Kategorien
Tagesmail

Freitag, 10. Februar 2012 – Heilsgeschichte als Wette

Hello, Freunde Spaniens,

elf Jahre Berufsverbot für Garcón, den spanischen Despotenjäger und Aufklärer der Untaten aus Francos Zeiten. Ein Tiefschlag für Europa.

Deutsche Abgeordnete geben sich empört über Wulffs Abzocke bei edlen Freunden, sie selber können fast nicht behelligt werden. Christian Bommarius: „Das deutsche Strafrecht bedroht korrupte Abgeordnete nicht mit Verfolgung, vielmehr schützt es sie vor Bestrafung.“

Linke und Grüne wollten ein schärferes Gesetz einbringen, sie scheiterten an gewählten Christen. Deutschland hat zwar ein Übereinkommen der UN und des Europarats unterschrieben, aber bis heute nicht ratifiziert. In guter Gesellschaft mit Staaten wie Saudi-Arabien, Sudan, Birma und Syrien.

Sollen Abgeordnete keine Vorbilder sein? Wulff müsse Moral zeigen, da er keine Macht habe, hatten die meisten Kommentatoren betont. Ist es bei Gewählten etwa anders? Da sie über die Macht der Gesetze verfügen, bräuchten sie keine Moral? Der Bundespräsident war also nur pars pro toto.

Warum schäumt die Vierte Gewalt nur gegen den Einen, nicht aber gegen die Vielen? Gegen ein „System“ schäumt man nicht.

Es darf auf den Tod gewettet werden. Bascha Mika beschäftigt sich im heutigen BZ-Kommentar mit Wetten auf den Tod von Menschen, genauer, auf den Tod Von 500 Leuten in den USA. Ob prominente Politiker darunter sind, wurde nicht bekannt. Nach welchen Kriterien ausgewählt wurde, auch nicht. Gab es diese

niedliche Börsenwette schon vor Kennedys Ermordung in Dallas? Oder jüngst bei Gaddafi? Wie wär’s mit Assad als Objekt der Wette? Wenn man mich auf Knieen bitten würde, fielen mir noch ein paar Herzchen ein, auf deren sozialverträgliches Ableben ich mein umfangreiches Vermögen setzen würde.

Nein, gehen wir gleich ins Meta-Physische. Wie wär’s mit ner Wette um alle Goldvorräte von Fort Knox auf den Tod der leidigen Natur, die einfach nicht krepieren will?

Immer wieder werden neue Arten entdeckt, obgleich wir doch täglich bei Hunderten von Arten erleichtert aufatmen können: auf die rote Liste und abgehakt! Hört denn dieses ekelhafte Zeugungs- und Brutspiel um uns herum nie auf? Wenn wir uns schon selbst auf die rote Liste setzen, wollen wir doch sicher sein, dass nicht ausgerechnet das minderwertigste Leben über uns triumphiert.

Die Urkonkurrenz besteht nicht zwischen auserwählten und weniger auserwählten Völkern, sondern zwischen Tieren und Menschen. Vor allem diese unendlich cleveren und hinterlistigen Ameisen, die schon riechen, dass es mit uns abwärts geht. Wie die jetzt schon Feste feiern, habe ich gestern in ARTE gesehen!

Hat schon jemand vom Geschwisterneid der Gattungen gesprochen? Ist das kein endgültiger Beweis für die Nichtexistenz Gottes, wenn die Krone der Schöpfung gefährdet ist, aber die meisten Viecher uns dreist und frech überleben werden? Nehmen wir so viel wie möglich von diesem Ungeziefer mit, wenn unser babylonischer Turm demnächst in den Dreck fällt.

Wenn schon geistlose Vulkane es geschafft haben, die dinosaurischen Kolosse vom Erdboden zu tilgen, so werden wir es wohl schaffen, wenigstens die verdammten Nacktschnecken auszurotten, die uns den Kopfsalat wegfressen. Schon wieder krabbelt eine unverschämte Spinne quer über meinen vergeistigten Laptop.

Doch jetzt ein kleiner Test für die Klassikerfreunde unter den lieben Schwestern und Brüdern im Herrn. Von wem?

