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Welt retten! Aber subito! LXXXIX

Tagesmail vom 16.06.2023

Welt retten! Aber subito! LXXXIX,

„Alle schauen mich neidisch an
Denn ich führe die Liste an
Endlich bin ich an der Spitze
Erfolg kriecht mir aus jeder Ritze
Durch die Menge geht ein Raunen
Und die Männer werden staunen
Alle Frauen, alles meins
Alles dreht sich nur um mich.
Die ganze Welt wird mich bald singen
Ich werde es noch sehr weit bringen
Jede Note sing‘ ich richtig
Der Text dabei ist gar nicht wichtig
Meine Lieder sind die Besten
Und Autogramme für die Gäste
Der liebe Gott hat auch schon eins
Und alle Engel, alle meins.“ (Mephisto Lindemann)

Trump, der amerikanische Mephisto, hat es am weitesten gebracht. Er will mächtigster Mann der Welt werden. Der deutsche Mephisto dagegen muss sich zurzeit mit dem jus primae noctis seiner Verehrerinnen begnügen – bei Widerstand gibt’s kostenlos KO-Tropfen.

Wie ick die Deutschen kenne, werden sie nicht rasten und ruhen, bis der deutsche Teufel mit dem amerikanischen auf gleichem Niveau die letzten Reste der Schöpfung im Universum verteilt.

Alle Frauen – den Unersättlichen, Freud hätte vom globalen Ödipuskomplex gesprochen:

„Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und seiner Unersättlichkeit
Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;
Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
Er müßte doch zu Grunde gehn!“

Die Welt ist aber nicht dazu da, die Unersättlichen zu sättigen. Nur grüne Kleingeister und FFFler denken sich solchen Schmarrn aus. Alles wollen, aber eher zugrunde gehen, als es anzustreben: das ist das Ziel der Unendlichen.

Die Welt ist ein Objekt der Begierde: immer anzusteuern, aber nie zu erreichen. Wer glaubt, an sein spießiges Ziel zu gelangen, muss ballaballa sein.

Auf Teufel komm raus an das Unendliche glauben, auch wenn es das Leben kosten sollte – und dennoch sich am schlechten Endlichen festkrallen: was ist das?

Das ist deutsche Politik.

Das Endlose darf nie aufgegeben werden – und dennoch das Endliche mit allen Kräften verteidigen: das ist die vitale Politik des Widerspruchs –besonders bei den Deutschen, die jede logische Gradlinigkeit verabscheuen und mit dialektischen Rösselsprüngen die Undurchdringlichkeiten des Seins erobern wollen.

Logik ist ein Mittel zur Erkenntnis der Wahrheit – durch Beseitigen von Widersprüchen: entweder – oder.

Menschen können irren und sich widersprechen. Durchschauen sie nicht ihre Widersprüche, verhindern sie die Erkenntnis der Wahrheit. Logik ist Selbstreinigung des fehlerhaften Denkens, um sich der Wahrheit anzunähern.

Seine Widersprüche wahrzunehmen, ist nicht einfach – in religiösen Kulturen. Denn jeder hält sich für Gott oder gottgleich.

In natürlichen Kulturen kann sich der Mensch seiner Wahrheitsfähigkeit umso sicherer sein, je einträchtiger er mit Mitmenschen und Natur leben kann. Denn in Eintracht leben, heißt, in der Wahrheit leben.

„Primitive Naturvölker“, die – verglichen mit den gekünstelt-komplexen-hochkomplexen, naturfeindlichen „Hochkulturen“ – am widerspruchsfreiesten und problemlosesten leben können: denen könnte man die Begriffe „Widersprüche mit Mensch und Natur“ kaum erklären.

Es wäre auch überflüssig, denn auf das Erkennen ihrer Umgebung über das Ziel friedlichen Zusammenseins hinaus legen sie keinen Wert. Wahrheit ist für sie die Summe jener Erfahrungen, die sie benötigen, um sorglos und friedlich ihr Leben zu leben.

Je komplizierter das Leben, desto eher droht die Gefahr des Irrens oder des sich und anderen Widersprechens. Die Wirrnisse des Lebens werden umso gefährlicher, je mehr der schlichte Alltag mit Göttern, Teufeln und Dämonen angereichert wird – die sich mannigfach widersprechen können.

