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Tagesmail vom 21.02.2022

… zum Logos XXXV,

„Deutschland stolpert unvorbereitet durch eine von historisch vielen Krisen heimgesuchte Welt.“ (Sueddeutsche.de)

Gestern schlafwandelten sie, heute stolpern sie, morgen werden sie in den Abgrund stürzen. Schuldlos und unvorbereitet.

Und das in einer Welt, die heimgesucht wird von Krisen. Doch dies ist ihr Schicksal: Opfer einer bösen Welt zu sein, die von Krise zu Krise stolpert. Daran sind sie selber schuld. Wer arglos und gutgläubig durch die Geschichte zu kommen glaubt, wird für seine Überheblichkeit bestraft:

„Dieses Grundvertrauen in das Gute und Wahre, in die Kraft des Vorbilds, kann man schon für überheblich halten. Heute, im Krisenwirbel der Zeit, ist es gefährlich, Außenpolitik mit den Vorstellungen der Nachwendejahre zu gestalten und sich ansonsten in moralische Überlegenheit zu flüchten. Mögen die anderen doch Waffen kaufen – für Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs ausgeschlossen, weil die Vernunft ihn verbietet. Das Problem ist: Wladimir Putin hält einen Krieg nicht zum ersten Mal für ein probates Mittel, um seine Interessen durchzusetzen. Die Welt, die Deutschland sich schönfärbt, schillert in der Regel in hartem Schwarz oder Weiß.“

Das ist das Fallbeil für alle Vernunft-Werte, die in der Nachkriegszeit galten, heute aber nur die eigene Existenz gefährden. Wer zu gut sein will in der bösen Welt, wird von ihr zermalmt.

Der SZ-Artikel ist eine kategorische Absage an alle abendländisch-griechischen Werte. Danach kann nur noch eines geschehen: die Abschaffung der Demokratie.

Deutschlands Blick auf die Welt ist arglos, gutmütig und in einheitlich-freundlicher Farbe gemalt. Im Gegensatz zum wilden Osten, der die Welt in ein hartes Weiß oder Schwarz spaltet.

Wir kennen keine Feinde, sind jedermanns Freund und Geschäftspartner. Unsere Parole heißt Wirtschaft. Wirtschaft mit jedermann, der etwas zu bieten hat. Wer nichts anzubieten hat, hat Pech gehabt – an dem wir gewisslich unschuldig sind.

Gutes und Wahres lässt sich in Heller und Pfennig berechnen. Unser Katechismus besteht aus do ut des, ich gebe, damit du gibst. Hast du nichts zu bieten, Pech für dich. Nicht, dass du schwarz oder böse wärst, du bist nur überflüssig. Die Evolution wird über dich hinwegschreiten. Vielleicht weinen wir dir eine Träne hinterher.

„Das Land, das seine Balance in der Welt in guten Geschäften und guten Ratschlägen fand, muss feststellen, dass eine Gewissheit nach der anderen wankt, der Einfluss schwindet und die ach so bequeme Stabilität dahinschmilzt. Ein Gefühl der Unsicherheit, manchmal gar der Hoffnungslosigkeit hat sich breitgemacht.“

Gute Geschäfte sind unsere Balance, die nie so ausbalanciert sein dürfen, dass wir keinen Gewinn machen können. Weil wir zumeist besser abschnitten, mussten wir uns erkenntlich zeigen und den Verlierern gute Ratschläge geben.

Gute Ratschläge sind keine Ratschläge über das Gute. Sie sind mehr ökonomische Schläge als Belehrungen, die immer aus einem Satz bestanden: werdet wie wir, dann werdet auch ihr ins Himmelreich des Wohlstands kommen.

Wie wir wurden, was wir heute sind? Ganz einfach. Man muss nur jahrhundertelang danach streben, die Besten und Mächtigsten der Welt zu werden, bereit sein, schreckliche Kriege zu führen, das Gute und Wahre beiseite zu schieben, zu Heroen oder Opfern der Weltgeschichte zu werden, immer wieder von vorne zu beginnen, immer neu wiedergeboren zu werden. Und siehe, plötzlich standen wir dort, wohin wir schon immer wollten: wir belieferten die Völker mit Autos, damit sie uns im Urlaub aufnehmen in ihre freundlichen Hütten, uns mit südländischer Lebensfreude verhätscheln und unsere Tüchtigkeit bewundern.

Mit Geld ist alles käuflich, selbst ein gutes Leben.

