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Dienstag, 10. Juli 2012 – Deutsch-jüdisches Verhältnis

Hello, Freunde der Zivilcourage,

Jürgen Todenhöfer ist ein Gutmensch der Extraklasse. Nun übt er den Sprung ins Heiligenfach: er will gerecht sein, besonders gegenüber Diktatoren. Allzu oft werden sie verkannt und in der öffentlichen Meinung verzerrt.

Syriens Diktator sei ein stiller und nachdenklicher Mann, auch die unangenehmsten Fragen habe er freundlich beantwortet, sagt der Nahostexperte, der unermüdlich in den Krisengebieten unterwegs ist, um den Frieden im Alleingang zu bringen.

Das erinnert an einen Din-A-Vier-Katastrophenfilm aus Hollywood. Die Welt geht unter, doch ein Mann – zumeist mit Sohn – macht sich auf, um dem Unheil Einhalt zu gebieten. Aus welchem Oberammergaustück kennen wir die rettende Vater-Sohn-Symbiose? Und tatsächlich, auch der jungenhaft wirkende, sympathische Todenhöfer war mit Sohn unterwegs.

Obwohl kein Diktator, ist auch er ein nachdenklicher, wenn auch kein stiller Mann. Wir kennen Frau Todenhöfer so wenig wie den ganzen Clan, doch wenn erst die ganze heilige Familie unterwegs wäre, vielleicht noch verstärkt durch Maria Furtwängler, der Frau des langjährigen Chefs von Todenhöfer, und Uschi Glas, Peter Maffay und den vielen vielen Charitytitanen des deutschen TV, alle Despoten dieser Welt kämen ins Zittern.

Es muss sich um ein typisches, wenn auch von der medizinischen Wissenschaft noch viel zu wenig erforschtes, Post-Hitler-Überwältigungs-Syndrom handeln. Standhalten vor dem Diktator! Oder: wer kann

dem Erzschelm so lange in die Augen schauen, bis der errötend unter sich schaut?

Auch Kleber von der ZDF-Konkurrenz hat dem Hitler Irans, Ahmadinedschad, schon tief in die Augen geschaut. Wie kerzengerade unsre beiden Helden in ihren Sesseln saßen, mitten in feindlichen Regierungssalons, umgeben von nichtswürdigen Staubschleckern des Unholds: zwei nie zu vergessende Höhepunkte des deutschen Widerstands-Journalismus.

Sie spielten die Rolle des Beinahe-Tyrannenmörders besser als Scientologe Tom Cruise den Attentäter Claus von Stauffenberg, den lädierten Ruf der deutschen Charakterdarsteller haben sie überzeugend rehabilitiert.

Da kann es nur Futterneid gewesen sein, dass SWR-Korrespondent Armbruster meinte, es müsse „ein Stück Zynismus sein“, den syrischen Diktator so daherreden zu lassen. Andere sprachen von einem dreisten Beispiel für Realitätsverweigerung in den Antworten des Interviewten.

Todenhöfer musste zwei Bedingungen unterschreiben, er durfte keine eigenen Kameras mitbringen und Nachfragen waren nicht erlaubt. Das wäre dem deutschen Publikum gar nicht aufgefallen. Deutsche Journalisten fragen nie nach und wenn doch – merkt es niemand. Insofern passte das Gespräch des Heiligen mit dem Bösen punktgenau ins ARD-Programm.

Das Wichtigste hätten wir jetzt beinahe vergessen: Assad kann sogar auf Shakespearisch antworten. Da jauchzt das Feuilleton. Ein gelehrter Gewaltmensch ist noch immer besser als ein langweiliger Demokrat. Ist er nicht eine Traumfigur der deutschen Kunstästhetik? Das Leben ist nicht schwarz und weiß, auch Hitler liebte Kinder und Schäferhunde.

(Dazu Steffen Grimberg in der TAZ)

 

So unterschiedlich kann man den neuen Bundespräsidenten sehen. Während Jakob Augstein den Oberlehrer für den richtigen Mann in diesen Zeiten hält, bleibt Ulrich Schulte von der TAZ skeptisch. Merkels Informationspolitik sei erstens gar nicht so schlecht und zweitens sei Gauck ein eitler Hecht, der nur auf seine eigenen volkspädagogischen Fähigkeiten hinweisen wollte.