„Und freilich ist nicht viel damit getan, Was sich dem Nichts entgegenstellt, Das Etwas, diese plumpe Welt, soviel als ich schon unternommen, Ich wusste nicht ihr beizukommen, Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand – Geruhig bleibt am Ende Meer und Land! Und dem verdammten Zeug, der Tier- und Menschenbrut, Dem ist nun gar nichts anzuhaben: Wie viele hab ich schon begraben, Und immer zirkuliert ein neues, frisches Blut! So geht es fort, man möchte rasend werden! Der Luft, dem Wasser wie der Erden, Entwinden tausend Keime sich, Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten! Hätt ich mir nicht die Flamme vorbehalten, Ich hätte nichts Aparts für mich.“

Nein, nicht von Faust, sondern seinem Alter Ego. Jetzt erst antwortet der deutsche Urgelehrte in seiner gehätschelten Sinnkrise:

„So setzest du der ewig-regen, Der heilsam-schaffenden Gewalt, Die kalte Teufelsfaust entgegen, Die sich vergebens tückisch ballt! Was anders suche zu beginnen, Des Chaos wunderlicher Sohn!“

Worum geht’s? Um Gott, den Creator aus dem Nichts, und seinen Widersacher, den Destructor ins Nichts. Der Teufel ist der Erfinder des Nihilismus.

Die gesamte Schöpfungsgeschichte kann in einem Sätzchen erzählt werden: aus Nichts gemacht, ins Nichts zerstört. Zwischen Nichts und Nichts die menschliche Heils- und Unheilsgeschichte.

Wenn schon die Frommen ihren Gott nicht verstehen, sollten es wenigstens diejenigen versuchen, die ihn von seinem Erlösungswahn – erlösen wollen. Ja, ihr Lieben, Gott versteht sich selber nicht, Er braucht uns.

Es muss ein sehr kluger Weiser gewesen sein, der sagte, wir müssen Gott erlösen, damit er endlich Feierabend machen und sich aufs Altersteil zurückziehen kann. Seine Jünger sind jedenfalls die Letzten, die ihn kapieren werden. Sie betonieren Ihn zu mit ihrem Glauben, damit sie Ihn verstockt nie verstehen müssen. Ihr Glaube ist nichts anderes als ein hinterfotziges Verstehenverhinderungsprogramm.

So sind sie alle, dieses Gewürm aus Schülern, Abhängigen und Gefolgsleuten, die sich durch fanatischen Scheingehorsam weigern, die armen Autoritäten, Eltern und Lehrer in ihrer hohen Not und einsamen Verantwortung auch nur im Geringsten wahrzunehmen und zu verstehen.

Doch wir sind nicht so wie jene und gucken jetzt mal genau hin. Und was erblicken wir? Einen armen, vereinsamten, eifersüchtigen Mann, pardon Übermenschen, der sich für genial hält.

Doch all seine Geschöpfe, besonders die Weiber unter ihnen, wollen dies nicht zur Kenntnis nehmen. Wer hat diese sekundären Rippen nicht schon hinterhältig grinsen sehen, wenn die Männer sich genial vor ihnen aufplusterten, von delikaten Bettsituationen gar nicht zu reden?

Für einen kreativen Mann ist es ein Leichtes, eine Welt aus Nichts zu zaubern. Das könnte er jeden Tag, wenn’s sein muss, doch was dann? Dann kommt die große Enttäuschung.

Zuerst bläht er sich auf und erteilt sich eine Eins plus für seine unvergleichliche Leistung. Dann aber kommt der Absturz, der absolute Fall: in diesem genialen Pfusch ist doch überall der Wurm drin! Wenn das nicht der Teufel selber ist, der mit Hilfe der „Gefährtin“ hinterrücks alles versiebt hat! Zuerst war Er übermäßig von Sich und seinem Werk eingenommen. Dann folgt der creative Kater, der Selbsthass auf alles Getue und Gemache, das hinten und vorne nicht taugt.

Zudem überkommt ihn noch der unbändige hegelianische Furor des Verschwindens – doch, doch, vor Erschaffung der Welt hat er Hegel gelesen, damit er weiß, wie man dialektisch aus Nichts ein plumpes Etwas herstellt – und er verflucht alles, was bei Drei nicht auf den Bäumen ist. „Als aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden, und dass alles Dichten und Trachten ihres Herzens die ganze Zeit nur böse war, da reute es den Herrn, dass er den Menschen geschaffen hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn tief. Und der Herr sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, die Menschen sowohl als das Vieh (das in Sippenhaft immer für die Sünden des Menschen mithaften muss), auch die kriechenden Tiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.“ (Wer fühlt sich bei dieser Vernichtungsorgie an seinem eigenen Fleisch und Blut nicht an Kronos erinnert, der aus Furcht, seine Bälger könnten ihm über den Kopf wachsen, die Brut sofort verspeiste? Was ihm aber nichts nützte, denn einige entkamen und kastrierten ihn rohlings. Um diesem schrecklichen Schicksal zu entgehen, ließ der Schöpfer seinen Sohn prophylaktisch ans Kreuz hängen, damit jener vollständig auf das Erlösungswerk des Vaters angewiesen wäre.

