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Tagesmail

Donnerstag, 25. Oktober 2012 – Todessehnsucht

Hello, Freunde des Todes,

„mitten im Leben sind wir vom Tod umschlungen. Der Tod ist allen sicher: Arm oder reich, der Tod macht alle gleich. Nichts ist gewisser als der Tod“. Da Deutsche das Sichere lieben und das Gewisse bevorzugen, wollen sie bei Lebzeiten vom Tod umschlungen sein.

Täglich einmal vom Tod und der ARD umarmt werden, dann freut man sich schon mehr auf das sozial verträgliche, rentenpolitisch und demoskopisch erwünschte Ableben. Memento mori, gedenke des Todes: die ARD nimmt ihre Bildungspflichten ernst und ermahnt ihre schwindende Zuschauerschaft, nicht sinnlos im Leben herumzuzappen, sondern sich eine televisionäre Henkersmahlzeit zu gönnen.

Zuerst Florian Silbereisen mit alpenländischen Posaunenklängen: Näher, mein Gott zu Dir, darauf das launische und doch von tiefem Verständnis für Grenzsituationen getragene Wort zum Sonntag mit Gastprediger Thomas, dem göttlichen Schalk, hierauf fröhliches Harakiri in Altersheimen, sagen wir ab 70 bis 80, in gedämpfter und grenzüberschreitender Wohlfühlatmosphäre.

Geleitet werden die nationalen Abschiedstage von der renommierten Todesexpertin Margot Käßmann und Sportmoderator Reinhold Beckmann: das ganze Leben ist nur ein Fußballspiel Leben-gegen-den-Tod, der Sieger ist todsicher. Kabarettist Dieter Nuhr hat keine Probleme, dem Tod erheiternde Aspekte abzugewinnen. (ARD-Themenwoche: Leben mit dem Tod)

Unsere Kleinen sollen auch nicht zu kurz kommen und mit lustigen Geschichten schon jetzt Appetit aufs Himmelreich bekommen, wo die

Englein den ganzen Tag mit ihnen spielen, ohne dass sie ihren Teller aufessen und wenn nicht, das Erbrochene wieder futtern und wenn nicht, stundenlang in der Ecke stehen und wer sich in die Hose macht, sich vor den Kindern ausziehen müssen. (BILD über „Folter in einer Kita)

Da kriegen Kinder doch gleich einen lebendigen Vorgeschmack auf die Ewigkeit und erfassen den Sinn des Wortes: lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, indem ihr es ihnen auf Erden zu schön macht.

Als metaphysische Grundierung des Todes bringt Kultursender 3-SAT eine Woche lang, unter der bewährten Leitung des Theologen Gerd Scobel, eine begleitende Sinnsuche nach dem Bösen. In umfassend grusligen Variationen und grauenvollen Aspekten aus allen Ecken und Weltgegenden dieses hoffnungslosen Planeten.

Dem radikal Bösen auf der Spur sind ausgewiesene Kriminalprofiler, Travestiekünstler und Gottesgelehrte, exorzistische Psychoanalytiker und Benimmautoren von der SZ mit der spannenden Frage: wie benehme ich mich richtig, wenn das Böse an mich herantritt und mich Gevatter Tod übergibt? (3-SAT-Themenwoche: „Das Böse“)

Fehlt noch einer – ach ja: der Mephisto eines nicht unbekannten Geheimrats aus Weimar, welcher zu keinem Begräbnis ging. Er hatte Schiss vor dem Tod. Kein Wunder, denn damals gab‘s noch keine Bildungskanäle mit einfühlsamer Thanatos-Begleitung.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. „Komm, süßer Tod, du selge Ruh, Komm, führe mich in Friede, weil ich der Welt bin müde. Im Himmel ist es besser, da alle Lust viel größer.“ Die Lust nach der größern Lust im Drüben wird immer größer.

Am Tod entzündet mir

Das Leben sich zuletzt, und reichest du

Den Schreckensbecher mir, den gärenden,

Natur! Damit dein Sänger noch aus ihm

Die letzte der Begeisterungen trinke:

Zufrieden bin ich, suche nun nichts mehr,

Denn meine Opferstätte.“

Singt Empedokles, Hölderlins Prophet, der sein Volk erlösen wollte. Doch vergeblich. Wenn deutschen Volkserlösern ihre grandiose Rettungstat misslingt, gehen sie, gemeinsam mit ihrem Volk in den erlösenden Tod. Empedokles ertrug es nicht, „allein zu sein und ohne Gott“. Er sehnte sich nach Buße. Buße kann nur der Tod bringen.