Augstein braucht offenbar bestallte Politerklärer, natürlich nicht für ihn, sondern fürs tumbe Volk. Er scheint nicht mehr zu wissen, dass die Eliten auch nicht verstehen, was sie treiben – wie wäre sonst der Glaubensstreit der Ökonomen erklärlich? – und selbst, wenn sie es verstünden, bestünde die beste Methode des Erklärens noch immer in einer lebendigen Debatte, in der alle Meinungen zu Wort kommen.

Nicht nur im Bundestag, sondern vor allem in den Medien. Wie kann es so viele Talkshows geben, die über den Euro am Abgrund debattieren ohne jegliche Aufklärungskraft auf das Publikum?

Werden alle Aspekte eines Themas von verschiedenen Seiten beleuchtet, hat der Bürger sich selbst sein Urteil zu bilden. Gönnerhafte Pseudobelehrungen bitte postwendend zurück an den Absender.

Wenn Gauck seine Ossikonkurrentin abkanzelt mit der Bemerkung, sie erkläre zu wenig, so ist das eine Watsche für die gesamte Medienwelt. Augstein müsste sich als Kolumnist und Zeitungsherausgeber an die eigene Brust schlagen: wo haben wir versagt, dass die Bevölkerung sich nicht angemessen unterrichtet fühlt?

Wie können die üblichen Experten etwas erklären, wenn sie ihr Metier selber nicht verstehen? Warum wird zu welchem Ereignis welcher Vernebelungsexperte eingeladen?

Nicht der Experte ist wichtig, sondern der Beschluss der anonymen Redaktion, gerade jenen Experten zu laden, dessen Position für die Öffentlich-Rechtliche nach Durchsicht der Gazetten am gefragtesten und unanfechtbarsten scheint.

 

Das gilt nicht nur für die Wirtschaft. Am absurdesten ist die Übung, zu brisanten jüdischen Themen obligat Juden oder Israelis ins Studio zu laden. Sollten sie doch in eigener Sache die besten Fachleute sein. Gibt es irgendwo antisemitische Schmierereien oder Friedhofsschändungen, kommt kein nichtjüdischer Philosemit auf die Idee, spontan das Judentum zu verteidigen: das müssen sie schon selber machen.

Juden kriegen keinen emotionalen Flankenschutz in Deutschland. Wenn jemand für sie spricht, muss er es aus verbissenen Wiedergutmachungsgründen tun. Es ist heilige philosemitische Pflicht, keine empfundene Herzensangelegenheit.

Wenn es um das leidige Thema Antisemitismus geht, gibt es nur Opferexperten in eigener Sache, deren Voten wie Offenbarungsurteile von den nichtjüdischen Interviewern übernommen werden. Man tut den Interviewten nicht die Ehre eines Disputs an. Hauptsache, man hat die Pflichtfragen absolviert und abgehakt.

Wie oft hat Broder Artikel zum Thema Antisemitismus veröffentlicht, um – auf seine unnachahmliche Raufboldmanier – eine Debatte anzuzetteln. Völlig vergeblich. Die selbstgerechten Philosemiten fühlen sich durch das Thema gar nicht angesprochen, wissen sie darüber doch schon alles, und im Zweifel hat man seine jüdischen Spezialisten, die den Job stellvertretend für sie erledigen.

Die anderen fühlen sich vielleicht angesprochen, besitzen aber nicht die Courage, ihre abweichenden Fragen und Zweifel zu äußern. Allzu leicht kommt man in den Ruch, ein heimlicher Judenfeind zu sein.

Die Springerpresse hält es für Freundschaft mit Israel, ihre Schreiber per Redaktionsstatut zur völligen Kritiklosigkeit gegen den jungen Staat zu verpflichten. Ein komplettes Armutszeugnis für die gleichgeschaltete Tabuisierungspresse. So werden hinter erpresster philosemitischer Nibelungentreue – antisemitische Gefühlswelten gezüchtet, die eines Tages nach oben schwappen können.

In Amerika kaum anders. Dass die Juden selbst sich mit diesen erzwungenen Freundschaftsposen zufrieden geben, kann man sich nur damit erklären, dass sie mit echten Freundschaftsgefühlen ohnehin nicht mehr rechnen.

Ein Beispiel für viele: der Broder-Artikel über Formen des jüdischen Antisemitismus. Er zitiert Theodor Lessings These des jüdischen Selbsthasses, erwähnt den genialen Otto Weininger und viele andere – ohne das geringste Echo in anderen Gazetten.