Das ist die Kehrseite des Macher- und Zeugerwahns. Nichts ist den Machern gut genug. Alles muss schnell in den Reißwolf und ein Neues aus dem Boden gestampft werden. Die Erneuerungssucht ist eine versteckte Vernichtungswut auf das misslungene „Alte“, das so schnell wie möglich einem „Neuen“ Platz schaffen muss. „Siehe, das Alte ist vergangen, es ist alles neu geworden“. (Der Schöpfer ist nachsichtig mit Sich und seiner lächerlich fehlerhaften Creation und gibt sich eine zweite Chance. Es ist Noah, der Gottversteher, dem es gelingt, mit seinen Grillkünsten den Herrn gnädig zu stimmen (weswegen das Grillen bei deutschen Männern so beliebt ist), indem er die köstlich-reinsten Tiere und Vögel auf dem Altar opfert. „Und der Herr roch den lieblichen Duft und sprach bei sich selbst: Ich will hinfort nicht mehr die Erde um der Menschen willen verfluchen, ist doch das Trachten des menschlichen Herzens böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen, was da lebt, was ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Erde, Frost und Hitze, Sommer und Winter und Tag und Nacht.“ ( Neues Testament > Offenbarung 21,25 / http://www.way2god.org/de/bibel/offenbarung/21/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/offenbarung/21/“>Offbg. 21,25)

Gott muss ein sehr unschlüssiger Mann gewesen sein, wankelmütig, reuig und absolut inkonsequent. Die Männer auf Erden sind seine reinsten Nach- und Abziehbilder. Erst angeben, was das Zeug hält, sich zu Weltmeistern in allen Dingen ausgeben. Dann am Boden zerstört, alles in einem Streich vernichten.

Auch das ist nicht das letzte Wort, schließlich gilt auch für Masters of Universe das Prinzip Versuch und Irrtum. Was die momentane Finanzkrise deutlich zeigt. Eben war Greenspan noch der Größte, plötzlich ermittelt der Staatsanwalt.

Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt, für diese männlichen Stimmungsschwankungen ist Angie nicht zu haben. Sie macht ihren Job wie eine nüchterne Frau und Mutter beim täglichen Abwasch und überlässt das „Hosianna und Kreuziget Ihn“ ihrem Predigervater oder sonstigen Feuilletonisten.

Wie sein Herr und Gott, so ist auch Faust. Zuerst will er alles wissen, dann nichts. Am Ende verflucht er alles, weil er nichts wissen und beherrschen kann: „So fluch ich allem, was die Seele mit Lock- und Gaukelwerk umspannt … Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben und Fluch vor allem der Geduld!“

Wenn große Leute heute eine typische Untugend nennen sollen, nennen sie meistens die Ungeduld, womit sie beweisen, dass sie genial wie Faust sind. Diese Totalzertrümmerung wird sogar dem Geisterchor zuviel:

„Weh! Weh! Du hast sie zerstört, Die schöne Welt, Mit mächtiger Faust (weswegen der Hauptdarsteller so heißen muss); Sie stürzt, sie zerfällt! Ein Halbgott hat sie zerschlagen! Wir tragen, Die Trümmer ins Nichts hinüber und Klagen Über die verlorne Schöne. Mächtiger der Erdensöhne, Prächtiger Baue sie wieder, In deinem Busen baue sie wieder auf! Neuen Lebenslauf Beginne mit hellem Sinne, Und neue Lieder Tönen herauf.“

Hier ist in wenigen Knittelreimen das ganze Programm des Abendlandes eingefangen. Bis hin zu den neuen Liedern wiedergeborener Menschen, die draußen erst alles abrasieren müssen, um es im eigenen Busen – als zweite Natur aus dem eigenen Kopf – besser, schneller, höher, weiter und schöner zu entwerfen und zu installieren.

Stopp, schöner nicht, im Gegenteil. Doch wozu muss Macht schön sein? Sie muss funktionieren. Seitdem darf Natur täglich hässlicher werden, was uns nicht tangiert. Wir verpanzern uns in dicken Autos, vollisolierten Häusern und garantiert naturfreien Megacities.

Wozu das ganze Spektakel, wird der geneigte Leser fragen? Worum geht’s denn dem Hofrat aus Weimar?

Zurück zum Anfang. Im so genannten Prolog wird alles auf den Tisch gelegt, womit wir erneut bei den Todeszockern wären. Es geht um eine Wette.

