Kategorien
Tagesmail

Donnerstag, 05. Juli 2012 – Vernunft und Beschneidung

Hello, Freunde des Gesetzes,

also von vorne und erst mal im Überblick:

Artikel 3 GG: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Über verbotene Bevorzugung der Religionen wird bei uns mit keinem Wort gesprochen. Stattdessen attackiert man den „religionsfeindlichen Laizismus“ der Franzosen, den wir Gott sei Dank nicht hätten: wir seien eine Harmonie aus Vernunft und Glauben.

Bei der jetzigen Debatte fällt auf, dass es nicht um verschiedene Deutungen der Gesetzestexte geht. Emphatisch werden alte Religionstraditionen angerufen und verherrlicht, die Kölner Richter als platte oder „tumbe“ Juristen abgekanzelt (so Rafael Seligmann gestern in der Phönix-Runde), wenn sie tun, was ihres Amtes ist: das Gesetz in der Gesellschaft durchsetzen.

Wie Gesetze auszulegen sind, darüber lässt sich streiten, doch

nur in Deutung der Gesetze, nicht im Ignorieren der juristischen Texte.

Wie sieht die uralte Tradition aus, die respektiert werden soll?

Altes Testament > 1. Mose 17,10 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/17/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/17/“>Gen, 17,10 ff: „Das aber ist der Bund zwischen mir und euch und deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: alles was männlich ist unter euch, das soll beschnitten werden. An der Vorhaut sollt ihr beschnitten werden. Das soll ein Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch. Im Alter von 8 Tagen soll alles, was männlich ist unter euch, beschnitten werden. Geschlecht für Geschlecht. Auch der Sklave, der im Hause geborene und der von irgendeinem Fremden um Geld gekaufte, der nicht deines Stammes ist: beide sollen beschnitten werden, der in deinem Haus geborene wie der von dir um Geld gekaufte. Das soll mein Bund an eurem Leib sein, ein ewiger Bund. Ein Unbeschnittener aber – nämlich was unbeschnitten bleibt an seiner Vorhaut –, dessen Seele soll aus seinen Volksgenossen ausgerottet werden: meinen Bund hat er gebrochen.“

Müssten die alten Texte heilig unwandelbare sein, dürften sie kein Jota verändert werden. Es müsste noch Sklaven geben und Todesstrafe für Unbeschnittene. Hat es aber in der Tradition Humanisierungen gegeben – die hat es –, ist nicht einzusehen, warum auch der „barbarische Akt“ einer alles andere als harmlosen Amputation nicht humanisiert werden kann.

Wenn Erwachsene sich freiwillig verstümmeln wollen, bitte schön! Wie alt war Abraham selbst, als er beschnitten wurde? „ Abraham war 99 Jahre alt, als er an der Vorhaut beschnitten wurde. Sein Sohn Ismael aber war 13 Jahre alt, als er an der Vorhaut beschnitten wurde.“ ( Altes Testament > 1. Mose 17,24 f / http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/17/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/17/“>Gen. 17,24 f)

Gibt es schon eine Humanisierung im Alten Testament? Gibt es: „So beschneidet nun eure Herzen und seid fortan nicht mehr halsstarrig.“ ( Altes Testament > 5. Mose 10,16 / http://www.way2god.org/de/bibel/5_mose/10/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/5_mose/10/“>5.Mos. 10,16) Die Beschneidung am Herzen ist keine Erfindung des Christentums.: „Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist, und nicht das ist Beschneidung, die äußerlich am Fleisch geschieht, sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und das ist Beschneidung, die am Herzen geschieht, im Geiste, nicht am Buchstaben. Ein solcher hat sein Lob nicht von Menschen, sondern von Gott.“ Schreibt der Jude Paulus im Römerbrief Neues Testament > Römer 2,28 f / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/2/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/2/“>2,28 ff.

Nun erkennen wir den Grund des „Narzissmus der geringen Differenz“ zwischen Juden- und Christentum. Die schon im Alten Testament verkündete Humanisierung des steinzeitlichen Aktes klingt allzu christlich, also darf sie von selbstbewussten Juden nicht übernommen werden. Sonst sähe das wie Kapitulation vor dem Christentum aus. Was wäre noch das Besondere und Differente am Judentum?

