Kategorien
Tagesmail

Dienstag, 01. Mai 2012 – Quantifiziertes Glück

Hello, Freunde des Wissens,

was will die Menschheit noch wissen? Und wozu? Ist Wissenwollen ein unendliches Bedürfnis oder kann man sich vorstellen, genug zu wissen? Hat die Menschheit noch Fragen, die sie beantwortet haben will?

Würde man diese vier Fragen einem Zeitgenossen stellen, wären das schon vier zuviel für ihn. Die Gegenwart scheint keine Fragen zu haben, offenbar weiß sie genug oder man hat ihr das Fragen ausgetrieben.

Bei persönlichen Fragen nicht anders. In Krimis arbeiten Kommissare zusammen, die nicht mal wissen, ob ihr Kollege verheiratet ist. Fragt einer danach, wird er misstrauisch angeguckt.

Ganz im Gegensatz zum Moloch Staat, der immer mehr von uns wissen will, bis er alles von uns weiß. Doch dessen Wissenwollen ist kein theoretisches, er will wissen, um uns zu beherrschen. Wissen ist Macht.

Will wenigstens die Wissenschaft noch wissen und warum? Ist sie eine machtsüchtige Organisation, die den Rachen nicht voll kriegt?

Machtgeile Wissenschaftler kennen wir zwar zur Genüge, aber wir möchten sie gern als Ausnahmen betrachten, die die Regel des beschaulichen, leicht skurrilen Grundlagenforschers bestätigen, der um der Erkenntnis willen wissen will.

Der ehemalige Chef der BASF-Forschungsabteilung Stefan Marcinowski hält sich in seinem Abschieds-Interview in der ZEIT mit Grundlagenforschung nicht lange auf. Offensichtlich hat sie für ihn

keinen anderen Zweck, als für die Volkswirtschaft Erkenntnisse zu gewinnen, die man im alltäglichen Geschäft innovativer Produktentwicklung nicht gewinnen kann.

Sie ist die unplanbare Grundlage geplanter und zweckgebundener Forschung. Einen wesensmäßigen Unterschied zwischen beiden Forschungsarten gibt es nicht.

Man weiß, in welchem Maß die Krakenarme der Multis die naturwissenschaftlichen Abteilungen der Unis im Griff haben, um erhebliche Zweifel zu hegen, ob die Hohen Schulen des reinen Wissenwollens nicht schon längst zu Filialen der ökonomischen Wachstumsideologie geworden sind. Nicht nur der Staat und die Gesellschaft, auch die Wissenschaft liegt vor der Wirtschaft auf dem Bauch.

Wobei die Deutschen gespaltene Technikbewunderer sind. Wenn es um Autos und Handys geht, sind sie voll die Freaks, doch für großtechnologische Unternehmungen wie die Entwicklung der unverrottbaren Genkartoffel haben sie nichts übrig.

Haben sie Zweifel gegen die Wissenschaft, die mit solchen Projekten die Menschheit vor Not und drohenden Zukunftsgefahren retten will? Sind die Deutschen nicht mehr innovationsfähig? Dann werden sie den Wettlauf „um die besten Köpfe und die lukrativsten Märkte“ verlieren.

Solche Sätze klingen merkwürdig, wenn andere Stimmen uns gerade vor einem allzu großen Erfolg warnen, der die leistungsschwächeren Länder mit unseren Exporten überflutet, sie in Schulden zwingt, die uns im Rückstoß in Mitleidenschaft ziehen.

Nun muss man ein bisschen von der deutschen Seele verraten, die deshalb so tüchtig vor sich hin werkelt, weil sie – misserfolgsorientiert ist.

Klingt verwundersam, doch das Rätsel löst sich schnell. Selbst wenn sie ihre Konkurrenten weit übertreffen, schauen sie ganz weit in die Ferne und sehen was? Den Untergang des Abendlandes, will sagen der deutschen Überlegenheit.

Deutsche sind aus Pessimismus tüchtig. Selbst wenn sie mitten im Erfolg schwimmen: wehe, wehe, wenn sie an das Ende sehen. (Der typische SPIEGEL-Sound ruht auf diesem Prinzip des Warnens mitten im Guten: die Wirtschaft läuft hervorragend, doch bald könnte es anders sein.) Schon ist ihr riesiger Vorsprung zusammengeschrumpft, schon haben sich alle Kleinen zusammengetan, um den großen Bruder einzuholen, zu überholen und gnadenlos zur Strecke zu bringen.

