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Tagesmail

Dienstag, 29. Mai 2012 – Deutsch-israelische Beziehungen

Hello, Freunde Benedikts,

die deutsche Regierung hat die Putschisten im vatikanischen Stadtstaat eindringlich davor gewarnt, den deutschen Papst durch Intrigen nach Oberbayern outzusourcen. Eine deutsche Mobilmachung sei in einem solchen Falle unvermeidlich. Hier stünden – im Gegensatz zum NATO-Angriff gegen Gaddhafi, an dem Deutschland sich nicht beteiligt habe – elementare deutsche Interessen auf dem Spiel.

Deutschfeindliche latent-atheistische Kreise aus den höheren Machtzirkeln der Kardinäle hätten mit Durchstecherein und Intrigen das Intimleben des Papstes klammheimlich observiert und ins Netz gestellt. Das sei selbst für eine urprotestantische Kanzlerin wie Angela Merkel nicht hinnehmbar. Die deutsche Regierung hat den klerikal-mafiösen Verschwörungskräften ein Ultimatum von einer Woche gestellt.

Im Falle einer Nichtbefolgung werde die altlateinische Messe sofort wieder abgeschafft und der Paternoster im Bundeskanzleramt in Vaterunser umbenannt. Wer mit Gott nach oben fahre, würde mit seinem Gegenspieler nach unten stürzen. Da könne Martin Mosebach noch so herummosern.

Dilma Rousseff heißt die Angie Brasiliens. Wie ihre deutsche Kollegin spricht sie viel von Ökopolitik, allein ihre Taten sehen anders aus. Verbrechen gegen die Urwälder des Landes sollen nun doch nicht so besonders bestraft werden. Die lebenserhaltenden Bäume werden bedenkenlos gefällt, um Profit mit endlosen Sojafeldern zu machen.

„Frau Solarium“ wird IWF-Chefin Lagarde von den Griechen gehöhnt, weil die Französin

die bankrotte Bevölkerung aufgefordert hat, endlich ihre Steuern zu zahlen. Doch der IWF würde tatenlos zugucken, wie die Reichen legal ihre Steuern auf Null setzen würden, schreibt ein Grieche in der TAZ.

Wer ist eigentlich Dietmar Bartsch, den man oft sieht, der sich als hartnäckiger Widersacher von Oskar erwies und trotz weiblicher Doppelspitze seine Kampfkandidatur aufrechterhalten will? Ein Porträt.

Hat Deutschland sich mit Hilfe der eisern sparenden mächtigsten Frau Europas in der Welt unbeliebt gemacht? Haben wir uns unseren guten Nachkriegsruf durch die Eurokrise in kurzer Zeit versaut? Denkste, Deutschland ist noch immer die meistbewunderte Nation Europas: am wenigsten korrupt und hartarbeitend, so das Ergebnis einer Umfrage.

Das Projekt Europa hingegen verliere immer mehr an Vertrauen bei allen europäischen Völkern. Auch hier schneiden die Deutschen am besten ab: mehr als ihre Nachbarn befürworten sie Hilfstranfers an notleidende Bündnispartner.

 

Gauck in Jerusalem, der Hauptstadt eines befreundeten Landes, dem Deutschland sich besonders verpflichtet fühlt. Immer mehr junge Israelis kommen nach Berlin, fühlen sich in der Hauptstadt besser als sonstwo in der ganzen Welt.

Warum? Weil in Deutschland „der Antisemitismus neuerlich aufgekommen und verbreitet“ sei? Wie der neue israelische Botschafter in Berlin der Presse mitteilt? Neuerlich? Aufgekommen? Verbreitet? Das nennt man eine empirisch unterfütterte Sachsprache.

Wie immer bricht der Antisemitismus rechtzeitig vor einem wichtigen Besuch eines deutschen Politikers aus, damit die zweitbeste Freundschaft in der Weltpolitik auch diplomatisch gefestigt werde. Wenn‘s sonst keine Beweise gibt, gibt’s Gott sei Dank das Gedicht eines Dichters, der sich dem Land auch besonders verpflichtet fühlt. Doch jedermann weiß, die süßesten Schalmeienklänge waren schon immer die wirksamsten Waffen des Satans.

Immer wenn ein deutscher Politiker ins befreundete Israel reist, kann man den Satz lesen, er betrete ein Minenfeld. Den Hinterhalt des Satzes bemerkt hierzulande niemand mehr.

