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Freitag, 15. Juni 2012 – Inszenierung

Hello, Freunde des Gesprächs,

wann hatten Sie das letzte Gespräch, von dem Sie, wenn Sie Hölderlin-Deutsch könnten, gesagt hätten: gut ist ein Gespräch und zu sagen des Herzens Meinung?

Oh, das kann anstrengend sein, wenn Herzens Meinung auf Herzens Meinung trifft. Das kann ein Ringkampf sein, kann dich zur Wut reizen, da kämpfen im Innern zwei Seelen in deiner Brust: du willst erkennen, verstehen, fremde Einsichten hören, und du willst deine Meinung verteidigen und – oje – Recht haben.

Das Herz ist kein Ort der Idylle, sondern das Forum deiner kleinen internen Republik, wo all deine Meinungen zusammenströmen, deine Ichs sich aneineinander messen und sich gegenseitig aufs Kreuz legen. Und du musst moderieren, jedem deiner Ichs gerecht werden, nachfragen, Missverständnisse klären, ausgleichen, überprüfen.

Nach echten Gesprächen sind schon Freundschaften zerbrochen. Weil es zur Sache geht und die Leidenschaften toben. Popper behauptete, in einem temperamentvollen Gespräch in Oxford wollte Wittgenstein mit dem Schürhaken auf ihn losgehen. Da können Mordsgelüste hochkommen, wenn der fremde Rechthaber deine simpelsten Wahrheiten nicht einsehen will.

Solche vulkanischen Ausbrüche sind eine Reverenz an die Wahrheit, an die Suche nach der Wahrheit. Wer um der Wahrheit willen tobt, dem kann sie nicht gleichgültig sein.

Die Postmoderne hat den edlen Wettstreit um die Wahrheit abgesetzt, sie kennt keine Wahrheit. Heute bleibt jeder cool, alles andere macht ihn lächerlich. Vor allem gilt der Wahrheitssucher als intolerant, obgleich er

der toleranteste ist, denn er respektiert, dass Wahrheit niemandem gleichgültig sein darf. Die Intolerantesten sind die Coolen und Gleichgültigen, sie haben nichts zu dulden.

Wie kann man fremde Wahrheiten dulden, wenn man keine kennt und nur das Interesse hat, sich vorteilhaft zu inszenieren? Wie muss man sich geben, sich in Szene setzen: beim Bewerbungsgespräch, beim Gehaltstalk mit dem Chef, auf der Mitarbeiterkonferenz, beim Small Talk in der Kantine, beim ersten Treffen mit der fremden Schönen?

Äußert einer eine prononcierte Meinung und riskiert dabei Kopf und Kragen, ist die erste Frage in der Öffentlichkeit nicht: hat er Recht, sondern, was will er mit dem Eklat, was führt er im Schild, worauf will er hinaus?

Die Medien sind inzwischen nur noch Bühnen für Selbstinszenierungen. Die öffentliche Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut, da muss man sich ständig überbieten in Kaspereien und Lärmentwicklung, damit das gelangweilte, abgebrühte und mit allen Wassern der Werbepsychologie gewaschene Publikum sich überhaupt umdreht.

Mitten in der Fußgängerzone erschießt ein Mann seinen Nebenbuhler und bleibt mit rauchender Pistole triumphierend neben der Leiche stehen. Kein Mensch hielte das für Realität, jeder würde wissend vor sich hinmurmeln: Aha, Versteckte Kamera.

Mitten in der Gesellschaft erschießt ein Mann Vernunft und Aufklärung. Die Mehrheit schaut gar nicht hin, die wenigen Insider wissen, dass sich ein SPIEGEL-Schreiber mit einer bluttriefenden Inszenierung in Erinnerung rufen und seinen Ruf als böser Bursche erneuern wollte.

Medien sind Meister der Kulissenschiebereien, die, wie Gott keine Nebengötter, keine Neben-Inszenierer in ihrem Revier dulden. Wenn Günter Grass aus Sorge um den Weltfrieden seine Gedanken veröffentlicht, gibt’s Saures aus den Hochburgen der Dramaturgie: Muss dieser eitle Greis uns schon wieder auf die Nerven gehen, weil er nicht fähig ist, ruhig in seinem Zimmer sitzen zu bleiben und sich seines belanglosen Lebens zu freuen?

