, Clan-Autismus sprechen?

Piech selbst sei zwar ein komischer Vogel – der sich vor Jahren nicht scheute, den Wettbewerb mit seinen Konkurrenten als „Krieg“ zu deklarieren, (weshalb man seine Intervention mit der Gattin als listige Frontstrategie einstufen müsste) – , doch immerhin wäre er ein genialer Bastler, der jeder überflüssigen Fuge in Blech den Kampf angesagt hätte.

Doch seine um 20 Jahre jüngere Frau, die außer einem Kindergarten noch nichts Nennenswertes geleitet hätte? Sollte die den Konzern wie eine Horde undisziplinierter Bälger herumscheuchen, was sollen da die Börsen denken?

Doch hallo, BZ, aufwachen. Lebt ihr in Berlin hinterm Mond? Schon mal was von Liz Mohn gehört, die den Bertelsmann-Konzern von ihrem Mann übernahm – und als Telefonistin im damaligen Lesezirkel begonnen hat? Oder von Friede Springer, die – welch Zufall – auch als Erzieherin im Hause Springer ihre märchenhafte Karriere begann? (Vorsicht vor Erzieherinnen im Haus, die haben’s nur auf den Hausherrn abgesehen.)

Merkt euch, ihr phantasielosen Reifenwechsler, Frauen sind Generalistinnen, die müssen nicht wissen, was ein 12er-Schlüssel ist, um Männer auf Vordermann zu bringen. Die müssen sie erziehen, also aus Ingenieuren Menschen machen. Das gelingt ihnen immer famoser. Die Zukunft der Männer als Fachidioten sieht düster aus.

 

Die TAZ ist vorbildlich pluralistisch. Nachdem sie vor Tagen unseren künftigen Bundespräsidenten als Stinkstiefel bezeichnete, erhebt sie ihn heute zu Jesus II. Gauck sei ein perfekter Menschenfischer. Selbst vor einem Markuszitat schreckt das linke Urchristenblatt nicht zurück: „Und Jesus sprach zu ihnen: Kommt mir nach und ich werde euch zu Menschenfischern machen.“

Sind Fischer nicht jene Jäger der Teiche und Meere, die unschuldige Fische aus dem Wasser ziehen, sie japsen lassen, bis sie verrecken? Die besten werden verspeist und ihre Gräten auf den Biomüll geworfen?

Da müssen wir uns warm anziehen, wenn der Menschenfischer durch die Lande reist und sein selektives Netz auswirft.

 

Wie warnt man sachgemäß vor Weltuntergang? Am besten so, dass man keinen Menschen unnötig erschreckt.

In Deutschland gibt’s keine angemessenen Warnmethoden, seit der SPIEGEL vor Jahrzehnten die Neigung der Deutschen zu apokalyptischen Untergangsszenarien entdeckte.

Damals hatte das den Sinn, die mächtig aufkommende ökologische Bewegung in die Schranken zu weisen. Die Grünen wurden gar zu erfolgreich und begannen, Unternehmer und Gewerkschaften zu nerven.

Ja, auch die Gewerkschaften, die in den neuen Fortschritts- und Technikfeinden nur Vernichter von Arbeitsplätzen sahen. Übrigens noch immer der Grund für den Wankelmut der SPD in allen Umweltfragen.

Als die ersten Hochrechnungen der Umweltpropheten nicht eintrafen, atmete das Establishment auf: alles Alarmismus! Alles deutsche Schwarzmalerei!

Man entdeckte die stilprägenden Essentials des christlichen Glaubens, darunter das Dogma vom göttlich hergestellten Ende der Welt, auch Apokalypse genannt.

Das letzte Buch des Neuen Testaments heißt Apokalypse des Johannes, eine Schau des kommenden Untergangs der Welt. Der Verfasser wird zumeist mit Jesu Lieblingsjünger identifiziert, was mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch ist.

Solche phantastischen Visionen waren damals nicht ungewöhnlich. Heutige Theologen, die sich des grausamen Buches schämen, behaupten, der Sinn der Rache- und Untergangsbilder sei die Kampfansage an das damalige römische Reich gewesen, dem die Urchristen die Krätze an den Hals wünschten – um selbst die Herrschaft in einem neuen Reich Gottes zu übernehmen.

