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Tagesmail

Donnerstag, 03. Mai 2012 – Maul verstopft

Hello, Freunde der Palästinenser,

administrare heißt lenken, durchführen, Minister sind Lenker. Eine Administrativhaft ist eine Haft ohne Anklage und Gerichtsverfahren. Das richtige Mittel, um eine besetzte Zone fürsorglich zu lenken und zu leiten.

Von über 4000 einsitzenden Palästinensern befinden sich 322 in Administrativhaft. Es gibt 2000 hungerstreikende palästinensische Häftlinge in Israel. Acht davon sind in Lebensgefahr. Der Palästinenser Diab sitzt seit neun Monaten, sein Landsmann Halahleh seit zwei Jahren in Haft, ohne dass Anklage erhoben wurde. 19 Männer sitzen in Isolationshaft, einer von ihnen seit 12 Jahren.

In einer Isolationshaft werden einem Gefangenen der Kontakt zu anderen Mitgefangenen und diverse Beschäftigungsmöglichkeiten verweigert. Kritiker bezeichnen die Isolationshaft auch als Vernichtungshaft. Menschenrechtsorganisationen sprechen von Foltermethoden. Zumeist ist Isolationshaft ohne rechtliche Grundlage.

Der TAZ-Artikel enthält sich jeglichen Kommentars.

Das trifft sich gut mit dem neuen Vorsitzenden der Piratenpartei Bernd Schlömer, beruflich ein Untergebener des Verteidigungsministers de Maiziere. Der hat keine Meinung zu Israel.

Das wiederum entzückt den israelischen Ex-Botschafter Shimon Stein, der von einer neuen Sachlichkeit spricht, die bei den Wählern der Piraten Einzug halten könnte. Die Wähler würden die neue wilde Partei gewiss

nicht bestrafen, wenn sie sich bis zum Jahre 2103, äh, pardon, 2013, keine Meinung zu Israel gebildet hätte.

Schlömer – nachgewiesenermaßen kommt der Name nicht von Schleimer – sei ein einmaliger Politiker in Deutschland, jeder Vergleich mit andern Politikern eine unzumutbare Relativierung. Andere Durchschnitts-Politiker müssten die normale Gehirnwäschesozialisation durchlaufen, sich zwanghaft-kritisch zur „Siedlungs“politik Israels – nicht zu verwechseln mit Besatzungspolitik – zu äußern. Nein, es sei auch keine Indifferenz gegenüber Israel.

Von Tabuisierung zu sprechen, sei eine Grass‘sche Frechheit. Und überhaupt gebe es noch ganz andere Staaten, die wesentlich schlimmer wären als das Heilige Land – China zum Beispiel oder der Iran, aber mit denen müsse Deutschland tolle Geschäfte machen, um seine Exportweltmeisterschaft zu verteidigen , über die spreche hier niemand. [Der Kursiv-Text steht nicht im Artikel von Shimon Stein, sondern ist unser Zusatz.]

Zum 100. Geburtstag von Axel Springer verwirklicht Schlömer in hervorragender Weise dessen mediales Dogma: Versöhnung mit den Palästinensern, ohne anzuerkennen, dass es sie gibt.

Das wiederum passt zur neuesten Tugend der Politik, gepriesen von herausragenden Gentlemen der Öffentlichkeit wie dem deutschen Statthalter von Goldmann & Sachs, dem nicht unbedeutenden Medienmogul Murdoch, einem unbekannten Adligen von Guttenberg oder einem FDP-Lindner, der erst demütig zurückgetreten war, um nun seinen demütigen Parteichef Rösler dorthin zurückzuschicken, woher er gekommen war: nach Vietnam.

Richtig, es handelt sich um die Demut, eine Tugend, die bei stolzen Heiden verachtet wird, dessen magischer Sogkraft abendländisch-identische Politiker in den nächsten Jahren sich nicht werden entziehen können. Und wehe, wenn doch.

Demut setzt ein Herr-Knecht-Verhältnis voraus und kann bis zur Selbstunterwerfung gehen. Demut bedeute Anerkennung der Allmacht Gottes, in der Neuzeit kann man auch von Allmacht der Wirtschaft sprechen. Insofern passt die gar nicht neue Duckmäusertugend hervorragend zu einer wirtschaftskompetenten Partei wie der FDP. Die Wurzel des hebräischen Wortes für Demut stehe für sich beugen.

