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Dienstag, 23. Oktober 2012 – Konfuzius und Sokrates

Hello, Freunde der Wissenschaft,

jetzt sind es die Erdbebenforscher, die wegen falscher Prognosen in den Bau wandern. Das italienische Gericht hielt sich streng an die Vorgaben: Hütet euch vor falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie Ignoranten. Italien ist vorbildlich in der Welt mit der Entsorgung aller professionellen Falschpropheten.

Die nächsten, die einwandern werden, sind 99% aller Ökonomen, die keinen Crash vorausgesehen haben, gefolgt von den Ratingagenturen. Auch Klima-Alarmisten werden dran glauben müssen, wird das Wetter in Deutschland doch immer toscana-ähnlicher und lieblicher.

Auch Politiker sollten sich nicht in Sicherheit wiegen. Wer lauthals „Yes, we can“ prognostizierte, dann aber nichts zustande brachte, muss ohne Ansehn der Person einwandern.

Ber-lust-coni hingegen ist zu Recht auf freiem Fuß. Dem Volk hat er Spaß versprochen – und den hatte er auch. Solche zukunftsfesten Propheten braucht das Land.

(Axel Bojanowski im SPIEGEL über die Haftstrafen für Erdbebenforscher)

 

Wird Amerika untergehen, wie Rom im Sturm germanischer Völkerwanderungen zerfiel und vom Papsttum übernommen wurde? Was kommt dann? Chinesen und Nachfahren des Dschingis-Khan werden vor der Tür stehen und das Ende

des christlichen Westens einläuten. Alle Kirchen und Dome werden abgerissen, an ihre Stelle treten Tempel naturheidnischer Yin und Yang-Mandarine.

Schon umschlingen die Gelben die ganze Welt mit ihren Krakenarmen, die sie Konfuzius-Institute nennen. Dann behaupten sie noch, sie wollten keine Weltherrschaft.

Chinesen würden sich lieber abschotten und sich auf ihr unmittelbares Umfeld konzentrieren, spricht die Vorsitzende der Konfuzius-Institute in der ZEIT. Das würde man daran erkennen, dass bei Chinesen die Familie vor allem andern komme. (ZEIT-Interview von Alexander Schwabe mit Frau Xu Lin, der Vorsitzenden der Konfuzius-Institute)

Soll‘s im kapitalistischen Westen etwa anders sein? Der Wahlkampf in Amerika ist der Kampf zweier Familien. Dynasten sind die modernen Fürsten der Gesellschaft.

Der Westen hätte noch immer viele Vorurteile gegenüber dem Riesenreich der Mitte. Der Osten und der Westen hätten eine ganz unterschiedliche Kultur. Der Westen denke linear, der Osten zirkulär.

Xu Lin interpretiert das mit dem Satz: „Auch ich bin sehr direkt, doch viele Chinesen mögen mich nicht. Sie sagen: Du bist so westlich.“ Chinesen hingegen würden einen Mittelweg versuchen, „sie vermeiden extreme Positionen und meiden Kritik“.

Westlich ist direkt ist linear ist nicht-extrem ist mittig? Aristoteles ist auch kein Extremdenker, sondern bevorzugt die Mitte. Keine Nachfrage des westlichen Interviewers, der sich sofort dem chinesischen Denken anschloss und alles Direkte und Kritische vermied.

Sind die vielen rebellischen Bewegungen, von denen man liest, nicht kritisch? Hat nicht grade ein Chinese den Friedenspreis in Frankfurt erhalten? War seine Rede unkritisch und um den Brei herumredend? Hat nicht der als systemtreu geltende Literaturnobelpreisträger sich mit einem gescholtenen Systemkritiker solidarisch erklärt? Keine Nachfragen.

Was ist der Unterschied zwischen linear und zirkulär? Keine Nachfragen. Linear ist einer Linie folgend. Doch es gibt auch die krumme Linie, die Linie des Esels (Le Corbusier). Ist die auch linear?

Unter zirkulär finden wir: „zirkuläre Abhängigkeit. Generell führen Abhängigkeiten zu Teufelskreisen oder Verklemmungen“. Aha. Nun wissen wir, warum wir als Lineardenker nicht so verklemmt sind wie Chinesen.

