Kategorien
Tagesmail

Freitag, 02. November 2012 – Rassismus

Hello, Freunde des Originals,

nimmt Jugendgewalt zu? Sie nimmt ab. Die tödliche Gewalt im Vergleich mit 2009 um rund 14%, die Gewalt insgesamt um 6,5 %. Würde die Gewaltkriminalität wirklich zunehmen, müssten nicht alle daran interessiert sein, die Ursachen der Gewalt zu erforschen?

Kaum etwas interessiere Medien und Gesellschaft weniger, als die Gründe und Ursachen der Jugendgewalt, schreibt Christian Bommarius in der BZ. „Denn das würde bedeuten, die Kundschaft und sich selbst nicht mehr dem Verbrechen in Angst und Schrecken zu versetzen, sondern das Publikum mit den gravierenden und sozialen Problemen zu konfrontieren, die das Leben in einer Zuwanderungsgesellschaft bereithält.“

Sind die Deutschen rassistisch? Rassistischer als andere Nationen? Immerhin haben sie – es ist noch nicht lange her – andere Rassen wie Juden, Sinti und Roma, Polen, Russen systematisch eliminiert. Steckt der NS-Dünkel noch immer in ihnen?

Der UN-Menschenrechtsausschuss verlangt von Deutschland ein härteres Vorgehen gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Die Übergriffe gegen Juden, Sinti und Roma, Ausländer und Asylbewerber seien ein ernsthaftes Problem.

Unterstützt wird der Eindruck der Rechtslastigkeit der Nation durch das Debakel im Kampf gegen Neonazis und das Versagen der Behörden bei der Aufklärung der NSU-Morde an Deutschen „mit Migrationshintergrund“. „Ein unfassbares Staatsversagen“, schreibt die TAZ. Generalbundesanwalt Range spricht von „unserem 11. September“. Jede Woche ein neuer Skandal, vier Verfassungsschutzchefs

 haben ihre Sessel geräumt. „Was hat sich wirklich geändert? Was geht über politischen Aktionismus hinaus?“

Beim Rassismus handelt es sich um ein Männerproblem. In Matriarchaten gibt’s keine Rassisten. Jeder konnte Vater der Kinder sein, nur die Mutter stand fest. (Pater semper incertus, der Vater ist immer unsicher – weil flittchenhafte Mütter es mit allen treiben.) Deshalb die Einehe und die Treue – der Frau. Der Mann kann tun und machen, was er will.

Männerdominierte Einehen und Rassismus bedingen einander. Selbst im männerzentrierten Judentum gibt es noch matriarchale Spuren, die Mutter entscheidet über die Abkunft des Kindes. Allerdings kompensiert durch die Pflicht zur männlichen Beschneidung. Der Kampf um die Beschneidung ist auch ein latenter Geschlechterkampf.

Merkwürdig, dass die Frauen sich nicht zu Worte melden. Der körperliche Schnitt soll den Müttern das Privileg der Zugehörigkeit nehmen und den Männern übergeben.

Der Zusammenhang zwischen männlichen Spermien und der Zeugung von Kindern war lange unbekannt. Ursprünglich war das Kind allein das Ergebnis weiblicher Fähigkeit, Leben zu erzeugen.

In Griechenland gab es heftige Geschlechterkämpfe. Erst ab der klassischen Zeit hatten sich die Männer als offizielle Erzeuger der Kinder durchgesetzt.

Die Geschichte der Vaterschaft beginnt mit der Erfindung männlicher Hochkulturen. Vorher gab‘s nur Mütter. Man könnte den Verdacht hegen, dass die Väter derart berauscht waren über ihre neuentdeckte Wichtigkeit beim Verfertigen des Nachwuchses, dass sie alles unternahmen, um dieses Erzeuger- und Besitzermerkmal nie mehr zu verlieren.

Sie erfanden Macht, Hierarchie, Einehe, sexuelle Treue, Kinderstigmatisierungen durch körperliche und seelische Narbenbildungen, Kasten- und Schichtenbildung – und die Abgrenzung von minderwertigen Kindern, deren Väter unbekannt waren. Weshalb uneheliche Kinder jahrhundertelang als Abschaum galten, sie waren nur die Bälger ihrer Mütter.

Die Väter erfanden ständig neue gesellschaftliche Abgrenzungsmauern, die es in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hatte, um sich und ihre Kinder von Untergebenen und Gesindel zu separieren und als Besondere zu gelten.

