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Die ERDE und wir. XI

Tagesmail vom 09.09.2024

Die ERDE und wir. XI,

Die allesbeherrschende Schuldfrage: wer waren die Bösewichte, die unsere Krisen verursacht haben?

Wie immer: die Mächtigen der Vergangenheit, die sich heute im Dunkel der Zeiten verdrücken wollen.

Zu ihnen gehört eine fromme Kanzlerin, die ihre Frömmigkeit in unsystematischen Almosen-Aktionen hinterlassen hat.

Da es zur Gewohnheit geworden ist, die Vergangenheit ruhen zu lassen, weiß niemand, welche Entscheidungen von früher noch immer unsere Gegenwart bestimmen.

Ein raffinierter Trick, die Verantwortlichen davonkommen zu lassen, sich feiern zu lassen im Licht ihrer guten Taten – und die bösen in der Dunkelheit verschwinden zu lassen.

Doch diese Untaten denken nicht daran, zu verdämmern. Zunehmend verwüsten sie die Gegenwart, weil niemand die Schuld der Vergangenheit wissen will.

Schuld, Zentralbegriff des christlichen Westens, denkt nicht daran, ihre Allmacht aufzugeben. Würde Weltmilliardär Musk diesen Begriff bei seinem Besuch auf den Mars mitnehmen, wäre der Planet endlich ein freier Himmelskörper. Doch Musk denkt nicht daran, seine Macht über den ewig schuldgeplagten Planeten aufzugeben. Nur wer sich permanent schuldig fühlt, lässt sich beherrschen. Die KI-Industrie hat die Rolle der Religion übernommen.

Schaumermal:

„Seehofer wirft Merkel vor, mit ihrer Flüchtlingspolitik den Einzug der AfD in Landtage und Bundestag befördert zu haben. Im Sommer 2015 entschied Merkel, das Dublin-Abkommen vorübergehend für syrische Geflüchtete auszusetzen. Für Merkel sei die Entwicklung vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte entscheidend gewesen, wird Seehofer zitiert. »Sie hat aber nicht verstanden, dass durch ihr Verhalten die politischen Ränder, vor allem der rechte, enorm gestärkt werden.« Seehofer kritisiert: »Die Entscheidung von 2015 hat die AfD in die Parlamente gespült.«“ (SPIEGEL.de)

Nicht nur Seehofer beschuldigt Merkel der früheren Schuld, die heute unvergänglich scheint. Da gibt es noch andere gewichtige Namen, die heute kaum noch jemand kennt:

„Auch andere Weggefährten Merkels äußern sich in dem Buch kritisch über Merkels Flüchtlingspolitik. »Das Bild, dass alle »welcome« riefen, als die Flüchtlinge ankamen, verschwand relativ schnell«, erinnert sich der damalige hessische Ministerpräsident Volker Bouffier. Er habe Merkel zum Jahreswechsel 2015/2016 aufgefordert, »sie müsse mal öffentlich sagen, dass es so nicht weitergeht«, berichtet Bouffier. »Das hat sie aber nicht gemacht.« Ähnlich stellt es auch der damalige Bundespräsident Joachim Gauck dar. Schon 2015 sagte er: »Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich.« Merkel habe ihn damals nicht darauf angesprochen. »Ich wollte die Debatte in die Mitte bekommen«, begründet Gauck seine Formulierung. »Es war absehbar, dass die Willkommenskultur nicht ewig währen würde.«“

Flüchtlinge: ja oder nein, das war schon ein umstrittenes Thema vor Jahren, das Schwester Angela mit einer einzigen kühnen Tat vom Tisch wischen wollte. Denn wisset, eine erfolgreiche und beständige Erdenpolitik kennen die Eleven des Himmels nicht. Sie glauben, einmal dem Teufel eins auszuwischen und er ist für immer Ko.

Ist er aber nicht, weil der Herr angeordnet hat, erst im Himmel werden die irdischen Probleme für immer ad acta gelegt. Zudem will der Herr nicht, dass der Mensch schon auf Erden fähig sei, seine Schuld vollständig zu bereinigen.

Gewiss, der Mensch soll sich nach Kräften bemühen, zugleich aber auch wissen, dass er ohne Gnade von Oben nichts zustande bringt. Daran wird sich nichts mehr ändern, bis der Herr vom Himmel kommt und den irdischen Schutthaufen wegräumen wird.

Agape-Taten sind christliche Angeber-Taten. Obwohl sie nichts sind ohne himmlische Gewähr, erwecken die Gläubigen mit ihnen den Eindruck, sie hätten ewig-gültige Taten vollbracht.

