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Tagesmail

Donnerstag, 11. Oktober 2012 – Camerons Klassenkampf

Hello, Freunde des Klassenkampfes,

wohl dem Land, in dem kein Mensch mehr nach oben streben muss. Wo Clement, Maschmeyer, Wulff, Müntefering, Öttinger, Markus Lanz und die Aldibrüder alle Plätze besetzt halten. CO2-Dünste steigen auch nach oben, sie sind von vorbildlichem Aufstiegswillen und befinden sich dort oben in bester Gesellschaft.

„Unterschicht“, sagte Münte, „sei eine Formulierung lebensfremder Soziologen. Es gibt keine Schichten.“ Gibt’s keine Schichten, gibt’s keinen Klassenkampf. Vor allem gäbe es kein Oben und Unten. Warum sollen alle nach Oben streben, wenn’s gar kein Oben gibt? Wohl dem Lande, wo oben nicht oben und unten nicht unten ist.

Ein anderer SPD-Oberer, Südpfälzer Beck, hält es für das Zeichen der neuen Armut, dass arme Leute nicht mehr wie früher nach oben kommen wollten. Früher? Früher hieß es, jeder bleibe in seinem Stand, in den Gott und Martin Luther ihn berufen hat.

Doch da gab es noch keinen Raubtierkapitalismus, eine Beleidigung aller Raubtiere, die weder rauben noch jemals einen Raubmenschenkapitalismus erfunden haben.

„Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt“, sagte ein gewisser Zarathustra und fährt fort: „Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht über alle Trauer-Spiele und Trauer-Ernste.“ Was, oh weiser Zarathustra, ist das Besondere des Nach-oben-Steigens, des Bergsteigens? Beim Bergsteigen, antwortete Zarathustra, „erlebt man endlich nur noch sich selber“.

Wollten die Proleten ein vernünftiges Leben führen oder nach oben kommen? Wenn

Lebensfreude oben sein soll, dann lasst uns die Erde rasieren und die Täler zubetonieren, wie ein Land-Art-Künstler ganz jesajanisch formulierte.

(SPIEGEL-Interview von Karin Schulze mit dem Kurator Philipp Kaiser)

Wenn alle Schuld bezahlt ist, ruft es im Land: „Horch, es ruft. In der Wüste bahnet den Weg des Herrn; machet in der Steppe eine grade Straße unserm Gott. Jedes Tal soll sich heben und jeder Berg und Hügel soll sich senken und das Höckerige soll zur Ebene werden und die Höhen zum Talgrund.“

Wenn alle Schulden bezahlt sind? Kein Wunder, dass die Völker immer mehr Schulden auftürmen: bei dieser unegalen und höckrigen Natur. Erst wenn der Messias auf der schnurgeraden Landebahn aufsetzt, werden die Völker schuldenfrei sein. Wenn die heiligen Verse mal kein Egalisierungsprogramm für die Natur sind – doch zu welchem Zweck? „Dass die Herrlichkeit des Herrn sich offenbare.“

Vor Gott sind alle Berge gleich, wenn sie eingeebnet sind und sich nicht rühmen, oben zu sein. Denn oben soll allein der Herr sein, dessen Name Eifersucht ist. Der Schöpfer aller Dinge ist sogar auf den kleinsten Berggipfel eifersüchtig.

Zarathustra hat Recht, nur oben fühlt man sich in bester Gesellschaft: mit sich allein. Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein – eine grenzenlose Freiheit, wo der Höchste wohnt? Da kommt der Liedermacher mit Gauck ins Gehege, dessen Gott auch ganz oben, aber doch nicht in grenzenloser Freiheit ist. Sondern in Freiheit – in Verantwortung.

Da muss der Höchste ganz schön neurotisch-narzisstisch sein, dass er als Schöpfer aller Dinge sogar auf einen Maulwurfshügel neidisch ist, weil der zu weit hervorragt und ER mit seiner Offenbarung daneben verblasst. Über das weit Hervorragende wollen wir an dieser Stelle keusch hinwegschauen. Schwestern, kichert nicht so doof. Alles planieren und die Wege grade machen, damit der Herr einziehen kann.

Le Corbusier, angeblicher Faschist unter den Architekten, stimmt Jesaja völlig zu, wenn er die krumme Straße anpflaumt: „Die krumme Straße ist der Weg der Esel, die gerade Straße der Weg der Menschen.“ Dabei hat der Krummenhasser ganz den Heiland vergessen, der auf einem Esel in Jerusalem einritt, wo die Gassen ganz schön verwinkelt sein sollen.

Im goldenen Jerusalem aber wird’s am Ende der Tage quadratisch zugehen wie in der Innenstadt von Mannheim: „Und die Stadt bildete ein Viereck und ihre Länge ist so groß wie ihre Breite und das Menschenmaß wird Engelmaß“, nämlich 144 Ellen, was kabbalistisch für Garten Eden steht.

