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Die ERDE und wir. VI

Tagesmail vom 23.08.2024

Die ERDE und wir. VI,

Wo steht sie, die Gattung Mensch? fragte Göttervater Zeus in die Runde seiner Vornehmsten.

Schwer zu sagen, antwortete Apollon, der klügste unter den Wissenden: sie schwankt nach allen Seiten.

Wie klug, warf ein Frechdachs in die Runde der Vollkommenen. Wer sich nicht festlegt, hält sich alle Möglichkeiten offen.

Moment, wer stets hin und her schwankt, zeigt keine Zielstrebigkeit, ließ sich ein anderer vernehmen.

Was ist zielstrebig, wenn niemand weiß, wo das Ziel ist, konnte man gerade noch hören, bevor sich die schwere Göttertür schloss.

Wenn niemand weiß, wohin er soll, wie soll er feststellen, wo er steht?

Das ist die Frage der Menschheit. Nein, ist sie nicht, widersprach ein anderer. Niemand fragt. Jeder glaubt zu wissen, wohin die Reise geht: auf keinen Fall ins Konkrete und Bestimmte.

Warum sollten wir uns festlegen, wenn es so viele Interessantheiten im Universum gibt?? Wenn euch nichts mehr einfällt, ihr Einfaltspinsel, lasst endlich eure genialen Maschinen ran.

S`wird ohnehin Zeit für euch, abzutreten, ihr seid ausgelaugt und verschlissen. Jetzt kommt die wahre Intelligenz: die, die nicht wissen muss, wohin sie soll und dennoch alles am besten weiß.

Aus Deutschland hörte man nichts, dort hatte der Kompromiss alles unter sich begraben. Dort gab es Zeitenwenden, ohne dass sich das Mindeste ändern würde.

Nein, es war auch nicht der Kompromiss, der alles totgeschlagen hatte. Sie wussten einfach nicht mehr, was Kompromiss ist: ein Mittel zwischen Unvereinbarkeiten – aber so, dass von jeder Seite der Widersprüche ein Rest übrig bleibt. Deutschlands Lieblingskompromisse sind schleichende Totalbesetzungen.

Warum hatte der Klimaforscher Mojib Latif dieser Tage ausgerufen: Ich bin fassungslos?

Er meinte jene Deutschen – besonders Männer unter ihnen –, die mit glatten Gesichtern, als hätten sie noch nie von der Klimawissenschaft gehört, ihr politisches Motto verkündeten: Vorwärts, wir müssen das deutsche Auto immer mehr in der Welt verbreiten. Noch gibt es zu wenige Asphaltstraßen, auf denen hurtige Motoren die Welt verstänkern.

Was wir gerade erleben, ist: der Tod der deutschen Intelligenz, der deutschen Bildung, die deutsche Wut gegen die Natur.

Sie wissen nicht, was Wissenschaft ist, sie wissen nicht, was Bildung ist, sie wissen nicht, was kosmisches Einvernehmen ist.

Wie kleine ungebärdige Kinder werfen sie Dreck in die Luft, verstänkern und vergiften die Atmosphäre, von der sie eigentlich leben müssen. Keine Angst, rufen die Glattgesichtigen, schon Schlimmeres haben wir überlebt. Gibt es etwas, das wir nicht überwinden können?

Was sagt die Wissenschaft, Herr Döpfner, über den Zustand der Welt? Bleibt mir gestohlen, sagte dieser, habe ich nicht pfiffige Schreiber angestellt, die stets genau beweisen können, dass Gefahrenmeldungen von der Klimafront fast immer falsch oder gefälscht waren, um unsere Wirtschaft zu lähmen? Das waren doch nur Übertreibungen oder gar Fälschungen jener, die nichts haben und nichts wollen, um in ihrer Faulheit zu verharren.

Wollen Sie damit sagen, dass es Ihren Wissenschaftslakaien stets gelang, die neuesten Drohmeldungen nach Belieben zu widerlegen?

Ja natürlich will ich das behaupten. Die Genies der Reichen hatten noch nie Schwierigkeiten, die Gurkereien der Armseligen in Stücke zu zerreißen. Und nun raus mit euch, ich habe keine Zeit für Wissenschaftsgeflunker. Wir von der Presse sind ohnehin objektiv und wissen, was wirklich läuft.

Deutsche Machteliten haben es nicht mehr nötig, die galileische Wissenschaft zu widerlegen. Was in der Welt geschieht, bestimmen nur sie allein und keine lächerlich-unveränderlichen Gesetze eines Italieners oder Engländers.

Geht doch mal zu euren alten Lehrern, ihr Klimapropagandisten und fragt sie, ob sie den Tüchtigen unter ihren Schülern das strenge Prinzip der neuen Naturwissenschaft beigebracht haben.