Sagen wir’s in nationaler Demut: unsere ehemalige Kanzlerin ist eine Betrügerin im Namen der Nächstenliebe. Gertrud Höhler beschrieb sie so:

„Die junge Angela Merkel betritt die politische Bühne mit Stärken, die viele Demokraten als Schwächen beschreiben: Relativismus, Indifferenz in Wertefragen, moralisches Desinteresse, Verzicht auf Bekenntnisse. Die Winterschläferin hat ihre Lektion gelernt: alles ist relativ, alles ist vorläufig, alles ist reversibel. Kein Pathos! Keine Versprechen. Grenzenlose Flexibilität! Keine Bindung. Keine Verpflichtung.

Wieder einmal fällt einem Eppelmann ein: Angela hat sich die üblichen Glaubenskämpfe erspart. Sie scheint brennende Wertfragen überhaupt nicht zu kennen. Was wir wissen, ist, wie schnell und wie schmerzfrei die Machtpolitikerin Merkel sich von all jenen Zukunftsvisionen getrennt hat, wenn erkennbar wurde: das läuft nicht. Sie liefert keine Erklärungen, sie gibt niemandem Rechenschaft über ein Scheitern oder Abrücken von vorher zentralen Fragen. Sie wechselt einfach die Position, schaltet kommentarlos um. Was nicht geht, wird fallengelassen.“ (Die Patin)

Sie macht nämlich die Erfahrung, dass schon nach kurzer Zeit niemand mehr Rechenschaft über ihre vorgestrigen Taten verlangt. Obwohl sie von sich sagt, dass sie „vom Ende her denke“, das Ziel wichtiger nehme als den Weg, startet sie oft riskante Manöver, die sie nach kurzer Zeit wieder aufgeben muss. Ihr Credo „ Lass dich nicht ausrechnen, gib keine Versprechen, relativiere alles, was du siehst, auch Ethik und Moral, begreife Werte als Manövriermasse“ hat sie im politischen Umgang mit der politischen Westpopulation durchgehend überlegen gemacht.“

Wie wir sehen, ist der pan-mediale Hass gegen Moral keine Erfindung des Herrn Döpfner, er ist ein Originalprodukt des christlichen Abendlandes.

Merkel kommt nach Hause ins lutherische Abendland, als die Mauer fällt und sie gerade ihre Karriere beginnt. Denn christliche Ethik ist selbst eine antinomische: eine sich in allen Dingen widersprechende Moral gegen göttliche Gebote.

Komme mir niemand und sage: christliche Antinomie (oder Antinomismus) sei ihm unbekannt. Schon von Google gehört?

„In der Theologie bezeichnet Antinomismus eine Lehre, die die Bindung an das alttestamentliche Gesetz – besonders das Mosaische Sittengesetz – verneint und die menschliche Glaubensfreiheit und die göttliche Gnade betont. Im Allgemeinen kann Antinomismus auch als gezielte Verletzung eines gesellschaftlichen Tabus bezeichnet werden.“

Vastehste jetzt? Tu, was du willst – und du kannst alles als christliche Tat ausweisen – wenn du die Heiligen Schriften kennst. Für sokratisch denkende Humanisten ist diese Beliebigkeit „die Sünde wider den Geist der Logik“.

Die aufgeklärte Moderne will widerspruchsfrei und logisch denken, die christlich durchmischte Moderne hingegen hat sich von ihren göttlichen Zweideutigkeiten bis heute nicht gelöst.

In diesem verseuchten und stinkenden Abfallgewässer dümpelt die Moderne ausweglos in eine vergiftete Zukunft. Einerseits mit dem Kopf im Weltall, andererseits mit den Füßen im irdischen Sumpf.

Als Merkel immer mehr zur Inkarnation göttlicher Antinomie wurde, begann die Presse, sie immer mehr zu preisen und auszuzeichnen. Alles denke sie vom Ende her, sagte ein Journalist und der Andere vervollständigte:

„Das ist Angela Merkel. Das unterscheidet sie von ihren Vorgängern: die selbstverständliche Selbstverständlichkeit der Pflicht. Sie regiert und regiert und regiert nach ihrem gewohnten Takt. Sie macht keine Mätzchen, dreht keine Pirouetten, bleibt bei der Sache.“ (Sueddeutsche.de)

Die Auszeichnung Merkels war eine Auszeichnung der Deutschen. Der Fall der Mauer war eine Rückkehr östlicher Marxisten ins westliche Land klassischer Antinomisten. Würde das bedeuten, die Wiedervereinigung der beiden Deutschländer würde eine Rückkehr zur eindeutigen Logik deutscher Aufklärer bedeuten?