Die ganze Geschichte des homo fidens ist eine himmlische Ausgabe von Wetten, dass (weswegen der dortige Moderator konsequenterweise Gott-Schalck heißen muss. Goethe hat daraus Faust-Mephisto gemacht. Luther spricht von dem offenbaren und dem verborgenen Gott (deus revelatus et deus absconditus). Doch in seinem neuen Programm ist jener Gottschalck weder Gott noch Schalck, seine Quote lässt zu wünschen übrig.)

Der Diabolo wettet mit Gott, dass der Mensch, würde Gott ihn nicht so verhätscheln und verwöhnen, sofort seinen Schöpfer verraten, vom Glauben abfallen würde. Dass der Teufel ihn also problemlos seines Weges führen könnte.

„Mir ist für meine Wette gar nicht bange. Wenn ich zu meinem Zweck gelange, Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust: Staub soll er fressen und mit Lust, Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.“ Versteht ihr nun den geheimen Sinn der Feinstaubverordnungen? Die sollen uns helfen, den Ähnlichkeiten mit der Schlange zu entkommen. Ohne Staub keine materiellen Sünden.

Es geht um die Frage: hat Gott Recht mit seiner Auffassung, dass seine Kreatur trotz aller Borniertheiten und Dummheiten weiß, wie sie zur „Klarheit“ kommt? Zwar „irrt der Mensch, solang er strebt“, dennoch glaubt Gott an das Gute im Menschen: „Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, ist sich des Weges wohl bewusst. Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient, So werd ich ihn bald in die Klarheit führen.“

Oder hat Mephisto Recht, dass er den leichtsinnigen Tropf zu seiner höllischen Beute machen kann? Den Luftikus hat er so charakterisiert: „Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise! Ihn treibt die Gärung in die Ferne; Er ist sich seiner Tollheit halb bewusst: Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne, Und von der Erde jede höchste Lust, Und all die Näh und alle Ferne, Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.“

Die Faustwette ist – Säkularisierer aller Länder herhören – eine moderne Version der Hiob-Tragödie. Ein Russe, der nicht mal Deutsch spricht, hat jüngst einen hochdekorierten Faustfilm produziert, mit der Begründung, Faust sei das Drama des modernen Menschen.

Im Buch Hiob steht zwar nicht das Wort Wette, aber der Sache nach handelt es sich um dasselbe: „Da sprach der Herr zum Satan: Wohlan, er ist in deiner Hand. Nur seines Lebens schone.“ (Die ganze Weltgeschichte ist eine Wett- oder Zockergeschichte zwischen Gott und seinem Rivalen, identisch mit seinem Alter Ego. Objekt der Wette ist der Mensch: schafft er es, aus dem Dunklen ins Licht zu kommen oder verfällt er teuflischer Dunkelheit?

Wie zockersüchtige Pferdenarren darauf wetten, welcher rassige Araber zuerst das Zielband reißt, so wetten die beiden obersten Mächte der Schöpfung, ob der Mensch heil ins Ziel kommen oder unheil verschütt gehen wird. Der stolze homo sapiens: nichts als ein Wettobjekt überlegener Gewalten und Mächte.

Die Geschichte der Börse beginnt nicht im Dämonischen, sondern mitten im Heiligen. Der Wettgedanke zieht sich von Hiob über die Kirchenväter und Blaise Pascal bis zum Tagesgeschäft der Wallstreet. Mit seiner Wette will das gläubige französische Mathe-Genie Nichtchristen verlocken, auf Gott und die himmlische Seligkeit zu setzen und ein tugendhaftes frommes Leben zu führen. Gehen jene auf die Wette ein, werden sie mit himmlischer Beseligung belohnt, verlieren sie, haben sie nichts verloren, denn sie haben ja ein sinnvoll-moralisches Leben geführt.

Zum Schluss die Frage: was hat all die metaphysische Wetterei mit dem Dritten Reich zu tun? Wie pflegte jener Diaspora-Nazi in seinem Dialekt zu reden? „Wir Deutschen haben ver-spielt.“ Was bedeutet, die Nazis hätten hoch gepokert mit ihrem europäischen Eroberungskrieg, um ein Geringes wären sie Weltherren geworden. Es war ein riskantes Spiel, doch ein Versuch war’s wert.

Sagt man heute nicht, die Deutschen wären Vollkaskoweltmeister und würden jedes Risiko meiden wie die Pest? Eben, die Gründe wissen wir nun, gebrannte Kinder scheuen das Feuer. Glauben an Gott und Führer heißt, sein ganzes Leben und ewiges Heil aufs Spiel zu setzen: Wetten, dass ich gewinnen werde? Alles oder Nichts. Himmel oder Hölle. Topp, die Wette gilt.