Hatten sie, antworten jene, ohne mit der Miene zu zucken. Doch längst sei die Epoche der neuen Naturwissenschaft wieder gebrochen. Jene Gesetze gelten nur in der alten Natur, aber nicht mehr im Bereich der modernen Natur-eroberung.

Heute wissen wir: wir können die Natur plündern und ausrauben, wie wir wollen. Immer wird sie sich erholen und uns mit neuen Möglichkeiten erfreuen.

Gewiss, es kann sein, dass die Überflüssigen über Bord gehen – aber ehrlich: war das nicht schon längst fällig, dass wir diese lästige Brut nicht mehr brauchen?

Ihr Altgehirne könnt euch einfach nicht vorstellen, dass das absolut Neue vor der Tür steht: die Recreation der Natur durch gottgleiche Maschinen. Mag der Fortschritt zurzeit stolpern wie er will: unsere Götterlabore sind längst dabei, die Mängel der alten Schöpfung auszuwetzen.

Deutsche Regierungen haben längst erkannt, dass ihre archaische Intelligenz nicht mehr gefragt ist. Sie warten und drehen Däumchen. Haben sie von Marx nicht gelernt, dass sie abwarten müssen? Dass sie unfähig seien, aus eigener Kraft das Neue vom Himmel zu angeln?

Ihr Bewusstsein haben sie längst ad acta gelegt und überlassen seitdem alles dem objektiven Sein.

Lasst euch nicht täuschen von ihren ausgelaugten Gesichtern, ihren ewig gleichen Sprüchen. Sie können warten und hoffen.

Wie es der Zufall will: auch Amerika beginnt von vorn. Aber dort sieht es ganz anders aus. Der Neubeginn ist ein Awakening, ein Wiedererwecktwerden. Das verstehen nur gläubige Christen, die etwas wissen vom Erwecktwerden durch den Heiligen Geist.

Wenn die alte Gesellschaft wie abgestorben aussieht, beginnt irgendwo – niemand weiß, warum – etwas völlig Neues. Die Erweckung ist eine Art innere Mission. Ein rastloser Aktivismus nimmt immer mehr, selbst für amerikanische Verhältnisse, außergewöhnliche Dimensionen an. „Wanderprediger Asbury überquerte nach eigener Zählung sechzigmal die Alleghenies, um den Frontierbewohnern die Frohe Botschaft zu bringen.“ Ein frommes Journal schrieb: „Es gibt keinen Platz für Untätigkeit oder Erholung. Zum Ausruhen wird im Himmel genug Zeit sein.“

Und was geschah in den Erweckungsversammlungen?

„Die Übung begann beim Kopf, der vorwärts und rückwärts flog und von einer Seite zur anderen mit einem heftigen Stoß, den jeder unterdrücken wollte, aber umsonst. Je mehr er sich anstrengte, gelassen zu bleiben, desto mehr kam er ins Schwanken und desto schneller wurden seine Zuckungen. Indem er von Fleck zu Fleck hüpfte wie ein Fußball, oder herumhopste mit zuckendem Kopf, Leib und Gliedern, als müsste er gleich auseinander fliegen. Manchmal zuckten die Gläubigen in ekstatischen Bewegungen.“

Das war’s noch lange nicht. Kein Erwachen ohne Endzeiterwartungen. „In den 1830er Jahren war der Glaube an den Aufbruch ins 1000-jährige Reich so selbstverständlich geworden, dass nur Trunkenbolde sich dieser Idee widersetzten.“

Die Lektüre des Buches Daniel und der Offenbarung vermittelte ihnen genauere Angaben über Einzelheiten des Jüngsten Gerichts.

„Die Gerechten, tot oder lebendig, würden dem Herrn in der Luft begegnen. Dort finde ihre Prüfung statt, während die Erde hienieden durch Feuer vernichtet und gereinigt werde von allen Gottlosen und bösen Geistern. Nach tausend Jahren erst werde die Erde wieder bewohnbar. Dann steige Jesus mit den Seinen hinab und lebe auf der neuen Erde in einem neuen Himmel immerdar.“ (Alle Zitate in Raeithel, Geschichte der Nordamerikanischen Kultur)

Auch im Deutschland jener Zeit gab es solche Endzeiterwartungen. Doch bevor sie erstickten unter neuen Politikphantasien und nüchternen Aufklärungsideen, packten die Frommen ihre Bündel und wanderten in die Weiten des russischen Ostens oder fuhren übers Wasser in den neuen Kontinent.

Deutschland war kein Land mehr für religiöse Erschütterungen, der Heilige Geist verwandelte sich allmählich in Vorstellungen eines politischen Dritten Reichs.

