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Donnerstag, 01. März 2012 – Geist und Macht

Hello, Freunde Afghanistans,

der massive Einsatz von Militär habe im Lande der Bora-Bora-Höhlen zu nichts geführt, meint die Berliner Zeitung. Der Westen stünde ohne Plan da, ein schneller Rückzug der Besatzertruppen komme aus Gründen der Gesichtswahrung nicht in Frage.

Das Projekt Demokratie und Menschenrechte sei nicht zum Selbstläufer geworden. Wieder einmal müsse eine Besatzungsmacht früher oder später erfolglos das Feld räumen.

Die WELT sieht das Ergebnis auch nicht anders, das ursprüngliche Engagement aber sei notwendig und hochherzig gewesen. Anfänglich sollten nicht nur die Taliban aus dem Weg geräumt, sondern Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie ins Land exportiert werden.

Wem universelle Rechte wichtig seien, der könne nicht einfach wegschauen, wenn sie irgendwo in der Welt verletzt würden. „Der Demokratie ist deswegen ein imperialer, grenzüberschreitender Zug eigen, das ist gut so.“

Das war die Linie der Neocons in den USA zur Zeit Dabbeljus, das Gute dürfe mit Gewalt die Welt erobern. Gutes mit Gewalt ist die Definition des Faschismus seit Platons Idealstaat. Doch Popper hat sich nicht durchgesetzt, leider hielt

auch er den aggressiven außenpolitischen Kurs der athenischen Polis für richtig, wohl in Verteidigung seiner neuen Wahlheimat England.

In Deutschland gibt es keine Formel für Faschismus, die sich zur Bewertung der Geister etabliert hätte. Ein deutscher Gelehrter beginnt seinen Vortrag mit der Definition, dass es eindeutige Definitionen nicht geben könne.

Wie aber soll es uns gelingen, die Wiederholung der Vergangenheit zu vermeiden, wenn wir sie weder erkennen noch eingrenzen können?

Hier sehen wir die praktischen Konsequenzen der modischen Wahrnehmungs- und Erkenntnisverweigerung, die in der These gipfelt, das Böse sei unerkennbar: das Unerkennbare kann in seinem Gewaltkurs ungestört seines Weges ziehen.

Nehmen wir das gewollte oder ungewollte Ergebnis einer Handlung als geheime Motivation zu dieser Tat, so müssen wir konstatieren, dass die demonstrativ bescheidene und selbstkritisch aussehende Skepsis nicht schuld sein will an Vorgängen dieser Welt, die sie nicht billigt, ihre Entstehung aber auch nicht verhindert hat und ergo mitschuldig geworden ist. Dennoch will sie ihre Anteile leugnen und weigert sich, ein schlechtes Gewissen zu entwickeln.

„S’ist Krieg, s’ist Krieg,

Und ich begehre, nicht schuld daran zu sein,“

schrie der fromme Dichter Matthias Claudius zum Himmel. Das schreckliche Elend des Krieges, das in einem Alptraum über ihn käme: wie könnte er es aushalten und verantworten, wenn er daran mitschuldig wäre? Da gibt es nur die klassische Lösung:

„Oh Gottes Engel wehre,

Und rede Du darein!“       

Die postmoderne Erkenntnisverweigerung ist die Haltung des Dreijährigen, der sich die Augen zuhält, damit er nicht gesehen wird.

Wissen macht haftbar. Wie kann man Verantwortung übernehmen, wenn es keine erkennbaren Vorgänge in der Welt gibt, für die ich zuständig wäre?

Aber wir wissen doch gar nichts über die Realität! Jeder Mensch lebt doch in seiner eigenen Wirklichkeit! Wir haben keine Ahnung, wer wir selber sind! Wer bin Ich und wenn, wie viele? Gibt es kein identisches Ich, gibt es keine Verantwortung.

Herr Gauck müsste sich mal um herrschende Erkenntnistheorien kümmern, bevor er über Verantwortung schwadroniert. Weiß er denn, welchen Nicht-Ichs er predigt? Welchen multiplen Persönlichkeiten er sagen will, wozu sie da sein sollten?

