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Schöpferische Bewahrung

Hello, Freunde der schöpferischen Bewahrung,

wer nicht bereit ist, sich den Hals zu brechen, wird nicht das Himmelreich gewinnen – oder Nobelpreisträger für Ökonomie werden. Als Kind donnerte Edmund Phelps in einer halsbrecherischen Aktion die Route 9 hinunter – und wurde Nobelpreisträger für Ökonomie.

„Die Route 9 ist eine Route in Einall, die von der Zylinderbrücke nach Twindrake City führt. Durch das von Bäumen umsäumte Gebiet verläuft eine geteerte Straße, auf der sich zahlreiche Rowdys und Raufbolde herumtreiben.“

Heute donnert der agile 81-Jährige noch immer die Weltroute 9 hinunter – auf der sich nicht mehr Rowdys und Raufbolde herumtreiben, sondern faule und träge Europäer, die den Fortschritt der Weltwirtschaft blockieren. Denen hat er den Kampf um Sein oder Nichtsein angesagt.

Damit geht der Weltanschauungskampf zwischen Amerika und Europa in seine offene Phase. Unter der Decke gärte es schon lange. Nun hat Phelps offiziell den Fehdehandschuh in den Ring geworfen.

Es geht um die Schicksalsfragen der Menschheit: Wie soll die Gattung Mensch ihre Zukunft gestalten? Was ist ein erstrebenswertes Leben? Wie kann der Mensch auf dem Planeten Erde überleben?

Nicht, dass Phelps diese Fragen stellen würde. Dazu ist ein Ökonom nicht fähig. Nicht, dass Phelps für ganz Amerika sprechen dürfte. Dort soll eine linke Bewegung

 aufgekommen sein. Die müsste sich zu dem neoliberalen Professor erst äußern. Nicht, dass in Europa Phelps Kampfansage nur auf Widerspruch stieße.

Europa wird immer mehr zur Karikatur Amerikas. Nehmen wir Amerika und Europa als Metaphern für zwei konkurrierende Lebensstile, die das Schicksal der Menschheit entscheiden werden.

Es gibt viele Kulturen und Philosophien in der ganzen Welt, die Phelps ökonomisch reduzierte Weltsicht überzeugender ablehnen als Europa und das Überleben der Gattung nur gesichert sehen, wenn sie ein natur- und menschenfreundliches Leben lernt, das sich der Despotie einer alleinseligmachenden Wirtschaft entzieht.

Dem aggressiv formulierenden Ökonomen muss man für seine scharfen Thesen dankbar sein. Nur, wer sich ihnen stellt, wird sich Rechenschaft über die Bedingungen einer überlebensfähigen Menschheit ablegen können. (WELT-Interview mit Edmund Phelps)

Geht es dem Ökonomen um die Frage der Überlebensfähigkeit der Menschheit? Bei solchen Nebelbildungen kann ein handfester Profitrechner nur verächtlich durch die Nase schnauben. Sein Weltbild beginnt mit Wirtschaft und endet mit Wirtschaft.

Luthers sola gratia, allein durch Gnade, hat sich im calvinistischen Amerika zur sola oeconomia weiterentwickelt. Extra oeconomiam nulla salus, außerhalb der Wirtschaft gibt’s kein Leben.

Im falschen Leben kein richtiges, sagte einst ein Frankfurter Philosoph. Phelps übersetzt Adorno ins Amerikanische: im nichtwirtschaftlichen Leben gibt’s kein richtiges, gibt‘s überhaupt kein Leben.

Das Heil des Menschen liegt in der Wirtschaft, Phelps ist kein ordinärer Volkswirtschaftler, für ihn ist Ökonomie die Lehre von der Seligkeit und der Verdammung zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Der Reihe nach, also von vorne. Was ist Wirtschaft?

Der Begriff Ökonomie – wie auch Ökologie, die die ganze Natur als „Haus“ des Menschen betrachtet – stammt von oikos, das Haus.

(Das kirchliche Wort Ökumene hat denselben Stamm und bedeutet die gesamte bewohnte Welt. Die Vereinigung der christlichen Kirchen betrachtet die ganze Welt als ihren Herrschaftsbezirk – und darüber hinaus die „zukünftige Welt“ des himmlischen Reichs. „Denn nicht Engeln hat er die zukünftige Welt unterworfen.“ Sondern gläubigen Menschen. Die Erwählten werden Herren des irdischen und überirdischen Reiches sein.)