Es gibt nicht mehr als zwei Gesetze der Inszenierung:

1) Inszenierungen, die von den Medien ausgehen, seien keine, sondern objektive Fakten und Tatsachen, die von den Medien lediglich beobachtet werden. Sagen die Medien. Ihre Erfindungen geben sie als Trends und Gesetze aus. Was sie selbst produzierten, wollen sie nicht getan haben: sie sind nur distanzierte Tagesbeschreiber, Protokollanten des Seins, die zwischen Beschreibung und Bewertung genau zu unterscheiden wüssten.

2) Inszenierungen, die von Unbefugten, Schreihälsen, Wichtigtuern „losgetreten“ werden, sind platte und hohle – Inszenierungen, die von der unbestechlichen Vierten Gewalt aufgedeckt und als Alfanzereien aufgespießt werden müssen.

Betrachten wir die beiden Positionen näher, erkennen wir unschwer einen Kampf zwischen objektivem und subjektivem Idealismus. Obgleich beide Idealismus sein wollen, sind sie das genaue Gegenteil voneinander.

Der objektive Idealismus geht von der Objektivität der Wirklichkeit aus, die wir nicht erfunden haben und an der wir wenig bis nichts ändern können. Und sollen: Platon.

Jetzt müssten wir noch Platons Rivalen hinzunehmen, die objektiven Materialisten. Denn es geht hier nur um eine von Menschen unabhängige Seinsform. Ob die nun aus immateriellen Ideen wie bei Platon oder aus materiellen Atomen oder sonst welchen handfesten Elementen besteht, kann uns in diesem Zusammenhang gleichgültig sein. Wichtig ist allein, dass es da draußen etwas gibt, das nicht von unseren Gnaden lebt.

Der subjektive Idealismus der Moderne ist hingegen ein philosophischer Sprössling des christlichen Schöpfertums. Die Realität, die Natur, hat sich nicht selbst erschaffen, sondern wurde erschaffen. Die Wörter erschaffen oder kreieren kann man getrost mit „inszenieren“ übersetzen.

Die ganze Welt ist eine Inszenierung Gottes. Seit dem Barock spricht man von theatrum mundi. Das war nicht positiv gemeint. Die irdische Welt ist ein Schauspiel der Eitelkeit und Nichtigkeit. Luther übersetzte nichtig mit eitel.

Die bekannten Stellen stehen im Buch Prediger: „Wie ist alles so eitel, spricht der Prediger. Wie ist alles so nichtig! Es ist alles umsonst. Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne?“ Der Verfasser beklagt, dass alles kommt und geht – und dennoch bleibt alles gleich, kehrt alles wieder. „Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter …Was gewesen ist, wird wieder sein, und was geschehen ist, wieder geschehen: es gibt nichts Neues unter der Sonne. Oder ist etwas, von dem man sagen möchte: Siehe, hier ist ein Neues? Längst schon ist es dagewesen, in den Zeiten, die vor uns gewesen sind. Der Frühern gedenkt man nicht mehr; und auch der Spätern, die kommen werden, auch ihrer wird nicht mehr gedacht werden bei denen, die nach ihnen kommen.“ ( Altes Testament > Prediger 1,1 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/1/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/1/“>Pred. 1,1 ff)

Das erstaunliche, auf den ersten Blick gar nicht in den Kontext des Alten Testaments passende Buch ist eine Auseinandersetzung zwischen der hellenischen Philosophie und dem jüdischen Geschichtsdenken. Seit Alexander dem Großen war das heilige Land von den Griechen besetzt, die überall ihre Städte und Gymnasien erbauten und ihre Philosophie verbreiteten.

Paulus wuchs in beiden Kulturen auf, just wie heutzutage ein türkisches Kind die deutsche und die türkische Kultur verinnerlicht.

