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Hassbekämpfung

Hello, Freunde der Hassbekämpfung,

ein neues Gesetz soll hassbedingte Kriminalität schärfer als bisher ahnden. (TAZ)

Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen. Priester aller drei Erlösungsreligionen, Repräsentanten der christlichen Kirche, die sich von den Verfluchungen und Verdammungen ihrer heiligen Schriften nicht kategorisch distanzieren, die Dogmatik von Himmel und Hölle nicht verwerfen, den Hass auf die Welt nicht aus ihren Predigten streichen, die Selbstbestimmung des Menschen nicht als Sünde wider den Geist disqualifizieren, ergo ihre gesammelten unfehlbaren Offenbarungen nicht als Gefahr für die Menschheit brandmarken, werden hinter schwedischen Gardinen verschwinden.

Auch BILD-Chef Diekmann wird in den Knast wandern. Seine Postille hasst die Palästinenser, deren Leid sie nicht abbildet. Hinter der Maske der Loyalität hasst BILD auch die israelische Regierung, deren Menschenrechtsverbrechen sie als heiliges Privileg verteidigt. Doppelzüngig verstößt BILD gegen Weisungen ihres eigenen Gottes, für den sie täglich einen verbalen Kreuzzug durchführt. Dieser Gott sagt unmissverständlich:

„Wer mit Kritik spart, der hasst seinen Sohn; wer ihn liebhat, der rüffelt ihn beizeiten.“ (Spr. 13,24)

„Du darfst dem Knaben scharfen Tadel nicht ersparen. Wohl schlägst du ihn mit der Rute der Kritik, dafür wirst du sein Leben vom Tode erretten.“ (Spr. 23,13)

In welchem Maß ist Religion mit Gewalt identisch? Dieser Frage geht

der emeritierte protestantische Theologe Friedrich Wilhelm Graf in der FAZ nach. Wenn das kein realer Fortschritt ist: Religion gilt nicht mehr automatisch als Friede, Freude, Nächstenliebe.

Erst in der Gegenwart scheint sich dies nun zu ändern, nicht wegen des neuen biologistisch naiven, reflexionsresistenten Trivialatheismus eines Richard Dawkins, sondern wegen der vielen verstörenden Erfahrungen mit gewalttätiger Religiosität. Fromme Menschen, die sich in ihrer Heilsgewissheit dazu legitimiert sehen, zu morden und zu brandschatzen, „heilige Kriege“ zu führen, Mädchen zu vergewaltigen, Kinder als Selbstmordattentäter in den Tod zu schicken, zwingen dazu, verstärkt darüber nachzudenken, dass Religion nicht als solche gut ist.“

Erst in der Gegenwart zeigen sich die mörderischen Seiten der Religion? Hat Graf schon mal von Kreuzzügen gehört, von der Kolonialisierung der neuen Welt durch Priester und höriger Soldateska, von Ketzer- und Hexenverbrennungen?

Graf kritisiert das Christentum und entschärft zugleich seine Kritik, indem er abstrakt und allgemein über Religion spricht. „Keine Religion ist friedlicher als andere“.

Es gibt keine allgemeine Religion. Jede Religion muss in ihrer Eigenart untersucht werden. Eine grobe Unterscheidung ist vertretbar: es gibt Erlöser- und Naturreligionen.

Matriarchalische Naturreligionen verherrlichen die Natur als Mutter aller Dinge, Erlöserreligionen sind polemische Produkte maskuliner „Hoch“-Kulturen, die sich das Zertifikat des Höheren selbst ausgestellt haben, um sich von primitiven, geistlosen und vegetativen Mütterreligionen abzugrenzen.

Hier beginnt der Glaube an den Fortschritt, eine Unterabteilung des Glaubens an den omnipotenten Mann, der sich anmaßt, die Natur zur geschaffenen erniedrigt zu haben. Natur, die durch sich selbst ist, was sie ist – das hat die Männer zur Weißglut gebracht. Also kreierten sie den Schöpfer, der aus Nichts die Natur erschafft – und sie am Ende der Heilsgeschichte wieder ins Nichts verstoßen wird, um eine brandneue Schöpfung aus dem Zylinder zu zaubern.