Dass Gauck sich zu Grassens Gedicht noch nicht geäußert hat, darüber ist man in der grassfeindlichen Regierung not very amused. Zudem will Gauck die Provokation nicht unterlassen, auch nach Ramallah zu fahren. Gleichwohl nörgelt Ex-Botschafter Stein, Gauck hätte auf die bekannte Politik der Ausgewogenheit für dieses Mal verzichten sollen, da der Besuch von hoher Bedeutung sei.

Israelkritische Sätze hingegen wird Gauck bei Abbas nicht sagen. Obgleich er noch vor zwei Jahren – als er noch nicht wusste, dass er Bundespräsident werden würde – den Satz von sich gab, dass Loyalität und Kritik keine Gegensätze seien. In Ramallah wird Gauck dem Staate Israel gegenüber illoyal werden: er wird ihn mit keiner Silbe kritisieren. Kommt Amt, kommt Weisheit, eine verlässliche deutsche Tugend.

Deutsch-elitären Philosemiten, die mit Wohlwollen zuschauen, wie ihr geliebtes Land vor die Hunde geht, machen mit ihrem obersten Vertreter einen Staatsbesuch. Da müssten eigentlich in Israel die Alarmglocken läuten – wenn Moshe Zuckermann Recht hätte, dass nicht die Antisemiten, sondern die Philosemiten die größte Gefahr für das junge Land seien.

Und er hat Recht. Vermutlich gibt es in der ganzen Welt keine Beziehung zwischen zwei Staaten, die derart mit faulem Pathos und schizophrenem Bewusstsein kontaminiert wäre wie das zwischen dem Land der ehemaligen Täter und dem Land der Opfer. Da wird auf beiden Seiten geheuchelt und gelogen, dass sich die Zedern des Libanon und alle deutschen Eichen biegen.

Der Sache kommen wir schon näher, wenn wir Michael Wolfssohns Meinung hören, der die deutsch-israelische Freundschaft „auf winzige Teile der politischen und medialen Klasse beschränkt“ sieht. Also auf eine winzige elitäre Minderheit, die mit dem Wehen des Zeitgeistes besonders verbunden ist, der durch diverse Waffenlieferungen und sonstige lukrative Geschäftsverbindungen nicht unwesentlich gefördert wird. Nach Gaucks Definition, dass Loyalität sich auch kritisch äußern muss, müsste man diese Freundschaft als versteckt illoyales, nur profitorientiertes Geschäftsgebaren enttarnen.

Man weiß nicht so recht im heiligen Land, was man von dem Neuen in Bellevue halten soll. Bürgerrechtler in der DDR? Prima. Lutherischer Pastor? War Luther nicht der mit dem neutestamentarisch fundierten Hass auf die Juden? Na ja, von Luther kann man sich auch partiell distanzieren. Ach so. Aber nicht vom Neuen Testament, zumindest nicht, wenn man protestantischer Kanzelredner ist.

Ist das Neue Testament nicht die Quelle aller Ressentiments gegen das primär auserwählte Volk, aus der sich alle abendländischen Antisemitismus-Bewegungen ableiteten? Inklusive des Antisemitismus im Dritten Reich, wo der Rassismus nichts anderes war als eine dürftige Bemäntelung der Katechismusgefühle aller frommen Deutschen, die es den Juden seit jeher verübeln, dass sie es waren, die ihren Herrn ans Kreuz lieferten. Obgleich selbst Judas nur Marionette Gottes war, um dessen Heilspläne überhaupt erst möglich zu machen.

Doch seit wann muss Religion logisch sein? Dann wäre sie trivial. Eine echte Religion erkennt man an ihren ungelösten und unlösbaren Widersprüchen, die alle Anhänger in den Bann ziehen. Denn sie können nicht von der Hoffnung lassen, die vertrackten Rätsel zu lösen und die Reduktion der Komplexität und Absurdität zu finden. Solange die absurde Welt als Gottes Schöpfung angesehen wird, solange wird Absurdität als ultimativer Gottesbeweis gelten.

Doch da war doch noch was, das gegen Gauck sprach? Ach ja, seine Unterschrift unter die Prager Erklärung. In dieser Erklärung werden Nationalsozialismus und Stalinismus als „ähnlich verbrecherische Regime anerkannt“.

 

Hier zeigt sich, dass die deutsch-israelische Beziehung endgültig den Boden der Politik verlassen und den der Religion betreten hat, die man charakterisieren könnte: je absurder, umso besser. Denn die angebliche Ähnlichkeit wird von israelischer Seite aus als „Versuch einer neuen deutschen Geschichtsschreibung verstanden, die das Einzigartige des Holocaust zu relativieren – und damit zu verharmlosen – versucht“.