Bei Gil Yaron in der FAZ lasen wir, dass es Rabbiner im Mittelalter gab, die die Identität von Beschneidung und Judesein bestritten. Die Dramatisierung von Micha Brumlik – Muslime und Juden seien in Deutschland nicht mehr erwünscht, wenn Köln Bestand hätte – wäre Theaterdonner.

In einer Demokratie sind alle Menschen willkommen, vorausgesetzt, sie halten sich an die Regeln der Demokratie. Keiner Minderheit ist es verwehrt, eine Gesetzesänderung auf üblichem Wege anzustreben, doch niemandem ist es gestattet, das Gesetz als tumb und belanglos zu negieren und stattdessen auf uralte Traditionen zu verweisen, die durch Heiligkeit kritikimmun wären.

Demokratien kennen weder Heiliges noch Kritikverbotenes. Wenn Religionen auf Heiligkeit Wert legen: bitteschön – aber nur im Rahmen der Gesetze.

In Europa entstanden die Demokratien, als man den Respekt vor dem Numinosen und Heiligen ablegte und die Religionen vor den Richterstuhl der Vernunft zog. In der Phönix-Diskussion empörte sich der Vertreter der Muslime, in der jetzigen Debatte behandele man Religion, als müsse sie gezähmt werden.

So ist es, Religionen müssen in Rechtsstaaten an die Leine des Rechts gelegt werden. Von Anfang an beharrten sie darauf, in eigenem Namen, im Namen Gottes Recht zu sprechen, das über allem weltlichen Recht steht. Der theokratische Geist der schärfsten Intoleranz der Weltgeschichte war der unbarmherzigste Gegner der Autonomie des Volkes.

Erlöserreligionen sind keine Glaubensangelegenheiten, die sich nur auf persönliches Seelenheil im Jenseits bezögen. Sie sind politische Welteroberungsideologien. Die Heilige Schrift beginnt mit Erschaffung der Welt, über die ein allmächtiger Gott durch die ganze Geschichte hindurch regiert und endet mit der Vernichtung der Welt, weil sie nicht war, wie sie aus höherer Sicht hätte sein sollen.

Eine politische Selbstdefinition universelleren und totalitäreren Ausmaßes ist nicht denkbar. Der Auferstandene ist Pantokrator: Herrscher über alles. Gott hat Christus von den Toten auferweckt, ihn zu seiner Rechten in der Himmelswelt gesetzt „über jede Gewalt und Macht und Kraft und Hoheit und jeden Namen, der genannt wird nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er seinen Füßen unterworfen.“ ( Neues Testament > Epheser 1,20 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/epheser/1/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/epheser/1/“>Eph. 1,20 ff)

Das Wort: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers und Gott, was Gottes ist, ist keine religiöse Begründung der Gewaltenteilung oder einer laizistischen Demokratie. Es bedeutet, überlasst das irdische Kaiserlein sich selbst, es ist ohne Bedeutung, morgen kommt der Messias, dann sind seine Tage gezählt.

Wenn man unbedingt will, kann man eine demokratische Definition der Heiligkeit vorstellen. Kant hat eine solche präsentiert, die mit der religiösen unverträglich ist. Heiligkeit, so Kant, „ist die völlige Angemessenheit des Willens zum moralischen Gesetze.“ Ein heiliger Wille wäre demnach ein solcher, der „keiner dem moralischen Gesetze widerstreitenden Maximen fähig wäre.“ Die separatistische Heiligkeit der Religionen wäre das absolute Gegenteil einer demokratischen Heiligkeit.

Die Beschneidungsdebatte kann mühsam und fruchtbar werden für die BRD. Sie ist nur Ventil für grundsätzliche Fragen, die in der Nachkriegsgeschichte nie klar gestellt wurden.

Was ist eine Religion? Wie verhält sich Religion zur Demokratie? Wie viele Arten der Religionen gibt es überhaupt? Sind Naturreligionen nicht das genaue Gegenteil zu Erlöserreligionen, weil sie die Welt verherrlichen, die von den letzteren in den Staub getreten werden? Haben religiöse Eltern das Recht, das Selbstbestimmungsrecht ihrer Kinder durch Kindertaufe, Kinderbeschneidung zu unterlaufen? Glauben sie so wenig an ihren Glauben, dass sie den Heranwachsenden nicht zutrauen, die „richtige“ Entscheidung zu treffen?