Wir leben in zwei Welten, der Welt der harten wirtschaftlich-politischen Realität und der Welt der Kunst und des sublimen Geistes. Die scheinen nichts miteinander zu tun zu haben, beide fühlen sich der anderen überlegen.

Die Macher und Pragmatiker belächeln die Denker und Schreiber, diese bilden sich ein, in einer geschützten Enklave zu leben und von Maschinen und Börsen weit entfernt zu sein.

Der Schein trügt, die Welt des ach so überlegenen Geistes ist die ätherische Abfallhalde, die Rechtfertigungskapelle der Täter und Macher. Dem Ego militans der rivalisierenden Ökonomen entspricht das Ego patiens der ästhetischen Elfenbeinturmbewohner.

Die Rüpel beherrschen prügelnd und fluchend die Gasse, die feingeistigen Literaten sitzen hinter dem Vorhang, schauen entsetzt auf die Raufereien – und sehen nichts.

Würden sie etwas sehen, müssten sie mit dem hoch entwickelten Sensorium einer bürgerlichen Kinderstube etwas unternehmen. Zum Beispiel den Vater fragen: warum tun die Menschen da unten Böses? Hast du uns nicht beigebracht, keiner Fliege etwas zuleide zu tun, nun schaust du zu, wie vor unserer Haustür die Menschen sich Gewalt antun?

Das Kind erlebt den allmächtigen Vater ohnmächtig und unglaubwürdig. Doch es muss den Vater vor dem Absturz retten, weil es Angst hat, mit ihm in den Abgrund gerissen zu werden.

Und also wird es zum postmodernen Erkenntnistheoretiker: hab ich wirklich gesehen, was ich gesehen habe? Kann es sein, dass ich einen Alptraum hatte und auf die Wirklichkeit übertrug? Gibt es denn eine Wirklichkeit? Lebt nicht jeder Mensch in seiner eigenen? Und überhaupt Ich! Existiert denn ein klares Ich? Bestehe ich nicht aus vielen Ichs, als Sohn, Tochter, Schwester, Bruder, Schüler, Enkel, Nachbar, Städter, Dörfler, Europäer? Welches Ich davon ist das wahre?

Mit genialen Erkenntnisfragen wird Erkenntnis zu Grabe getragen. Die Kluft zwischen dem Wahren und Guten der Bourgeois-Familie und der Realität, die sie draußen in der Welt anrichtet, ist derart unüberbrückbar geworden, dass die Feinsinnigen unter den Bürgersprösslingen ein Gedanken- und Kunstreich schaffen, das ihnen das Überleben ermöglicht – ohne das Reich der Fakten und ihre moralische Integrität zu gefährden.

So leben die beiden inkompatiblen Welthälften in symbiotischer Harmonie. Kein Intellektueller sieht die Misere der Tatsachen, kein Praktiker schert sich um Geist und Schönheit – es sei, er heißt Burda und umgibt sich mit Dichtern und Denkern zum höheren Lob des eigenen Konzerns.

«„Das habe ich getan.“, sagt mein Gedächtnis. „Das kann ich nicht getan haben.“, sagt mein Gewissen. Schließlich gibt das Gedächtnis nach.» Sagte Seelenerforscher Nietzsche. Er hätte fortfahren müssen: Gibt das Gedächtnis nach, erweckt es alle kreativen Fähigkeiten des Verdrängungskünstlers, um die Not des Verdrängens zu einer wahrheitslosen Tugend zu machen.

Ich stelle eine Theorie auf, in der Verdrängen und Vergessen weder notwendig noch möglich ist: es gibt gar keine Wahrheit, die mich quälen darf, die ich leugnen müsste. Es gibt viele Wahrheiten, die mich gar nichts angehen.

Fragte mich jemand, hast du gesehen, wie jener Ausländer beschimpft wurde?, würde ich antworten: Das hast du gesehen, nicht ich. Wahrscheinlich hast du dir nur eingebildet, etwas gesehen zu haben.

Es gibt keine objektive Welt, jeder lebt in seiner eigenen, ein Vergleich ist nicht möglich. Alles ist einmalig und unvergleichlich. Das sagt er aus seiner Welt in meine, obgleich wir keinen Kontakt haben dürften, denn auch eine gemeinsame Sprache kann es nicht geben. Wir beide bilden uns nur ein, miteinander gesprochen zu haben.