Im alten Griechenland war die Hausgemeinschaft eine autarke Wirtschaftseinheit. Die Hausgemeinschaft ist, nach Aristoteles, „die Gemeinschaft des edlen Lebens in Häusern und Familien um eines vollkommenen und selbständigen Lebens willen.“ Das Wirtschaften einer Hausgemeinschaft hat den Zweck, allen Mitgliedern des Hauses ein selbständiges und vollkommenes Leben zu bieten.

Die Ökonomie hat keinen Selbstzweck, sondern ist Dienerin eines autarken und vollkommenen Lebens. Ein vollkommenes Leben erkennt man an der Fähigkeit, unabhängig von Überlebensnotwendigkeiten seinen Lebensinhalt selbständig zu bestimmen. Der Bereich der Notwendigkeiten muss gesichert sein, damit der Bereich der Freiheit beginnen kann.

Diese Freiheit nannten die Griechen Muße. Muße war kein Müßiggang, sondern selbstgewählte Beschäftigung. Aristoteles war ein Mann der Muße, kein Müßiggänger. Der Umfang seiner wissenschaftlichen und philosophischen Arbeiten sucht seinesgleichen in der Geschichte der Menschheit. Muße ist kein Faulenzen, sondern autonome Leidenschaft.

Wer arbeiten muss, um nicht zu verhungern, kann kein autonomer Mensch sein. Autonomie beginnt, wenn Bedürfnisse gestillt sind, wenn fremdbestimmtes Malochen aufhört. Die moderne Wirtschaft, in der die Allerreichsten angeblich am härtesten arbeiten, wäre für Aristoteles eine Sklavenwirtschaft gewesen.

Geradezu pervers wäre es für ihn, wenn Reiche tun, als müssten sie am meisten agieren, als stünden sie am härtesten unter dem Diktat des Überlebens, anstatt ein selbstgewähltes Leben in Muße zu führen. Ein Leben in Muße war für ihn ein Leben, das sich dem Erkennen, dem Denken widmet: ein Leben im Geist, ein philosophisches Leben.

Wer sollte die Menschen der Muße ernähren? Bei Aristoteles waren es Sklaven. Auf diesen Umstand verweisen heute am liebsten Amerikaner, die bekanntlich auch diverse Probleme mit der Sklaverei hatten – und heute in abgeschwächter Form noch immer haben. Ferguson hat gerade bewiesen, dass Schwarze von weißen Herrenmenschen nicht als gleichberechtigte Menschen anerkannt werden.

Sklaven, für Aristoteles „beseelte Werkzeuge“, waren – im Gegensatz zu Sklaven der christlichen Moderne – keine Wesen, die man unterdrücken, degradieren, quälen oder inhuman behandeln durfte. Sie waren wie große Kinder, die noch keine Verantwortung für sich selbst übernehmen konnten und an die Hand genommen werden wollten. Als Teile der Hausgemeinschaft gehörten sie zur Großfamilie und hatten so menschlich behandelt zu werden wie alle Mitglieder des Clans.

Für Christen waren Sklaven ungläubige Heiden, die Gott zur Strafe zum Sklavendasein verurteilt hatte. Sie waren nicht unvollkommen, sondern bösartig verstockt und der Willkür ihrer Herren vollständig ausgeliefert. Zwar heißt es bei Paulus: „da ist nicht Jude, noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Weib noch Mann“, doch die Gleichberechtigung aller Menschen ist nur eine illusionäre Zukunftsverheißung, keine revolutionäre Agenda zur Umstülpung der Verhältnisse.

Die irdische Wirklichkeit der Sklaverei klingt so: „Ihr Sklaven, seid euren leiblichen Herren gehorsam mit Furcht und Zittern, seid wie Knechte Christi, die den Willen Gottes von Herzen tun, die mit Willigkeit dienen als dem Herrn und nicht Menschen.“ Wie in Römer 13 sind irdische Obrigkeiten von Gott selbst eingesetzt und jeder Untertan, jeder Sklave hat ihnen zu gehorchen, wie er Gott selbst zu gehorchen hat.

Marx nennt die griechische Gesellschaft eine Sklavenhaltergesellschaft. Nicht falsch. Das hielt ihn aber nicht davon ab, den bürgerlichen Kapitalismus zu bewundern, der – in den Augen des Aristoteles – noch eine rigidere Sklavenhaltergesellschaft gewesen wäre.