Ab einem bestimmten Grad labyrinthischer Konfusion beginnt die Widerstandsfähigkeit des Menschen, um sein einstiges logisches Leben in schlichter Wahrheit zurückzugewinnen. Der Mensch entwickelt sein folgerichtiges Denken, um mit seiner Hilfe die lästigen, ja lebensbedrohlichen Widersprüche zu bekämpfen.

Entweder droht draußen vor dem Dorf die Gefahr von Feinden und wilden Tieren und jeder muss sich bewaffnen, um sein Leben zu schützen – oder er muss sich nicht auf reale Gefahren einstellen.

Wenn zwei Aussagen sich widersprechen, muss entschieden werden, welcher Aussage man folgen will. Beide Aussagen zugleich können nicht wahr sein. Hier entsteht die Urform einer dörflichen Demokratie.

In Ur-Matriarchaten entschieden die Mütter, in darauf folgenden Patriarchaten die Erfahrensten oder Ältesten unter den Männern.

Je komplexer die Gemeinschaften durch Erwerb künstlerischer Fähigkeiten oder durch Ausbau ökonomischer Beziehungen, je mehr die Reicheren reicher und die Armen ärmer wurden, je dringlicher erschien den „Abgehängten“ die Etablierung einer gleichberechtigten Demokratie, in der die Volksversammlung (naja, die Versammlung der Männer) mit streitigen Argumenten das Beste für die Polis erreichen wollten.

Die Demokratie war die Krönung der Logik. Wer einleuchtende Gründe zu nennen wusste, sollte den Streit durch Argumente für sich entscheiden.

Nein, sollte nicht: die Mehrheit sollte entscheiden. Das war ein Kompromiss mit der Schwäche der Menschen, die zwar die Wahrheit suchten, aber wussten, dass eine Volksmenge nicht per Entschluss über Wahrheit entscheiden konnte.

Die Mehrheit sollte entscheiden, denn sie war vermutlich wahrheitsfähiger als die Minderheit. Vermutlich? Niemand wusste es. Es war ein geschickter Schachzug, die Volksversammlung per logischer Debatte die Wahrheit suchen zu lassen, danach aber einen Schritt zurückzutreten, um einer zufälligen Mehrheit keine päpstliche Unfehlbarkeit einzuräumen.

Die Volksversammlung wurde zum Wettbewerb wahrheitssuchender Bürger, die das Motto des sportlichen Wettbewerbs: Immer der Erste zu sein und voranzuschreiten den Anderen, ins Intellektuelle übertragen hatten. Ist die Transformation des Sportlichen ins Geistige vertretbar?

Wenn der Wettbewerb nicht dazu dient, die „Unterlegenen“ zu diskreditieren, wenn jeder für seine Fähigkeiten anerkannt wird, ist der Wettbewerb um die Wahrheit eine der humansten Erfindungen der Menschheit. Freilich nicht, um die Menschen zu klassifizieren und abzuwerten, sondern jeden anzuerkennen und zur weiteren Wahrheitssuche zu motivieren.

Die siegreiche Mehrheit sollte sich zwar – per Einigung auf das vorläufig Beste – durchsetzen, aber dennoch allen „Unterlegenen“ eine weitere Chance zum edeln Wettstreit um die Wahrheit bieten.

Das moderne Bildungssystem hat den Wettstreit um die Wahrheit in degradierende Orgien verwandelt. Nicht nur, dass die Zensuren der Lehrer nie unfehlbar sein können – die Notengebungen in einer Klasse sind eher Rituale der Demütigung als Ermunterungen zum Lernen.

Eine Demokratie mit lebendigem Streit auf der Agora, wo die besten Argumente sich aneinander messen sollten, wäre die Lebensweise selbstbewusster Individuen, um die Souveränität des Einzelnen mit der seiner Mitbewohner zur friedlichen Einheit zu verbinden.

Doch die Balance der Elemente war fragil. Die Starken wurden immer stärker, die Schwachen schwächer durch die auseinanderklaffenden Besitzverhältnisse. Die beginnende Stärke der Ökonomie machte die leicht zerstörbaren Balanceakte der Volksversammlung immer angreifbarer.

Die Macht der schlichten Logik schwand. Immer mehr fanden sich gewitzte Volksredner, Wanderlehrer oder ähnliche Intellektuelle, die die Fähigkeit erfanden, mit logischen Finessen die Argumente der Gegner zu übertölpeln.

Der Streit der Argumente wurde immer komplexer und undurchsichtiger. Aus Lehrern der Redekunst wurden „Sophisten“, die immer mehr Tricks beherrschten, um die eigenen Argumente noch besser aussehen zu lassen. Aus biederer Redekunst wurde eine komplexe Sophistik, der es immer weniger um die Durchsetzung der Wahrheit als um die Erringung der Macht ging.