Alles, was mit Wiederholung zu tun hat, ist bei uns negativ. Der circulus vitiosus ist ein Teufelskreis. So abhängig ist man voneinander, dass man sich gegenseitig in den Abgrund zirkelt. Jetzt wissen wir immerhin, warum die wachsenden Abhängigkeiten der Weltwirtschaft uns in den Abgrund ziehen.

Der Teufelskreis ist eine abwärts gerichtete Spirale. Aha, jetzt wissen wir immerhin, warum Hegels Dialektik so positiv ist, weil seine Spiralen aufwärts gerichtet sind.

Dann müsste es doch auch Gottesspiralen geben, oddr? Warum aber ist dann jedes zirkuläre Denken vom Teufel besessen? Ob es vielleicht damit zusammenhängt, dass das Abendland gar nicht so simpel linear, sondern von Linie und Kreis geprägt ist?

Lineares Denken ist christliche Heilsgeschichte. Am Anfang schuf der Schöpfer Himmel und Erde, in der Mitte der Linie – genau genommen der Strecke – erscheint der Heiland, am Schluss das Jüngste Gericht, Untergang der alten und Erscheinen der neuen Erde.

Griechisches Denken ist zirkulär wie das chinesische, kennt keine Heilsgeschichte, kaum eine weltliche Geschichte. Der Sinn des Lebens hängt nicht vom Zeitverlauf ab, sondern von der Fähigkeit, im Hier und Jetzt sein Glück zu gestalten, das in Eintracht mit Mensch und Natur erfahren wird. Die Ähnlichkeiten zwischen griechischer und chinesischer Philosophie sind frappant.

Wie kann man umstandslos behaupten, China denke zirkulär, der Westen linear? Weil das griechische Denken bei uns in mancher Hinsicht das christliche Dogma korrigieren, aber nicht die Idee der Heilsgeschichte gefährden konnte. Der Westen läuft am Nasenring eines göttlichen „Zeitmanagements“. Alles läuft wie an goldenen Ketten einem Endpunkt entgegen. Nein, zwei Endpunkten. Dem positiven Endpunkt des Gerettetwerdens für die Erwählten – und dem negativen des Verworfenwerdens für die Bösen.

Unsere Geschichte ist eine Selektionsgeschichte. Kommt Zeit, kommt Separierung für die Ewigkeit. Menschen sind ungleich, die einen fürs Heil, die andern fürs Unheil vorgesehen. Die Sonne bringt es an den Tag, heißt in Wirklichkeit, die göttliche Heilsgeschichte bringt es an den Tag.

Das Leben, das wir führen, besitzt kein eigenes Bewertungssystem, es kann sich selbst nicht authentisch beurteilen. Erst am Ende aller Tage werden die Biografien offenbar, wenn die Bücher geöffnet werden. Dann erhält jeder sein ultimatives Heils- oder Unheilszeugnis. Geschichte ist nichts anderes als heilsrelevantes Ranking in der Zeit.

Linie und Kreis sind zwei Systeme, die sich nicht vereinbaren lassen. Sie können nur schlechte und unhaltbare Kompromisse schließen, die immer scheitern und dennoch immer wieder den zwanghaften Versuch unternehmen, sich zu vertragen.

Der erste großsynthetische Versuch war bei Thomas von Aquin im Hochmittelalter. Der Versuch zerbrach in zwei Riesenstücke: auf der einen Seite das Luthertum, in seinem Gefolge der jesuitisch reformierte Papismus. Auf der anderen die antikirchlichen Aufklärungsbewegungen von der Renaissance bis zur französischen Enzyklopädie.

Der zweite Versuch war Hegel, dessen Kompromissfigur aus Kreis und Linie die nach oben führende Spirale war, die er Dialektik nannte. Auch diese zerbrach mit lautem Getöse und hinterließ rechte und linke Geschichtsdenker wie Hengstenberg und Marx, Pessimisten wie Schopenhauer, Gottlose wie Feuerbach, Fromme wie Kierkegaard, ins Mittelalter zurückschauende Vernunftgegner wie die Romantiker, gottgleiche Ich-Denker wie Fichte, gescheiterte Naturdenker wie Schelling, Bibelkritiker wie David Friedrich Strauss und unendlich bunte Mischungen aus allen Denk- und Glaubensrichtungen.

Heute haben wir in Deutschland eine Kleinsynthese aus Vernunft und Offenbarung in der protestantischen (Huber) wie in der katholischen Kirche (Ratzinger).