Nicht nur die Proleten waren Malocherabhängigkeiten unterworfen, selbst die Reichen waren nicht fähig, ihren Reichtum zur Muße zu nutzen. Sie blieben lebenslange Sklaven des Moneymachens.

Dass eines fernen Tages die Proleten frei sein würden von der Fron des Arbeitens und von der Fron der Ausbeuter, war nicht weniger eine illusionäre Verheißung als das Reich Gottes für die Frommen. Im Reich der Freiheit müssen die Menschen nur noch wenige Stunden arbeiten. Wer würde für sie arbeiten, um sie am Leben zu erhalten? Vollautomatische Maschinen, die den Menschen die härteste Arbeit an der Natur abnehmen würden. Silicon Valley wäre mit Marx vollständig vereinbar gewesen.

Zwar musste kein Mensch mehr harte Arbeit an der Natur vollbringen, die Natur aber wurde im sklavischen Dienst des Menschen weiterhin gequält und ausgebeutet – durch Maschinen. Das Reich der Freiheit war kein Leben im Einklang mit der Natur.

Von einem chinesischen Bäuerlein hätte Marx lernen können. Als der Philosoph Dsi Gung ihm den Vorschlag machte, die Bewässerung seines Feldes mit einem hölzernen Hebelarm durchzuführen, „stieg dem Alten der Ärger ins Gesicht, und er sagte lachend: Ich habe meine Lehrer sagen hören: wenn einer Maschinen benutzt, so betreibt er alle seine Geschäfte maschinenmäßig; wer seine Geschäfte maschinenmäßig betreibt, der bekommt ein Maschinenherz. Wenn einer aber ein Maschinenherz in der Brust hat, dem geht die reine Einfalt verloren. Bei wem die reine Einfalt hin ist, der wird ungewiss in den Regungen seines Geistes. Ungewissheit in den Regungen des Geistes ist etwas, das sich mit dem wahren Sinn nicht verträgt. Nicht dass ich solche Dinge nicht kennte, ich schäme mich, sie anzuwenden.“

Heute sind Fortschritt und Maschinenwesen zu Dogmen geworden. Wer sich ihnen verweigert, wird gnadenlos überfahren. Das ist die Freiheit der Liberalen, die jede Alternative ihres determinierten Lebensstils eliminieren.

Diese Ausrottung der Vergangenheit und ihrer bewährten Wahrheiten muss gestoppt werden, wenn die Menschheit auf Erden eine Überlebenschance haben soll. Wir haben nur eine Zukunft, wenn alle Entwürfe der bisherigen Menschheit zur Disposition gestellt und ohne Zensur in allen Völkern debattiert werden.

Aristoteles hat die Wirtschaft zu sehr aus der Perspektive des privilegierten Geistesarbeiters beschrieben. Der bestehenden Menschenrechtsbewegung von Wanderlehrern, Kynikern und Sokratikern, die die Gleichheit und Freiheit aller Menschen forderte, hatte er sich verweigert. In diesem Sinn war er ein reaktionäres Fossil, auch wenn er Sklaven nicht unmenschlich behandelt wissen wollte.

Auch seine Definition der autonomen Muße war zu sehr von der Perspektive des Gelehrten geprägt, der seine geistige Arbeit nur in Freiheit von körperlicher Arbeit leisten konnte.

Hesiod hingegen, Bauer und Poet, war seiner Arbeit auf dem Feld mit Leidenschaft zugetan. Auch wenn er über die Härte der Arbeit gelegentlich seufzen musste. Fluchwürdig waren für ihn nur die Machenschaften der damaligen Geldverleiher, die sich ihre Kredite zu sündhaft teuren Zinsen bezahlen ließen und vielen Bauern die Scholle unter den Füßen wegspekulierten.

Nicht jede überlebenswichtige Notwendigkeit muss Sklaverei bedeuten. Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit? Wenn die Notwendigkeit eine natürliche ist, kann der Mensch sich dennoch in ihr wiederfinden. Notwendigkeiten der Natur sind keine Bestrafungen. Nicht Jesus, die Natur könnte sagen: mein Joch ist sanft. Welcher Bauer hasst seine Arbeit?

Nur willkürliche, von Gott, Autoritäten oder Obrigkeiten gesetzte Notwendigkeiten hasst der Mensch. Muße und Notwendigkeit müssen sich nicht ausschließen. Das hat Aristoteles übersehen. Wichtig ist nur, dass jeder Mensch seine Arbeit selber wählen kann und der Lohn der Arbeit ihn unabhängig von anderen Menschen macht.