Naturreligionen kennen keine höhere Devise als mit der Natur im Einklang zu leben. Ihre Einstellung zu rivalisierenden Nachbarstämmen ist nicht per se pazifistisch. Doch den Auftrag, ihre Konkurrenten als Glaubensfeinde im Namen eines Gottes zu eliminieren, ist ihnen unbekannt. Im absoluten Gegensatz zu männlichen Erlöserreligionen, die vom begrenzten Aufenthalt der Menschheit auf der Erde überzeugt sind.

Das Damoklesschwert schwebt von Anfang an über der Natur. Die neu erfundene Heilszeit ist begrenzt. Das Ziel des Menschen ist kein sinnvolles Leben auf Erden, der Mittelpunkt des gläubigen Menschen liegt nicht in der Natur. Natur muss geschleift werden, damit die wahre Heimat des Menschen von Oben erscheinen kann. Das Leben des Menschen auf Erden ist eine vorläufige Test- und Prüfungszeit. Wie gut der Mensch die göttlichen Prüfungen besteht, entscheidet über seinen Rang in der wahren himmlischen Heimat.

Indem Graf unterschiedslos von Religionen spricht, kann er seine Kritik am Christentum mit dem unausgesprochenen Motto abschwächen: cosi fan tutte, im Grunde treibens alle Religionen gleich. Nein, tun sie nicht.

In der Vergangenheit, behauptet Graf, sei Religion eine vom Staat geschützte Ideologie gewesen. Die Obrigkeiten hatten den machterhaltenden Faktor der Religionen von Anfang an erkannt und stellten Blasphemie oder Gotteslästerung unter Strafe. In Deutschland gilt noch immer § 166: Gotteslästerung ist strafbar, wenn sie geeignet ist, „den öffentlichen Frieden zu stören.“

Damit wird der Paragraf zum Handlungsprivileg der Frommen, die sich durch jedwede Religionskritik in ihrem Seelenfrieden gestört fühlen. Der deutsche Paragraf verstößt gegen eindeutige Äußerungen des Menschenrechtskomitees der UN, die folgendes verbieten:

„Die Verfechtung nationalen, rassistischen oder religiösen Hasses, welche zur Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt anstiftet.“

Nach dieser Definition wären alle Hassprediger der drei Erlöserreligionen strafwürdig. Es genügt nicht, Teile der Dogmatik in der öffentliche Debatte zu verleugnen oder unter den Teppich zu kehren, doch den Kindern im staatlichen Religionsunterricht in die prägsame Seele einzugravieren.

Es gelten die offiziellen Glaubensbekenntnisse der Kirchen und alle Teile ihrer heiligen Schriften, die sie nicht offiziell zu Makulatur erklärt haben: also alle.

Die Schriften kann man nicht nach Belieben einmal als unfehlbares Wort Gottes, ein andermal als deut- und verfälschbare Mitteilung belangloser Schriftsteller traktieren. (Warum ist die UN aus dem Mittelpunkt der Weltpolitik verschwunden? Weil sie für viele religiös geprägte Staaten allzu „fortschrittlich human“ war.)

Es ist Unsinn, wenn Graf behauptet, die Religionskritik der letzten Jahrhunderte sei bei aller Schärfe „auf den Grundton von Hochschätzung und Lob des Glaubens gestimmt.“ Was geschah mit Giordano Bruno? Er wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. So ging es vielen Ketzern und Rebellen, vor allem den gottlosen. Voltaires Kritik am Judentum war so ätzend, dass er noch heute als Antisemit gilt. Graf will den Eindruck erwecken, dass selbst Kritiker der Religion vom hochherzigen Glauben nicht losgekommen sind.

Nun die Hauptthese Grafs:

„Glaube an Gott kann den Menschen enthemmen, brutalisieren, mit Ekel und Hass erfüllen. Angriffe auf andere und deren Ermordung können als heilige Handlung liturgisch inszeniert werden. Dies gab es seit den Anfängen der menschlichen Religionsgeschichte, und es betrifft keineswegs nur bestimmte Religionen im Unterschied zu anderen, sondern jede historisch bekannte Religion.“

Das klingt so abstrakt, wie es klingen soll, um die schärfste Kritik fern zu halten. Glaube an Gott? An welchen Gott? Kennt Graf nur einen Gott? Wie viele Götter gibt es, die nichts miteinander gemein haben? Ein Gott der Natur, der Vernunft, ist das genaue Gegenteil des Erlösungsgottes.