Die Hochkulturen hatten keinen andern Zweck, als den Vätern nie mehr die Vaterschaft streitig zu machen. Sie wurden zu Besitzern der Kinder, die ihrerseits die Besitztümer und Machtreviere der Väter erben und übernehmen mussten, um sie innerhalb des bevorzugten Clans, der privilegierten Rasse, Schicht, Klasse für alle Zeiten zu bewahren und zu vermehren.

Bei Müttern gab‘s nichts zu erben, alles gehörte allen. Bei Müttern gab‘s keine Akkumulation, weder von Zaster noch von Macht. Es gab nur gleichberechtigte Partizipation.

Rassismus wird als biologische Ideologie definiert. Männer empfanden sich aber nie als biologische Fleischklumpen, sondern immer als mehr: als Wesen mit transzendenten Beziehungen. Insofern ist Rassismus eine religiöse Kategorie, Fleisch hatte immer eine Beziehung zum Geist, zu Gott und Göttern.

Der Monotheismus ist eine „non-plurale“ Männererfindung. Anfänglich war Jahwe ein ordinärer Stammes- und Wettergott. Je gefährdeter – oder machtbewusster – die Männer wurden, je höher mussten sie die Köpfe tragen und ihren männlichen Gott zum alleinregierenden Gott promovieren, dem schließlich das nationale Feld zu klein wurde und er zum internationalen Alleinherrscher aufstieg, der zum Schöpfer der Welt, schließlich zum Schöpfer der Welt aus Nichts anwuchs. Höher ging’s nicht, mehr war nicht denkbar.

Kein Wunder, dass in heiligen Büchern das Zeugen im Mittelpunkt des Geschehens stand. Der Schöpfer ist Allerzeuger, omnipotent, alles, was es gibt, stammt von ihm. Wer Macht über die Schöpfung will, muss zeugen, was die Zeugungsorgane hergeben. Seid fruchtbar und mehret euch und herrschet über alles Gewimmel auf Erden.

Ist es Zufall, dass potent und mächtig Synonyma sind? Selbst die Opfertiere sollen rassistisch makellos sein: „Nichts, was einen Fehler hat, sollt ihr opfern“. Alles, was weggeworfen und für minderwertig erklärt wurde, ward zur Vorform der „reinen Rasse“.

Erst durch religiöse Nobilitierung wird Fremdenhass zum wahren Rassismus. Es ist Unfug, den NS-Rassismus als völlig neue Erfindung zu deklarieren, der mit Religion nichts mehr zu tun hatte. Alle modernen Politkategorien sind uralt, haben im Verlauf der Geschichte nur ihre äußerlichen Erscheinungsformen verändert. Doch wenn Little-Bill eine Halloweenmaske trägt, ist er noch immer Little-Bill.

Die fortschrittstrunkene Moderne unternimmt außerordentliche Anstrengungen, durch stets neue Begriffshülsen und Wortmasken den Anschein zu erwecken, als hätte sie mit dem Neolithikum nicht mehr das Geringste zu tun. Dabei haben sich nur die Quantitäten geändert, der alte Quark ist derselbe geblieben.

Weshalb Männer unter den Edelschreibern am meisten herummaulen, wenn man unentwegt von Macht und Ohnmacht, Oben und Unten, Reichen und Armen spricht. „Ich sage nicht nur immer dasselbe“, sagte Sokrates, „sondern auch über dieselben Gegenstände.“ Diese Litaneien könnten sie nicht mehr hören, das sei zu unterkomplex, Stroh von gestern.

Wenn man die uralten Lieder nicht mehr hören kann, muss man Neues erfinden und dasselbe religiös definieren. Dann hat man die selbstverfertigte Lizenz, das bewährte Alte auf der Festplatte zu löschen und einen neuen Himmel und eine neue Erde auszurufen. Man sollte sich aber nicht wundern, wenn man auf dem Trockenen sitzt, wenn das Neue sich als Chimäre herausstellt.

Den ältesten Rassismus kann man in Indien ausfindig machen, wo blonde und blauäugige Arier die dunkelhäutigen Eingeborenen überrannten und ein Herrenreich mit scharf abgestuften Hierarchien installierten, das bis zum heutigen Tage Wirkungen hinterlassen hat. Die obersten Brahmanen waren Rassisten mit Religion, Macht und Bildung.

Dass die Deutschen per Bildung die „Schere“ zwischen den Schichten verkleinern wollen, gehört zu den bewährten Torheiten der Neugermanen, die im Verlauf ihrer Geschichte die Bildung zu den schärfsten Abgrenzungsmitteln erniedrigten.