Wir stehen vor dem ersten gewaltigen Zusammenprall zwischen linear göttlicher Heilsgeschichte und zyklischer Naturgeschichte, in der kein grundsätzlich Neues möglich ist. Das Wahre ist das Alte, das sich zeitlos und unveränderbar bewährt.

Der Unterschied ist, dass Gläubige sich mit der bloßen, sich ewig im Kreise drehenden Natur nicht abfinden wollen. Sie forschen nach einem Sinn, der sich nicht darin erschöpft, das vorhandene Geschehen zu beobachten, widerzuspiegeln und zu wiederholen. Es muss noch was anderes geben, als das, was sich uns als schnöde, profane Wirklichkeit präsentiert.

Stellt jemand sich verzweifelt die Frage: was ist der Sinn des Lebens, meines Lebens? sagt er, dass ihm das Vorhandene, das Bekannte und Selbstverständliche nicht mehr genügt. Es muss doch mehr als alles geben, sagt Sinnsucher Higgelti Piggelti Pop, mit ihm alle Sinn- und Himmelssucher.

Denn wem das Leben hienieden, das Dasein in Natur und unter Menschen nicht genügt, der hält Ausschau ins Drüben, aus dem eine Unsichtbare Hand herniederkommen soll, um zu sagen: dein natürliches Leben ist nur das vorläufige und unzulängliche. Zu Recht bist Du unzufrieden, denn es gibt noch das ganz Andere, das dem Alten und Vertrauten einen höheren Sinn verleiht.

Durch Romantisieren haben die Romantiker das Bekannte zum Unbekannten ver-fremdet, um der Natur durch das Fremde einen Sinn zu geben. Demselben Programm folgt die heutige Kunst: womit sie sich, ohne es zu wissen, als naturfeindliche Sinnsuche entlarvt.

Wahre Sinnsucher können keine Naturfreunde sein, das ewige Wiederholen des Gleichen geht ihnen auf den Wecker.

So erging‘s Kohelet, dem Prediger. Er war nicht wenig angesteckt von der Ideologie der neuen griechischen Herren und suchte zu ergründen, was sie wollten und ob es einen Widerspruch gebe zwischen ihnen und seinem traditionellen Glauben. „Ich gedachte alles, was unter der Sonne geschah, durch Weisheit zu erforschen und zu ergründen: eine leidige Müh, die Gott verhängt hat.“ ( Altes Testament > Prediger 1,13 f / http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/1/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/1/“>Pred. 1,13 f)

Für Griechen war die Erforschung der Weisheit keine von Gott verhängte Müh, sondern ein selbstbestimmter leidenschaftlicher Akt. Hier sehen wir die erste Konfrontation zwischen göttlicher Offenbarung und eigenständigem Denken, das „Mühe macht“, denn niemand sagt dir, was du zu tun und zu denken hast. Alles hängt allein von dir ab.

Was ist das Ergebnis der Wahrheits- und Sinnsuche des Kohelets? Seine Antwort: „Siehe, ich habe grosse und immer grössere Weisheit erworben, mehr als alle, die vor mir über Jerusalem herrschten, und mein Herz hat Weisheit und Wissen in Fülle erschaut Doch ich erkannte: Auch dies ist nur ein Haschen nach Wind. Denn wo viel Weisheit, da ist viel Verdruss, und je mehr Wissen, desto mehr Schmerz.“ ( Altes Testament > Prediger 1,16 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/1/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/1/“>Pred. 1,16 Altes Testament > Prediger 1,16 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/1/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/1/“> ff)

Die Suche nach Weisheit hat nichts gebracht außer Schmerz und Verdruss. Und also lautet des Predigers Beschluss: „Wie ist alles so nichtig, spricht der Prediger. Es ist alles umsonst.“ ( Altes Testament > Prediger 12,8 / http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/12/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/12/“>Pred. 12,8).

Diese Haltung des Predigers nennt Gerhard von Rad Skepsis und zieht damit eine Parallele zur griechischen Skepsis, die ein Spätprodukt – manche sprechen auch von Verfallsprodukt – der klassischen Philosophie war.