Theologe Graf hat nicht den Mut, klar Deutsch zu reden: es handelt sich um den Gott der Bibel, wobei der jüdische Rachegott des Alten Testaments – nach Meinung der Christen – mit dem Liebesgott des Neuen Testaments nichts mehr zu tun hat.

Irrtum, Herr Pfarrer. Der liebe Gott der Christen ist der Chef der Hölle, dem Ort einer schrecklichen Strafe, die niemals enden wird. So stellt man sich einen Gott der Liebe und Barmherzigkeit vor.

Geradezu verleumderisch ist es, wenn Graf alle Religionen unterschiedslos unter dem Diktat der Gewalt sieht. Es gibt viele Religionen, die völlig friedlich sind – und ihre Friedlichkeit schwer bezahlen mussten, als blutgierige Knechte des Christengottes sie überfielen, versklavten oder ausrotteten. Vermutlich sind „primitive“ Naturreligionen für den Vertreter der männlichen Hochkultur keine echten Religionen.

Richtig ist aber, dass der im Westen als pazifistisch angesehene Buddhismus alles andere als friedliebend ist. (Siehe die Bücher von Victor und Victoria Trimondi.)

Man muss Graf bescheinigen, dass er, im Gegensatz zu 99% seiner Kollegen, christliche Selbstkritik üben will.

„Aber in einigen afrikanischen Ländern kämpfen christliche Akteure brutal gegen muslimische Bevölkerungsgruppen, und auch aus der neueren Zeitgeschichte Europas sind Konflikte bekannt, in denen Klerikereliten christliche Symbole und Riten zur Mobilisierung der Kampfbereiten einsetzten: In den Sezessionskriegen des zerfallenden Jugoslawiens beschworen römisch-katholische Geistliche in Kroatien eine innere Einheit von kroatischer Nation und eigener Kirche, und zugleich forderten die höchsten Repräsentanten der Serbischen Orthodoxen Kirche ein Großserbien, als dessen moralische Avantgarde sie sich selbst sahen. Mehrere hundert junge Griechen folgten den von der Kanzel herab verkündeten Aufrufen ihrer Priester, gegen Katholiken und Muslime für die „orthodoxe Sache“ in den „heiligen Krieg“ zu ziehen.“

Auch im Osten Europas, bei den russisch orthodoxen Kirchen, könne man ähnlich militante Züge beobachten.

Graf kritisiert westliche Intellektuelle, die sich schwer tun, Religion mit Gewalt in Verbindung zu bringen.

Fast alle deutschen Edelschreiber sind davon überzeugt, dass Religionen nur benutzt würden, um finstere politische Interessen durchzusetzen. Besteht aber eine Erlösungsreligion nicht aus einem einzigen Interesse: die persönliche Seligkeit zu erwerben, indem man die Welt dem Teufel entreißt und dem himmlischen Vater als Eigentum zurückbringt? Im Christentum ist das Interesse an der eigenen Seligkeit identisch mit der Sucht nach Weltherrschaft.

Schon bekommt Graf weiche Knie. Im Allgemeinen und Abstrakten kann man ja mal kritisch werden. Aber im Besonderen? Ist die jüdische Religion als Mutter des Christentums auch im Kern gewalttätig? Ist das nicht eine verruchte antisemitische Sicht der Dinge?

„Jan Assmann, der bedeutende Heidelberger Ägyptologe, sucht im vieldiskutierten Konzept der „mosaischen Unterscheidung“ den Ursprung religiös motivierter Gewalt im radikalen Monotheismus der Offenbarung: Das erste Gebot: „Ich bin der Herr Dein Gott, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, sei die Quelle von Intoleranz, Fanatismus, Glaubenshass und Bereitschaft zur Vernichtung Andersgläubiger. Keine dieser Deutungen kann überzeugen.“

Argumente? Keine. Religionskritik ist in Deutschland zwar erlaubt, doch Kritik an der jüdischen Religion ist Tabu. Ja, noch mehr: da das Christentum aus dem Judentum entstanden ist, muss Kritik am Christentum ein tertiärer Antisemitismus sein.