Diese Welt der atomisierten Parallelwelten hat Leibniz Monaden genannt. Es gibt keine direkte Verständigung zwischen Monade und Monade. Höchstens indirekt über – Gott.

Der Gott der Monaden im Bereich der Geister wird zur Unsichtbaren Hand im Bereich der Wirtschaft, wo jedes ökonomische Ich nur in der Welt autistischer Interessen lebt.

Die Welt besteht aus vielen Menschen, die wie tickende Uhren unverbunden nebeneinander stehen; erst wenn sie allzu disharmonisch gegeneinander ticken, kommt der große Uhrmacher und synchronisiert sie.

Übertragen auf die Gegenwart bedeutet das, in der Welt des Geistes ticken viele subjektive Feingeister unverbunden nebeneinander her, mechanisch reguliert und synchronisiert werden sie vom großen Meister der Moderne: dem Erfolg, objektiv quantifizierbar in Geld und Macht.

Es gibt grundsätzlich zwei Beziehungsarten zwischen Geist und Macht:

a) die erste unterstützt die zweite, aber ohne Bewusstsein.

In der zweiten – im Kapitalismus – sind nur die Besten gefragt, die unternehmerische und moralische Risiken auf sich nehmen, Grenzen austesten und überschreiten, ständig das Neue suchen, keinen Blick auf die Vergangenheit (Retro) verschwenden, sondern monomanisch in die Zukunft schauen.

Parallel die Welt des Geistes. Der Schriftsteller Politycki forderte neulich das Ende der Mittelmäßigkeit, die Suche nach dem Außergewöhnlichen, dem Unvergleichlichen und Nichtstandardisierten.

Abenteurer wie Messner rühmen sich, Grenzen ausgetestet und überschritten zu haben. Jeder bildende Künstler, der etwas werden will, muss Wert auf noch nie dagewesene Originalität legen. Völlig unmöglich jener chinesische Weise, der bei Bertold Brecht das Abschreiben eines vorzüglich fremden Werks als seine Lebensleistung vorzeigte. Originell sein, heißt, sich noch nie Dagewesenes ex nihilo aus den Fingern zu saugen.

Der Hass auf das Gewöhnliche, der Zwang zum Außerordentlichen ist laut Carl Schmitt auch das Zeichen wahrer Politik, jener Politik, in der sich das Naziregime wiedererkannte.

Das Außerordentliche ist der Gegensatz zum Ordentlichen. Law und Order, Gesetz und Ordnung sind bekanntlich Indizien für das Philisterhafte und Biedermeierliche. Helden sind Serienkiller von Law und Order.

Aber auch ehrbare Krämer tendieren immer mehr zu fruchtbarer Zerstörung des Gewöhnlichen. Ohne regelmäßige Katharsis mit kollektiven Überflutungen nimmt die kollaterale Selbstverschmutzung überhand. Hin und wieder muss das Schicksal die Schleusen öffnen um wie Herakles die Ställe der Menschheit zu misten.

b) der Geist widerspricht der Macht – um sie zu stabilisieren.

Im Widerspruch wird der Geist zum Bodyguard der Macht. Eine seltsame Geschichte, die man sich zusammenbuchstabieren muss, um sie zu verstehen. Gehen wir gleich an den wichtigsten Punkt.

Der postmoderne Literatengeist leugnet die Wahrheit aus „antitotalitären Gründen“, wie der Philosoph Welsch schrieb. Ein ehrenwertes Motiv, doch eine undurchdachte blinde Reaktionsbildung, die das Kind mit dem Bade ausschüttet.

Die Macht lässt sich die These von der nicht existenten Wahrheit wohl gefallen, denn dadurch kann sie als alleinseligmachende Wahrheit der harten Tatsachen nicht dingfest gemacht, angegriffen oder bekämpft werden. Im Schatten der unbehelligt regierenden kapitalistischen Wahrheit relativieren und zerfleischen sich alle drohenden Gegenwahrheiten zu nichts.