Es gibt kein binnendeutsches Gespräch zwischen Juden und Nichtjuden. Es gibt nur einen Schlagabtausch unter geistig Abwesenden. Wer solche hintertückischen Stimmungen für den Beleg gelungener Freundschaft hält, wird es auch für Liebe halten, wenn er seine Kinder schlägt. Der deutsch-jüdische Dialog, den es in der Nachkriegszeit nie gegeben hat, ist endgültig verschieden.

Im Grunde gibt es drei Fraktionen. 1) die winzige elitäre Minderheit selbsternannter Philosemiten, die in dünkelhafter Dominanz die Zensorengeißel schwingt, 2) die große Mehrheit der Bevölkerung, die sich mit ihren ambivalenten Fragen und Gefühlen „allein gelassen fühlt“ und sich nicht traut, ihre Zerrissenheit in der Öffentlichkeit zu äußern, und 3) die so genannten Dumpfbacken, die möglicherweise gar keine geworden wären, wenn man ihren jugendlichen Fragen und abweichenden Meinungen in Schule und Elternhaus anders als mit strafbewehrten Denkverboten begegnet wäre.

Eine Bevölkerung, der bis heute die Lektüre von Mein Kampf verwehrt wird, die weder über christliche, geschweige über jüdische Religion den Dunst einer Ahnung hat, kann sich dem „Fremden“ gegenüber nicht öffnen, denn das Eigene hat sie nicht verstanden.

Wie groß müssen die Befürchtungen sein, dass die Deutschen aus ihrer Vergangenheit nichts gelernt haben, wenn man sie durch gesetzliche Strafandrohungen zwingt, in Sachen Holocaust „das Richtige“ herzubeten. Der Wink mit der Polizei ist immer ein Indiz, dass man glaubt, die Meute nicht anders zähmen zu können.

Auf der einen Seite ist man stolz auf die beste und vorbildlichste Vergangenheitsbewältigung unter allen Völkern. Auf der andern hat man alle Hoffnung auf wahres Verstehen längst aufgegeben, weil man nur noch mit der Peitsche der erzwungenen Anpassung knallt.

Weder Deutsche noch Juden sind in der Lage, sich ein ungeschminktes Bild von der Lage zu machen. Oberhalb des Tisches essen sie in gespannter Ruhe ihr pflichtgemäßes Erinnerungsmenü, unterhalb donnern sie sich gegenseitig an die Schienbeine.

(Henryk M. Broder in der WELT: „Wenn Juden Juden hassen“)

Broders rauher Charme besteht darin, dass er notwendige und fruchtbare Erinnerungen anspricht und immer wieder die Frage stellt: habt ihr euch wirklich geändert, ihr Deutschen? Oder lauert hinter euren Bonhomiemasken das unbearbeitete Erbe eurer Väter und Mütter?

Dummerweise stellt er keine Fragen, sondern prügelt munter drauf los, offensichtlich in der Erwartung, die Geprügelten werden die paradoxe Intervention schon richtig verstehen. So schafft er es spielend, seine Provokationen selbst zu vermasseln.

Man muss ihm zugutehalten, dass es niemanden gibt, der seinen Fehdehandschuh aufgreifen und so antworten würde, dass es zu einer weiterführenden Debatte führen könnte.

Noch immer stehen wir am Nullpunkt und beginnen bei Adam und Eva. Jeder Schlagabtausch untersteht einem leidigen Wiederholungszwang. Was ist Antisemitismus? Jeder präsentiert seine private Meinung als alleinseligmachende, einen Streit der verschiedenen Meinungen gibt es nicht.

Schon jeher war es für Broder ein Stein des Anstoßes, dass deutsche Kritiker der israelischen Politik sich auf selbstkritische Israelis berufen konnten. Hofjuden nannte er diese Nestbeschmutzer. Sein Artikel will diese Hofjuden als jüdische Selbsthasser vom Tisch wischen. Das ist ein plumpes und durchsichtiges Unternehmen, um das Thema Israel endgültig der eigenen Regie zu unterwerfen.

Nachdem der Wink mit dem antisemitischen Zaunpfahl immer weniger Wirkung zeigt, gibt es inzwischen zwei Arten der Reaktion auf außerisraelische Kritik: a) wir Juden kritisieren uns selbst am besten, auf eure inkompetente Gojim-Kritik sind wir nicht angewiesen, und b) wenn Juden sich selbst kritisieren, werden sie von Selbsthass diktiert.

