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Dienstag, 13. November 2012 – Deutsch-jüdische Stummheit

Hello, Freunde der Fatah,

Freunde der Palästinenser-Partei Fatah werden hierzulande vom Zentralrat der Juden nicht gerne gesehen. Als die SPD von gemeinsamen Werten mit Fatah sprach, schäumte Graumann, die SPD unterstütze eine Terrororganisation, die zu Hass und Hetze gegen Juden aufrufe. Die Partei sollte sich schämen, sie sei nicht regierungstauglich.

Einst wollte Arafats PLO tatsächlich Israel zerstören und Juden ermorden. Seit den Osloer Friedensgesprächen 1993 ist das Hass-Kapitel beendet, Arafat wendete sich um 180 Grad und bot Friedensgespräche an. Sein Nachfolger Abbas wird von aller Welt anerkannt, Merkel, Gauck, Westerwelle e tutti quanti sprechen mit ihm, selbst die israelische Regierung. Wenn dieselbe überhaupt zum Sprechen aufgelegt ist und nicht den amerikanischen Wahlkampf benutzt, um unzählige neue illegale Siedlungen zu genehmigen, worüber der Zentralrat kein Wörtchen verliert.

Abbas erklärte 2009, man behalte sich den bewaffneten Kampf vor, sollte der Friedensprozess scheitern. Schon eine Unverschämtheit, seine Besatzer nicht bedingungslos zu lieben. Fatah hat als SPE-Mitglied mit Beobachterstatus die Werte des internationalen Bundes der SPD-Parteien anerkannt, weshalb die SPD es wagt, von gemeinsamen Werten zu sprechen.

Immerhin traut sich ein SZ-Artikel, die Fakten in Klardeutsch aufs Papier zu bringen. Warum nur hat der Verfasser, die Verfasserin, die Kleinigkeit vergessen: seinen, ihren Namen zu nennen?

Sollte der Zentralrat etwa seit 1993 im Tiefschlaf liegen und nicht

mitbekommen haben, was sich seitdem in Nahost ereignet hat? Sollte er gar von aktuellen Ereignissen im Duo Netanjahu/Lieberman ablenken wollen?

Uri Avnery ist einer der schärfsten Kritiker seines Landes in Israel, für Selbstliebhaber wie Henryk M. Broder ein rotes Tuch und ein so genannter Selbsthasser. Den Begriff Kritiker Israels gibt es bei Broder nicht, entweder man liebt das Land ohne Wenn und Aber oder man hasst es und hat in Deutschland Redeverbot wenn es nach den Selbstliebhabern ginge.

Offensichtlich scheint es nach denen zu gehen, denn Uris Stimme – wie die aller israelischen Selbsthasser – wird in deutschen Medien nur abgedruckt, wenn Weihnachten und Neujahr zusammenfallen.

Die Perspektiven, die Uri für sein Land in der nächsten Zukunft sieht, sind – man kann es nicht anders sagen – grauenhaft.

Netanjahu, der gerade eine erhebliche Niederlage in den USA erlitt, weil sein Kumpel Mitt trotz enormer Unterstützung von Milliardären deutlich geschlagen wurde (der Satz wird jetzt unübersichtlich, das liegt an den politischen Umständen, die er abbildet), will mit Avigdor Lieberman, den aus Moldawien eingewanderten „Faschisten“ (wie Uri ihn nennt, weil er Demokratie hasst, Weißrusslands Lukaschenko sein bester Freund ist, und die ethnische Säuberung des jüdischen Staates von arabischen Elementen auf seiner Agenda hat) eine gemeinsame Liste bilden.

Was mit Sicherheit bedeuten würde, der Faschist würde das Verteidigungsministerium in seine Hände kriegen und damit den roten Knopf für die Atombombe. „Viele Israelis schaudert es bei diesen Gedanken.“ Gleichwohl werden die beiden Gentlemen mit Sicherheit von der Bevölkerung gewählt, weswegen man sich fragen muss, warum deren Schaudern nicht zu entsprechenden politischen Folgen führt?

„Wenn Bieberman (= Netanjahu und Lieberman) diese Wahlen gewinnt, wird es tatsächlich das Ende des Systems sein – und der Beginn eines furchterregenden neuen Kapitels in der Geschichte unserer Nation.“ (Uri Avnery: „Das System“)

Sollten etwa die bewährten philosemitischen Kräfte des ehemaligen Täterlandes – einschließlich des Zentralrats – von diesen faschistischen Petitessen ablenken wollen?