Es bedarf einer ganzen Heilsgeschichte, um aus dem verwilderten Garten Eden das aufgeräumte rechtwinklige goldene Jerusalem zu machen. Der Mensch kann sich seine Gottähnlichkeit dadurch beweisen, dass er alles grade und rechtwinklig baut.

Was in Freiburg, abgesehen von Altstadt und wilhelminischen Prachtbauten, längst erreicht ist. Da haben wir göttliches Niveau in der Architektur erreicht. Lineal anlegen und den rechten Winkel benutzen und niemand kommt auf die Idee, Freiburg – sagen wir mal – mit Barcelona zu verwechseln. Die Freiburger Architekteninnung, die die krummen Linien ihrer mittelalterlichen Touristenstadt hasst wie die Pest, hat auch ihren Zarathustra gelesen: „Über dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut sein, rechtwinklig an Leib und Seele.“

Woran man den Fortschritt deutlich erkennen kann. Bei Heinrich Heine war‘s nur der eindimensionale Prügelstock, den die Deutschen verschluckt haben, bei Nietzsche hat der Prügel schon die zweite Dimension an Leib und Seele erreicht. Die nächste Stufe der Evolution wird die dritte und vierte Dimension erreichen und den rechten Winkel den krummen Synapsen verpassen, damit sie endlich merken, dass es noch was Höheres als sie gibt, was nach Norbert Blüm die Definition von Religion ist. Bei seiner napoleonischen Körpergröße auch nicht sonderlich schwierig.

Auch das Großhirn des homo sapiens sieht aus, als hätte man seine Gedärme an der falschen Stelle entsorgt, da müsste ein Messie-Experte mal geometrisch aufräumen. Auf die Gehirn-Heinis ist auch kein Verlass mehr. Seitdem die im Gehirn rumpfuschen, sieht‘s da aus wie bei Hempels unterm Sofa. Können die sich nicht auf die Regel der Großmütter einigen: der Letzte räumt das Gehirn auf, bevor er das Licht ausmacht?

Ach so, Klassenkampf. Der nicht mehr von seinsvergessenen Proleten kommt, sondern von, dreimal dürft ihr raten – richtig, von Cameron, dem Liebling der Banken. (Ralf Sotscheck in der TAZ: „Cameron ruft zum Klassenkampf“)

Verkehrte Welt. Während deutsche Antikapitalisten und arrivierte Exproleten wie Münte sich auf den Thessalonicherbrief berufen, um ihre proletophoben Einstellungen schriftgemäß zu begründen, geht’s im Lande Albions andersrum.

„Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“, soll Münte gesagt haben – und man glaubt‘s sofort. Denn er ist römisch-katholisch und mit seiner jungen Frau in blütenweißem Brautkleid zum Altar des Herrn geschritten, damit er endlich die Ehe vollziehen darf.

Pardon, das war die Frau Kraft, die andere Exproletin, die vermutlich nach Peers Niederlage gegen Merkel als Gegenmutter Courage in den Ring steigen wird und jetzt schon mal vorsichtshalber den Segen des Kardinals Meisner einholt.

Es gibt hermeneutische Spitzklicker, die Münte vorwerfen, die Heilige Schrift verfälscht zu haben. Im Original heißt‘s nämlich: Wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen. ( Neues Testament > 2. Thessalonicher 3,10 / http://www.way2god.org/de/bibel/2_thessalonicher/3/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/2_thessalonicher/3/“>2.Thess. 3,10) Suffköppe kann man damit nicht schrecken. Die wollen weder arbeiten noch essen. Die wollen nur noch saufen.

Das sind selbstredend enorme Unterschiede in der geistbegabten Schriftdeutung. Nach dem Original dürfte nämlich kaum jemand was zu essen kriegen. Wer will denn schon arbeiten? Selbst die größten Malocher – die Zockermalocher – sollen, laut Phönix, gelegentlich so richtige Tiefs haben. Dann wollen sie morgens nicht mehr aufstehen und sollen vor sich hinfluchen: ich habe keine Lust mehr, täglich Millionen mit Lebensmittelwetten zu scheffeln, während in Äthiopien die Kinder verrecken.

Man macht sich völlig falsche Vorstellungen von diesen Sensibelchen, die nur ihren Job machen, doch stets aufpassen, dass sie dabei immer anständig geblieben sind.

Camerons Gegner, die sogenannten Linken, haben neulich von der „geeinten Nation“ gesprochen. Das war natürlich eine Gottesvorlage für den Oxbridge-Sprössling: „Wir predigen keine geeinte Nation, wir praktizieren den Klassenkampf“.