Der Gegensatz ist Hochmut. Hochmut kommt vor dem Sündenfall. Danach wird der Hochmütige lebenslang mit Arbeit bestraft, weshalb die FDP eher für Demut plädiert. Dann werde man von Straf- und Sündenarbeit wesentlich mehr entlastet als wenn man wie die SPD die Proletenmaloche als Lösung aller Probleme betrachte.

Der Mensch demütigt sich vor Gott, um von ihm angenommen zu werden. „Gleicherweise, ihr Jüngeren, seid den Ältesten untertan! Alle aber gürtet euch mit Demut gegeneinander; denn „Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade.“ Demütiget euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch zur rechten Zeit erhöhe.“ ( Neues Testament > 1. Petrus 5,5 f / http://www.way2god.org/de/bibel/1_petrus/5/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_petrus/5/“>1.Petr. 5,5 f)

Besonders die Stelle mit der Erhöhung als Lohn der Demut hat Lindner bewogen, sie in seine persönliche Agenda aufzunehmen.

Doch nicht nur Lindner, auch Fußballtrainer Matthias Sammer will demütige Nachwuchsspieler heranziehen lassen, die sich bei der hart arbeitenden Bevölkerung entschuldigen, dass sie viel zu viel auf deren Kosten verdienen.

Selbst Wolfgang Thierse, obzwar katholischer Bewunderer vatikanischer Macht- und Prunkpolitik, kann sich ein Leben ohne Demut nicht vorstellen.

Da wollen deutsche Berufsrebellen wie Konstantin Wecker auch nicht länger beiseite stehen, wenn Demut zum öffentlichen Dekor der Erfolgreichen ernannt wird. Im regelmäßigen Turnus der Erneuerung verstaubter, alter Tugenden zum Zweck neuer, zukunftstauglicher Karrierestrategien.

Auch Dieter Bohlen und Maschmeyer hätten schon signalisiert, dass sie einem Leben in demütiger Abgeschiedenheit nicht abgeneigt wären, besonders in ihren schlichten Villen auf Mallorca oder am Starnberger See.

Es versteht sich, dass der SPIEGEL-Artikel objektiv, sachlich ist und sich jeder hochmütigen Stellungnahme enthält.

Wer nun geglaubt hätte, Demut sei eine neue Zier, doch weiter kommt man ohne ihr, hätte sich in den Finger geschnitten. In der Seelenklempnerlehre steht Demut schon immer hoch im Kurs. Denn sein Gegenteil, Hochmut, fachmännisch Narzissmus genannt, gilt als Kern aller psychischen Deformationen.

Narzissmus ist übermäßige Selbstliebe, auffällige Selbstbewunderung oder übersteigerte Eitelkeit. Freud sprach von Libido, die auf die eigene Person gerichtet sei.

All diese unsympathischen Eigenschaften stammen von dem heidnisch-ungläubigen Jüngling Narkissos, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte, sich ins Wasser stürzte, um sich mit sich selbst zu vereinigen – also eine selbstreferentiell-verschärfte Form homoerotischer Neigung – und zur verdienten Strafe absoff. Da hat er dumm aus der Wäsche geguckt.

Demut ist die neue Waffe im untergründigen Kampf zwischen deutschem Bescheidenheitswesen und amerikanischer Großmannssucht, also eine Neuauflage des Antiamerikanismus, der wissenschaftlich als sekundärer Antisemitismus gilt. Weshalb man bei der beginnenden Demuts-Ideologie von einem hinterfotzig-tertiären Antisemitismus reden müsste.

Der Sinn des Zwists unter kapitalistischen Brüdern enthüllt sich in Luk. 13,30: Und siehe, die Letzten, Demütigsten und Uneitelsten werden die Ersten sein und die Ersten, Großkotzigsten und Überheblichsten werden die Letzten sein. Womit klar sein müsste, wer den Wettkampf zwischen arroganten Amis und demütigen Deutschen am Ende gewinnen wird.

 

Das Maul- und Raushalten ist beileibe nicht von heute auf morgen vom Himmel gefallen. In Deutschland wallt ein Prophet des forciert heiligmäßigen Maulhaltens durch alle Redaktionen, lässt sich auf illustre Konferenzen und Jubiläen laden, wo er Stellung zu den dringlichsten Fragen der Menschheit nehmen könnte – es aber erstaunlicherweise nicht tut.