Denkste, die Deutschen wissen nicht, woher sie kommen und haben keine Ahnung, wohin sie gehen werden. Doch Vorsicht: nicht Merkel hat die Deutschen zum ersten Mal zur Amoral verführt, sondern West- und Ostdeutschland haben intuitiv im Geist ihrer antinomischen Geistesverwirrung zusammen gefunden.

„Die Kanzlerin hat die Räume von Ethik, Moral und Recht längst in Funktionslabors verwandelt, auf die sie als Nutzerin, nicht als Bekennerin zugreift. Alles perlt an ihr ab, weil sie sich keiner Moral verpflichtet hat und Ethik utilitaristisch als Wertzitat aus einer Welt einsetzt, die sie selbst längst verlassen hat. Die Kanzlerin hat sich längst rausgeschossen aus den Fesseln von Ethik und Moral. Sie wirkt in einem wertfreien Raum, wo es nur noch um Instrumente der Macht geht. Ob die Kanzlerin „ehrlich“ sei, ob man sich auf sie verlassen kann, fragt niemand mehr.“ (Höhler)

Doch hier muss Höhler widersprochen werden: nicht die Pastorentochter hat Gesamtdeutschland das machiavellistische Lügen gelehrt, es war die gesamtdeutsche Tradition, die seit dem christlichen Mittelalter die Doppelzüngigkeit der Moral gelehrt hat.

Welche großen deutschen Männer, von Luther, über Goethe, Marx und Nietzsche, haben sich nie mit Lust widersprochen?

Solche Petitessen sind noch keinem deutschen Germanisten aufgefallen, was bedeutet: die hehre Nation ist ein Volk der Heuchler geblieben. Strenge Logiker würden heute auf der Stelle verlacht werden, wenn sie ihre parteipolitische Linie eindeutiger Moral der Öffentlichkeit verkünden würden.

Das können sie schon deshalb nicht, weil sie nicht wissen, ob dieser neue Kurs ein linker, rechter oder ein Kurs der Mitte wäre. Andere Bezeichnungen sind in diesem trägen Land unbekannt.

Goethe wird als Humanist gefeiert mit seinen Versen: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“.

Doch sein Leben beschließt er als „Überdarwinist, als Biologist, ein ungewollter Ahnherr einer Biologie, die später bereit sein wird, „Menschenopfer unerhört“ für ihre Mutationsbestrebungen zu opfern. Die Charakterlosigkeit der Deutschen ist ein Ergebnis ihrer sklavischen Erziehung, die nur Kümmerformen von Menschen, nicht gesunde Wachstümer schafft.“ (F. Heer)

Das Dritte Reich ist das Ergebnis der gesamten deutschen Geschichte, die es nicht fertig brachte, eine eindeutige humane Ethik zu entwickeln.

Antinomie ist der Fluch der Deutschen, der von einer Pastorentochter ungerührt weitergegeben wurde. Die Westdeutschen, im verständlichen Irrtum, die Schüler ihrer amerikanischen Befreier geworden zu sein, dachten, mit der Niederlage seien sie auch vom Schrott ihrer Vergangenheit befreit.

Was sie übersahen: auch die Amerikaner stammen aus dem antinomischen Europa, predigen eine universelle UN-Moral und tun dennoch, was ihnen der nationale Egoismus „Amerika über alles“ einbläut.

Wenn die Deutschen nicht ihre nationale Antinomie wahrnehmen und einstellen, werden sie nie imstande sein, ihren uralten Antisemitismus und ihre egoistische politische Überheblichkeit auszurotten – geschweige ihren Totalitarismus über die Natur.

Antinomie kennt keine Schuld, weil sie nichts als Schuld kennt. Wer es ernst meint mit seiner Schuld, müsste eindeutig werden – in Gedanken, Worten und Werken. Erst dann könnte er den Fluch des Bösen überwinden.

Nein, wir sind nicht ideal. Aber die Gabe der Selbsterkenntnis, die wir lernen müssten, würde uns zur Fähigkeit der Selbstkritik führen.

Deutschland muss seine Vergangenheit und Gegenwart wahrnehmen und verstehen, wenn es seine Zukunft in eindeutiger und strenger Menschlichkeit gestalten will.

Fortsetzung folgt.