Die Fähigkeit des Wahrheitssuchens wurde zur Pfiffigkeit, die eigenen Argumente mit stilistischer Rhetorik aufzuwerten und den Gegner schwächer aussehen zu lassen.

Plötzlich hatte die Wahrheit ein doppeltes Gesicht erhalten. An die Stelle einfacher und widerspruchsloser Logik betrat eine aufgeputzte Dialektik die Bühne der Polis. Dann wurde alles komplizierter. Immer mehr gelang es der Dialektik, die Wahrheitskompetenz der Logik zu untergraben und lächerlich zu machen.

Glaubte man, ein überzeugendes Argument gefunden zu haben, kam ein verwirrendes, schwer durchschaubares Gegenargument, das die Logik zur Minna machte. Die neue Dialektik erdreistete sich, Widersprüche als Einheit zu verkaufen und Logik verächtlich zu machen.

Opulente Redekünste zu erlernen: dazu hatte das Volk weder Zeit noch Muße. Dialektik wurde zur Kunst einer neuen Schicht des Volkes: der Intellektuellen. Anfänglich gehörte zu dieser Schicht auch die neue Zunft der Philosophen, die den rhetorischen Künsten ein Gegengewicht bilden wollten.

So gehörte Sokrates ursprünglich zu den Sophisten, obgleich er deren Dialektik mit aller Überzeugungskraft einer tiefen Wahrheitssuche zu erschüttern suchte.

Die neue Wahrheit sollte nicht nur die Anderen überzeugen, sondern in erster Linie – sich selbst. Erst, wenn ich mich selbst erforscht hatte, um die Herkunft meiner Wahrheiten zu verstehen, konnte ich meine Dialogpartner mit anamnestischen Argumenten zu überzeugen versuchen. Im Zwiegespräch konnte ich mich meiner ursprünglichen Wahrheiten erinnern, die durch die Prägung späterer Erziehung geschwächt worden waren.

Hinter dieser anamnestischen Methode (Anamnese = Erinnerung) stand die Überzeugung von der Wahrheitskraft der Natur. Natur, die uns das Leben geschenkt hat, kann nicht so diabolisch sein, dass sie uns mit Lug und Trug oder mit dem Bösen ausstatten würde.

Erinnern an die Wahrheit war Erinnerung an die Lauterkeit der Natur. Das war eine gänzlich andere Lehre von der Wahrheit als in der Religion von einer anderen Welt – einer himmlischen Überwelt – in der das Geschöpf vom Bösen korrumpiert war.

In der Jenseitsreligion gab es keine natürliche Logik, denn alles Natürliche war diabolisch – und das Gegenteil aller irdischen Vernunft. Gott wurde zu einem dialektischen Knoten, der von natürlicher Erkenntniskraft nicht widerlegt werden konnte.

Der Gott der Überwelt war kein Freund irdischer Erkenntniskraft. Er war ein Bündel von unbesiegbaren Widersprüchen: sowohl ein guter oder gütiger Vater, wie ein schrecklicher oder erbarmungsloser Racheteufel. Die Weisheit Gottes erschlug alle natürliche Vernunft. Die Letzten werden die Ersten sein, die Demütigen alle Hochmütigen in die Pfanne hauen. Die Starken werden verlieren, die Schwachen selig werden.

Wer aus der durchschaubaren Logik der Vernunft und der undurchschaubaren Dialektik des Himmels eine harmonische Einheit zimmern wollte, musste scheitern. Ein logischer Mensch musste erst Bankrott anmelden und himmlische Gnade erflehen, um sich eine selige Zukunft zu sichern.

Der Graben zwischen irdischer Logik und überirdischer Dialektik war unüberwindbar. Das Denken der Heiden musste Konkurs anmelden, um von Gottes Gnade angenommen zu werden. Himmel und Erde waren durch keine Künste dialektisch zu versöhnen.

Spätere Denker des Abendlands wie Hegel suchten zwar die beiden feindlichen Elemente zur Versöhnung zu bringen. Doch mehr als komplizierte Augenwischereien brachten sie nicht zustande.

Gewiss, die Anfänge der Dialektik lagen bereits in der heidnischen Antike. Doch jene Logiker wussten genau, dass Widersprüche nicht mit göttlichen Formeln zu beheben waren.