Was ist der Unterschied zwischen Selbsthass und Kritik? Diese Frage kommt bei Broder nicht vor. Die Qualität einer Kritik erkennt man nicht an begleitenden Gefühlen, sondern allein am „Wahrheitsgehalt“. Hass kann sehend, Liebe blind machen. Weiningers Thesen wären kein Gramm unwahrer, wenn sie aus Hass auf sein Volk geboren worden wären.

Broder zitiert Lessings Frage: „Wie kommt es, dass alle Menschen sich selber lieben, und nur der Jude liebt sich so schlecht?“ Selbst, wenn die These stimmte, Juden würden sich mehr hassen als andere Völker, so wäre es vielleicht angebracht, sich die wichtigsten Elemente jüdischer Selbsterziehung anzuschauen – und das ist ihre Religion.

Die Religion wird von Broder – der glaubt, in der tabulosesten Epoche der Weltgeschichte zu leben – völlig tabuisiert. Ein Volk, das sich noch heute über Religion definiert, sollte nicht von seinem jahrtausendealten Glauben bis ins Tiefste geprägt worden sein?

Die ganze israelische Landnahmepolitik kann ohne gewichtige Einflüsse aus der alttestamentarischen Landnahme nicht erklärt werden. Das ist die Crux der jüdisch-israelischen Säkularen, dass sie aus falsch verstandener Pietät gegenüber alten heiligen Schriften die latenten, unbewussten – bei den Ultras bewussten – Einflüsse der Religion nicht zur Kenntnis nehmen.

Diese Religion lässt sich mit einem Satz charakterisieren: wer von Gott geliebt werden will, muss sich selber ablehnen und hassen.

Gott hat die Kinder Israels nicht erwählt wegen ihrer Tüchtigkeiten und Fähigkeiten. „Wisse also, dass der Herr, dein Gott, dir nicht um deines Verdienstes willen, dieses schöne Land zu eigen gibt, denn du bist ein halsstarriges Volk.“ ( Altes Testament > 5. Mose 9,6 / http://www.way2god.org/de/bibel/5_mose/9/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/5_mose/9/“>5.Mos. Altes Testament > 5. Mose 9,6 / http://www.way2god.org/de/bibel/5_mose/9/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/5_mose/9/“> 9,6)

Es kann nicht ausbleiben, dass ein durch Erwählung so gedemütigtes Volk im Verlauf seiner Geschichte sich selbst zu einem halsstarrigen Volk stilisiert – um das Privileg des Erwähltseins nicht aufs Spiel zu setzen. So wenig die Deutschen sich mit der Macht ihrer Religion auseinandersetzen, so wenig tun es die Juden.

Wenn zwei das Gleiche tun, so ist es noch lange nicht dasselbe. Wenn ein Jude und ein Nichtjude gleichermaßen die biblische Religion kritisieren, so handelt es sich beim ersten um Selbsthass, beim zweiten um Antisemitismus.

Warum gibt es keine authentische und flächendeckende Religionskritik im Westen? Weil sie unter Verdacht steht. Wenn jemand das Christentum kritisiert, steht er im Verdacht, eigentlich das Judentum zu meinen. Das kann nur Antisemitismus sein.

Kommt hinzu, dass er den Kapitalismus und Amerika kritisch sieht, tut sich ein Abgrund von primärem, sekundärem und tertiärem Antisemitismus auf. Doch wir leben in der tabulosesten Epoche der Menschheit.

Die wichtigsten und elementarsten Mächte und Kräfte der Gegenwart stehen unter Denkmalschutz und Kritikverbot. Der Begriff Antisemitismus ist zur Autoimmunisierung der abrahamitischen Religionen, des herrschenden Wirtschaftssystems, der führenden Macht der Welt und des Staates Israel geworden. Doch wir leben in der tabulosesten Zeit der Welt.

Wohin diese frei flottierende Immunisierung führt, zeigt der TAZ-Artikel von Christof Forderer, in dem der französische Philosoph Michel Onfray des Antisemitismus‘ geziehen wird. Weil er die – schon seit Friedrich Heer (Der Glaube des Adolf Hitler) bekannte – These vertritt, dass Hitlers schreckliche Politik von biblischen Einflüssen geprägt ist. Demnach seien, so die Schlussfolgerung in der TAZ, die Juden selber am Holocaust schuld.

Das ist eine ebenso abenteuerliche These, als ob die Mongolen seit ihrem Sturm auf Europa an unserer heutigen Finanzkrise schuldig wären.

Wer sind denn die Juden? Sind Juden aller Epochen, aller Meinungen, aller Formen der Aufklärung, aller verschiedenen Politüberzeugungen ein ununterschiedener gleichgeschalteter, gleich denkender und gleich handelnder Zellhaufen?