Nachdem er den Theologen Karl Barth gelesen hatte, der in seinem Leben nie Recht haben wollte, schon gar nicht im Barmer Bekenntnis gegen Hitler und seine Schergen, will er überall auf der Welt verkündigen, dass er nichts mehr zu verkündigen habe. Und wenn doch, niemals im Modus des Rechthabens.

Es handelt sich um die selten vorkommende Spezies des stummen Propheten, der viel schwatzen muss, um die Menschen indirekt darauf hinzuweisen, dass er nichts mehr zu sagen hat. Eine Urangst für den Schriftsteller, der zwar Bücher um Bücher voll schreiben kann, dem aber seine Botschaften an die Menschheit abhanden gekommen sind.

Wie erklärt er das, wie rechtfertigt er sich? Er könnte wie Walter Jens auf Alzheimer machen, wie Hölderlin und Nietzsche auf Verrücktsein, doch das ist ihm nicht originell genug. Es muss schon was Apartes dabei rüberkommen, wenn er seine Abschiedstournee durch die Gemeinde seiner Anhänger mit wehendem Mantel und ungeschorenem Haupthaar absolviert.

Vital, knorrig und eindrucksvoll wie er ist, plant er einen Abgang, der den des Empedokles übertreffen soll, welcher in einer Dunstwolke im Ätna verschwand. Eines Morgens im Frühnebel beim Schwimmen immer mehr in den Bodensee hineinschwimmen und nie mehr zurückkehren? Solche Imitate hat er schnell weggewischt.

An Entrückung auf den Spuren seines Heilands und Erlösers hat er auch gedacht, aber wegen Blasphemie schnell verworfen.

So blieb nur eine säkulare Entrückung unter Beibehaltung des bekannten irdischen Leibes übrig. Doch so, dass seine letzten Worte nichts anderes wären als Wort- und Sprechverweigerungen – im Namen des einzigen und unvergleichlichen göttlichen Wortes, dem er seinen letzten Tribut zollt und seine Abschiedsreferenz erweist.

Selbst wenn der Abschied sich noch jahrelang hinziehen sollte. Es muss ein Abgang sein, wie ihn die Welt noch nicht sah. Die Größten der Großen unter den deutschen Kritikern sollen ihn charmieren, konsultieren, bäuchlings seine Füsse küssen – er wird unverdrossen den Basso ostinato seiner paulinischen Losung deklamieren: „Wir wissen aber, dass das Gesetz alles, was es ausspricht, denen sagt, die unter dem Gesetze sind, damit jeder Mund verstumme.“ ( Neues Testament > Römer 3,19 / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/3/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/3/“>Röm. 3,19)

Im protestantischen Choral klingt das so: „Gott ist in der Mitte, alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge.“

Der Satz des Römerbriefs ist das Urwort, die Vorlage für die geniale Deutung durch den schweizerischen Herrn und Meister Walsers, den Gottesgelehrten und Professor für Dogmatik Karl Barth, der ein lebenslustiger Mozartverehrer und später Herrenreiter war, mit seiner Geliebten und seiner Frau friedlich unter einem Dache wohnte (im Gegensatz zu Fritz Wepper, der ständig zwischen erster und zweiter Frau hin und her pendeln muss und abwechselnd von jeder verprügelt wird) und in seiner legendären Auslegung des Römerbriefes also schrieb: „Was wissen wir? Wir wissen, dass wir Anlass haben, vor Gott zu verstummen. Wir wissen, dass alles Geschaffene insgesamt seufzt und gemeinsam in Wehen liegt bis auf das Jetzt hin.“

So soll auch Walsers Rede sein, nach außen das bekannte Schwallen, für diejenigen aber, die seine Ober- und Unterstimmen vernehmen, soll es ein geheimes Seufzen und Sehnen nach dem Ende sein.

Indem er darauf beharrt, nichts mehr zu sagen, hat er aufgehört, Recht zu haben. Indem er aufhört, Recht zu haben, hat er das Recht erworben, alles menschliche Geschwätz zu stoppen und jeden rechthaberischen Mund zu stopfen:

„Wenn die, die es mit dem Gesetz halten, hören, was das Gesetz sagt, hören, dass Gott allein recht hat …, wenn gerade sie mit ihrem Mund jeder rechthaberische, siegesgewisse, auch noch eine Wahrheit verkünden wollende menschliche Mund gestopft, wenn … die ganze Welt vor Gott schuldig wird, dann tritt der ewige Sinn der Geschichte zutage.“ (Karl Barth: „Der Römerbrief“).