Man fasst sich an den Kopf. Ist die vorbildliche Villa im Nahostdschungel keine Demokratie mehr mit Meinungs- und Glaubensfreiheit? Ist jeder Jude per biologischer Abstammung verpflichtet, ein ultrareligiöser Jude zu werden? Gewiss, viele Juden kokettieren mit der Aussage, das Judesein könne man nicht so genau definieren. Doch, kann man. Muss man. Sonst hat man als zionistisch-atheistischer Jude keine Rückenfreiheit, die Hasspolitik der Ultras zu kritisieren.

Man kann verstehen, dass nach dem Holocaust jeder Jude sich mit allen Opfern der Nationalsozialisten solidarisch und identisch fühlte. Doch die Zeiten sind vorangeschritten. Wenn in Israel im Namen der Religion schwere Menschenrechtsverbrechen verübt werden, muss jeder Jude eindeutig Stellung beziehen. Wer nicht Nein sagt zur großbiblischen Landnahmepolitik Netanjahus, hat Ja gesagt.

Eine jüdische Religion gibt es nur als historisches Etikett. Wer kein gläubiger Jude sein will, muss es auch nicht sein. Niemand zwingt ihn. Was also hat er mit der jüdischen Religion zu tun? Kann ein Zeitgenosse für die Taten seiner Steinzeitvorfahren verantwortlich gemacht werden? Das ist abenteuerlich. Wenn er sich allerdings zur „Religion seiner Väter“ bekennt, muss er Rede und Antwort stehen.

Die Grundaussage der Bibel zum Hass auf alle Ungläubigen wird von Graf vom Tisch gefegt. Gleichwohl gilt für die ganze Bibel: „Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“

Wann fällt man in die schrecklichen Hände des Gottes? Wenn man Jahwe nicht mehr anbetet und nicht mehr vor ihm niederkniet. „Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.“ War das eine Liebespredigt oder die Äußerung eines ungezügelten Hasses auf alle, die nach eigener Facon selig werden wollen?

Nach Erscheinen seines Buches hat Jan Assmann sich feige von den Grundthesen seines Werkes distanziert. Graf schließt sich feige an.

Jetzt kommt Grafs mutigster Satz: „Gewaltbereitschaft und aggressive Enthemmung haben ihren Ursprung im Zentrum religiösen Glaubens“.

Doch welche Folgerungen zieht er aus dem Satz? Keine: „Dennoch ist die neue Glaubensgewalt in allen Kontinuitäten der globalen Religionsgeschichten ein höchst modernes Phänomen.“

Wir übersetzen in triviales Deutsch: Religion ist Gewalt, doch mit der Gewalt der religiösen Moderne hat sie nichts zu tun.

Früher erschien an dieser Stelle der Hinweis, wir lebten nicht mehr in religiösen Zeiten, sondern in gottlosen und säkularen. Doch allmählich dringt durch, dass die Hauptfaktoren der säkularen Moderne nichts als politische Konkretionen einer weltbeherrschenden Religion sind.

Graf muss vor der eigenen Courage erschrocken sein. Schnell entbeint er seine Hauptthese zu einem Ereignis ohne Folgen. Die Modernen würden nur subjektiven Interessen folgen, wenn sie religiöse Motive vorgeben. Das sei der Trick einer „Hermeneutik der radikalen Gleichzeitigkeit“.

Wie meinen, Herr Geistbegabter? Wenn die Gläubigen der Gegenwart ihre Liebestaten auf den Gott der Liebe zurückführen: ist das nicht auch eine Hermeneutik der Gegenwart? Wer böse Taten mit Religion motiviert, bedient sich einer erschlichenen Gleichzeitigkeit. Wer aber gute Taten mit Religion motiviert, der darf mit Gott gleichzeitig sein?

Der Buchstabe tötet, der Geist der historisierenden Relativierung rettet die Texte vor böswilliger Kritik. Wie Gottesgelehrte es gerade brauchen. Einmal wörtlich, direkt und eindeutig, ein andermal metaphorisch, historisch abgetan und für Moderne nicht mehr verpflichtend.