Sind die urhebräischen Verfasser der alttestamentarischen Schriften identisch mit den heute lebenden säkularen Juden?

Gibt es – außer den Ultras – irgendwelche Juden, die das Alte Testament noch wortwörtlich nehmen?

Hat das Judentum sich nicht permanent von blutrünstigen Anfängen ihrer Landnahme- und Opferpolitik über Philo, Hillel, Maimonides, Moses Mendelssohn, die gesamte jüdische Aufklärungsphilosophie bis zu den zionistischen Atheisten geradezu ins Gegenteil verkehrt und humanisiert?

Waren die fundamentalistischen Orthodoxen nicht schon seit jeher eine kleine Minderheit im Volk, das sich während seiner ganze Geschichte immer wieder von den goldenen Kälbern der Welt hat verführen lassen?

War nicht schon im Alten Testament die Rede vom heiligen Rest, der gerettet wird, während die anderen verloren gehen? (Jesaja etc.)

Haben die Urhebräer die Deutschen per Telepathie gezwungen, ihren Glauben zu übernehmen, ihre Schriften zu verinnerlichen?

Ist nicht jeder Erwachsene, jedes mündige Volk selbst für seine Entscheidungen zuständig?

Waren Hitler & Co etwa die Marionetten längst vergrabener Toten? Diese absurde Behauptung bestätigt, was sie dementieren will: die Juden sind derart mächtig in ihrem Einfluss, dass sie in der Lage wären, Hitler zu nötigen, ihre eigene Ausrottung zu organisieren. Selbstmord auf Verlangen! Mit der gnädigen Hilfe Jahwes, der die Bitten der Ultras erhörte, den Führer zum Schlächter Gottes zu machen. Nach streng gläubiger Meinung war Hitler eine Marionette Jahwes und der Holocaust die gerechte Strafe für den Abfall der Juden vom Glauben.

Wohl kann man sagen, der Führer und die Deutschen standen unter dem Einfluss christlicher Welterlösungsgedanken. Doch wir stehen nicht vor Gericht, um auf mildernde Umstände, auf Gefängnis oder Psychiatrie zu plädieren.

Unter dem Aspekt der Geschichte hat jeder ungeschmälert für seine Taten einzustehen. Jeder wird beurteilt, als ob er frei wäre. Nur durch ein bedingungsloses Als Ob werden die Zuständigkeiten der Menschen für ihre Taten deutlich. Die Menschheit kann nur lernen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, wenn sie sich unter diesem Blickwinkel beurteilt und für schuldfähig erklärt.

Menschen werden geprägt, aber sie sind keine Automaten ihrer Traditionen. Wäre dem so, wären die althebräischen Schriftsteller auch nichts anderes als die Opfer ihrer damaligen Umstände. Und so weiter zurück bis Adam und Eva und zum Schöpfer aller Dinge. Das wäre calvinistische Prädeterminierung, die für alle Menschen gelten müsste.

Wir müssen die Macht unserer Traditionen erkennen, aber nicht, um ihnen zu folgen, sondern um selbst zu entscheiden, ob wir ihnen folgen wollen. Schuld ist, wer sich diesen Einflüssen bedenkenlos unterwirft.

Ist der Mensch nicht schuldfähig, wird er nimmermehr die mündige Leistung vollbringen, sich von inhumanen Traditionen zu trennen.

Die Deutschen haben es versäumt, ihre hoffnungsvoll begonnene Religionskritik des 19. Jahrhunderts fortzusetzen. Stattdessen sind sie zu einer apokalyptischen Heilsbesessenheit regrediert, die sie in eine fürchterliche Vernichtungspolitik transformierten.

Bei Freud heißt es, wer allzu oft Nein sagt, sagt eigentlich Ja. Der TAZ-Artikel will die Juden schützen, doch im Grunde bejaht er, was er verneint: die Juden sind so mächtig, dass sie nach Belieben die Weltgeschäfte beeinflussen können. Vor solchen allmächtigen Berserkern müsste man tatsächlich Angst haben.

Das Elend der deutsch-jüdischen Beziehungen wird sich ohne radikale Erhellung der christlich-jüdischen Religion nicht beheben lassen.

Die Emanzipation von der Religion ist die Voraussetzung der Emanzipation der Menschheit von ihrer unmündigen Vergangenheit: auf dem Weg zu einer selbstbewussten und selbstbestimmten Zukunft.