Durch sein beredtes Verschweigen, geschwätziges Verstummen und selbstherrliches Nichtrechthabenwollen will Walser im Auftrag des Himmels die Welt verurteilen und ihr Ende vorbereiten.

Auch bei Döpfner war Walser eingeladen und Arno Widmann durfte bei dem erlesenen Zirkel in der ersten Reihe sitzen.

Was war Axel Cäsar Springer für ein Mensch? Ein Verteidiger der Demokratie, ein furchtbarer Gegner Dutschkes und der protestierenden Studenten? Ein Tycoon, der wie Murdoch, ungeeignet zur Führung eines zu mächtigen Medienkartells war?

„Martin Walser antwortete auf diese Fragen nicht.“ Warum nicht? Weil der dreiste Springerchef unvereinbare Dinge von ihm hören will. Walser soll antiautoritär bleiben und ihm dennoch zustimmen.

Widmann verteidigt Walsers Redeverweigerung, er habe ein Recht darauf, sich keine Meinung „abzwacken“ zu lassen. Walser führe eine Haltung vor. Er wolle uns zeigen, dass man Nein sagen kann.

Indeed, die 68er Revolte begann mit der selbstgegebenen Erlaubnis, Nein zu sagen. Warum aber sagt Walser zu Döpfners Veranstaltung erst Ja, um dann demonstrativ Nein zu sagen? Will er coram publico seine nicht ausreichend durchgelebte Jugendrevolte im hohen Alter nachholen?

Vor allem: wozu sagt er Nein? Zu Springer, zu Döpfner? Er will, so Widmann, zu den Mächtigen Nein sagen, auch zu den Klugen, sogar zu denen, die Recht haben.

Ist sein Nein zu den Rechthabern das ostentative Ja zu einem bewussten Nichtrechthaben? Redet er mit Absicht Unsinn, um den Sinn der Klugen zu Schanden zu machen?

Auch Widmann muss überzeugter Pauliner geworden sein, wenn er Walsers Vernichtung der Weltweisen verteidigt: „Vernichten werde ich die Weisheit der Weisen, und die Einsicht der Einsichtigen werde ich verwerfen.“ ( Neues Testament > 1. Korinther 1,19 / http://www.way2god.org/de/bibel/1_korinther/1/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_korinther/1/“>1.Kor. 1,19)

Sagen wir‘s mit anderen Worten. Einer der führenden Schriftsteller und einer der wichtigsten Kritiker dieses Landes befinden sich im Kriegszustand gegen die Vernunft, die als heidnische Hure gepfählt werden soll.

Und dies in einer sogenannten linken Zeitung, mit einem erheblichen Aufwand an bombastischen Worten, die ihren theologischen Ursprung verheimlichen und kostümieren, damit man nicht der regressiven Dunkelmännerei bezichtigt werden kann.

Unter scheinsäkularen Worten werden die Kämpfe des Paulus und der meisten Kirchenväter gegen die griechische Philosophie wiederholt. Dies im beginnenden dritten Jahrtausend nach der Zeitenwende, die stolz darauf ist, es herrlich weit gebracht zu haben und jede Woche eine postmoderne neue Sau durchs Dorf zu jagen.

Walser ist der Prophet, der die Welt und ihr Wissen im Namen eines Gottes verurteilt, welcher sie zum Untergang verdammt. Die Welt soll das Maul halten, wenn es um ihre Dinge und Angelegenheiten geht. Sie hat nichts zu sagen, sie ist nicht mündig.

Kants Aufklärung wird unter unverfänglich klingenden, in Wirklichkeit eindeutigen Theologoumena aus dem Weg geräumt und begraben – ohne dass nur ein einziges Mal der Name Kant fiele, der Begriff Aufklärung auch nur erwähnt werden müsste.

Dann überkommt Widmann ein Deja-vue-Erlebnis. Schon als aufmüpfiger Student saß er neben Walser und habe ihn „agitiert“, ein Flugblatt zu verfassen oder zu unterschreiben, in dem es um Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg ging. Walser dürfe hier nicht wegschauen, er müsse genau zugucken.