Das gute Leben beginnt nicht jenseits der Pflichten des Überlebens. Das beweisen alle Völker, die im Einklang mit der Natur leben und ihre Überlebenspflichten als Lebensfreude gestalten. Wie viele Naturvölker singen beim gemeinsamen Arbeiten in der Natur.

Bei Aristoteles war die Polis schon zu arbeitsgeteilt. Der Geist hatte sich zu sehr vom Leib entfernt. Der Mensch aber ist eine Einheit, er will seinen Geist und seinen Körper betätigen und hat Lust an körperlicher und intellektueller Anstrengung – sofern sie selbstbestimmt und sinnvoll ist und dem Menschen der Lohn seiner Mühe nicht vorenthalten wird. Das ist das Prinzip der Autarkie.

Adam Smith hat die Autarkie verworfen zugunsten der Vernetzung aller mit allen. Das war die Geburtsstunde des modernen Kapitalismus. Der zugrunde liegende Gedanke war verlockend. Wenn alle Menschen sich arbeitsteilig spezialisieren und sich gegenseitig zuarbeiten: werden sie sich dann nicht mehr nützen können, als wenn jeder auf derselben stagnierenden Stufe dasselbe tut?

In der Tat, der quantitative Fortschritt des unendlich verflochtenen Kapitalismus war bis zum heutigen Tag phänomenal. Kein Volk auf Erden, das diesem Schlaraffenland aus Notwendigem und Überflüssigem widerstehen konnte. Abgesehen von der Kleinigkeit, dass die meisten dazu erpresst und gezwungen wurden. Ein Volk aus chinesischen Weisen hätte – ohne Zwang und Erpressung – dem Westen widerstanden.

Der quantitative Erfolg des Kapitalismus ist so berauschend, dass er an seinem Erfolg zu ersticken droht. Die Welt wird mit Geld überschwemmt. Die ungerechte Kluft zwischen Reichen und Armen zerstört die Gesellschaften. Der maschinelle Fortschritt zerlegt die Natur.

Nicht der elitäre Philosoph, das chinesische Bäuerlein sollte Recht behalten. Menschen, die es nur noch mit Maschinen zu tun haben, sind selbst zu „beseelten“ Maschinen geworden, die ihre Seele dem Fortschritt verkaufen.

Die freiwillige Vernetzung der Menschen wurde zur sklavenhaften Abhängigkeit jedes Menschen von jedem. Vor allem der Schwachen von den Mächtigen. Den Preis für äußerlichen Überfluss kann die Menschheit nicht mehr tragen. Die nicht von der Natur, sondern von machtversessenen Eliten diktierten Notwendigkeiten machen die einst autarken Menschen zu ich-losen Atomen einer ungeheuren Megamaschine.

Die Arbeitsteilung, die in geringen Dosierungen sinnvoll sein kann, ist zur vernagelten Berufsbornierheit geworden. Das hat schon Adam Smith gesehen:

Die jungen Leute aus unteren Schichten müssen sich eine Beschäftigung suchen, „um ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. In der Regel handelt es sich dabei um eine einfache und gleichförmige Tätigkeit, die wenig Mitdenken oder Verständnis erfordert. Gleichzeitig müssen sie lange und schwer arbeiten, sodass ihnen wenig Zeit und Muße und noch weniger Neigung bleibt, sich mit etwas anderem zu beschäftigen oder gar über etwas anderes nachzudenken.“

Demokratie lebt von mitdenkenden und mitfühlenden Mitgliedern. Die unendlich-arbeitsgeteilte Maloche, die ihnen kaum noch freie Zeit lässt, verurteilt sie zu steigender Apathie und psychischer Leere.

Warum ist Merkel zum größten Verhängnis aller Nachkriegskanzler geworden? Weil es ihr gelingt, die Dauerermattung der Bevölkerung durch mütterliche Scheinfreundlichkeit vollends einzulullen. Politik wird nur noch von einem winzigen Küchenkabinett gemacht. Je mehr die Welt zerbricht, je friedhofsruhiger wird es in deutschen Landen. Das mütterliche Charisma wird zum Tranquilizer der deutschen Demokratie. Ruhet sanft, ihr Deutschen, Mutti wacht über euch.