Uni-Theologen hatten in der Gemeinde oft den Ruch, nur noch Gottlose zu sein. Was glaubt nun der „kritische Theologe“ Graf selbst? Er glaubt nicht was, sondern wie:

„Bisweilen wird man als kritischer Theologe gefragt, was man denn eigentlich noch glaube. Die Frage ist falsch gestellt. Nicht was, sondern wie man glaubt, dürfte entscheidend sein.“

Da schau an, auf den Inhalt kommt‘s gar nicht mehr an. Hauptsache, man hat Beinfreiheit nach allen Seiten. Wenn das nicht nach Faust klingt, der sich der Gretchenfrage mit deutschem Geschwafel entziehen will:

„Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
»Ich glaub ihn!«?
Wer empfinden,
Und sich unterwinden
Zu sagen: »Ich glaub ihn nicht!«?
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?

Nenn es dann, wie du willst,
Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.“

Das ist noch immer das Glaubensbekenntnis deutscher Intellektueller. Offiziell sagt man sich nicht los von der Religion, doch den Inhalt verwandelt man in sentimentalen Brei, der alles und nichts bedeuten kann. Wer Religion als „Berührung mit Etwas“ definiert, kann nicht mehr fehl gehen. Weder bei seinem Pastor noch in der Kirchenredaktion.

Graf kennt die Gefahren der Religion (die doch durch historische Ungleichzeitigkeit gar nicht vorhanden sein können??), weiß sich aber durch Zerstäubung des Inhalts zu schützen. Das Geglaubte soll man nicht allzu ernst nehmen.

Warum sind Religionen vor dem Gewaltvirus nie gefeit? Weil Religionen kosmische Ordnung stiften. Diese Ordnung ist immer von sündigen Menschen bedroht, die von Gott gerichtet und bestraft werden müssen.

Graf sollte mal ein Buch über den Kosmos der Griechen lesen. Erstaunt würde er feststellen, dass Menschen zwar irren können – ohne jedoch als Versager und Feinde der Natur in ein imaginäres ewiges Feuer verbannt zu werden.

Wenn Religion einen Sündenfall benötigt, um Menschen zu Sündern zu stempeln, darf man sich nicht wundern, dass Gott zur Gewalt greifen muss, um die ursprüngliche Ordnung wiederherzustellen.

Graf verteidigt aber auch die Religion, schon immer habe sie die Machtansprüche weltlicher Herrscher kritisiert.

Irrtum. Religion kritisiert nicht, sie verdammt und verurteilt, indem sie alles lässt, wie es ist – bis zum Ende aller Tage. Wie kann eine Religion Obrigkeiten kritisieren, wenn sie allen Menschen befiehlt, diesen Obrigkeiten untertan zu sein? Was wäre das für eine absurde Kritik, eine unvollkommene weltliche Macht zu kritisieren im Namen einer allmächtigen Himmelsmacht, vor der es überhaupt kein Entrinnen gibt?

Graf erhebt den Anspruch, den christlichen Glauben kritisch zu sehen. Von einer elementaren Kritik aber ist er weit entfernt. Alles Kritische, das er konstatieren muss, schiebt er einer abstrakten Religion oder einer tumben Gemeinde in die Schuhe. Jede Religion müsse so sein wie die christliche, das ginge nicht anders. Sonst wäre sie keine Religion.

Sein eigener Glaube hat sich zu einem undefinierbaren Gewölk verflüchtigt. Auffällig, dass der systematische Theologe fast ohne „Schriftbeweise“ auskommt. Er hat das Konstrukt einer allgemeinen Religion, aber nicht die konkrete christliche Botschaft zur Brust genommen.

Graf macht sich die Position des romantischen Theologen Schleiermacher zu eigen: Jeder Christ, der im Besitz des heiligen Geistes ist, ist in der Lage, seine eigene biblia sacra zu verfassen.

Was ist ein Wunder? Wenn jeder Christ seinen Glauben täglich neu erfinden kann – und die uralten Hassparolen der christlichen Religion dennoch unverändert die Welt in Schutt und Asche legen.