Es fällt auf, dass seit dem inflationären Gebrauch des Begriffes Demut die Demutsepoche der Religionen vorüber ist. Die Vertreter der Religion sitzen auf immer höherem Thron und lassen die Demokratie vor dem Richterstuhl ihrer irrationalen, alle menschliche Vernunft übersteigenden Erleuchtung antanzen.

Die ecclesia-synagoge-moschee patiens (patiens = leidend) ist Geschichte, nun kommt die Zeit der ecclesia-synagoge-moschee triumphans.

Es versteht sich für gleichgeschaltete Medien von selbst, dass die meisten Äußerungen und Artikel contra Köln und pro Religionsritus sind. In den ganz seltenen Talks der Öffentlich-Rechtlichen sind die Kräfteverhältnisse immer so, dass die Befürworter des Verbots in der Minderzahl sind. So im SWR2-Forum, so gestern in der Phönix-Runde. (Am Freitag kommt im SWR2 um 17.05 eine Debatte um das Blasphemieverbot Mosebachs: auch hier sind die modernen Kirchenväter in der Überhand.)

Im Einzelnen. Ein Beispiel für erlebte Pein bei der Beschneidung.

Man kann solche Beispiele als Ausnahmen von der Regel beiseite schieben. Liest man aber die Berichte von Therapeuten und Medizinern, fragt man sich, ob die traumatischen Folgen des Eingriffs von den Befürwortern nicht leichtfertig unter den Tisch gekehrt werden.

Gottes Griff nach dem Menschen muss schmerzlich und unauslöschbar sein. Wenn Erwachsene dieses unauslöschliche Siegel der Erwählung benötigen, gibt es keinen Grund, sie daran zu hindern. Das religiöse Selbstbestimmungsrecht aber endet bei unmündigen Kindern. Keine Eltern sind so gottähnlich, dass sie das Selbstbestimmungsrecht ihrer Kinder als quantite negligeable betrachten dürfen.

Im SWR2 sprach der jüdische Publizist Ginzel verächtlich von Scheinliberalität, die Kinder selbst über ihre Religion entscheiden zu lassen. Dahinter stecke nur eine unklare Haltung der Eltern zur Religion. Wenn dieses Urrecht Scheinliberalität ist, sollte man alle Freiheiten als Scheinprodukte aus dem Fenster der Republik werfen.

Im Namen einer angemaßten Zwangsbeglückung werden die mühsam errungenen Freiheitsrechte der Demokratie madig gemacht. Überhaupt kommt der Aspekt der Kinderrechte in der Debatte nur am Rand vor.

Man kann Kinderrechte à la Broder durch Übertreibung ins Lächerliche wegwischen. Bei ihm klingt das so, dass man sich bei Kindern noch entschuldigen müsse, sie ungefragt in die Welt gesetzt zu haben. Kein schlechter Gedanke, wenn die Entschuldigung darin bestünde, sich selbst durchzustreichen, weil es den Kindern auf dieser Welt gefiele.

Die gesamte Politik der Menschheit dürfte kein anderes Ziel haben, als unseren Nachkommen – die wir angeblich so herzlich lieben – eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Doch für die Rechte der Kinder gibt’s bei uns den Weltkindertag, im Rest des Jahres soll das Kind unterm Sofa verschwinden.

Hilal Sezgin bemerkt die Einseitigkeit der Debatte. Merkwürdigkeiten oder Barbareien der muslimischen – jetzt auch der jüdischen – Minderheiten würden ausführlich ins Fadenkreuz genommen, vergleichbare oder noch schrecklichere Barbareien der Christen aber außen vor gelassen. Der Vorwurf des Barbarismus werde gern da erhoben, wo man den Balken im Auge des andern sehe, im eigenen aber nicht.

Deshalb wollte sie den Spieß umdrehen und fragen, wie abenteuerlich es eigentlich sei, den Leichnam seines Herrn und Heilands zu verspeisen? Riten seien Riten, nicht alle müssten erklärlich sein. Überall gebe es Traditionen, die grausam seien und sich überlebt hätten. Nach ihren Recherchen sei die Beschneidung nicht sonderlich beeinträchtigend.

Nicht jeder „multikulturelle Dissens“ sollte mit gesetzlichen Verboten erstickt werden. Auf eine Verständigungsdebatte mit den „fremden Minderheiten“ wollten die Eingeborenen sich gar nicht erst einlassen, denn sonst müssten sie mal vor der eigenen Türe kehren.