Bei Humboldt noch ganz anders, der durch Bildung „die Menschheit als Ganzes vollenden wollte“. Wenn alle Nationen der Bildungsidee folgen würden, könnte „die ganze Menschheit zur Einheit in Freiheit finden“.

Heute wird Bildung als Aufstiegskriterium missbraucht, somit expressis verbis als Abgrenzungsmittel. Geht’s noch irrer?

Eine gebildete Nation war den beiden Aufklärungsbrüdern Humboldt an ihrer kosmopolitischen Eintracht und ihrem Friedenswillen zu erkennen. Wahre Bildung vereint.

Kein klügeres Kind will in der Klasse von dem weniger klugen geschieden sein – es sei, dass es von seinen Bourgeoiseltern schon dünkelhaft gemacht wurde. Kinder empfinden es als Verrat und moralische Beschämung, als Einzelne auf Kosten benachteiligter Freunde hervorgehoben zu werden. Nur, wenn man Sarrazin, Winterhoff und Schavan heißt oder zum Philologenverband gehört, muss man die Dinge anders sehen. Als Exklusion ist Rassismus das Gegenteil von Bildung.

Überflüssig zu erwähnen, dass Intelligenz mit Bildung nichts zu tun hat. Die größten Intelligenzbestien sind ungebildete Dinosaurier. Die inflationären TV-Quizsendungen zur Erfassung der Klügsten sind Sendungen zur Vermehrung inner-rassistischer Vorurteile und Überheblichkeiten. Sarrazin wäre ohne jahrelange Jauch-, Pilawa- und Pflaumesendungen nicht möglich gewesen.

Ein schlechter Scherz, dass die Öffentlich-Rechtlichen mit diesem eitlen Abfragen ihrem „Bildungsauftrag“ nachkämen. Jedes Ranking ist eine Attacke gegen Humboldtsche Bildung. Entweder Hierarchie-Betonierungs-Lernen – oder die „Menschheit als Ganzes vollenden“. Alles andere ist Bigotterie.

Lebenslanges Lernen heißt lebenslang sich von allen Freunden trennen, die nicht den neuesten Computerkurs oder die neuste IPod-Maschine verinnerlicht haben, denn sie entsprechen nicht mehr der eigenen sauer erworbenen Einkommensklasse.

Aus der Geschichte kann man nichts lernen, aber Zahlen und Figuren ins Gehirn hämmern, das wird als Lernen ausgegeben. Bildung ist zum Machtinstrument verkommen à la Francis Bacon: Wissen ist Macht.

Warum nur hat man den Eindruck, dass mächtige Wirtschaftler und Tycoons über nichts anderes mehr reden können als über Geld und Einfluss? Ob es nicht doch rendite-abhängige Gehirnschrumpfungen gibt? Hier ein typisches Beispiel: die Herausforderungen der Zukunft ließen sich nur durch Wissenschaft und Technik meistern. Bildung des Menschen? Überflüssig.

Der biologische Rassismus ist der ungefährlichste, weil sichtbarste. Der gefährliche Rassismus ist untrennbar verknüpft mit den Merkmalen: Abgrenzung durch Erfolg, Herkunft, Schicht, Ausbildung, Macht und Geld. Es ist ein Konglomerat von Überlegenheitsmerkmalen, welche die Gesellschaft spalten.

Der ordinäre Rassismus dient nur dazu, von sublimeren Formen des Rassismus abzulenken. Ohne den Rassismus der grenzenlosen Ungleichheit gäbe es keine NSU-Morde.

Die Milliardärs-Eliten aller Nationen und Religionen verstehen sich blendend auf den Partys in Monte Carlo. Wenn nur die Yacht groß genug ist, legt man auf Fisimatenten keinen großen Wert.

Längst ist der völkische oder nationalistische Rassismus vom Rassismus der Individualität abgelöst worden. Viel zu grobschlächtig die Kontraste zwischen den Völkern, die sich immer mehr homogenisieren.

Der moderne Rassismus ist nicht horizontal, sondern vertikal, nicht mehr nur national oder gruppenbezogen, sondern individuell. Die Selektionskriterien werden immer engmaschiger und binnen-differenzierter.

Womit wir uns dem Kern des Rassismus nähern: der uralten Lehre von der Ungleichheit. Gäbe es keine Idolisierung des Ungleichen, gäbe es keine ungleichen Rassen und Menschen.