Letzte Meldung. Deutschland wird vermutlich den Versuch der Palästinenser blockieren, bei der UNO den Status eines Beobachterstaats zu erhalten. Warum sollen besetzte Staaten das Privileg erhalten, ihre Besatzer aufdringlich zu beobachten?

Die Antisemitismus-Vorwürfe im Binnenland scheinen ihre Wirkungen allmählich zu verlieren. Sind das Anzeichen eines verhärteten Antisemitismus? Ein Institut für Antisemitismusforschung in Berlin weigert sich, diese Frage zu beantworten.

Jakob Augstein ließ die letzte Broder-Attacke dieser Art elegant an sich abperlen. Sonstige Reaktionen: keine. Sein leiblicher Vater Martin Walser drohte Michel Friedman mit juristischer Klage ob dessen Vorwürfe, der Bodensee-Literat sei ein Champagner-Antisemit.

Nur Zufall, dass es die gleiche Familie traf? Zumal der nominelle Vater von Jakob, Rudolf Augstein, schon immer als Antisemit galt? Zu Rudolfs Zeiten durfte noch ein gewisser Uri Avnery – zufälligerweise Schulkollege Augsteins – gelegentlich im SPIEGEL schreiben, was heute ein Ding der Unmöglichkeit wäre.

Micha Brumliks letzte Antisemitismus-Attacke ging gegen die atheistische Giordano Buno-Stiftung, weil die Gottlosen es gewagt hatten, in Fragen der Beschneidung nicht seiner Meinung zu sein. Also erinnerte Brumlik an den Judenhass Brunos, des großen Freidenkers und Gegners des Papismus.

Micha Brumlik, so hören die Auguren, will nun konsequent die protestantische Kirche wegen ihrer Lutherjubiläen und Merkels Regierung wegen Unterstützung derselben anklagen. Grund: der Reformator war einer der schlimmsten Judenhetzer des Abendlandes und einer der Urväter des nationalsozialistischen Judenverbrechens.

Wie wir eben gerüchteweise erfahren, will Brumlik von der Attacke auf die „Katharina von Bora-Troika“ Merkel, Käßmann, Göring-Eckardt & Co doch lieber absehen. Eine belanglose Gottlosenhorde sei nicht mit der protestantischen Kirche plus Regierung zu vergleichen, die die Vergangenheit so grandios bewältigt hätten.

Wieder einmal erhielt der Reformator Recht mit seinem Trutzlied:

„Und wenn die Welt voll Teufel wär                      

Und wollt uns gar verschlingen,

so fürchten wir uns nicht so sehr,

es soll uns doch gelingen.“    

Nach Robert Leichts, des Oberprotestanten der ZEIT, kompetenter Deutung sind unter „Teufel“ nicht die Juden zu verstehen. Die habe Luther immer liebevoll in sein Abendgebet eingeschlossen. Überhaupt sei Luther ein direkter Vorläufer unserer Bundeskanzlerin, stamme aus dem Osten, habe den Papismus überwunden wie Merkel den Sozialismus und, wie Gauck, die Freiheit aller Christenmenschen über den grünen Klee gelobt: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. (Ein Satz, den Bibi zur Beschreibung seines freundschaftlichen Verhältnisses zu Berlin nicht ungern hören wird).

Seid untertan der Obrigkeit, denn jede Obrigkeit ist von Gott. Wozu auch Gottes auserwählter Führer Adolf Hitler gehörte, doch dies hören wir von Gauck und Merkel eher selten.  

Wie ist das momentane Verhältnis zwischen Juden und Deutschen, jüdischen und nichtjüdischen Deutschen?

Verhältnis? Es gibt kein Verhältnis. Es gibt nur Stummheit, schrille Aufschreie, absurde Attacken, noch absurdere Volten, unterschiedliche Ängste auf beiden Seiten, die keine sein dürfen, bigotte Freundschaftsgesten und Heucheleien, dass sich die Balken biegen. Also alles wie gehabt. Solange das jüdisch-deutsche Partyleben in Berlin hochschäumt, solange muss alles in Ordnung sein.