Das Naziregime gilt heute als Inkarnation des irrationalen Bösen. Das Böse wurde in der Zeit der Aufklärung und der Klassik in zwei Varianten zerrissen:

Kant beharrte auf dem radikalen Bösen und schlug damit dem optimistischen Glauben an das Gute im Menschen ins Gesicht.

Goethe verharmloste das Böse zu jener Kraft, die zwar das Böse will, doch stets das Gute schafft. Damit domestizierte er den Teufel zum dienenden Coach des Menschen, auf dass dieser nicht einschlafe bei seinem unendlichen Weg ins Grenzenlose: vom Himmel fordert er die schönsten Sterne.

Womit Faust zum Prototyp des frühkapitalistischen Unternehmers wurde. Der zur Faulheit und Trägheit neigende Mensch braucht einen Motivator in der Person des Teufels. „Des Menschen Tätigkeit“, sagt Gott, „kann allzu leicht erschlaffen, Er liebt sich bald die unbedingte Ruh; Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu, Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen.“

Bei Kant war es die Natur selbst gewesen, die den Menschen anstachelt. Weil sie besser weiß als er selbst, wie man ihn daran hindert, ein sinnlos-glückliches Leben in arkadischen Idyllen zu führen und wie man ihn zu unermüdlichen grenzenlosen Höchstleistungen antreibt.

Damit war eine der verhängnisvollsten Motivationslehren geboren, die die Welt je sah und ihr die schlimmsten Verbrechen bescherte, und die von pflichtbewussten Deutschen perfekt in die Tat umgesetzt wurden. Nicht das Gute reizt und schafft das Gute. Das Gute wird kraft- und saftlos.

Schon bei Mandeville hatte die Verkehrung begonnen: öffentliche Laster sind private Tugenden. Ich muss böse sein, um Gutes zu vollbringen. Diese Lehre hatten Himmler & Co verinnerlicht. Trotz aller Verbrechen waren sie „anständig“ geblieben. Das Böse war für sie nur eine pädagogische Maßnahme, ein bloßes Instrument, um das finale Gute zu realisieren.

Während Kant nicht erklären konnte, wie der Mensch trotz radikalem Bösen ein guter Mensch werden konnte, verharmloste Goethe das Böse zum gar nicht böse sein könnenden Instrument.

Wie ein wiedergeborener Jünger Jesu gar nicht mehr sündigen kann (non posse peccare), war der deutsche Urmensch unfähig geworden, wirklich Böses zu tun. Das Böses war überwunden, wie hätten edle Neugermanen böse sein können?

Die Deutschen hatten jenen Zustand erreicht, den Theologen Antinomie nennen. Gleich, was sie tun, sie tun immer Recht. Denn sie haben die richtige Motivation. Das war die Spätausgabe des lutherischen „Sündige tapfer, aber glaube!“. Der rassische Arier hatte alle Schuld- und Sündenfähigkeit abgelegt und den Stand kindlicher Unschuld auf neuer Ebene erreicht.

Wohlgemerkt, das Böse als irrationale Teufelei gibt’s nicht. Aber das Schreckliche in allen Variationen wird es so lange geben, wie die Menschen daran glauben, dass sie erbsündige Teufel sind.

Warum hatten Heidegger, Carl Schmitt und viele andere nicht die Fähigkeit, Schuld zu bekennen, warum zeigten sie sich uneinsichtig und hartnäckig unbußfertig? Weil sie durch die Deutsche Bewegung in den Zustand der Unschuld versetzt worden waren. Das schlechte Gewissen ihrer christlichen Erziehung hatten sie abgelegt und hatten das christliche Dogma der Antinomie – der reinen und unschuldigen Gesetzlosigkeit – übernommen.

Warum konnte ein so gebildetes Volk so viel Unheil anrichten? Die unsägliche Frage kann nur mit dem Satz beantwortet werden: weil die Deutschen ein allzu gebildetes Volk waren, deren Bildung im Glauben bestand, dass sie die bevorzugten und auserwählten Instrumente einer Wette zwischen Gott und dem Teufel waren. Dass sie den minderwertigen Stand des Böseseinkönnens überwunden hatten und nur noch Gutes vollbringen konnten.

Die Wette haben sie verloren. Rein zufällig natürlich. Inzwischen wetten sie mit Börse, Hedgefonds und Aktien. Neues Spiel, neues Risiko, neues Glück. Oder nicht.