Nein, Macht über die Welt wollten wir nicht mehr. Nur Einfluss. Mit Macht und Übermacht hatten wir schlechte Erfahrungen gemacht. Hier waren wir gebrannte Kinder. Die rohe Macht überließen wir jenen, die sonst nicht zu bieten hatten in der Welt.

Warum sich dennoch die Hoffnungslosigkeit bei uns breit gemacht hat? Unsere wirtschaftlichen Qualitäten haben nachgelassen. Die Weltgiganten wurden immer mächtiger, ihre technischen Fähigkeiten stellten uns in den Schatten.

Ja, wir müssen zugeben, wir waren satt geworden und hatten unseren Ehrgeiz verloren. Wir waren zu überheblich geworden. Schon wieder überheblich? Nicht mehr im Guten und Wahren, sondern in technischem Fortschritt.

Offenbar sind wir eine überhebliche Nation. Na ja, wen verwundert es? Früher waren wir eine messianische Nation und wollten die Welt erlösen, sonst nichts. Bitte kein Gegrummel in den hinteren Reihen. Wir waren nicht die einzigen Erlöser der Welt. Welche christliche Nation wollte die Welt nicht erlösen? Sie stellten es nur klüger an als wir, die wir die Welt mit Mord und Totschlag erlösen wollten.

Sie setzten zwei Schwerter ein, um die Welt von ihrer Überlegenheit zu überzeugen: das scharfe Schwert der Waffen und das friedliche des Geldes und ihrer Produkte, mit denen sie die Welt überschwemmen konnten.

Wir hingegen mussten Schulgeld bezahlen, um das blutige Schwert beiseite zu legen und das des Kapitalismus zu übernehmen, dem wir früher gar nicht gewogen waren. Heute wissen wir, zwei Schwerter sind effektiver als eins. Das blutige öffnet Grenzen, damit das unblutige Reibach machen kann.

Oh, beinahe hätten wir das wichtigste Schwert vergessen, das uns die Hoheit über die heidnische Welt sicherte: das Schwert des Glaubens.

Siehe, der Heilige des Abendlands war nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Das Schwert des Priesters ebnete dem christlichen Kaufmann die Wege in den Urwald.

Das gilt noch heute. Christliche Weltmächte erfinden eine Lüge, um Länder mit Rohstoffen zu überfallen und ihre ökonomische Übermacht zu sichern.

Selbst der unschuldig wirkende wirtschaftliche Wettbewerb birgt Konflikte, die eines Tages nur mit Waffengewalt gelöst werden können. Der Zerfall der EU ist der sichtbare Beweis für die destruktive Gewalt kapitalistischer Konkurrenz. Als wirtschaftliche Union begann die EU, um sich später zu einer gemeinsamen Regierung zusammenzuschließen. Doch der Ehrgeiz, die beste Wirtschaft zu haben, bestimmte auch den Egoismus der ökonomischen Konkurrenz.

„Die Nichtbeistands-Klausel (auch No-Bailout-Klausel) bezeichnet eine fundamentale Klausel der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU), die in Art. 125 AEU-Vertrag festgelegt ist und die Haftung der Europäischen Union sowie aller EU-Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten einzelner Mitgliedstaaten ausschließt. Die Gemeinschaft haftet nicht für die Verpflichtungen der Regierungen.“ (Wiki)

Einen friedlichen Wettbewerb zum Nutzen aller kann es nicht geben. Das war nicht der Zweck der Konkurrenz, die zwar auch gemeinsame Vorteile für alle Nationen bringen sollte, im Wesentlichen aber das allgemeine Gute nur als Alibi benutzte, um den Sieg der Besten über die Minderwertigen zu rechtfertigen.

Die christlichen Demokraten der Bundesregierung waren die egoistischsten unter den Bündnispartnern, die sich gegen die Unterstützung der Griechen in schwierigen Finanzsituationen wehrten.

Die – unausgesprochene – Maxime der deutschen Christen war: jeder helfe sich selbst, dann ist allen geholfen. Nachdem sich Kohl als solidarisches Mitglied der EU betätigt hatte, musste derselbe Wertekanon bei seiner Nachfolgerin für das Gegenteil herhalten.

Was sind die Werte der CDU?