Was ab Konstantin bis auf den heutigen Tag gelang. Der Vatikan ist nicht nur ein klerikales, sondern auch ein politisches Gebilde, der Papst hat die zwiefache Funktion eines geistlichen und weltlichen Oberhaupts.

Wenn der eifrige Katholik Scholl-Latour stets das Wort zitiert: Mein Reich ist nicht von dieser Welt, um das Christentum von allen weltlichen Ambitionen zu entlasten – im Gegensatz zum bösen Islam –, dann muss er das Oberhaupt seiner Großsekte verdrängt haben. Der ist auch nur ein Ajatolla in christlicher Toga.

Bei Protestanten ist die Chose gebrochener. Einerseits „Seid untertan aller Obrigkeit, denn es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre“. Das klingt nach Unterordnung unter die weltliche Macht. Andererseits bleiben die Bischöfe einflussreiche Kanzelredner der Kaiser und Fürsten.

Mit der „Macht des Wortes“ herrscht man aus dem Hintergrund, was in Form ökumenischer Gottesdienste heute noch praktiziert wird.

Ein wesentlicher Grund für die momentane Dominanz protestantischer Kandidaten. Es waren vor allem Pfarrersöhne und protestantische Philosophen, die die Kluft der Aufklärung zwischen Glaube und Vernunft nicht zu groß werden ließen.

Die Katholiken lagen damals noch im Winterschlaf und ignorierten alles, was die Welt mit Rationalität bezeichnete. Erst in der Romantik begann die Aufholjagd der ultramontanen Jünger. Kaum ein feinfühliger Dichter und Poet, der am Ende seines kurzen Lebens nicht dem bayrischen Sinnenbarock in die Hände fiel.

Luther mochte das letzte Buch des Neuen Testamentes nicht, gleichwohl war auch er davon überzeugt, dass die Welt zu seinen Lebenszeiten unterginge. Das war der Glaube fast jeder Generation seit Übernahme des christlichen Glaubens durch die Germanen. Denn der Herr hatte prophezeit: wartet, wachet, ich komme bald.

Man könnte die ganze abendländische Geschichte als Chronologie ununterbrochenen Wartens und Enttäuschtwerdens erzählen. Die Enttäuschungen durfte man sich aber nicht eingestehen, denn das wäre Aufkündigung des Glaubens gewesen.

So hielten sie an der Apokalypse fest. Doch je mehr sie enttäuscht wurden, je mehr gingen sie zur selbsterfüllenden Prophezeiung über. Der soziologische Begriff ist ein theologischer und bedeutet: wenn ich an ein zukünftiges Ereignis glaube, das sich nicht einstellt, bin ich unbewusst oder bewusst gezwungen, es selbst tatkräftig herbeizuführen.

Das führt uns zu der Frage: welche Warnungen vor künftigen Gefahren entstammen dem emotionalen Fundus des Glaubens und sind irrational – und welche Gefahren sind empirisch belegbar?

Wer nur auf den Glaubensanteil hinweist, um alle empirischen Symptome als neurotisch und unangemessen zu disqualifizieren, ist in der Gefahr des Anti-Alarmismus, der irrationalen Beschwichtigung.

Wer diesen gläubigen Faktor hingegen negiert, wird Mühe haben, die objektiven Fakten realistisch zu sehen und könnte zur Übertreibung neigen.

In diesem Dilemma bewegen wir uns. Just wie der ZEIT-Artikel von Dagny Lüdemann:

Der Widerspruch zwischen nachweisbaren Gefahren und einer unangemessen überhöhten oder unterkühlten Warnung zeigt sich im letzten Satz: „Der Bericht warnt eindrücklich vor vielen realen Gefahren, die nicht zu unterschätzen sind. Die alarmierende Art, wie die OECD dies aufbereitet, ist wenig zielführend.“

Entweder sind Gefahren reell, dann sollten bei uns alle Warnlampen aufleuchten – oder sie sind es nicht, dann können wir uns entspannt zurücklehnen.

Eine wahrhaft realistische Einschätzung erforderte nicht nur die kühle und objektive Wahrnehmung der Wirklichkeit, sondern eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem emotional apokalyptischen Glaubenserbe unserer gar nicht säkularen Kollektivseelen.