Das despotische Wahrheitsmonopol des Mammons darf ungefährdet, undefiniert, ungeortet und unbehelligt weiter sein Unwesen treiben. Die Leugner der Wahrheit schützen nolens volens die Monopolisten der Tatsachenwahrheit.

Die objektiv reale Welt zählt nicht in der Welt des Geistes, höchstens als Reservoir subjektiver Geschichten. Was offiziell nicht vorhanden ist, kann auch nicht kritisiert werden. Gemeinschaftsstiftende Kritik kann nur eine mit objektivem Anspruch sein, die man gemeinschaftlich zu erarbeiten und zu erlernen hätte.

Wenn Kritiker sich auseinanderdividieren lassen, indem jeder sich in seine isolierte Monade zurückzieht, ist der Triumph des Imperators perfekt. Das cäsaristische divide et impera ist das Geheimrezept der Mächtigen, denen sich die geistreich Ohnmächtigen bewusstseinlos unterordnen. Das ist der wahre Grund ihrer kritiklosen Geistesabwesenheit. Wo sind denn unsere Intellektuellen? Jeder in seiner privaten Wahrheitshöhle oder -hölle verschütt gegangen.

Die Wurzel dieser eigenartigen Beziehungsart zwischen der Welt der Tatsachen und der des Geistes kennen wir: es ist die Beziehung des Urchristentums zum Griechentum.

a) Einerseits überboten die Urchristen alle Wundertaten der Heiden. Erweckte ein Asklepios ein Mädchen vom Tode, waren das bei Jesus schon mehrere. Vermehrte ein heidnischer Zauberer ein Brot zu mehreren Broten, kann Jesus gleich eine Volksmenge mit wunderbar vermehrten Broten sättigen. Also: Prinzip homogener Überbietung.

b) Gleichzeitig stellt Paulus die heidnische Welt auf den Kopf. Die neue Wahrheit ist stets das Gegenteil der alten Griechenwahrheit: die Weisheit der Welt ist vor Gott eine Torheit. Zum Glauben kommen nur wenige Weise und Edle, aber viele Verachtete und Arme im Geiste. Die Ersten der Welt werden die Letzten im Himmelreich sein. Das Kind in der Krippe wird den ersten Mann der Welt, Kaiser Augustus, zu Fall bringen.

Diese außerordentliche Kraft zum Widerspruch verleiht der Kirche die Macht, den durch Widerspruch zu Fall gebrachten Gegner aus dem Feld zu räumen. Die geräumten Machtpositionen konnte der anfänglich ohnmächtige Geist im Handstreich übernehmen. Dem Triumphzug der ecclesia militans stand nichts mehr im Wege.

Die Macht der Welt wurde durch Widerspruch nicht eliminiert, sie wurde überrannt und übernommen. Die Macht blieb, wurde mächtiger denn je, nur die Inhaber der Macht, die Machthaber, wechselten. Nicht anders als bei den meisten Revolutionen. Die Macht wird mitnichten entsorgt, sie erhält nur neue Lenker und Autokraten.

Manche Frühsozialisten betrachteten das Urchristentum als Revolution der Armen gegen die Reichen. Eine verhängnisvolle Fehldeutung.

Es sollten nur die alten Machthaber aus dem Wege geräumt werden, um Platz zu schaffen für die neuen, die nicht im Traume daran dachten, Armut und Ohmacht abzuschaffen. Das sollte erst im Himmel, also am Sankt Nimmerleinstag, geschehen. Und wenn sie nicht gestorben sind, warten sie noch heute auf dieses illusionäre Zukunftsereignis.

Man spricht nicht von Wiederkehr des Messias oder Parusie des Herrn, man bevorzugt den „Objektivsprech“ und redet cool von Zukunft.

Indem das Christentum der Macht widersprach, unterstützte es dieselbe und potenzierte sie zur planetarischen Allmacht heutiger Tycoons und ihrer politischen Helfershelfer. „Die Armen hat ihr allezeit. Jeder bleibe in seinem Stand, in den ihn Gott berufen hat. Der Sklave bleibe Sklave, der Herr bleibe Herr.“ Im Himmel erst wird der arme Lazarus die Rache über den reichen Mann erleben.