Cameron gilt schon als Loser, weshalb er jetzt die Internationale umschreiben und das parfümierte Fäusterecken einstudieren lässt. Bitte mit farblich abgestimmtem Poussiertüchlein am Revers.

„Wacht auf, ihr Reichen dieser Erde,

die man stets zum Geben zwingt,

Reinen Tisch macht mit dem Pöbel,

Zirkel der Erwählten, wachet auf,

Nicht alles zu haben: tragt es nicht länger,

Endlich alles zu haben, strömet zuhauf.

Eliten, hört die Signale,

auf zum letzten Gefecht,

Die Internationale,

erkämpft das Elitenrecht.“

Cameron hat einen genialen Coup in petto. Einer seiner Minister bot Angestellten und Arbeitern Aktien ihrer Firmen, wenn sie ihre Arbeits- und Kündigungsrechte „verkaufen“. Mammon gegen Rechte! Diese blendende Idee will Cameron jetzt globalisieren und perfektionieren. Alle Abkömmlichen dieser Welt sollen ruhig gestellt werden mit dem Angebot: Menschenrechte gegen eine garantiert warme Suppe am Tag.

Dann wäre die Gefahr der Empörung für immer vom Tisch. Die Armen dürften sich fühlen wie die Lilien und die Vögel auf dem Feld: Sie arbeiten und spinnen nicht, säen und ernten nicht und ihre Blutsauger ernähren sie doch. „Seid ihr nicht viel mehr wert als Vögel und Lilien?“

Selbstverständlich sind Kinder Gottes mehr wert als die ganze Natur zusammen. Das wird die Natur schon noch mitkriegen, obgleich sie ganz schön begriffsstutzig ist. Nur Heiden trachten nämlich nach Essen, Trinken und Billigklamotten aus China.

Den Christen steht die nächste Stufe der liebenden Offenbarung bevor: nicht die Heiden imitieren mit Fressen und Saufen, sondern zur höheren Ehre Gottes das läppische Treiben einstellen und sich nur von Gottes Wort ernähren. Das Wort ist der wahre Quell des Lebens und die wahre himmlische Mannaspeise: Nehmet hin und esset, dies ist mein Leib, nehmet hin und trinket, dies ist mein Blut.

Mit anderen Worten, die Regierung Cameron plant die Speisung des endlos wuchernden Pöbels mit vitaminangereicherten Oblaten und Wasser, das direkt vom Himmel fällt. Camerons Weltmotto wird sein: „Sorget euch nicht um den morgigen Tag!“ Völker der Erde, sorgt euch nicht länger, verkauft eure Menschenrechte an Onkel Cameron, er wird sich erkenntlich zeigen und für euch alle sorgen.

Immerhin liegen die Torys schon 10% hinter Labour, da muss man sich was einfallen lassen. Und schon haben sie sich was einfallen lassen. Das Gesundheitssystem und die BBC sollen privatisiert, das Recht auf Abtreibung eingeschränkt, die Homoehe verhindert und der freie Personenverkehr innerhalb der EU beschnitten werden.

Darüber hinaus will Cameron nicht nur die geeinte Nation verhindern, sondern auch die Vereinten Nationen zerschlagen. Mit der einleuchtenden Begründung, die hätten eh nichts gebracht als nur kostentreibendes Menschenrechtsgeflunker. Wenn jedes Land am besten für sich sorgt, so ist für alle Völker der Erde gesorgt.

Es gibt keine Gesellschaft, hatte Lady Thatcher dekretiert. Es gibt nur edle Dynastien und verwahrloste Massen, die allmählich lästig werden.

Schließen wir mit dem großen Patron von Lady Thatcher, F.A. von Hayek. Freiheit, die von Sozialisten und Umverteilern gefordert wird, sei nichts als der Wunsch, „in den Zustand jener Freiheit zurückzukehren, deren sich der Wilde erfreute, der noch kein Eigentum kannte“.  

Mit Adams Smiths „Wohlstand der Nationen“ hat der Cameron‘sche Klassenkampf nichts mehr zu tun. Hier sind echte Liberale am Werk, Freunde unbegrenzter Freiheit für unbegrenzte Weltensieger:

„Rule, Britannia rule the waves, die Briten werden niemals Sklaven sein,

Die Nationen, die nicht so gesegnet sind wie du,

werden mit der Zeit Tyrannen anheim fallen,

während du sollst blühen groß und frei,

ihr aller Furcht und Neid.

Ganz dein soll das unterworfne Meer sein,

und dein jedes Gestade, das es umschließt.

Gesegnetes Eiland. Mit einmaliger Schönheit gekrönt,

Und mit männlichen Herzen die Gerechten zu schützen.“

Es freuen sich die Gerechten aller Welt, von Cameron beschützt zu werden.