Wir reden von zwei Urquellen der europäischen Ungleichheit: dem griechischen Naturrecht der Starken und der jüdisch-christlichen Auserwähltheit, die selbst das Heiraten Ungläubiger verbot. „Dass wir unsre Töchter nicht an die Heiden im Land verheiraten, noch ihre Söhne für unsere Töchter nehmen wollen.“ (Neh. 10,30)

Es gibt zwei Naturrechte. Das Naturrecht der Starken, identisch mit dem Naturrecht der Ungleichheit – und das Naturrecht der Schwachen, identisch mit dem der Gleichheit. Nicht der Gleichheit von Aussehen, Geschlecht und Begabungen, sondern der Gleichwertigkeit sehr wohl vorhandener Unterschiede, die aber keine Bevorzugung oder Benachteiligung zulassen. Jeder ist anders und jeder ist willkommen und gleichberechtigt in der Menschheit.

Die Anhänger der Ungleichheit werfen den Anhängern der Gleichheit vor, sie würden die Menschen planieren und egalisieren. Das Gegenteil ist der Fall. Durch Gleichwertigkeit sollen die Unterscheide erst wachsen und gedeihen und das Leben in der Gemeinschaft farbig und spannend machen. Die Ungleichen hingegen sind es, die ihre Matadore auf die eindimensionale Skala des Moneymachens verpflichten und reduzieren.

Unterschiede zwischen den Mammonisten sind quantitative Unterschiede der Konten, Zweit- und Drittwohnungen, der Autos und Privatjets.

Die Unterschiede der Gleichen sind qualitativ. Jeder kann seine Interessen und Begabungen entfalten, wie er es für richtig hält – ohne die Entfaltung unter ökonomischen Gesichtspunkten einschränken zu müssen.

Auch hier können wir auf Humboldt zurückgreifen, der die Ausbildung aller Anlagen und Fähigkeiten, unabhängig von kommerziellen Verwertungsgründen, als Bildungsprozess auszeichnete. Die Idee stammt aus der italienischen Renaissance, die einen gebildeten Menschen einen „Huomo universale“ nannte.

Gerade in diesen Tagen werden die Michelangelos und Da Vincis allüberall gerühmt, die solche universellen Menschen waren. Doch im selben Atemzug werden den Kindern ihre universellen Interessen durch Schulen ausgetrieben, in denen man sich so früh wie möglich spezialisieren muss. Von Bigotterie kann man hier nicht mehr sprechen. Das ist schon fortgeschrittenes gespaltenes Irresein.

„Der wahre Zweck des Menschen … ist die höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen,“ so Humboldt. Habt ihr gehört, Bildungspolitiker? Zu einem Ganzen. Doch der Kapitalismus hat nun mal die Arbeitsteilung erfunden und mit ihr die Bildungszertrümmerung.

Dummerweise versteht man sein eigenes Fach nicht mehr, wenn man nicht den geringsten Überblick über andere Fächer hat oder das folgerichtige Denken nicht hat lernen dürfen. Was man an der Fakultät der Ökonomen am besten studieren kann. Sie rechnen wie Gauss und Adam Riese zusammen, sehen aber vor lauter Formeln den Wald nicht mehr. Den Zusammenhang ihrer fragmentierten Disziplin mit dem „Ganzen“ vermissen sie nicht einmal, so haben sie sich von aller Realitätswahrnehmung gelöst.

Je atomisierter die Gesellschaft, umso „rassistischer“ ist sie. Jeder Experte wird seine exorbitanten Weisheiten für die entscheidenden halten und auf die benachbarten Disziplinen mit mitleidigem Lächeln herabgucken. Die Ökonomen können nicht mal das Wort Moral buchstabieren, ohne dass sie schamrot werden.

Die Deutschen sind nun besonders rassismus-affin. Weil ihre nationale Biografie während der ganzen Neuzeit unter der Kollision zwischen Ehrgeiz und realer politischer Bedeutungslosigkeit litt. Wenn man jahrhundertelang zuschauen muss, wie Nachbarn sich die Welt im Westen und Osten unter den Nagel reißen, so blutet das gedemütigte Herzchen besonders. Das sich ergo an der ganzen Welt durch verborgene, demnächst aber offenbar werdende Überlegenheit rächen muss.

Diese Überlegenheit war ihre gottgewollte Auserwähltheit, eine religiöse Kategorie, die ursprünglich mit Rasse nichts zu tun hatte, sondern erst im Verlauf der Verhältnisse mit ihr zusammengebacken ist. Im Wettkampf mit den Juden um das wahre auserwählte Volk wollten die Deutschen den Juden jede Konversionsmöglichkeit versperren. Also verengten sie Religion auf Rasse, damit kein Nachkomme Abrahams durch bloßen Glaubenswechsel (Entreebillet zur europäischen Kultur, wie Heine formulierte) an den Segnungen des Ariertums teilnehmen konnte.