Auf den ersten Blick gibt es tatsächlich Parallelen. Pyrrho und Genossen waren es leid, den ununterbrochenen Streitigkeiten zwischen Platonikern, Aristotelikern, Epikuräern, Stoikern und anderen zuzuschauen. War das nicht ebenfalls ein nutzloses Haschen nach Wind: diese ewigen Spitzfindigkeiten, dieses ergebnislose Begriffsjonglieren?

So machten sich die Skeptiker mit einem außerordentlichen Aufwand an logischer Kompetenz über alle Thesen der rivalisierenden Schulen her. Mit dem Ergebnis: alles unhaltbarer Schrott. Nichts beweisbar, nichts schlüssig, alles widersprüchlich. Schlussfolgerung: theoretisch können wir nichts wissen, die Behauptungen der Schulen sind nicht haltbar.

Ist das müde und deprimierte Resignation, die Aufforderung zur Selbstentleibung? Im Gegenteil. Theoretisch müssen wir gar nichts wissen, um unsren Seelenfrieden in der Praxis zu finden: in der Meeresstille der Seele. In dieser Hinsicht erwiesen sich die Skeptiker als radikale Sokratiker: Wir wissen, dass wir nichts wissen.

In der Tat zerfetzte Sokrates viele Behauptungen der Weisen in der Luft. Auch über Götter könnten wir nichts Definitives aussagen. Was wir jedoch auf jeden Fall „wissen“, ist, dass wir tugendhaft sein können, um ein glückliches Leben zu führen – selbst, wenn wir dazu unser Leben opfern müssten.

Bei Kohelet klingt’s ähnlich: „Freue dich, Jüngling, in deiner Jugend, sei guter Dinge in der Blüte des Lebens! Wandle, wie es dein Herz gelüstet und geniesse, was deine Augen erschauen! ( Altes Testament > Prediger 11,9 / http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/11/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/11/“>Pred. 11,9) Wenn das niemanden an den Lüstling Epikur erinnert, ist er ein Sauertopf.

Doch jetzt kommt das Aber, schließlich sind wir im Land des Glaubens an einen sittenstrengen Gott: „Doch wisse, dass um all diese Dinge Gott dich vor Gericht ziehen wird.“ Schluss mit Epikur, der die Götter weit weg ins Universum verpflanzte, wo sie vom Schwachsinn der Menschen so wenig behelligt sein wollten wie Deutsche vom Lärm ihrer heißgeliebten Kinder.

Einerseits lustfreundlich, aber bitte nicht zu viel, so der gespaltene Autor. Vor allem Finger weg von weiblichen Venusfallen: „Bittrer als der Tod ist das Weib, sie ist ein Fangnetz, ihr Herz ist ein Garn und ihre Hände sind Fesseln. Wer Gott gefällt, der entrinnt ihr; wer aber sündigt, wird von ihr gefangen.“ ( Altes Testament > Prediger 7,26 / http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/7/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/7/“>Pred. 7,26)

Muss ja mal gesagt werden, vor allem in feministischen Triumphzeiten, wo die Frauen viel zu sehr verhätschelt werden. Was wir gerade bei den Schleckerfrauen erleben mussten.

Doch die Gesamtbilanz Kohelets haben wir noch nicht erreicht. Sie steht am Schluss des Buches: „Die Worte der Weisen sind gleich Ochsenstacheln, und gleich eingeschlagenen Nägeln sind die gesammelten Sprüche Und ferner noch: Mein Sohn, lass dich warnen! Des vielen Büchermachens ist kein Ende, und das viele Studieren ermüdet den Leib. Die Summe des Ganzen höre: Fürchte Gott und halte seine Gebote“ denn das ist des Menschen Sache. Denn Gott wird jegliches Tun vor sein Gericht bringen, das über alles Verborgene ergeht, es sei gut oder böse.“ ( Altes Testament > Prediger 12,11 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/12/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/12/“>Pred. 12,11 ff)

Außer Platon kennt kein griechischer Denker ein göttliches Gericht, das nach dem Leben über den Menschen urteilt. Denn der Mensch erntet, was er sich eingebrockt. Zufällige Katastrophen und äußerliche Ungerechtigkeiten, an denen er unschuldig war, hatte er stoisch zu ertragen, denn die gingen ihn nichts an. Hatte er Glück, konnte er die Bilanz seines Lebens als Ernte seines tugendhaften Verhaltens einbringen. Ein göttlicher Richter, der im Nachhinein Zensuren, Trophäen und Strafen verteilt, war unvorstellbar.