Immer wieder wird behauptet, der Kapitalismus sei defekt, doch eine Alternative gebe es nicht. Auch der Sozialismus sei schon verschieden. Moment mal, der Sozialismus war nie eine ernsthafte Alternative zum westlichen Kapitalismus. Er war nur eine östliche Variante des natur- und menschenausbeutenden Systems, ein Kapitalismus light mit totalitären Zügen.

Der Kapitalismus ist ein Subsystem der christlichen Moderne. Wer ihn ersetzen will, muss die gesamte Moderne auswechseln.

Edmund Phelps‘ knallharte Forderungen an Europa sind das genaue Gegenteil zur griechischen und chinesischen Weisheit. Ist das wirklich Weisheit, muss das moderne Gegenteil komplette Torheit sein. Das zeigen die Einzelforderungen des Amerikaners:

a) Europa muss ständig Neues kreieren und das Alte wegräumen. Schumpeters Motto der schöpferischen Zerstörung ist Phelps Hauptdogma. Schumpeter hatte sein Motto von Nietzsche: „Und wer ein Schöpfer sein muß im Guten und Bösen: wahrlich, der muß ein Vernichter sein und Werte zerbrechen.“

Nietzsche hatte sein Motto aus der christlichen Idee der creatio continua. Alles Alte muss regelmäßig vernichtet werden, damit ein Neues erwachsen kann. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, trägt es viel Frucht.“ Jede Neuschöpfung ist eine Kreation aus dem Nichts des schöpferischen Menschen. Die Vergangenheit brauchen wir nicht. Gedenket nicht des Verflossenen.

b) Warum brauchen wir immer Neues, selbst wenn wir das Alte lieben? Neues bräuchten wir nur, wenn das Alte defekt ist und unseren Ansprüchen nicht mehr genügt. Müssten in einer freien Gesellschaft nicht wir entscheiden, was uns entspricht? Der zwanghafte Fortschritt nötigt uns zu Veränderungen, zu denen wir nicht Ja gesagt haben. Die Zukunftsillusionisten überfahren uns täglich mehr.

c) Wer sich nicht ändert, bleibt sich nicht treu? Der reinste Wortklamauk. Verändern an sich ist nichts Sinnvolles, es könnte auch eine Verschlechterung sein, der wir aufsitzen. Die Bewertung der Veränderung wird uns geraubt. Gerade die Konservativen, die bewahren wollen, sind zu den süchtigsten Veränderern und Nichtbewahrern geworden. Auch sie wollen nur Profit und Wirtschaftswachstum – die die Welt nur zu ihrem Nachteil verändern können.

d) Europäer hätten keine Risikobereitschaft mehr. Rom, die menschliche Stadt voller Lebensqualität sei eine sterbende Stadt. Wozu aber ist ein Risiko an sich gut, außer, sich in Lebensgefahr zu bringen für – Nichts.

Die Moderne soll ein kopfloses Hasardrennen in den Abgrund sein. Wie bei James Dean soll gelten: wer zuletzt bremst, hat gewonnen. Das ist die endgültige Verwandlung des Lebens in ein todessüchtiges Abenteuer. Der Suizid der Gattung kostümiert sich auf den letzten Metern der mörderischen Rennstrecke als Sprung in Gottes Hand.

Der Sprung wird im Abgrund landen. Phelps kopflose Raserei ist nichts als ein immer ungeduldiger werdendes Warten auf den Messias. Wenn alles auf Erden zum Chaos gemacht worden ist, muss der Erlöser kommen.

e) Alles, was das Leben lebenswert macht, will Phelps von der Tenne fegen:

„Wir sehen in Europa einen Wiederaufstieg traditioneller Werte. Die Gesellschaft organisiert sich wieder stärker um die Familie, um Gruppen. Statt sein Glück in der Welt zu suchen, bleibt man lieber zu Hause. Es geht nicht mehr um das Individuum, das sich selbst verwirklicht, sondern um die Frage, was der Gruppe gut tut. Es herrscht eine Art Diktatur des Korporatismus.“

Hier kommt der puritanische Seligkeitsegoismus des John Bunyan auf seine soziologische Formel. Alle Menschen, die wir lieben, denen wir vertrauen, sollen wir in die Wüste schicken, um einsam und allein, nur unter der Ägide eines Gottes, unseren Weg ins Goldene Jerusalem vollenden. Früher schickten puritanische Patriarchen ihre flüggen Kinder in fremde Familien, damit sie nicht der Sünde einer allzu großen Liebe zu ihren eigenen Kreaturen verfallen.