Einzigartiges gibt es nichts in der Welt. Höchstens den einzigartigen Gott und den gibt’s auch nicht. Alles andere ist Natur und alles Natürliche ist aus demselben vergleichbaren Stoff, aus welchem auch Menschen, die höchstens einzigartig sind in ihrer Einbildung, sonst aber in allen Dingen aus denselben kausalen Gesetzen und verschiedenen moralischen Regeln hergestellt worden sind. Alles natürliche Normalware: keine Götter, keine Engel, auch keine Bösewichter aus der Hölle.

Die Taten der Deutschen waren unerhört grausam und unmenschlich, in ihrer Unmenschlichkeit aber besonders menschlich. Dass der Mensch zu bestialischen Taten fähig ist – Verzeihung, ihr Bestien – ist keine neue Erkenntnis. Dazu muss man nicht studiert haben. Dass die Deutschen in allen Dingen perfekt sein wollen, gleichgültig, was sie tun, auch das ist bekannt und zeigt nur, dass sie im Guten wie im Bösen (= im radikal Schlechten) alle Völker übertrumpfen wollen.

Will man das Böse der Deutschen verstehen, muss man nur Psychologie, abendländische Geschichte und Theologie studieren. Im Einflussbereich eines omnipotenten Gottes, der sich des Bösen bediente, müssen dessen Schäfchen, die zur Imitation verpflichtet sind, sich ebenso omnipotent wie böse verhalten. Es sei, sie reißen sich von solchen über- und antimenschlichen Dingen los, dann müssen sie nicht.

Warum wird die Einzigartigkeit des Holocaust wie ein Glaubensbekenntnis betont? Damit das Verbrechen von den Tätern nicht verharmlost werde und die Opfer in adäquater Weise geehrt werden. Das Ziel ist löblich, ja unerlässlich und notwendig. Doch es klafft ein flagrantes Missverhältnis zwischen Ziel und Methode.

a) Alles, was vorgeschrieben, als Credo eingefordert wird und nicht über freiwillige Erkenntnis läuft, erreicht das Gegenteil des guten Zwecks. Demokratien zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf die Erkenntnisfähigkeit der Menschen setzen und nicht auf abgepresste Rituale. Jeder Wald- und Wiesenerzieher weiß, dass man bei Kindern das Gegenteil von dem erreicht, was man will, wenn man sie mit Drohungen einschüchtert und ihre Selbstbestimmung demütigt.

b) Die Holocaust-Rituale sind zu erpressten Glaubensbekenntnissen geworden, die umso mehr Antigefühle erwecken, je mehr die Daumenschrauben angesetzt werden.

c) Ein Großteil der Antisemitismus-Gefühle ist der Widerborstigkeit gegen sanktionierte Polit-Dogmen geschuldet. Das ganze Klima der Erinnerungskultur wird von schein-philosemitischen Mächten beider Länder durch einen mittelalterlichen Dogmatismus geprägt. Wer sich den Dogmen nicht fügt, wird exkommuniziert. Das erzeugt immer mehr Hassgefühle gegen diejenigen, die man als Urheber der Zwangsrituale vermutet – und das sind im Zweifel nicht die eignen Landsleute, sondern die Juden.

d) Nimmt man noch die unterdrückte Israelkritik hinzu, die ständig unter der Drohung leben muss, verkappter Antisemitismus zu sein, kommt man zum unvermeidlichen Resultat, dass die meisten unguten und giftigen Gefühle ein künstlich erzeugtes Konstrukt sind, die das erstrebte Ziel der Erinnerung unterlaufen und diametral ins Gegenteil verkehren.

e) Mit dieser politischen Zwangserziehung werden die trivialsten Erkenntnisse der Psychologie, der demokratischen Meinungsfreiheit und der autonomen Einsichtsfähigkeit des mündigen Menschen verletzt.

f) Mögen die Ziele noch so hehr und richtig sind: eine Demokratie, die ihren Bürgern vertraut, vertraut ihren moralischen Erkenntnisfähigkeiten und sitzt ihnen nicht als dauerpräsente Zwingmächte im Nacken, um sie mit List und Gewalt zum Kniefall in Auschwitz und Birkenau zu nötigen und dadurch den Kniefall völlig zu entwerten. Willy Brandts Kniefall war so eindrucksvoll, weil er Ausdruck seines Wesens war. Versagt die Demokratie im Vermitteln solch freiwilliger Einsichten, wird keine Macht sie vor dem Untergang retten können.

g) Leiden gegeneinander aufzurechnen im Stile satanischer Gigantismen hilft keinem einzigen Toten, ehrt kein einziges Opfer, und führt nur zu Unverständnis und neuem Unfrieden zwischen den Völkern. Empfundenes Leid ist weder quantitativ messbar, noch mit Imponierzahlen darstellbar. Es bleibt immer subjektiv und jedes subjektive Leid ist dem andern subjektiven Leid gleichwertig.