Dass Studieren nichts bringt, sondern nur auslaugt und apathisch macht, würden die meisten Bachelors heute mit Herzblut unterschreiben.

Der Sinn natürlichen Lebens ist, so saftig, lustvoll wie möglich zu leben, wenn’s geht, im Einklang mit Mensch und Natur.

Der übernatürliche Sinn des Lebens ist, die Gebote eines Gottes zu erfüllen, um nach Abschluss des Lebens Zensuren, Lohn und Strafe zu kassieren. Die eigene Beurteilung spielt keine Rolle. Man kann nicht einschätzen, ob man ein wirklich guter oder schlechter Mensch gewesen ist.

Hier gibt’s allerdings gewaltige Unterschiede zwischen Juden und Christen. Juden glauben sehr wohl, ihr Leben nach dem Gesetz beurteilen zu können. Christen müssen ihr ganzes Leben lang zittern und die finale Quittung dem unerforschlichen Ratschluss Gottes überlassen.

Nach biblischen Vorstellungen hat der Schöpfer das Regiment über die ganze Schöpfung. Doch schon lange hat er sich zurückgezogen und überlässt das Geschehen auf Erden weltlichen Gesetzen und Zufälligkeiten. Erst am Ende des Experiments wird er seine Anonymität aufgeben, persönlich ans Ruder gehen, Bilanz ziehen und penibel Lob und Strafe austeilen.

Während der ganzen Geschichte überlässt er das Feld seinem teuflischen Nebenbuhler, der schalten und walten kann, als sei er alleiniger Herr des weltlichen Geschehens. Verständlich, dass die Frommen oft verzweifeln und irrewerden an ihrem persönlichen Herrn und Heiland, dem sie im Gebet zurufen: warum mir das? Diese Heimsuchungen und Plagen, wo ich doch dein Knecht bin und alles tat, nur um dir zu gehorchen?

Da ist schon mancher Hiob gescheitert und hat von seinem Gott im Zorn Abschied genommen. Oder das Denken abgestellt: „Darum habe ich geredet in Unverstand, Dinge, die zu wunderbar für mich, die ich nicht begriff.“ ( Altes Testament > Hiob 42,3 / http://www.way2god.org/de/bibel/hiob/42/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/hiob/42/“>Hiob 42,3)

Gott ist gerecht, doch die Ereignisse in seiner – an den Teufel ausgeliehenen – Welt sind es nicht. Welche Schlüsse zieht der Prediger? Dieselben wie der neoliberale Hayek, der sich immer auf Kohelet berief, um seine Definition der Marktlogik – die das Denkvermögen des Menschen weit überragt – zu rechtfertigen.

Ist der Markt gerecht? Soll er überhaupt gerecht sein? Muss der Mensch sich nicht damit begnügen, alles dem unerforschlichen Walten des überlegenen Marktes zu überlassen? „Wiederum sah ich unter der Sonne, dass nicht den Schnellen der Preis zufällt, und nicht den Helden der Sieg, und nicht den Weisen das Brot, noch den Verständigen der Reichtum, noch den Einsichtigen Gunst; denn alle trifft Zeit und Zufall.“ ( Altes Testament > Prediger 9,11 / http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/9/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/9/“>Pred. 9,11).

Zwei Antworten müssen gegeben werden:

A) Der Markt scheint – mit menschlichen Augen betrachtet – nicht gerecht. Alles unterliegt dem krausen Ungefähr, der Willkür und Ungerechtigkeit.