Bernd Ulrich, ZEIT, ist einer der renommiertesten Gazettenschreiber der BRD und hat sich vorgenommen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wenn Journalisten gründlich werden, unternehmen sie eine Reise in Zeit und Raum, um authentische Recherchen durchzuführen. Sie brauchen eine Menge Außenreize, damit ihnen zum Thema etwas einfällt.

Nun verstehen wir, warum der Hinterwäldler Kant zur Weltlage nichts zu sagen hatte, der kam aus seinem Königsberg nie heraus. Also konnte er kein weltläufiger Schreiber, sondern nur Professor für totalitäre Aufklärung werden.

(Bernd Ulrich in der ZEIT: „Wer sind wir, heute?“)

Es komme Bewegung in die „Sache“, so Ulrich: Grass, Ruderin mit Nazifreund, tätowierter Russe in Bayreuth, zunehmende Nazivergleiche für Merkel in Europa, das gleichwohl deutschen Führungswillen verlange. Emotionale Ausgangslage des Schreibers: „Man kriegt Kopfschmerzen von alldem.“

Das fängt ja gut an, noch nicht begonnen, ist der Rechercheur überfordert. Wenn Mami morgens Kopfweh hatte, war der Tag gelaufen. Das Kopfweh wird doch nicht mit dem Thema zu tun haben?

Ulrich muss ein guter Vater sein. Immer, wenn er nicht mehr weiter weiß, debattiert er mit seinem Sohn, was den Vater sofort sympathisch macht. Vater und Sohn streiten sich über die erste Strophe der deutschen Hymne. Vater: die Nazis hätten den Text missbraucht.

Text ergo unschuldig, Nazis allein schuldig, auf deutsche Traditionen könnten sie sich nicht berufen. Das Unheil begann exakt 1933, davor alles paletti. Die große Tradition der deutschen Dichter und Denker hat mit der NS-Zeit nichts zu tun. Goldhagens These, nicht Nazis allein, sondern die gesamte deutsche Tradition sei durch eliminatorischen Antisemitismus verseucht gewesen – vom Tisch gefegt. Wenn immer sich die Nazis auf deutsche Traditionen bezogen, missbrauchten sie dieselbe.

(Der Begriff Missbrauch wird gern benutzt zur Verteidigung der Religionen. Religionen sind immer gut. Sind sie es mal nicht, wurden sie missbraucht. Vermutlich wird auch Luther – je mehr wir uns den Jubeljahren nähern – von den Nazis immer mehr missbraucht worden sein. Nur die Opfer des Missbrauchs in der Odenwaldschule und bei diversen Priestern sind nie richtig missbraucht worden.)

Ulrich gibt zu, Schuldgefühle gehabt zu haben, die er aber seinem Sohn nicht weitergeben will. Kinder fühlen sich automatisch schuldig für ihre Eltern. Das lässt sich nicht verhindern, höchstens nachträglich bearbeiten.

Ulrich will in zwei Orte reisen, um der Sache näher zu kommen. Nach Israel und nach Auschwitz.

a) Nach Israel, weil man dort „ohne Sprachkonventionen über den Holocaust auskommt“. Im Land der Opfer spreche man freier als im Land der Täter.

Freier? Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Opfer haben ihre Sicht der Dinge, die Erben der Täter eine andere. Sollte man Opfer- und Täterperspektiven nicht miteinander ins Gespräch bringen, als gleich ritualisierte Demutsgesten zu zeigen? Israel ist ein Land voller Probleme. Probleme der Vergangenheit sind selbstredend verquickt mit Problemen der Gegenwart. Auf keinen Fall ist das Land eine unvoreingenommene tabula rasa, wie Ulrich fabuliert.

b) Auschwitz soll der Ort sein, wo die „betonierten Diskurse verstummen“.

Es gibt keine Diskurse zwischen Juden und Deutschen, auch keine betonierten. Es gibt rituelle sado-masochistische Schlagrituale.

Verstummen soll uns näher bringen? Wir haben doch bereits den Zustand einer lärmenden Stummheit. Wir sollten endlich mal reden, indem jede Seite ihre Angst und Verwundbarkeit anmeldet. Klingt utopisch.

Würden die Deutschen ihre Ängste benennen, müssten sie von der Furcht sprechen, ihre Diskursbeiträge könnten als Antisemitismus verstanden werden. Schon die geringste Andeutung, man könne im eigenen Land nichts Kritisches sagen, gilt reflexartig als Antisemitismus.