Sie können sich ihres Erfolgs nicht freuen, weil sie des Erfolgs nicht sicher sind. Ihre Geschichte steckt ihnen in den Knochen, welche sie gelehrt hat, wie wetterwendisch die Geschicke sein können. So singt Clärchen in Goethes Egmont:

„Freudvoll leidvoll, gedankenvoll sein,

Langen und bangen in schwebender Pein;

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt;

Glücklich allein die Seele, die liebt.“

Ein überraschendes Ende mit der Liebe, die das Rezept sein soll gegen eine allzu unbeständige und unberechenbare Zeit? Ist sie denn nicht die launischste und kapriziöseste Seelengewalt, der wir zum Opfer fallen können?

Die Gesichter der Industriekapitäne möcht ich mal sehen, wenn sie aus Zweckpessimismus wie gewohnt schwarz in schwarz flunkern und man ihnen mit Clärchens Lied von der Liebe konterte: Leute, hört auf mit eurer Miesmacherei, wen juckt‘s, ob wir Exportweltmeister sind oder Berge versetzen? Hätten wir der Liebe nicht, dann wären wir ein tönend Erz und eine klingende Schelle.

Oh, Pardon, das war die falsche Ausfahrt, es geht Clärchen nicht um jenseitige Gefühlsregungen, sondern ganz im Gegenteil um handfeste, irdische, vitale Hinneigung zum Liebsten.

Die Deutschen sind kein glückliches Volk. Ob‘s das heute überhaupt noch geben kann, lässt sich bezweifeln, seitdem die glücklichsten Südseeinsulaner von der Folgen der Klimakatastrophe am ehesten bedroht werden, obgleich sie am wenigsten dafür können.

„Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks. Die Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr; denn sie sind die Perioden der Zusammenstimmung, des fehlenden Gegensatzes“, schreibt Hegel in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte.

Rumms hat‘s gemacht gegen die glückssäuselnden Engländer. Ein bisschen weniger gegen die Franzosen, die immer mehr in Richtung Gloire (Ehre) marschierten und immer weniger in Richtung Bonheur („gute Zeit“). Fortune (= zufälliges Glück“) kommt von Fortuna, der eigentlichen Zockergöttin Napoleons.

Womit wir schon die west-östliche Frontenbildung beisammen hätten, die stracks in den Ersten Weltkrieg mündete. Hie die westlichen Glücks-Krämer, da die deutschen Unglückshelden, die tapfer und barhäuptig vor Gott im Gewitterhagel unberechenbarer Schicksalselemente standhalten – weil sie auf die entscheidende Vergeltungsstunde am Ende der Geschichte warten. Dann werden sie vor allen Völkern rehabilitiert, die sie bislang verhöhnt und verspottet haben.

Die Stunde der Rache schlug mit dem Sohn der Vorsehung, der im 1000-jährigen Reich das Rad der Zeit still stellte und das aus allen Poren blutende Germanien im Blute seiner Feinde zum Sieger der Geschichte erklärte. Hier war die Endperspektive noch positiv. Nach viel Leid die Stunde der Erlösung.

Heute schwindet der Glaube an den finalen Sinn der Geschichte wie Schnee an der Sonne, übrig bleibt der Pessimismus als endgültige Perspektive des Untergangs. Er dient immer weniger dazu, die Fährnisse des Daseins durchzustehen, um vom Kreuz zur Krone zu gelangen.

Der Zweckpessimismus droht, zum Grundsatzpessimismus zu werden. Je mehr wirtschaftliche Erfolge wir haben, je bedrohlicher und unerträglicher werden sie für uns. Denn die Götter lullen uns ein mit oberflächlichem Tandaradei, damit wir leichtsinnig werden, übermütig aufs Eis gehen und elendiglich einbrechen. Finis Germaniae.

Hier überlappen sich germanisch-wagnerische Untergangsmythen – warum ist Wagner bei Eliten so beliebt? Weil ihre Untergangssehnsucht für wenige Stunden auf ihre Kosten kommt – mit johanneisch-apokalyptischen Finalkatastrophen.

Auch Tycoons können sich des deutschen Erfolgs in keiner Weise erfreuen. In ihnen steckt immer noch der alte anti-englische Stachel, der das Rennen nach Gut und Geld für eitel und nichtig hält. Sie hassen ihren Erfolg, weil sie ihn für einen läppischen Scheinerfolg halten. Als wollten sie sagen: was ist schon Wirtschaft? Natürlich können wir das am besten, wenn wir das nur wollen. Doch ist es wirklich das, was wir brauchen?