Auf diese Rache warten sie bis heute, sofern sie arm sind. Diese Rache fürchten sie bis heute und bekämpfen sie mit allen Mitteln, sofern sie reich sind.

Mit anderen Worten: der heutige Geist verhält sich zum Neoliberalismus wie einst das Christentum zur Macht der Heiden. Durch Widerspruch und Überbietung stabilisieren sie die bestehende Weltherrschaft.

Der Geist ist zur ecclesia patiens geworden, die pro forma protestiert, doch alles beim Alten lässt. Kein Kapitalist muss sich vor Literaten und Künstlern fürchten. Im Gegenteil, die zartbesaiteten Innenexperten besorgen das Geschäft der Abwehr besser und professioneller als jene es jemals könnten.

Kommen tatsächliche Revolutionäre, die die Welt ändern wollen, werden sie zu allererst von den wachsamen Rudeln des Geistes angekläfft: Lasst euch mal was Neues einfallen, ihr dogmatischen Tröpfe von gestern. Eure Klassenkampfparolen sind retro. Habt ihr nichts Neues auf Lager? Ihr langweilt uns mit euren ewigen Wiederholungen.

Wer auf dem Markt der Sensationen nichts Neues zu bieten hat, sondern nur das wahre Alte – sieht alt aus wie Sokrates, der immer dasselbe mit immer den gleichen schlichten Worten zu wiederholen pflegte.

Die Scharmützel finden nicht zwischen den wirklichen Gegnern statt. Kein Madoff, kein Greenspan, kein Ackermann würde jemals mit einem linksextremen Windhund in den Ring steigen. Das erledigen im Vorfeld schon die subtilen Kläffer des Feuilletons.

Machen wir die Probe aufs Exempel. In der ZEIT wird das neue Werk des spanischen Literaten Javier Marias gerühmt: er ist einer der Großen. Keiner kennt den Menschen wie er. Wie ist der Mensch in der Sicht des Spaniers?

In einem früheren Werk ging es um Esoterik. „Gibt es ein Wissen, das nur die wenigen, die Eingeweihten teilen? Ein Wissen von kostbarer, riskanter Weisheit, das man vor den vielen umsichtig hüten muss.“ Es geht um quasi allwissende psychologische Prognosefähigkeiten im Dienste bestimmter Geheimdienste. (Esoteriker waren schon immer elitäre Geheimdienstler.) Die objektive Allwissenheit schlägt um ins unvermeidliche Gegenteil: „die Abgründe der Selbsttäuschung sind gewaltig“.

Dogmatische Allwissenheit auf der einen, täuschendes Nichtswissen auf der anderen Seite, das entspricht dem Kapitalismus und seiner Beziehung zum Geist der „Pinscher“, wie Ökonom Erhard zu sagen pflegte. Das Neue geschieht in jeder Sekunde des Lebens: „In jeder Sekunde, die der Zeiger der Uhr voranschreitet, sind wir nicht mehr derselbe.“

Ständig stoßen wir das Ich, das wir eben noch waren, in die Vergangenheit zurück. „Wo wir die Wahrheit ohnehin nicht erkennen können“, erleben wir alles im Sekundentakt der sich ununterbrochen häutenden und verändernden Welt. Etwas zeitlos Wahres ist eine Illusion.

Wenn es keine Wahrheit gibt, gibt es auch keine Unwahrheit, die wir ins Visier nehmen könnten. Was bleibt? Dass wir uns in „Erzählungen unseres Lebens einrichten, die wir gerade noch ertragen.“

Narrative, Erzählungen sollen uns darüber hinwegtäuschen, dass wir nichts mehr Wahres zu vermelden haben. Nur mit „relativierenden zielführenden Selbsttäuschungen“ können wir uns knapp über Wasser halten. Die Wirklichkeit, die wir mit autistischen Selbstgesprächen sowohl beschwören wie verdrängen, besteht ohnehin nur aus Fantasien. Aus Mordfantasien.

Womit wir unversehens in der Realität der heutigen Macht und des Geldes angekommen wären: „Immer müssen wir jemand anders zur Seite schaffen, um Raum für unser eigenes Ich zu gewinnen.“

Das hätten Jesus, Darwin und Hayek auch nicht anders gesagt.