Die NS-Gesellschaft handelte eschatologisch, wähnte sich aber im Nietzsche-Wahn: Gott ist tot. Das war ein tödlicher Mischtrank. Wenn deutsche Gottsucher das Objekt ihrer Begierde nicht finden oder schon wieder verlieren – dann wird’s gefährlich. Dann müssen sie die Welt in Trümmer legen, um reumütig zum Vater zurückzukriechen. Nur der Tod kann ihnen das „Leben entzünden“.

„Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? […] Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Also sprach Zarathustra.

Trost über den getöteten Gott kann nur im kollektiven und nationalen Tod gefunden werden. Wie Judas den Heiland verriet und dem Tode auslieferte, so haben NS-Romantiker Gott ans Messer geliefert und mussten dafür büßen. Sie fürchteten den Tod nicht und nicht die Hölle. Sie waren das einzige Volk auf der Welt, das schöpfergleich schaffen und vernichten konnte. Schöpfer- und Vernichtersein – das war dasselbe.

„In der Begeisterung des Vernichtens offenbart sich zuerst der Sinn göttlicher Schöpfung. Nur in der Mitte des Todes entzündet sich der Blitz des ewigen Lebens,“ schrieb der quirligste Kopf der Romantiker Friedrich Schlegel. Und bei Novalis lesen wir: „Im Tode ist die Liebe am süßesten, für den Liebenden ist der Tod eine Brautnacht, ein Geheimnis süßer Mysterien.“

Der Tod ist der Orgasmus des Lebens. Was sich im Leben nicht finden kann, das verschmilzt im Tod. Als Hitler sah, dass er verspielt hatte, schickte er sein eigenes Volk in den Tod. Zur Strafe für dessen Versagen und zur unio mystica von Führer und Geführten, die im Leben misslang. Im Tod für immer lustvoll vereint.

Eros und Thanatos sind keine Gegensätze, sie haben sich, eh man‘s gedacht, gefunden. Der französische Politiker Clemenceau hasste die deutsch-romantische Todessehnsucht, die er verantwortlich machte für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Der Tod ist der Sünde Sold. Hätte die Menschheit nicht gesündigt, wäre sie unsterblich geblieben. Die christliche Religion verspricht Überwindung des natürlichen Todes durch rechten Glauben an den Todesbezwinger. „Der Tod ist verschlungen in den Sieg, Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?“

Die Natur ist ohne Tod ihrer Einzelwesen nicht denkbar – die sich aber nicht in Luft auflösen, sondern sich nur transformieren. Indem Erlösungsreligion den Tod besiegen will, vernichtet sie die Natur, die vom Tode – lebt. Was natürlich stirbt, nimmt eine andere Form des Lebens an. Wer im Dunstkreis der Erlöser lebt, hasst den Tod.

„Der Tod ist ein Skandal“, wetterte Elias Canetti. „Ich verfluche den Tod. Ich kann nicht anders. Und wenn ich darüber blind werden sollte, ich kann nicht anders, ich stoße den Tod zurück. Würde ich ihn anerkennen, wäre ich ein Mörder.“

Joachim Fuchsberger meint Ähnliches, wenn er tapfer klagt: Das Alter ist nichts für Feiglinge, denn es bringt uns dem Tode näher.

Kein Fazit der Patriarchen: und sie starben alt und lebenssatt. Nicht im Sinn: sie waren des Lebens satt und überdrüssig. Sondern sie waren satt wie Früchte, die voll und reif vom Baume fielen.

Linear unendliches Fortschreiten und Wachsen ist die Linie in die Todlosigkeit. Ohne Glauben an ewige Linearität kein ökonomisches Wachsen ins Unendliche.

Der griechische Kosmos war endlich. Nur homerische Götter lebten unbegrenzt in Saus und Braus – bis sie durch die Philosophie von der Tenne gefegt wurden. Sokrates kümmerte sich nicht ums Jenseits, erst sein Schüler Platon wollte all sein Tun im Jenseits deponieren, weil das Diesseits ihm den Erfolg versagte.

Je schlimmer die Zeiten wurden, je mehr klammerten sich die Menschen ans Jenseits-Ewige, um eine Kompensation für die irdische Misere zu erhalten. Kein individuelles Wesen war unsterblich, nur die Natur als ganze.