Wer Kritik an Israel hat, muss Probleme mit Juden haben. Warum sollte man mit Juden keine Probleme haben dürfen? Vom Staate Israel gar nicht zu sprechen.

Allerdings, warum beginnen die Deutschen nie mit deutscher Selbstkritik? Warum sehen sie nicht die durchgängige antisemitische Tradition des Christentums in ihrer Geschichte? Warum geben sie nicht zu, dass sie sehr wohl ererbte seltsame Gefühle gegen Juden hegen, mit denen sie nicht umgehen können, die sie zum Teufel verfluchen und die doch immer wiederkehren?

Von ganz verschiedenen Seiten verleugnen die Deutschen ihre historische Schuld:

Das neoliberale Starren nach Vorne verhindert den Blick in die Vergangenheit.

Die Postmoderne unterläuft das Prinzip der Wahrheit, somit das einer wahren Schuld.

Der Historismus relativiert alles Vergangene.

Der Begriff des Bösen transformiert alle Schuld ins Unbegreifliche.

Könnten die beklommenen Gefühle der Deutschen gegen die Juden nicht damit zusammenhängen, dass deutsche Kinder im Religionsunterricht Geschichten von Juden hören, die gar nicht heilig klingen, obgleich sie in heiligen Büchern stehen? Sind biblische Juden mit lebenden Juden vergleichbar?

Halten lebende Juden den Inhalt des Alten Testaments für „richtig“? Wie steht‘s mit jüdischer Kritik an ihrer eigenen Religion? Warum sind die Ultras in Israel so mächtig, wenn die Bevölkerung so säkular sein will?

Keine Fragen, keine Antworten. Wer solche Fragen nur stellen wollte, könnte sich verdächtig machen.

In Israel, so Ulrich, werde noch mehr über den Holocaust nachgedacht als bei uns. „Und es wird einem deutlich gesagt.“

Das klingt eher nach Drohung als nach Einladung zu einem gleichberechtigten Diskurs. Erben der Täter sind keine Täter. Opfersein und Tätersein ist nicht identisch mit höherer oder niederer Diskurskompetenz. In einem Diskurs hat jeder jeden zu verstehen. Opferperspektiven sind nicht automatisch objektiv, Täterperspektiven noch weniger.

Joschka Fischer, erzählt der deutsche Botschafter, habe seinen Antrittsbesuch mit dem Satz eröffnet: ich komme als Schuldiger. „Fischer“, so der Botschafter, „sei zuviel Vergangenheit, zu überbordend gewesen.“

Das ist harmlos formuliert. Das war Bombast und manirierte Schuldattitüde – um jedes genaue Gespräch prophylaktisch plattzuwalzen. Solch falsche Lippenbekenntnisse produzieren Stummheit, auch bei den Opfern.

Derselbe Fischer hatte keine Probleme, die Formel „Nie wieder Auschwitz“ zur Legitimation eines völkerrechtswidrigen Krieges gegen Serbien zu missbrauchen. Kein Protest von israelischer Seite gegen Fischer. Offensichtlich gibt’s einen richtigen und einen falschen Missbrauch von Auschwitz. Wenn Selbsthasser Finkelstein von Holocaust-Industrie spricht, kriegt er Einreiseverbot in Israel.

Ulrich kann das Problem nicht ansprechen und verfällt – wie noch oft – in den inneren Monolog: „Auf der andern Seite, niemand weiß das besser als er, wird der Holocaust hier immer auch als Argument verwendet.“

Argumente sind immer gut. Kann es sein, dass Ulrich die Instrumentalisierung eines Arguments zu politischen Zwecken meint? Nur ja nicht deutsch sprechen, immer über die Bande formulieren und sich in Andeutungen ergehen. Das sind sichere Symptome eines befreienden Diskurses.

Yad Vaschem muss eine Qual sein für deutsche Besucher. Aber nicht wegen des ausgestellten Grauens, sondern weil sie bei ihrer Tour genauestens beobachtet werden. „Alle bewegen sich hier auf dünnem Eis“.

Haben die Deutschen das mulmige Gefühl, aus ihrer Art der Erinnerung könne auf versteckte Judenressentiments geschlossen werden? Yad Vaschem, eine öffentliche Röntgenanlage für unbußfertige deutsche Sünder?