„Auch nach der Präambel des Grundsatzprogramms von 2007 orientiert sich die CDU „am christlichen Bild vom Menschen und seiner unantastbaren Würde und davon ausgehend an den Grundwerten Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit.“

Keiner dieser Werte hat das Geringste mit dem Christentum zu tun. Das biblische Menschenbild ist Gottähnlichkeit, in Demokratien gibt es keine Götter. Ganz zu schweigen von Freiheit, Solidarität und Gleichheit, die Werte autonomer Demokraten in einer Polis sind, in der private Religionsüberzeugungen möglich sind, aber niemals die Politik beeinflussen dürfen.

„Für Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs ausgeschlossen, weil die Vernunft ihn verbietet. So musste also der Augenblick kommen, da diese unbarmherzige Welt auch das zaghafte Deutschland an seiner größten Schwäche packt: der Moral. Ist es verwerflich und gar kriegsfördernd, der bedrohten Ukraine zu ihrer eigenen Verteidigung Waffen zu stellen? Oder gibt es nicht geradezu eine Verpflichtung, einem der größten Opfervölker der Nazi-Gräueltaten zu helfen, einen Überfall des russischen Nachbarn abzuwehren?“

Welche Vernunft? Die machiavellistische Vernunft der Interessen oder die Vernunft der Moral? Niemand in Deutschland hält den Krieg für unwahrscheinlich, nur weil die Vernunft es verböte. Das wäre ein Komiker.

Friedensfreunde halten Kriege in der Welt jederzeit für möglich. Aus diesem Grund appellieren sie an die Vernunft der Mächtigen, sich für den Frieden einzusetzen

Die Katze ist aus dem Sack, nicht zum ersten Mal: die größte Schwäche der Deutschen ist ihre Moral. Doch es ist ein leerer Satz, denn Moral ist der Oberbegriff aller Moralen dieser Welt. Eine Nichtmoral gibt es nicht. Es gibt nur verschiedene, sich widersprechende, ergänzende oder sich bis aufs Messer bekämpfende Moralen.

Kant propagierte den ewigen Frieden, Hegel importierte den Machiavellismus, der sich aller Mittel bedienen durfte, um seinen egoistischen Willen durchzusetzen. Das steigerte sich bis zur Berechtigung eines grenzenlosen Willens zur Macht im Dienst eines messianischen Volkes, das sich berechtigt fühlte, im Auftrag Gottes alle Verfluchten zu eliminieren und alle Erwählten auf den Thron zu setzen.

Sind christliche Grundwerte dazu da, die wirtschaftlichen Interessen eines Volkes bedingungslos durchzusetzen?

Als Wolfgang Schäuble einstmals nach der Berechtigung einer christlichen Regierung gefragt wurde, gegen die Maximen der Bergpredigt Politik zu machen, war seine Antwort, die Bergpredigt habe in der Politik nichts zu suchen. Das war dieselbe Überzeugung wie die von Bismarck, der seiner zukünftigen Frau in einem Brief mitteilte, dass er mit der Bergpredigt keine Machtpolitik betreiben könne.

Damit hätten wir das Schema christlicher Wertepolitik. Generell gelten die Werte der Schrift, es sei, sie sind untauglich, um sich in der Welt zu behaupten. Dann gilt: hier ist die Schrift nicht mehr zuständig. Wir verlassen das heilige Territorium des Tempels und gehen mit gezücktem Schwert in die böse Welt.

„Es ist ja bezeichnend für die deutsche Debatte, dass sie nahezu ausschließlich in moralischen Kategorien geführt wird, nicht aber entlang der Frage entschieden wird, was hilft, deutsche Interessen durchzusetzen? Was bedeuten noch die klassischen militärischen Grundsätze der Abschreckung und einer glaubwürdigen Verteidigungsfähigkeit?“

Momentan spaltet sich die Nation in eine Minderheit der „Putinfreunde“ und die Mehrheit der Putingegner. Soll man seinen kriegerischen Drohgebärden mit denselben Mitteln begegnen oder hat Deutschland die Pflicht, Bösem mit Gutem zu begegnen?

Gilt der römische Grundsatz noch heute: Willst du Frieden, rüste zum Krieg?

Inzwischen müsste er lauten: Willst du Frieden, sorge für einen stabilen Frieden, der jede Kriegsbereitschaft im Keim erstickt. Antike Kriege waren noch nicht global, sondern regional begrenzt. Das war noch eine gewisse Berechtigung, mit einem begrenzten Krieg einen langen Frieden herzustellen.