Diese Auserwähltheit verwandelt der Deutsche Idealismus in die Kategorie der genialen Originalität. Deutsche waren plötzlich keine Imitatoren anderer Völker und Religionen mehr. Alles schöpften sie originalgenialisch aus dem tiefen Schacht ihrer national-unergründlichen Individualität.

Fichte war der wortgewaltige Verkünder des deutsch-nationalen Genies, das andern Völkern die Regel gibt. Die romanischen Völker waren gemischte Charaktere. Das deutsche Volk hingegen hielt Fichte für „original, für ein Urvolk, das Volk als solches.“

Anfänglich, noch frisch unter dem Einfluss der Französischen Revolution, war dieser Patriotismus noch keine chauvinistische Angelegenheit. Patriotismus war nichts anderes als Kosmopolitismus vor der eigenen Haustüre. „Und so wird dann jeglicher Kosmopolit ganz notwendig, vermittelst seiner Beschränkung durch die Nation, Patriot und jeder, der in seiner Nation der kräftigste und regsamste Patriot wäre, ist eben darum der regsamste Weltbürger.“

Das Verhängnis der Deutschen beginnt immer mit besten Vorsätzen. Nicht anders als bei ihrem liebsten Griechen Platon, der einen gerechten Staat wollte und den Urfaschismus Europas erfand.

Doch der Hass auf Napoleon kippte alle guten Vorsätze ins Gegenteil. In den „Reden an die deutsche Nation“ wollte Fichte – in Pestalozzis Spuren – die Deutschen zu einer beseligenden Bildungshöhe erziehen, die ihr Vaterland aus dem Tal der Tränen hinausführen werde.

Die neue Bildung wird sie zu „Stammvätern unserer künftigen Helden, Weisen, Gesetzgeber, Heilande der Menschheit“ machen. „Ihr sehet im Geiste durch dieses Geschlecht den deutschen Namen zum glorreichsten unter allen Völkern erheben, ihr sehet diese Nation als Wiedergebärerin und Wiederherstellerin der Welt.“ Wenn den Deutschen nicht gelingt, die Welt zu retten, wird’s niemandem gelingen. „Wenn ihr versinkt, so versinkt die ganze Menschheit mit, ohne Hoffnung, einer einstigen Wiederherstellung.“

Doch das ist nur eine pädagogische Drohung. Für Fichte steht die Heilandsfunktion der Deutschen fest, die die Welt retten werden. Wenn’s nicht anders geht, mit Gewalt und Weltherrschaft. Der deutsche Staat als Gott der Unmündigen, habe das vollkommene Recht, die letzteren „zu ihrem Heile auch zu zwingen.“ Ganz allein an den Deutschen liege es, ihren Geist in die „ihm bestimmte Weltherrschaft“ einzusetzen. Diese Haltung pflegt man Faschismus oder Totalitarismus zu nennen.

Es genügt nicht, inhaltsleer und ritualistisch von Rassismus zu sprechen. Wir müssen unsere nationale Biografie inspizieren, um unsere tief liegende Fremdenfeindlichkeit zu erkennen. Niemand ist uns fremder, als der, den wir erlösen wollten.

(Nur nebenbei: wie in allen Dingen sind auch beim Rassismus die Kirchen vorbildlich. In evangelischen Landeskirchen dürfen keine Schwarzen Pfarrer werden, pastorale Misch-Ehen mit Farbigen sind verboten. Nur Menschen ohne sichtbare körperliche Gebrechen dürfen Pfarrer werden. Also keine Amputierten, Hinkenden, Buckligen, Schwindsüchtigen, mit einem Fleck im Auge, mit Krätze, Flechten, keine Entmannten, gemäß 3.Mos. 21,18 ff)

Wie können Deutsche als mehrmals gescheiterte Zwangsbeglücker der Welt sich mit Fremden gleichrangig fühlen, die sie doch als Heilande in höherem Auftrage hätten retten müssen?

Solang uns die Scham beherrscht, bankrottierende Heilande gewesen zu sein, können wir anderen Völkern, die wir bislang verachteten, nicht in die Augen schauen. Gescheiterte Welterlöser haben Schwierigkeiten, andere Menschen als gleichberechtigte anzuerkennen.