Warum nur verliert man nicht den Eindruck, die leitenden Herrn geben sich forciert zynisch, um Selbstzweifel an ihrem windigen Raffen zu vertuschen?

Ganz anders die Amerikaner, die ihre Milliarden als Gottes Lohn und Zweifel an ihrem Erfolg als Blasphemie betrachten. Auch der Typus des englischen Gentlemans, der erst von Blair und Cameron vollends gemeuchelt wurde, begreift seinen Reichtum als gerechte und selbstverständliche Zugabe zu seiner griechisch verstandenen Leutseligkeit, Großzügigkeit und seinem guten Benehmen als Spiegel eines guten Charakters.

Die englischen Oberschichten waren begeisterte Hellenen, nur die Mittel- und Unterschichten waren calvinistisch-puritanisch. (Dieselbe Mischung wie im jungen Amerika der Gründerjahre, erst die ständig aus Europa nachflutenden Massen verschoben die Gesamtatmosphäre ins Christlich-Fundamentalistische.)

Die deutsche Philosophie verachtete die Glücksphilosophie der englischen Vettern als leichtsinnig und oberflächlich. Kant koppelte seine unbedingte Pflicht von allen Glücksverheißungen ab. Wobei er am Ende doch in die Knie ging, als er es nicht übers Herz brachte, den durch Tugend Glückswürdigen im Abgrund des Elends verschwinden zu lassen – und ihm mit Hilfe eines Gottes zur Glückseligkeit verhalf.

So war Kants pietistischer Jugendgott doch noch zu etwas nütze und wurde zum Helfershelfer menschlichen Glücks. Doch erst in ferner Zukunft oder gar im Himmel. Da ließ der Königsberger manches offen, was man mühelos gegen seine überkritische Aufklärung hätte verwenden können.

Hegel war da rabiater. Er schloss die Geschichte mit Preußen und Berlin als dem Höhepunkt der Geschichte. Gleichwohl sah er, dass Amerika und Russland die beiden Antipoden der zukünftigen Geschichte sein werden, verlor darüber aber kein deutlich Wörtchen. Man könnte sagen, der trockene Schwabe ließ die eschatologischen Endfragen offen.

Natürlich musste diese Lücke bei den endzeitlich besoffenen Deutschen irgendwann geschlossen werden. Was genau 100 Jahre später durch eine apokalyptische Politik tatsächlich geschah.

Das Glücksdefizit seines verehrten Kants wollte Schiller korrigieren, indem er Pflicht und Neigung miteinander liierte, doch die Rettung kam zu spät. Die demokratisch-revolutionäre Politik war mit dem Terreur und Napoleons unverschämten Sieg über das pazifistisch-degenerierte Preußen abgefahren.

Die deutschen Geistesriesen verkrochen sich auf die Bühne und verwandelten Politik in Kunst. Nicht der tätige Demokrat, der feinsinnige Ästhet sollte wahr, gut und schön sein.

Die erzwungene Wendung in die Innerlichkeit saugte den revoltierenden Kräften die Energie ab. Das Zentrum des intellektuellen Lebens verschmähte den Marktplatz und verkroch sich in Konzertsäle, Welt-Bühnen, Theater, Museen, an das Klavier, das Cello und die Querflöte, ins Schreiben, Singen und Malen.

Von daher die Mentalität heutiger Bildungsbürger, die den Besuch des Don Carlos als politische Hochtat betrachten und vor Energie nicht mehr laufen können, wenn sie das Theater verlassen.

Man beobachte das Publikum eines politsatirischen Abends. Zwei Stunden lang klatschen sie den Herren Pispers und Schramm heftigen Beifall, dann strömen sie ins Freie und lehnen entrüstet ein Flugblatt mit der Standardbemerkung ab: brauch ich nicht.

Auch die Schwemme gegenwärtiger Comedians und Satiriker gehört ins Fach: Ästhetik. Mit Politik haben die Witzlinge nichts zu tun, außer, dass sie von ihnen leben wie diverse Fliegen von der Wunde.