Herr Schalev, der „Chef von Jad Vaschem“, macht ebenfalls die Beobachtung, dass deutsche Politiker in Yad Vashem nervös wären. Dabei hätten sie doch gar keinen Grund. „Die Deutschen mussten sich ändern und haben das geschafft, sie sind ein gerechtes, ein liberales Volk geworden.“

Ein Lob wie ein Felsbrocken auf den Rücken. Wer ist schon gerecht auf der Welt? Schon mal was von Kapitalismuskritik gehört? Sollte Deutschland alle Probleme der Vergangenheit überwunden haben? Warum gibt’s dann noch immer die standardisierten 20 bis 25% Antisemiten im Land?

Als Ulrich von seinem Nazi-Opa spricht, kriegt er von Etgar Keret, einem israelischen Schriftsteller, sogleich eine Absolution, obgleich er von eigener Schuld gar nicht gesprochen hatte. Keret: „Schuld ist etwas Gutes, Schuld lässt Sie nachdenken, Schuld macht Sie klug.“

Dann müssten die Griechen die schlechtesten Denker der Weltgeschichte sein, einen Begriff religiöser Schuld kannten sie nicht. Ist die Übernahme religiöser Schuld die einzig adäquate Reaktion, um in Israel auf „Gnade“ zu stoßen? Dann hätten Irreligiöse und Religionskritiker keine Chancen zur Rehabilitation. Die einzig legitime Lehre aus Auschwitz wäre ein religiöses Glaubens- und Schuldbekenntnis! Aber mit Religion haben unsere modernen Politprobleme nichts zu tun!

Als der linke Ha‘aretz-Journalist Barak Ravid seine Regierung kritisiert, sie würde die deutsche Regierung mit der Schuldfrage unter Druck setzen, Bibi schere sich einen Dreck um die Meinung der Deutschen, wie reagiert Ulrich? Gar nicht.

Den Holocaust, fährt Ravid fort, benütze Bibi nicht nur als Instrument gegen die Deutschen, er spalte auch Israel.

Solche kritischen Töne hört man hierzulande mit keinem Wort. Jetzt kommt der ZEIT-Chef in Verlegenheit. Gibt er Barak Ravid Recht? Dann würde er fast die gesamte deutsche Presse als unkritische gegenüber Jerusalem entlarven. Er weicht aus und befragt den israelischen Kollegen nach seinen persönlichen Erfahrungen. Ein Armutszeugnis.

Ravid macht den klugen Vorschlag, die Lehre aus Auschwitz nicht mehr national, sondern universal zu begreifen. Keine Stellungnahme von Ulrich.

Jetzt nach Auschwitz. Hier wird der Schreiber emotional. Wie habe er den Satz Adornos gehasst: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“. Der Satz habe die Zukunft zugenagelt, einen unlebbaren moralischen Imperativ geschaffen. Doch hier in Auschwitz sei der Satz unmittelbar wahr geworden.

Ist Wahrheit ortsabhängig? Kann in deutschen Schulen die Wahrheit solcher Sätze nicht ermittelt werden? Können übermäßige Emotionen, und seien sie noch so berechtigt, das Denken nicht erheblich einschränken?

„Es gibt etwas Ewiges an Auschwitz, es gibt etwas, was sich nicht in Menschheit auflösen lässt.“ Das also ist die späte Antwort auf den Ha‘aretz-Kritiker, doch jener wird sie nicht mehr hören.

Stehen Deutsche und Juden außerhalb der Menschheit – als außerirdische Opfer und satanische Täter? Sprengt die richtige Antwort auf Auschwitz den Rahmen des schnöden Säkularen? Müssen wir ins Transzendente und Diabolische flüchten, um dem Geheimnis des Bösen zu begegnen?

Das Böse ist das Unerklärliche, so das angedeutete Fazit des Rechercheurs. Er zog aus, vor Ort das Schreckliche zu ergründen. Und kommt mit dem Ergebnis nach Hause: unerforschliches Geheimnis. Ignoramus et ignorabimus, wir verstehen nichts und werden nichts verstehen.

Beim Ergründen der jüdisch-deutschen Beziehungen betreten wir überirdischen und unterirdischen Boden. Mit weltlicher Vernunft ist nichts getan. Konkrete Lehren aus der Geschichte kann es keine geben. Das Böse ist weder erklär- noch verstehbar.

Zum Schluss ein genre-üblicher Firlefanzsatz zur beliebigen subjektiven Projektion: „Man tanzt“.

Dann ist ja alles gut.