Im atomaren Zeitalter ist die Begrenzung ausgeschlossen. Jeder regionale Krieg könnte sich im Handumdrehen in eine atomare Gesamtkatastrophe verwandeln. Das wird heute prinzipiell übersehen. Wenn‘s hoch kommt, besetzt Putin Teile der Ukraine oder auch ein bisschen mehr. Die Gefahr einer ungeplanten Ausweitung des Konflikts in eine globale Konfrontation besteht permanent.

Sie spielen gern mit dem Feuer, die Modernen, um die Langweile des Friedens zu ertragen. Lieber zündeln sie und riskieren die Große Katastrophe als das ganze Zündeln zu lassen.

Es ist dasselbe Prinzip wie beim Fortschritt, den man unter allen Umständen vorantreibt, auch wenn „unerwünschte Nebenfolgen“ die Menschheit in Gefahr bringen.

„Während die Welt rauer und unberechenbarer wird, flüchtet sich Deutschland in eine Ideallandschaft, getreu dem Grundsatz, dass sich das Gute schon durchsetzen wird.“

Tatsächlich flüchteten sich die Deutschen der letzten Jahre – in die Arme einer Mutter, die den brisantesten Wissenschaftsproblemen mit wortlosem Widerstand begegnete!

„»Ich bin durch diese Zeit nur gekommen, weil ich mich dieser Atemlosigkeit entgegengestellt habe«, sagt sie. »Sonst hätte ich das nicht durchstehen können«. Eine Resümee, dass sicherlich auch für ihre Politkarriere als Ganzes gelten kann.“ (Berliner-Zeitung.de)

Die Medien, ihre treuesten Unterstützer, folgten demselben Prinzip, als sie die Politik Merkels stumm und kritiklos begleiteten. Ganz wie eine TV-Sendung ihre Regierungsjahre beschreibt:

„Eine neue Doku würdigt die Kanzlerin als große Staatsfrau, politische Fehler werden ausgeblendet.“

Merkel & Medien vereinigt in wortloser Absegnung dessen, was ist. Das erinnert an die Worte von Karl Kraus:

„Die größte Gefahr eines Krieges entsteht durch die Erzeugung einer Kriegshysterie; und zwar dann, wenn „die entwickelte Technik und die entwickelte Schamlosigkeit“ sich vereinen und mit den Möglichkeiten der Massenmedien die „Angst in eine Panik verwandelt“ wird. Dann werden Grenzen überschritten und es ist so, dass eine „Depesche ein Kriegsmittel wie eine Granate“ ist.“

Während Merkel sich ohne Kompass durch das Labyrinth der civitas diaboli quälte, verharrten die Medien bei ihrem Irrglauben, Fakten allein nach ihrem Ist zu bewerten. Sollte man sie nicht positiv verwandeln, damit sie dem Menschen nicht verderblich werden können?

Ob Krieg oder Frieden: die Medien machen sich mit nichts gemein.

Zöge morgen der Faschismus ein, sie blieben dabei: right or wrong: unsere Amoral bleibt der Gipfel der Objektivität.

Wenn die Frage beantwortet werden soll: kriegerische oder friedliche Reaktion gegen eine aktuelle Kriegsgefahr? wäre jede Antwort wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Nehmen wir an, Deutschland würde den konsequenten Friedensweg gehen und alle Waffen abschaffen: was könnte geschehen? Vermutlich eine Besetzung des Landes durch den Aggressor. Eine Auslöschung wäre höchst unwahrscheinlich. Eine Veränderung dieser Besatzungspolitik mit friedlichem Widerstand wäre nicht unmöglich. Die Welt hätte eine realistische Chance, sich zu regenerieren. Haben wir aus unserem Gedächtnis getilgt, was eine soziale Verteidigung oder ein gewaltloser Widerstand gegen fremde Besatzer ist? Wer gewaltfreien Widerstand als Alternative zur militanten Gegenwehr kategorisch ausschließt, riskiert jederzeit, dass ein regionaler Konflikt unsere gesamte Zivilisation eruptiv vernichtet.

Anders, wenn Deutschland sich mit kriegerischen Mitteln gegen den Krieg rüstete. Die Chance einer unberechenbaren Kettenreaktion bis zum Weltenbrand wäre wahrscheinlicher.

Wichtiger als solche Reißbrettspiele aber wäre die Grundsatzfrage: wie könnten wir eine solche Pest-Cholera- Ausweglosigkeit langfristig verhindern?