Im biblizistischen Amerika ist die partielle Anerkennung der Vernunft ein hassenswerter Abfall vom Glauben. Soviel zum Thema der unverbrüchlich-transatlantischen Wertegemeinschaft.

Natur kennt nur Zyklen. Alles wiederholt sich bei ihr in ziemlich konstanten Kreisbewegungen.

(Langzeitveränderungen der Evolution gehen uns nichts an. Den Wärmetod des Universums müssen wir nicht in selbsterfüllender Prophetie vorwegnehmen, um zu demonstrieren, dass wir die Natur besser verstanden hätten, als sie sich selbst. Solange uns Natur die Nische erhält, von der wir leben, solange sollten wir alles unternehmen, um sie zu bewahren. Der Rest spielt ohne unsre eminente Wichtigkeit.)

Durch das lineare Wachstums- und Fortschrittsmodell des Westens werden die Naturzyklen früher oder später zerstört. Die ersten massiven Turbulenzen des maßlosen Menschen mit der Natur, der Linie mit dem Kreis, erleben wir in der Klimakatastrophe. Wenn wir nicht lernen, uns in den Zirkeln der Natur zirkulär einzurichten, werden wir uns so sicher wie das Amen im Gebet in den Weltraum katapultieren.

Wie lässt sich das Zirkuläre des chinesischen Denkens mit dem linearen, aus dem Westen importierten Kapitalismus vereinen? Es lässt sich so wenig vereinbaren, so wenig es uns Abendländern gelingt, das griechische Kreisdenken mit der linearen Neuigkeitssucht des Christentums zu harmonisieren.

Nietzsche machte den letzten größeren Versuch, die ewige Wiederholung des Gleichen wiederzubeleben. Er scheiterte, weil er – bei aller Kritik im Einzelnen – sich vom Gekreuzigten nicht lösen konnte.

China wird sich entscheiden müssen, ob es sich seiner Vergangenheit als Zukunftsperspektive zuwenden oder kritiklos den Weg westlichen Verderbens mitgehen will. Nicht, dass China allein dastünde mit zirkulären Natursymbiosen. Fast alle Kulturen außerhalb der drei Monotheismen sind Naturreligionen, die keine Heilsgeschichte kannten – bevor weiße Missionare und Soldaten dieselbe mit Feuer, Schwert und höllischen Strafandrohungen verbreiteten.

Das bolivianische buen vivir ist ein deutliches Zeichen, dass in ehedem imperialistisch besetzten Ländern eine heilsame Rückbesinnung auf autochthone Kulturen beginnt.

Auch in China wird dies früher oder später stattfinden. Vermutlich dann, wenn das Land mit der größten Bevölkerung der Welt den Eindruck gewonnen hat, dass es den Westen einholen, ja überholen konnte. Ausgestattet mit diesem neuen Selbstbewusstsein werden die Chinesen bemerken, dass sie mit der technischen Aufholjagd den uralten Naturerhaltungsprinzipien ihrer wunderbaren Philosophie untreu geworden sind und dass sie sich wieder ihrer Urquellen besinnen müssen, um dem progessiv-linearen Elend Einhalt zu gebieten.

Europa wird sich seines griechischen Erbes bewusst werden müssen. Das Naturdenken aller Völker wird sich zusammenschließen, um die Schäden der westlich-linearen Unheilsgeschichte zu beheben und zum Prinzip überzugehen, sich auf Erden einzurichten – und nicht die Erde zu sprengen, um ein Jenseits zu erringen.

Schon heute bräuchten wir, wenn wir so weitermachten, drei bis vier weitere ausbeutbare Planeten, um das Niveau unseres Wehestands zu erhalten. Wir haben nur eine Erde. Auf deren Bedingungen müssen wir uns einlassen.

Das indische Denken wird von Fachleuten unterschiedlich bewertet. In „Kultur und Ethik“ bringt Albert Schweitzer das indische und chinesische Denken auf einen Nenner – im Gegensatz zum dualistischen Christentum, das die Katastrophe der Natur erwarte und produziere. Bei Indern und Chinesen herrsche das Grundprinzip des „Weltwillens“, während das christliche Endreich nur auf übernatürliche Weise eintreten würde. „Es wird nicht durch Kulturarbeit der Menschheit vorbereitet.“