Würde Jesus heute durch Italien wandern, würde man ihn in der Nähe von Aquila verhaften und einbuchten. Warum? Weil er Prognosen stellte, die nicht eintrafen. Er versprach, noch zu Lebzeiten seiner Jünger wiederzukommen. Doch bis zur jetzigen Stunde – 10.31 Uhr – war er noch nicht erschienen. Gleichzeitig versprach er einigen seiner Anhänger, sie würden den Tod nicht erleben. „Es sind einige unter denen, die hier stehen, die werden den Tod nicht schmecken.“ ( Neues Testament > Lukas 9,27 / http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/9/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/9/“>Luk. 9,27) Schmeckten ihn aber doch.

Bei Johannes mit anderer Tönung: „Wenn jemand mein Wort befolgt, wird er in Ewigkeit den Tod nicht sehen.“ ( Neues Testament > Johannes 8,51 / http://www.way2god.org/de/bibel/johannes/8/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/johannes/8/“>Joh. 8,51) Vermutlich hat noch kein einziger Mensch sein Wort befolgt – ihn selbst eingeschlossen –, sodass wir bis heute noch keinen Unsterblichen zustande gebracht haben. (Abgesehen von den Unsterblichen des Rock and Roll in der hall of fame)

Doch die Moderne arbeitet daran. Durch Einfrieren der Leichen und fröhliches Wiederauftauen – wenn da nur nicht der ganze Segen im Abfluss verschwindet. Durch unsterbliche Roboter mit menschlichen Gehirnwindungen und durch Reisen mit Lichtgeschwindigkeit quer durchs Universum.

Weil der Heiland prognostisch auf der ganzen Linie versagte, müssen seine Gläubigen stellvertretend für ihn in die Bresche springen und die apokalyptische Wiederkehr selbst herbeiführen, weswegen wir von selbsterfüllender Prophezeiung sprechen. Den gesamten historischen Gang des Westens in die Katastrophe hätten wir uns ersparen können, wenn der Pantokrator sein Wort gehalten hätte.

Der Mensch handelt stellvertretend für den himmlischen Versager und unternimmt alles, um durch hektische Beschleunigung das Fehlverhalten des Heilands zu vertuschen und ungeschehen zu machen. Der Mensch springt für seinen Gott ein, nicht Gott für den Menschen.

Der Verlauf der modernen Geschichte ist ein einziger praktischer Gottesbeweis. Sage mir, was du an gottähnlichen Gigantismen leisten musst und ich sage dir, wo dein Gott versagt hat. Die Moderne ist die verziehende Parusie des Herrn, durch den Menschen ersatzweise in Szene gesetzt. Was noch fehlt, ist die Inszenierung des 1000-jährigen Reiches – nachdem die Deutschen es probierten und kläglich scheiterten.

Nun muss die globale Weltgesellschaft die Scharte auswetzen. Regional glauben und global die Welt an den Abgrund führen. Keine Talkshow ohne Generalformel: die Welt am Abgrund. Muss wohl seine gefühlten Gründe haben.

Es gibt nur eine Art, die Kunst des Sterbens zu lernen: lebenssatt sein Leben zu fristen und wie eine saftige Frucht vom Baume fallen.

Kann man mit Kunst die Erde retten? Einige Künstler erwecken den Eindruck, als könnten sie es. Ihre Kunst nennen sie Land-Art. Hinter ihrem Konzept steckt die Hoffnung, die Natur sollte menschlich, der Mensch natürlich werden. Im Münchner Haus der Kunst gibt’s eine Ausstellung. (Dazu Georg Seeßlen in der ZEIT)

In der Wüstenhochebene bei Las Vegas ließ Michael Heizer mit Baggern und Sprengstoff 240 000 Tonnen Gestein bewegen, um der Erdkruste eine Narbe zu verpassen, die er als negative Skulptur bezeichnete. Was bewegt die Land-Künstler? Der Zorn auf eine gleichgültige Natur? Ein liebender Verschmelzungswunsch mit der Natur? Die Trauer um den verlorenen Quell des Lebens?