Sezgin hat Recht. An diesem Punkt muss man von Ersatzhandlungen der Christen sprechen, die an den Fremden kritisieren, um sich nicht selbst kritisieren zu müssen. Das verdrängte Unbehagen an der eigenen Religion wird den fremden Religionen angelastet, die zum Sündenbock der eigenen Unzulänglichkeiten erklärt werden.

Doch die mangelnde Selbstkritik der Christen ergibt noch keinen Freifahrtschein für die Gescholtenen. Wenn Sezgin konsequent wäre, müsste sie von Christen fordern, was diese von anderen fordern. Es geht nicht, für einen unheilvollen Kompromiss – wieder auf dem Rücken der Kinder – zu plädieren: behaltet eure Barbarei, damit wir unsere behalten können.

Überdies schwankt Sezgin in der Beurteilung des Grausamkeitsfaktors. Entweder ist die causa circumcisionis harmlos, dann müsste sie nicht verboten werden. Oder sie ist es nicht, dann darf man sie nicht als Petitesse abtun und religiöse Riten mit dem Argument verteidigen, ganz ohne Grausamkeit ginge die Chose nicht. Selbst wenn die Folgen des Eingriffs harmlos wären, wäre der Eingriff noch immer eine Verletzung der kindlichen Selbstbestimmung. Das Kind wurde nicht gefragt. (TAZ-Kommentar von Hilal Sezgin)

Micha Brumlik fährt schwere Geschütze auf und zeichnet eine düstere Perspektive für Muslime und Juden in Deutschland, wenn das „kindliche Individualrecht“ sich gegen das Recht der Eltern, ihre Kinder zu beschneiden, durchsetzen würde. Dann gäbe es kaum noch eine Zukunft für beide Religionen in Deutschland: „Judentum und Islam nicht erwünscht“.

Doch der Erziehungswissenschaftler übersieht elementare Punkte:

A) Das Judentum ist keine statische Religion. Sie hat sich in vielen Aspekten weiterentwickelt und in unendlichen Debatten humanisiert. Unglaublich aber wahr, selbst Religionen können von Demokratien lernen. Der Geist der Demokratie und der Menschenrechte entstammen der athenischen Polis und der stoischen Philosophie.

Schreckenerregende Stellen des Alten Testaments sind für moderne Juden indiskutabel. Niemand wird mehr die Todesstrafe für Unbeschnittene fordern.

B) Also gibt es keinen Grund, den jetzigen Ritus der Beschneidung für zeitlos gültig und unveränderbar zu halten.

C) Ohnehin gibt es auch in der rabbinischen Literatur die Meinung, dass die Identität des Juden nicht von der Beschneidung abhinge, was Brumlik völlig übersieht.

D) Ein unbeschränktes Elternrecht über Kinder kann es nach dem Grundgesetz nicht geben. Als Professor für Pädagogik könnte man von Brumlik erwarten, dass er sich für Kinderrechte einsetzt, die in dieser Gesellschaft ubiquitär vernachlässigt werden.

E) Seine historischen Beispiele militanter Beschneidungsgegner verweist Deutschland assoziativ in die Reihe nicht unähnlicher Judenhassernationen. Der Begriff Antisemitismus wird in der Debatte zwar ostentativ vermieden, aber untergründig spielt er eine allpräsente Rolle. Mehr als die Hälfte der Deutschen wären Antisemiten, wenn das Motiv des Ritusverbots von antisemitischen Motiven bestimmt wäre.

Die WELT kennt keine Hemmungen und schreibt: „Hitler würde sich über Beschneidungsverbot freuen“. Dann sollte man gleich zum Kern kommen und sagen, was Hitler mit militanten Mitteln nicht vollständig erreichte – die Auslöschung der Juden in Deutschland – soll jetzt mit juristischen Methoden versucht werden.

F) Hier prallen keine demokratischen Werte in ihrem internen Widerspruch aufeinander, sondern demokratische Werte im Widerspruch mit religiösen.

G) Ob nach dem Kölner Urteil ein Kulturkampf von unbekannter Härte droht, hängt von der Diskursfähigkeit der „Kombattanten“ ab. Wenn zunehmend – nicht bei Brumlik – auf Seiten der Religionsvertreter das Moment der heiligen irrationalen Unvernunft betont wird, ist eine rationale Debatte immer weniger möglich.