Man müsste ketzerisch fragen, ob die Lästerzungen, sie mögen wollen oder nicht, das politische Establishment nicht eher stützen als unterminieren, indem sie dem passiven Satirekonsumenten das trügerische Gefühl vermitteln, durch den Erwerb einer Eintrittskarte sich schon mächtig citoyenhaft betätigt zu haben.

Die Gegenprobe kann man machen, wenn man einen Satiriker – was ohnehin kaum vorkommt – bei einer Politdebatte erlebt. Hier kann er keine Witzchen machen, der Rest sind übliche Plattitüden.

Wenn es heute Vorschläge gibt, dem aufgeblähten Kulturzirkus die Luft abzulassen, protestieren weniger diejenigen, die ihren sakralen Job verlören, sondern die Passiven, die sich nicht länger politisch betätigen können, ohne je auf der Straße und dem Marktplatz gewesen zu sein.

Man könnte von einer vikariierenden Ablasspolitik sprechen. Wie man einst zur Beichte ging, um die wöchentlichen Sünden zu tilgen, so geht man heut in die Musentempel, um seine politischen Passivität abzubüßen – um die nächste Woche wieder von vorne zu sündigen.

Je weniger die Geistbesitzer und Gebildeten ins triste Kirchlein gehen, je mehr besuchen sie die ästhetischen Ersatzmessen, die ihnen wesentlich mehr bieten als Priester mit ihrer öden Umwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut.

Auf den Brettern der Welt kriegt man für sein Geld erheblich mehr geboten: wahres Menschenfleisch in allen physiologisch denkbaren Erregungszuständen. Das Martyrium Christi wird als blutig triefendes, schleimig schreiendes, im wahren Leben stehendes Oberammergauer Passionsspiel so zelebriert, dass alle Zuschauer, wenn der Vorhang fällt, das Gefühl der Auferstehung empfinden, wenn sie dem Theaterschrecken mit heiler Haut entkommen sind.

Die heutige Hochkultur ist eine aparte Mischung aus Golgatha und der Weltbühne als moralischer Anstalt – in paradoxer Intervention natürlich. Man müsste von einer delikaten mousse au chocolat mit Blut, Schweiß, Spermien und Tränen sprechen. Alle unterdrückten oder nicht berichteten Gefühle des gekreuzigten Herrn brüllen die gebenedeiten Schauspieler stellvertretend für den gefühlsgehemmten Schmerzensmann ins theatrum mundi, wo Himmel- und Höllenmaschinen zur Standardausrüstung gehören.

Das nur in Parenthese, wir waren beim Glück.

Der englische Pragmatismus ist eine klare Glücksphilosophie. Bentham glaubte, das Glück – ganz im Geiste der neuen messenden Naturwissenschaft – quantitativ berechnen zu können, woraus die moderne mathematische Ökonomie entstand, die noch immer der Meinung ist, das Leben ließe sich auf Formeln und Zahlen bringen.

Erstaunlich die Wende bei Adam Smith, der sich in seinem ersten moralphilosophischen Buch noch ausführlich über Glückseligkeit (happiness) auslässt, aber in seinem zweiten, viel berühmteren Buch nur noch von Wohlstand spricht. Das Stichwort happiness fehlt, Glück ist zum Wohlstand geworden. Smith bewegt sich in Benthams Spuren.

Das Moralische muss sich messen, berechnen und beweisen lassen, alles andere ist abgestandene Popenheuchelei. Heute erleben wir den Höhepunkt der Quantifizierung, die vollständige Umwandlung der Moral in Zahlen und Figuren, wie Novalis formuliert hätte.

Die Romantiker wehrten sich gegen das ökonomistische und habgierige Rechnen der Angelsachsen und versuchten die unberechenbare Qualität des sinnerfüllten Lebens gegen den albionischen Zeitgeist zu retten, was sie mit Regression in den Katholizismus ihrer Großeltern bezahlen mussten, da sie die Aufklärung von Papa Kant ad acta gelegt hatten.

Heute sind die deutschen Ressentiments nicht verflogen, aber tief verdrängt unter neubekehrte Bekenntnisse zum Mammon.

Die Wissenschaft hatte sich in den Dienst quantitativer Glückssuche gestellt. Glück wurde als Ausstoß von Produkten gefasst. Je mehr konsumiert wurde, je höher musste das GBIP, das Glücksbruttoinlandsprodukt sein.