Die abendländische Philosophie als säkulare Fortsetzung der Theologie scheiterte auf der ganzen Linie. Woran wir das erkennen? An den stets bedrohlicher werdenden Gesamtkrisen der Gegenwart. Wer keine denkerischen Mittel hatte, seine Probleme zu verstehen, musste zuschauen, wie sie immer mächtiger wurden, bis sie heute kaum noch zu lösen sind.

Was folgt daraus? Wir müssen zurück ins Reich der widerspruchsfreien Logik, um unserer anschwellenden Widersprüche Herr zu werden.

Heute sind wir bereits so degeneriert, dass wir weder Dialoge führen noch überzeugend argumentieren können.

„Denn was am Ende herauskommen soll, hat die „Letzte Generation“ längst festgelegt: Klimaneutralität 2030 statt 2045. Eine solche Technokratie des Guten aber ist eine Illusion und die ihr zugrunde liegende Haltung, herkömmliche Demokratien produzierten die „falschen“ Ergebnisse, zutiefst antidemokratisch. Die geschmeidigste Haltung gegenüber der „Letzten Generation“ ist die, dass deren Mittel vielleicht ein bisschen drüber seien, die Ziele aber edel. Tatsächlich ist das arg bequem. Denn obwohl der Moralüberschuss in der Debatte es schwierig macht, verdienen auch die Ziele einen kritischen Blick. Die Forderungen der Aktivisten nämlich gehören zu einem Gesamtpaket aus Fortschrittsskepsis, Deindustrialisierung, „Degrowth“, also Abkehr vom Wachstum – und dem absoluten Anspruch, dass alle anderen gesellschaftlichen Notwendigkeiten hinter dem Klimaschutz zurückzustehen haben. Die Welt wird der deutschen Transformation zu einer klimaneutralen Industriegesellschaft jedoch nur folgen, wenn sie sich als wohlstandswahrendes Erfolgsmodell entpuppt. Und genau das muss das Ziel sein. Verstörend ist vor allem der Absolutheitsanspruch, mit dem die „Letzte Generation“ ihre Sicht auf die Probleme der Welt und darauf, wie diese zu lösen sind, zur einzig richtigen, ja möglichen erklärt. Ein solcher Anspruch teilt die Gesellschaft rigoros in ein „Wir“ gegen „Die“, stets verbunden mit einem gewissen Dünkel, dem Herabschauen auf jene, die es halt noch nicht begriffen haben; die festhalten wollen an ihrer albernen, kleinen Welt. Ein solches Denken aber ruiniert den Diskurs, weil am Ende nur der Versuch einer Bekehrung übrig bleibt.“ (Sueddeutsche.de)

Vorausgesetzt, dass Naturwissenschaften und unsere täglichen Sinneseindrücke nicht irren: weshalb soll ein Rettungsversuch dieser sterbenden Welt eine „Illusion“, ebenso wie antidemokratisch oder „menschlich überschüssig“ sein? Weshalb muss eine „klimaneutrale Industriegesellschaft“ ein „wohlstandswahrendes Erfolgsmodell“ sein, weshalb kann die Jugend ihre Rettungsvorschläge – die sie von der Wissenschaft übernommen hat – nicht in warnender Absolutheit in die Welt schreien? Entweder ist der Untergang der Welt möglich, dann ist er absolut. Oder er ist nur ein Schreckgespenst, dann können wir ihn ganz vergessen.

Es gibt nur eine Welt, die untergehen kann. Es gibt nur eine Spaltung der Welt in Retter und Verderber, ein Drittes gibt es nicht. Was nicht bedeutet, dass die Einen den Andern ihre Rettungspläne mit Gewalt einbläuen dürften. Die Vorschläge der Jugend sind keine platonischen Beglückungspläne.

Was sind Argumente, wenn sie nicht fähig sind, die Bedrohung der Menschheit in logischer Sprache zu artikulieren?

Deutschland ist in der Gefahr, an seiner religiös-dialektischen Harmonie zu ersticken. Man kann die Natur nicht zum Gesamtopfer erklären und gleichzeitig so tun, als ginge es nur um Lappalien.

Die dialektische Schlinge um unseren Hals wird uns erdrosseln, wenn wir der Logik nicht gestatten, unseren Kopf radikal von dialektischen Pseudo-Harmonien zu reinigen. Wer Gefahren nicht erkennen will, kann sie auch nicht bekämpfen.

Fortsetzung folgt.