Ich habe mehr gelitten als du, zeigt nur, dass das Leid zu anderen Zwecken benutzt wird, als zum Zweck bloßer Erinnerung. Ist denn das Leid der Russen unter Stalin weniger wert als das der Juden, Sinti und Roma unter Hitler? Sowohl Christen- wie Judentum agieren mit ihrer strategischen Kerndevise: Herrschen durch Leiden. Durch Kreuz zur Krone. Die Letzten werden die Ersten sein. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Reich der Himmel.

Das Holocaustgeschehen muss von diesem strategischen Zwangsrahmen befreit werden, um zu jener Erinnerung zu werden, aus der wahre Einsichten kommen können.

Ständig verschlechtern sich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten an der Basis unterhalb der Phrasen und Bigotterien. Keine Gazette, kein Politiker fragt warum. Mit einem Achselzucken übergeht man die neuesten Umfrageergebnisse. Es wird das angeborene Böse sein, der Menschheit im Allgemeinen und der Deutschen im Besonderen.

Mit Rationalität hat das nichts mehr zu tun, sondern mit magischem Obskurantentum und religiöser Allwissenheit um die inkorrigible Verderbtheit der Gattung.

Soziologische, psychologische und politische Kausalitäten? Man kennt das Wort Kausalität schon gar nicht mehr. In England ist man empört, dass Schüler in einer Prüfung befragt wurden, wie man das Zustandekommen der Vorurteile gegen Juden erklären könne. Der englische Bildungsminister ist empört, weil die Fragen unterstellten, dass Antisemitismus jemals erklärt werden könne. Anstatt verurteilt zu werden.

Das ist der Bankrott der neuzeitlichen Aufklärung, wenn man Verstehen gegen Verurteilen ausspielt und dogmatisch die Unverstehbarkeit des Antisemitismus deklariert. Wozu dann noch der Unterricht in den Schulen mit dem Ziel, die Wiederholung solcher Verbrechen zu vermeiden, wenn man nichts verstehen und erklären kann? Politik wird zur Anbetung unverständlicher numinoser Geheimnisse. Der aalglatte SPIEGEL spricht von „bizarren Fragen“.

Wenn unbegreifliche Mächte die Menschen in ihren Klauen haben, sind alle unisono schuldig und ermangeln des Ruhms vor Gott. Niemand wird je wissen, weshalb und warum. Wer fragt, macht sich schon verdächtig. Folgerungen können keine gezogen werden, denn dazu müsste man Ursachen ermitteln, die man in Zukunft verändern könnte.

70 Jahre nach dem Massaker der Deutschen an den Juden stochert man im Nebel vager Vermutungen und metaphysischer Verdächtigungen. Es gibt keine einzige These über die Verschlechterung der emotionalen Beziehungen zu Israel. Ein Gesamtbankrott der Politologie, der Holocaustforschung und aller medialen Begleitmächte der kollektiven Vertuschungsorgie.

Auf seiner Israelreise erklärte Gauck, er fühle sich beunruhigt ob der zunehmenden Kritik der Deutschen an den Israelis.

Würde er an seinen Satz glauben, dass echte Kritik echte Loyalität bedeute, müsste er sich über die wachsende Kritik freuen. Die Deutschen machen sich frei von Zwängen autoritären Denkens und beginnen mit eigenem Kopf zu denken und eigenen Gefühlen zu fühlen.

Wer sich darüber besorgt zeigt, um den muss man selber besorgt sein. Ihm fehlt jegliches Vertrauen in den großen Pöbel, die ständig in der Nähe der Hölle vagabundierenden Untertanen.

Dass hier echte Gefühle frei werden, mag auf den ersten Blick unbequem und beunruhigend sein: langfristig werden sie zum Verständnis führen. Nur wahrhaft fühlende und denkende Menschen verstehen einander. Denn sie verstehen sich selbst.