Wenn jüngst der Vorschlag aufkam, die Volkswirtschaft nicht mehr numerisch zu definieren, sondern nach dem Maß erreichbaren Glücks, hat man vergessen, dass hinter den Rekordmarken heutiger Wirtschaft auch die Suche nach dem Glück stand. Das Ziel des Glücks war bei Amerikanern und Engländern nie in Zweifel gestellt.

Ist Glück quantitativ? Kann es gemessen werden an der Ziffer fabrikmäßig hervorgebrachter Dinge? Der ganze Prozess der Quantifizierung des Qualitativen müsste erneut aufgerollt und im Lichte 200-jähriger Erfahrungen überdacht werden. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung angekommen wären.

Auch Goethe war Naturwissenschaftler, befand sich aber im Clinch mit Newton, weil er dessen Quantifizierungsmanie des für ihn qualitativen Naturgeschehens ablehnte. Im Geiste des sinnlich Erfahrbaren, der nur mit Worten, nicht mit Zahlen wiederzugebenden Eindrücke der Natur, verfasste er seine Farbenlehre.

Vor Jahren lautete ein beliebtes Abiturthema: Kann Faust als Naturwissenschaftler betrachtet werden? Ist faustisches Streben ein Streben nach Erkenntnissen? Oder nach subjektiven Erregungen? Wollte Goethe Grundlagenwissenschaft betreiben?

Der Anfangsmonolog beginnt mit der Auflistung all jener Wissenschaften, die Faust studiert hatte. Mit dem niederschmetternden Ergebnis: „Und sehe, dass wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen … Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen, Bild mir nicht ein, ich könnte was lehren, Die Menschen zu bessern und zu bekehren.“

Eine Wissenschaft, die nichts zu lehren hat, ist keine. Bekehren muss sie niemanden, denn sie beruht auf Argumenten. Wer bekehren will, hat mit strenger Wissenschaft die falsche Disziplin gewählt.

Was will Faust denn nun? „Dass ich nicht mehr mit saurem Schweiß, zu sagen brauche, was ich nicht weiß. Dass ich erkenne, was die Welt, Im Innersten zusammenhält.“

Er will das Wesen der Natur erkennen. Das war das Erkenntnisziel der Griechen, von dem sich Galilei lösen musste, um die Funktionen der Natur zu erkennen.

Mit welchen Methoden will er seine Wesenschau durchführen? „Drum hab ich mich der Magie ergeben, Ob mir durch Geistes Kraft und Mund, Nicht manch Geheimnis würde kund.“ Mit Naturwissenschaft hat das so viel zu tun wie Däniken mit Archäologie.

Das faustische Streben ist ein Ressentiment der Deutschen gegen die messende und rechnende Wissenschaft der Engländer. Da will jemand mit einem Sprung auf den geheimen Schoss Gottes springen, um Offenbarungen zu erbitten. Das ist Erleuchtungswissen mit pseudowissenschaftlichen Methoden. Man könnte von theologischer Alchimie sprechen.

Die quantitative Glückswissenschaft der modernen Ökonomie ist gescheitert. Die magisch-religiöse Gegenwirtschaft ebenfalls. Der BASF-Forscher hat die ganze Naturwissenschaft in den Dienst einer konsumierenden, naturausbeutenden Volkswirtschaft gestellt und die Grundlagenwissenschaft als autonome Disziplin gelöscht.

Doch nur da, wo grundsätzliche Fragen gestellt werden, kann die Wissenschaft Distanz zu sich gewinnen und sich selbstkritisch unter die Lupe nehmen. Wer die Grundlagenwissenschaft beseitigt, die Mutter aller Wissenschaften, aus deren Wurzeln sich alles erneuern könnte, hat die Liebe zur Wahrheit beseitigt.

Die Wissenschaften insgesamt haben sich der Produktion von Dingen und dem Hasten nach Reichtümern unterstellt. Für elementares Fragen, Wissenwollen und Einsichten erwerben gibt’s kein Plätzchen mehr: weder bei Krämern noch bei Helden.

Hegels Unglücks-Philosophie hat sich in allen Belangen durchgesetzt. Glückliche Perioden nennt er Perioden der „Zusammenstimmung, des fehlenden Gegensatzes.“

Mit anderen Worten: Glück ist langweilig, es gibt kein Remmidemmi mehr. Also weiter im spannenden Fortschritt der selbsthergestellten Miserabilität.

Die Feuilletonisten wussten schon immer, dass nur die Faszination des Bösen die Geschichte vorantreibt. Wenn‘s sein muss, bis ans Ende aller Dinge.