Haben diese Schilderungen aus dem 19. Jahrhundert irgendetwas mit der Gegenwart zu tun? Noch immer sind sie die Gegenwart des kollektiven Unbewussten, das jetzt wieder – nach einer diametralen Trickster-Zeit in Gestalt eines verwilderten Milliardärs – aus der Tiefe des religiösen Nochnicht an die Oberfläche kommt.

Trickster? „Trickster (engl. Gauner, Betrüger und Schwindler) werden Figuren in der Mythologie oder Literatur genannt, die mit Hilfe von Tricks die Ordnung im (göttlichen) Universum durcheinanderbringen. Auffällig ist, dass gerade im Christentum die Einordnung des Tricksters zu einem Problem gerät. Hier ist er mit der Zeit auf seine rein negativen Eigenschaften beschränkt und zum Teufel gemacht worden. Laut Wolfgang Stein hat sich in vielen – vor allem osteuropäischen – Märchen die Gestalt des Tricksters wahrscheinlich in der Gestalt des „geprellten Teufels“ erhalten.“ (Wikipedia)

Es scheint so, als habe Trump-Trickster seine Zeit gehabt, nun hat die Glock geschlagen, seine Gegenspieler erobern lachend und tanzend die Bühne und beherrschen die Medien und möglicherweise die Mehrheit der Wählenden.

Noch immer ist Amerika fromm genug, um die alten eschatologischen Regeln in sich walten zu lassen. Die Medien-Beobachter sehen nur das Hollywood-Brimborium, die fromme Rhetorik, die Predigten und kollektiven Gefühle. Der reale religiöse Wiederholungseffekt wird unterdrückt. Was darf Politik mit Erweckung zu tun haben?

Im alten Athen wurde die Kunst des Theaters erfunden. Tagelang saß das Volk im Amphitheater, um zu beobachten, ob die Kunst der Tragödien, Komödien und Satyren tatsächlich die Wirklichkeit widerspiegeln.

Die Ästhetik war frei, in eigenen Rahmenerfindungen das Geschehen auf die Bühne zu bringen. Die Schönheit des Ideellen sollte hinter den Fassaden des Reellen wiederentdeckt werden. Nicht anders als bei Sokrates, dessen mäeutische Schönheit hinter der Fassade des Hässlichen versteckt war.

Die Bühnenshow ist die moderne Realisierung der Geschichten des Neuen Testaments. Vor allem der Geschichte vom Verlorenen Sohn, der ins Leben hinauszog, fast verloren schien und dennoch wiederkehrte – zur großen Freude des Vaters:

„Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. 30 Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. 31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein. 32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein;[1] denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“

Auch Harris und Walz galten lange Zeit als belanglose Versager. Nun sind sie als Gewinner auf die große Bühne zurückgekehrt.  

Auf der Bühne herrschte familiäre Wiedersehensfreude. Viele heulten mit, weil das Geschehen dort oben ihre eigene Geschichte widerspiegelte. Es war die Urgeschichte der frommen Familie, die getrennt wurde und nun wieder – wie durch ein Wunder – zusammenkommt.

„Umarmungen, Liebe, glückselige Kinder: Auf dem Parteitag der Demokraten inszenieren Kamala Harris und ihr Umfeld einen beinahe spießigen Sinn für Familie.“ (SPIEGEL.de)

Es ist bekannt, dass die religiöse Familie in Amerika sich früh trennen muss, um das gute Ende der Wiedervereinigung vorzubereiten.

„Kinder wurden sehr früh und für längere Dauer zu Verwandten, zum Lehnherrn oder schlicht in andere Familien gegeben. Es formte sich der Brauch, den Schulort möglichst weit vom Heimatort zu wählen.“

Sie sollten die Fremde kennenlernen, um die Rückkehr in die Familie als fröhliche Feier zu erleben.

Noch heute gilt: „Die Mehrzahl der Amerikaner hegt nach wie vor den Wunsch, woanders zu leben als am gegenwärtigen Wohnort. Knapp ein Fünftel der Bevölkerung zieht jährlich um. Die Suche nach dem Abenteuerlichen, immer ein Bestandteil des Amerikanischen Traums, nahm groteske Züge an.“

Was ist der ewige amerikanische Traum? „Der Wunsch, sich tragbare Wurzeln zuzulegen, dann wird er bald die „jenseitige Lichtung“ erblicken auf seiner „schwerelosen Reise.“ Das ist der alte Wunsch, sich „vom Erdboden zu lösen“.

Wer hier nicht die emotionale Grundlage der KI-Forschung erkennt, weiß nicht, was dort entwickelt wird.

Wo stehen wir heute? Im ziellosen Ohngefähr, ohne zu wissen, wohin wir wollen.

Fortsetzung folgt.