Antwort: mit einer weltumspannenden permanenten Friedenspolitik, die keine gefährlichen Spannungen zwischen den Staaten aufkommen lässt. Zu dieser Friedenspolitik gehört auch die Absage an den kapitalistischen Wettbewerb, der in eine gerechte Kooperationswirtschaft umgewandelt werden muss. Willst du Frieden, mache Frieden – und sonst nichts.

Diese Chance hatte die Welt nach dem Ende des Kalten Kriegs bei der beginnenden Friedensbereitschaft der zusammengebrochenen Sowjetunion – und einer amerikanischen Regierung, die sich noch den Maximen der UN-Charta verpflichtet fühlte: nationale Konflikte können nur durch universelle Friedenspolitik gelöst werden. Die Welt muss zu einem globalen Dorf zusammenwachsen und allen Menschen und Völkern die gleiche Würde zuerkennen.

Eine unglaubliche Weltperspektive. Noch nie waren die Völker der Chance eines universellen Friedens so nah wie damals. Doch dann drehte sich der Wind. In den USA kamen die Ultrafrommen aus der Versenkung und fühlten sich verpflichtet, ihrer biblischen Apokalypse eine Chance zu geben. Sie verfluchten alle heidnische Humanität, verfluchten die UN-Ideale und das friedliche Weltparlament der Völker – und rissen den Hebel herum in die entgegengesetzte Richtung.

Wenn das Ende der Welt droht und der Herr bereits vor der Türe steht und anklopft, muss die böse Welt von der guten mit allem bekämpft werden, was ihnen ihr allmächtiger Gott als Zerstörungspotential in die Hand gegeben hatte.

Die Spaltung der Welt in schwarz und weiß ist nicht die Erfindung Russlands, sondern der unversöhnliche Dualismus der Heiligen Schrift. Nebenbei: auch Putin ist längst zurückgekehrt in den Schoß der russischen Orthodoxie. Noch hat man nicht gehört, dass seine Popen ihn vor einem militaristischen Kurs gewarnt hätten. Auch sie sind bekennende Apokalyptiker. Ost und West sind vereint im Glauben, die Heilsgeschichte in biblischem Gehorsam zu vollenden.

In jenem schicksalsschweren Moment, als Gorbatschow – und nach ihm Putin – dem Westen die Hände zum Frieden reichten, hätte der Westen einen umfassenden Friedensplan vorlegen müssen, um Ost und West einander näher zu bringen, ihre Gesellschaftsstrukturen zu einer einheitlichen Weltordnung zusammenwachsen zu lassen.

Was geschah stattdessen? Das Gegenteil. In Amerika kamen jene an die Macht, die den alten Slogan: America first nicht aufgeben wollten. „Haben nicht wir gewonnen?“ fragte ein Präsident. Wer gewonnen hat, bestimmt die Spielregeln. Damals versprach der Westen den Russen, was sie heute leugnen: sie versprachen ihnen, alles zu tun, um ihnen ihre Friedensbereitschaft  zu beweisen. Alles für die Katz.

Die deutschen Putinfeinde verleugnen die Fehler des Westens und schieben alle Schuld dem Kriegsspieler Putin in die Schuhe.

Nach dem Grundsatz der westlichen Moderne: was vorbei ist, ist vorbei, wir schauen nicht zurück, wird alles verdrängt, was die heutige brandgefährliche Situation geschaffen hat. Der Westen verleugnet seine Fehler der Vergangenheit, um seine Schuld zu verdrängen. Denn ihr Gott vergibt ihnen, wenn sie seinen Geschichtsprozess mit allen Mitteln unterstützen.

Emotional glauben die Deutschen nicht mehr an eine Apokalypse, nominell aber schon. Niemand würde die Kirche unter Protest gegen das eschatologische Weltgezündel verlassen. Dennoch schauen sie unentwegt über den Ozean, um sich kundig zu machen, was sie zu denken haben.

Die Frommen sind dabei, das Ruder der Welt zu übernehmen. Die Geschichte der Menschheit geht für sie dem Ende entgegen. Sie glauben fest daran, dass sie von ihrem Herrn gekrönt werden:

„Dann werden zwei auf dem Felde sein; der eine wird angenommen, der andere wird preisgegeben. Zwei Frauen werden mahlen mit der Mühle; die eine wird angenommen, die andere wird preisgegeben. Darum wachet; denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, so würde er ja wachen und nicht in sein Haus einbrechen lassen. Darum seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.“

Als Auserwählte werden sie mit Schadenfreude auf die Verdammten dieser Erde herabblicken.

Fortsetzung folgt.