Nur nebenbei muss erwähnt werden, dass die Seite der Demokratie bislang fast von keinem prominenten Intellektuellen vertreten wird. Die Sache der Demokratie ist offensichtlich schon so heruntergekommen, dass man sich bei den Eliten mit ihr nicht kontaminieren will.

H) Ein spezifisch deutsches „Religionsverfassungsrecht“, das den laizistischen Demokratien in Frankreich und Amerika überlegen sein soll, ist mit dem Grundgesetz nicht in Übereinstimmung zu bringen und eher Wunschbild der herrschenden religiösen Eliten in diesem Land, denn rechtlich vertretbare Norm.

Natürlich muss Deutschland sich zu einer wahren Demokratie weiterentwickeln. Das kann nur durch strikte Trennung von Staat und Religion geschehen. Wohin uns die trüben sonderrechtlichen Mauscheleien zwischen Klerus und Staat gebracht haben, sehen wir gerade am Bespiel des Kölner Urteils. Je mehr die Privilegien aller Konfessionen und Religionen heimlich, still und leise ins Kraut wuchsen, je mehr haben wir an nachträglicher Aufräumarbeit zu leisten. Eine Demokratie, die zunehmend aus Sonderrechten und Parallelgesellschaften besteht, zerlegt sich selbst.

I) In einem Punkt ist Brumlik zuzustimmen: gnädige Ausnahmen- oder Sonderrechte für Juden unter dem Sühneaspekt für den Holocaust würde die Beziehungen zwischen beiden Gruppen unerträglich machen. Wir sehen, wie weit man kommt, wenn man den angeblichen Freund Israel „philosemitisch“ behandelt wie einen Feind, der sich ungewarnt ins Unglück stürzt.

Vollständig daneben ist der gönnerhafte Beitrag eines christlichen Theologen, der dem Gesetzgeber den Vorwurf macht, die religiöse Tiefe der Beschneidung nicht verstanden zu haben. Es ging in Köln nicht um ein interreligiöses Seminar zur Hermeneutik eines theologischen Sachverhalts. Zwar ist es immer besser, eine zu beurteilende Sache von allen Seiten kapiert zu haben. Dennoch ging es in dem Urteil nur um die schlichte Überprüfung der Verträglichkeit oder Unverträglichkeit eines Rituals mit einem eminenten Paragraphen.

Navid Kermani hat sich zum erbitterten Gegner der weltlichen Vernunft entwickelt, der er vorwirft, über Dinge zu urteilen, die sie nichts anginge und die sie nicht beurteilen könne. Die modernen Kirchenväter sind gewitzt und bedienen sich jener Vorwürfe, die die Vernunft bislang den totalitären Religionen machte – sie habe sich absolut gesetzt. Das klingt einleuchtend, besonders wenn man im Namen einer alleinseligmachenden Religion spricht.

Zum Schluss eines der seltenen Plädoyers für ein Verbot aus der Feder des bekannten Psychotherapeuten Wolfgang Schmidbauer:

Aus therapeutischer Sicht hält er eine Beschneidung nicht für harmlos. Eine ganze wissenschaftliche Debatte werde hier ignoriert. Die hygienischen Rechtfertigungen seien nur Vorwand.

(Ob es zu sexuellen Vorteilen verhilft, bleibt ebenfalls umstritten. Für Maimonides war die Einschränkung der Lust ein erwünschter Effekt. Auch die Unfähigkeit zur verbotenen Masturbation soll eine Rolle gespielt haben.)

„Die Beschneidung der Säuglinge fügt sich in die zahlreichen Versuche der Religionsgemeinschaften ein, möglichst früh bindende Rituale zu vollziehen. Das soll verhindern, dass diese von dem erwachten kritischen Geist überprüft und womöglich abgelehnt werden.“

Wenn die Deutschen zu einer sinnvollen und auf Verständigung zielenden Debatte über das Thema Beschneidung kommen wollen, müssen sie ihre Ignoranz in religiösen Fragen beenden. Sie nennen sich Christen, wissen über Christentum so viel wie Eskimos über die Südsee. Noch weniger über Judentum und den Islam.

Religion kann nur innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft gehalten werden, wenn der mündige Mensch den Grenzverlauf und den Unterschied zwischen Vernunft und Glauben kennt.