Wenn Menschen sich zu sehr lieben, wird der Gott des Kapitalismus ganz ganz böse. Ich bin der Herr, euer Gott, ihr sollt keine anderen Götter haben neben mir, sagt der Kapitalismus – und zerreißt die Familien, indem beide Eltern immer länger malochen müssen, indem immer weniger junge Paare Lust haben, Nachwuchs in die Welt zu setzen.

f) Soziale Sicherheit soll gestrichen werden. Die Menschen sollen die freie Wildbahn lieben lernen. In der Wildnis können nur die Stärksten siegen. „Und die Regierungen haben es sich zur Hauptaufgabe gemacht, die Menschen zu behüten und soziale Sicherheit zu organisieren, statt Innovationen zu fördern. Da geht der Wettbewerbsgedanke komplett verloren.“

Konkurrenz, gnadenlose Konkurrenz und wenn die letzten Gemeinschaftsfähigkeiten der Menschen auf der Strecke bleiben. Je vereinzelter sie sind, je manipulierbarer werden sie durch Werbung, Berieselung, je passiver lassen sie sich von der NSA bis ins Mark ausforschen. Das Gesamtziel der eschatologischen Ralley ist der absolut passive, gehorsame und lenkbare Untertan.

g) Mehr Pioniergeist, Ambition und Ausdauer – und dies unter dem Etikett der Neugierde. Neugierde war einst das Stimulans zum Erkennen der Realität. Diese Wahrheitssuche soll ausgerottet werden.

Man soll nicht neugierig sein auf die Machenschaften der Mächtigen, man soll sie weder erkennen noch durchschauen. Für solche nutzlosen Philosophastereien soll kein Mensch Muße und Energie übrig haben. Seinen Kopf soll er nur noch benutzen, um start-up-relevante Ideen zu entwickeln. Alles andere ist kontraproduktiv.

h) Was Glück ist, bestimmen noch immer die Glücksforscher und nicht die Menschen. Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Glück Arbeit ist und sonst nichts. Wer sich solchen Erkenntnissen widersetzt, ist innovationsfeindlich und muss mit Folgen rechnen.

i) Der Arbeitsmarkt muss dereguliert werden. Mit anderen Worten: die Arbeitnehmer sollen noch weniger Schutzrechte genießen, die Arbeitgeber können heuern und feuern nach Belieben.

Ein Land ist Phelps genialen Vorschlägen bereits gefolgt. Mit rasendem Erfolg: „Wir haben beispielsweise im Baugewerbe bereits gute Erfahrungen gemacht. Ein Maurer hat sich ein neues Verfahren für die Arbeit mit Mörtel und Steinen ausgedacht und hat nun viel mehr Freude am Job.“

Soll man hier noch lachen oder heulen. Bei solchen Sätzen wird der Hund in der Pfanne verrückt.

j) Das Prinzip der schöpferischen Zerstörung dient auch einer neuen Durchmischung der Gesellschaft. Die Reichen müssen sich neu anstrengen, um ihre führenden Plätze nicht zu verlieren. Die Armen haben alle Chancen der Welt, die Reichen aus ihren Sesseln zu holen. Merke: das beste Mittel, Gerechtigkeit herzustellen, ist, die Konkurrenz noch mehr anzustacheln und den Kampf aller gegen alle noch mehr zu verschärfen.

k) Letzte Frage des Interviewers an den hohen Gelehrten: „Wie kann ich bei meinen Kindern Innovations-Mentalität fördern?

Phelps: „Geben Sie ihnen die großen Philosophen zu lesen. Aristoteles, Cervantes, Montaigne haben sich mit Fragen zum guten Leben beschäftigt, das ohne Selbstverwirklichung und Ausprobieren nicht funktioniert.“

Kann es sein, dass die europäischen Philosophen sich ein gelungenes Leben völlig anders vorgestellt haben als Phelps Fieberträume? Aristoteles ist das absolute Gegenteil zu Phelps. Galoppierende Finsternis, dein Name ist Ökonom!

NB. Kaum erwähnenswert, dass der Interviewer, der Leitende Wirtschaftsredakteur der WELT, nur alibikritische Fragen stellte.

Noch weniger erwähnenswert: Wenn Phelps Höllentanz nicht gestoppt wird, ist die Zukunft des Menschen jetzt schon vorüber. Der amerikanische Neucalvinismus hat der sündigen Menschheit das letzte Stündlein eingeläutet.