B) Dennoch ist der Markt gerecht, denn er liegt in Gottes Hand. Am Ende der Tage wird sich die Gerechtigkeit offenbaren. Dann gibt’s Remedur, Rache und nachträgliche Rehabilitierung. Bis dahin heißt es, sich bescheiden, glauben und hoffen. Der Mensch ist nicht fähig, sein Schicksal selbst zu gestalten.

Wir können den Sack zubinden. Angelockt vom Zauber der griechischen Kultur, sucht auch der Prediger nach weltlicher Weisheit. Vergebens. Die Suche bringt nichts außer Störungen des Gemüts, Leiden und Schmerzen. Ergo überlässt der Fromme alles der überlegenen Weisheit des Herrn.

Der Grieche sucht Wahrheit und Weisheit, um sein Leben auf Erden tugendhaft und gerecht einzurichten. Je mehr ihm dies gelingt, nicht nur im Privatleben, sondern auch in der Politik, je mehr kann er die gerechte Belohnung seines Denkens und Handelns im Hier und Jetzt erwarten. Könnte er die ganze Welt mit seiner perfekten Utopie überziehen, gäbe es – außer unvermeidbaren Naturkatastrophen – keine Ungerechtigkeiten mehr. Die geeinte Menschengattung erntete, was sie sich verdiente.

Womit wir wieder bei den Medien angekommen wären, die die Welt ambivalent betrachten:

a) als eitles und nichtiges theatrum mundi, als Inszenierung des Menschen.

b) als objektiv vorgegebene Realität, die sie nur beobachten und getreulich spiegeln können.

Als Beobachter sind sie völlig auf die unmanipulierbare Wirklichkeit angewiesen, die sie nach der klassischen Erkenntnistheorie zu erkennen und imitativ abzubilden haben: Wahrheit ist Übereinstimmung des Denkens mit der Wirklichkeit. Das Denken des Menschen hat sich der Objektivität vorbehaltlos zu unterwerfen. Jede These und Schilderung kann von jedem anderen überprüft werden, indem er sie an der Realität misst.

Ist aber – nach a) – die Welt keine vorgegebene knochenharte Realität, sondern das Produkt einer nichtigen Inszenierung, die glaubt, den Menschen ein X für ein U vormachen zu können, gibt’s keine Überprüfung anhand objektiver Kriterien. Je überwältigender, glitzernder und verblüffender das Welt- und Medientheater, umso eher lassen sich die Menschen vom blendenden Schein ins Bockshorn jagen.

Eine Überprüfung ist nicht möglich, denn die objektive Realität wird geleugnet. Eine Wahrheit an sich gibt es nicht. Alles ist subjektiv. Nach welchem objektiven Maßstab sollte gemessen werden?

Im subjektiven Idealismus hat‘s der Mensch nur mit sich und den Produkten seiner phantastischen Einbildungskraft zu tun. Hier zählt keine Übereinstimmung mit der Natur – die unerkennbar, ja nicht existent ist –, sondern die autistische Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst.

Womit wir endlich bei Günter Jauchs Gesprächskünsten angekommen wären, die von einer ARD-Kommission auf die Waage gelegt und zu leicht befunden wurden. Seine Moderation schwanke zwischen lascher Wahrheitssuche und sachfremden Inszenierungen.

Jauch kann in der Tat kein Gespräch führen. Er will verblüffen und staunen machen, um die Zuschauer in sachfreien Bann zu ziehen und nicht, um sie in die Vertracktheit eines wichtigen Themas einzuführen.

Jauch, Plasberg – und die meisten seiner KollegInnen – sind Gaukler. Auf Erkennen der objektiven Realität legen sie wenig Wert. Sie gebärden sich als Regisseure eines eitlen und nichtigen theatrum mundi, als Ebenbilder eines Gottes, der seine Schöpfung als subjektive Erfindung aus dem Nichts wie das Kaninchen aus dem Zylinder zog.

Insofern sind Medien und TV-Kanäle die effektivsten Werkzeuge einer illusionären magischen Transzendenz. Nach dem Eröffnungsakt: Abrakadabra, es werde Licht, folgt gegenwärtig der letzte Akt: Abrakadabra: es herrsche Dunkelheit über den Wassern.