Die Narben in der Wüste erinnern eher an die Landebahnen des kommenden Herrn nach Jesaja. „In der Wüste bahnet den Weg des Herrn, machet in der Steppe eine grade Straße unserem Gott.“ ( Altes Testament > Jesaja 40,3 / http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/40/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/40/“>Jes. 40,3)

Es versteht sich, dass biblische Wurzeln des westlichen Verhaltens in einer abendländischen Gazette nicht erwähnt werden. Schließlich ist der Schöpfer der bedeutendste freischaffende Land-Art-Künstler. „Siehe, der Herr entleert die Erde und verheert sie. Er kehrt ihre Oberfläche um, zerstreut ihre Bewohner Ausgekehrt und entleert wird die Erde, ausgeraubt und ausgeplündert, denn der Herr hat dieses Wort geredet. Es welkt, zerfällt die Erde, verwelkt zerfällt die Welt, es verwelkt die Himmelshöhe samt der Erde Darum frisst ein Fluch die Erde und büßen, die darauf wohnen, darum sind glutverzehrt die Bewohner der Erde und wenig Menschen übrig geblieben. Es trauert der Wein, die Rebe verschmachtet, es seufzen alle, die frohgemut waren. Entschwunden alle Freude, fortgewandert der Jubel der Erde“.( Altes Testament > Jesaja 24,1 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/24/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/24/“>Jes. 24,1 ff)

Eine genauere und plastischere Weise der ökologisch verwüsteten Erde im Endstadium ist nicht denkbar. Kann es jemanden verwundern, dass amerikanische Biblizisten deutsche Ökologen als gottlose Heiden hassen, weil sie gegen Gott und dessen apokalyptisches Tun agieren? Wie kann der Mensch die Schöpfung bewahren, wenn der Schöpfer persönlich sie in Trümmer legt?

Schöpfung bewahren ist das meist missbrauchte Bibelwort, um die Naturfeindlichkeit der heiligen Schrift zu kaschieren. Vor Raubbau war nichts zu bewahren, denn die Natur war noch vor dem Sündenfall. Es bedeutete nur: grabt den Garten um und schneidet die Hecken und bewässert die Beete. „Denn Gott der Herr hatte noch nicht regnen lassen auf die Erde und es war kein Mensch da, den Boden zu bebauen.“

Land-Art hat mit Ökologie nichts zu tun. „Es geht um Kunst, nicht um Landschaft“, sagt Michael Heizer und widersetzt sich allen Versuchen, die Land-Art als ökologische Landschaftskunst zu deuten. Erst die später entstandene Naturkunst in Europa war naturfreundlich orientiert. Joseph Beuys gehörte zu den Gründervätern der deutschen Grünen.

Werner Hofmann schreibt in „Grundlagen der modernen Kunst“ über den Land-Art-Künstler, er ginge als Pfadfinder in die Wüste, um seinem Tun die „Würde des Geheimnisvollen zurückzugewinnen“.

Im Gegenteil, er will die Tatsache der von Gott und Menschen verwüsteten Erde durch aggressive Nachahmung erst richtig deutlich machen – und amerikanisch gutheißen. Es ist eine apokalyptische Kunst, die den Menschen zeigen soll, dass es fünf Minuten vor Zwölf ist.

In diesem Sinn stimmt es, was Georg Seeßlen in der ZEIT schreibt: „Die Gesten der Kunst sind entweder zu mächtig und brutal, zu gewalttätig und triumphalistisch Aber immer machen sie etwas deutlich, was zugleich komisch und traurig ist: der Mensch und die Erde passen einfach nicht zueinander.“

Was, bitte, ist am Todesurteil über den Menschen komisch? Werden wir uns zu Tode lachen, wenn wir uns selbst begraben? Es ist auch nicht der Mensch, der zur Natur nicht passt, es sind seine selbsterfüllenden biblischen Prophezeiungen, die er der Natur mit blutigen Striemen einätzt.

Goethe glaubte noch an die Versöhnung von Natur und Kunst:

„Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen,

Und haben sich, eh mans bedenkt, gefunden.“

Der Widerwille gegen die Vereinbarkeit war bei Goethe noch schnell verschwunden. Nur 200 Jahre später aber ist die Unvereinbarkeit von Natur und menschlichem Tun schon zum terrestrischen Kriegsgrund geworden.

In früheren Zeiten konnte die bildnerisch dargestellte Natur noch „Wesenhaftes aussagen wie ein menschliches Antlitz“. Welch entstellte und vernarbte Fratze aber sehen Weltraumfahrer heute, wenn sie den blauen Planeten nächtens vor Augen haben?