Da musste der sich erinnernde Arno lachen. In Döpfners Stimme erkannte er dasselbe Tremolo, das er damals drauf hatte, um den berühmten Schriftsteller für seine gute Sache zu bewegen. „Damals verweigerte sich Walser den Zumutungen der Ohnmacht, heute den Zumutungen der Macht.“ Sagt ein Linker, der bislang seine gesamte Politik als Einsetzen für die Ohnmacht verstand – lachend.

„Er tat es damals wie heute nicht mit Argumenten“, das versteht der Linke voll und ganz. Denn: „Argumentieren heißt sich Einlassen auf die Zumutung.“ Es käme aber darauf an, die Zumutung als solche sichtbar zu machen – ohne Argumente.

Was erleben wir hier? Eine Rotation aller bisherigen Vorstellungen, dass Linke auf Argumente setzten und Rechte auf Macht. Argumentiert wird von Springer & Co, die Macht des Verstummens beanspruchen die Großschriftsteller und kritischen Kritiker der Linken, die als marxistische Studenten begannen und als maulverstopfte Bettvorleger enden.

Welch ein journalistischer Selbsthass als Abschluss des Artikels im Auftrag des Römer- und ersten Korintherbriefes. Wenn sie, die neugierigen Tagesschreiber, Walser und andere Größen anriefen, um ihnen eine Meinung zu einem wichtigen Geschehen „abzuzwacken“, dann nicht im Glauben, die erlauchten Herrn könnten etwas sagen, was man nicht von Krethi und Plethi auch hören könnte. Nein, sie wollen sie nur als Galionsfiguren in einem „Shitstorm“, den sie gerade aufbauen. Ihnen sei es gleich, was die einzelnen Granden erzählten. Hauptsache, sie erzählten ihre Belanglosigkeiten bei ihnen, um den Lärm zu verstärken, den sie machten.

Ja, die medialen Kampagnenführer missbrauchten die Galionsfiguren zum eitlen Zweck, groß herauszukommen. Auf diese Weise aber könne man nichts Originelles abrufen. Das Originelle könne man vertraglich nicht einfordern, es sei ein Glücksfall.

Allen eigensüchtigen Zumutungen der Pressemeute verweigere sich der Mann vom Bodensee. „Wir, seine Leser, freuen uns drüber.“ Ende gut, alles gut.

„Wir“ freuen uns drüber? Zuerst verteidigt Widmann – in Identifikation mit dem Aggressor – die Vaterfigur, die Nein zu ihm sagt. Dann beschimpft er seinen Berufsstand bis aufs Mark. Am Schluss geht er von der Fahne und läuft zum pluralis majestaticus des Publikums über, das er gewöhnlich zu verachten pflegt.

Es gebe, sagt der Pressemann, nichts Schlimmeres als eine egoistische Presse, die andere – vor allem die Berühmten – für ihre Tageszwecke ausbeuten wolle. Zwecke, die darin bestehen, Lärm und Shit zu veranstalten.

Nicht das Wahre ist für Widmann erstrebenswert, sondern das Originelle. Also das Pikante, noch nie Gehörte, Extraordinäre und Verblüffende.

Auweia, hätten Arno & Co schon zu Sokrates’ Zeiten gelebt, hätten sie ihn als erschütternd eindeutigen Argumentierer und Rechthaber zum Frühstück vernascht.

Der Dickwanst war dafür berüchtigt, stets dieselben einfachen Dinge in einfachen Worten zu wiederholen. Ohne den geringsten Anspruch auf Originalität, aber mit scharfsinniger Folgerichtigkeit, die nur eins im Sinn hatte: die simple und unscheinbare Wahrheit herauszufinden, um mit dieser Wahrheit die demokratische Kompetenz der Athener zu stärken, damit die Demokratie nicht den Bach runter ginge.

Anno Domini 2012, mitten im Bauch der herrschenden Intelligentsia, ist alles restlos auf den Kopf gestellt – ohne die Remedur kenntlich zu machen, ja, ohne die Generalrevision der Aufklärung, dieses Demontieren aller Vernunft mit der Abrissbirne einer apokryphen Theologie überhaupt wahrzunehmen.

Der heutigen Presse in ihrem Selbsthass ist nicht nur das Maul verstopft, sondern auch das Gehirn abgeschnürt, das sie mit Weihrauchschwaden narkotisiert hat. Friede seiner Asche.