Der Philosophiehistoriker Ernst von Aster allerdings sieht das indische Denken eher dem christlichen Zug ins Jenseits verwandt. „Der Weise, der Erleuchtete hat das Diesseits hinter sich gelassen, er steht außerhalb der Welt, er ist nicht mehr Mensch, sondern hat teil an der Gottheit oder die Götter selbst kommen zu ihm, um Belehrung über den Weg zur Erlösung zu bitten.“

Ganz anders die chinesische Philosophie, so Aster. Sie habe von Anfang an einen praktischen lebenszugewandten Zug, ihr Ziel sei die Gestaltung des Lebens, nicht Benutzung des Lebens für transzendente Ziele. Sie sei kritisch gegen alle Äußerungen von Macht, Genuß und Ruhm. „Der Meister sprach: Der Edle ist bewandert in der Pflicht, der Gemeine ist bewandert im Gewinn.“ „Ein Mensch ohne Menschenliebe, was hilft dem die Form? Ein Mensch ohne Menschenliebe, was hilft dem die Musik?“ So viel zur monopolistischen Nächstenliebe der Christen und zum Ästhetizismus der Deutschen.

Konfuzius lehrte den vorbildlichen Menschen, der ein glückliches Leben in Gemeinschaft mit Mensch und Natur anstrebt. Alle Menschen können dies lernen, in dieser Hinsicht sind alle Menschen gleich.

Bei uns: alle Menschen sind ungleich, Moral ist eine irrationale Illusion, Glück und Mammon sind identisch.

Die chinesischen Denker seien keine Theologen gewesen, sondern Staatsmänner, Ratgeber der Fürsten, Volkserzieher. Das gelte auch für den Eremiten Laotse, der sich nicht zurückzog, um der Welt abzusagen, sondern weil er keine andere Wirkungsmöglichkeit mehr für sich sah, als ein Leben mit Himmel und Erde, Pflanzen und Tieren zu leben. Im Walten großer Naturmächte – von Himmel und Erde, Wasser und Pflanzen – sah er das Symbol des Ewigen, des Tao, das zum Lenker seiner Seele und Führer zum rechten Leben wurde.

Die Ähnlichkeiten zwischen Sokrates und Konfuzius sind überwältigend. Von Natur aus sind alle Menschen gleich und lebenslang lernfähig. Nicht im Sinne arbeitsteiliger Berufe und grenzenlosen Profits, sondern im Erproben eines stillen glücklichen Lebens.

Im Westen wird dem Konfuzianismus autoritäres und unterwürfiges Verhalten vorgeworfen. Dabei verwechselt man die zu Parteizwecken deformierte Ideologie mit der authentischen Lehre. Man übersieht geflissentlich, dass der Fürst selbst ein Vorbild zu sein hat, der dem Gesetz des Kosmos sich ebenso fügen muss wie alle seine Untertanen und keineswegs willkürlicher Despot sein darf.

Mit der linearen Beschleunigung und Hektik des Westens ist die konfuzianische Lehre unvereinbar. Hier reiben sich in China die alten Traditionen aufs heftigste mit den Gesetzen des neuen Reibachmachens und schlimmer Naturzerstörung, zwei Todsünden für das alte China, das, nachdem es konsolidiert war, sich mit sich selbst genügte.

„Wenn der Meister unbeschäftigt war, so war er heiter und leutselig“. Muße nannten Griechen diese Fähigkeit des „Nichtstuns“, was bei uns als heidnischer Müßiggang gilt. Wu wei – Nichtstun – war der chinesische Urbegriff für ökologisches Handeln: haltet euch raus, Menschen, lasst die Natur machen.

Der Meister beherrschte die Kunst, ununterbrochen an sich zu arbeiten und sich dennoch nicht unter Druck zu setzen, sondern sich in Gelassenheit ausreifen zu lassen: „Der Meister sprach: Ich war fünfzehn, und mein Wille stand aufs Lernen, mit dreißig stand ich fest, mit vierzig hatte ich keine Zweifel mehr,, mit fünfzig war mir das Gesetz des Himmels kund, mit sechzig war mein Ohr aufgetan, mit siebzig konnte ich meines Herzens Wünschen folgen, ohne das Maß zu übertreten.“

Wer solche Sätze hört und versteht, der muss den chinesischen Weisen für verrückt erklären – oder es wird ihm licht ums Herz werden.

Erklärt mich für verrückt, Brüdern und Schwestern, lacht mich aus: wenn wir nicht täglich chinesischer, griechischer und bolivianischer werden, werden wir das Reich der Erde nimmer gewinnen.