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… zum Logos XLI

Tagesmail vom 07.03.2022

… zum Logos XLI,

Pazifismus ist entweder eine private – vermutlich religiöse – Überzeugung, die jeder nur vor sich verantworten kann –

oder eine politische Maxime, die sich dem humanen Ziel einer friedlichen Menschheit verpflichtet fühlt und sich deshalb politischer Kritik stellen muss.

Etwa der Frage, ob es durchweg heißen muss: Frieden schaffen – ohne Waffen? Wären die Ukrainer, die sich mit Waffen gegen ihre Angreifer wehren, demnach ein nicht-pazifistisches Volk?

Die Deutschen hingegen: waren sie bislang pazifistisch – wie viele Kommentatoren behaupten –, weil sie ihre Bundeswehr verrotten ließen, sich möglichst wenig an Militäraktionen des Westens beteiligten und sich als etwas Besseres fühlten als etwa die Amerikaner – von denen sie sich gleichzeitig gegen alle Feinde der Demokratie schützen ließen?

„Der Krieg ist etwas von der Vernunft und Ethik Verwerfliches, aber hat für den Fortschritt in der Geschichte einen Nutzen. Alle Kriege sind soviel Versuche (zwar nicht in der Absicht der Menschen, aber doch in der Absicht der Natur), neue Verhältnisse der Staaten zustande zu bringen und durch Zerstörung, wenigstens Zerstückelung alter, neue Körper zu bilden, die sich aber wieder, entweder in sich selbst oder nebeneinander, nicht erhalten können und daher neue ähnliche Revolutionen erleiden müssen; bis endlich einmal, teils durch die bestmögliche Anordnung der bürgerlichen Verfassung innerlich, teils durch die gemeinschaftliche Verabredung und Gesetzgebung äußerlich, ein Zustand errichtet wird, der, einem bürgerlich gemeinen Wesen ähnlich, so wie ein Automat sich selbst erhalten kann.“ (Kant)

Selbst Kant, der große Friedensdenker, kam ohne Bellizismus nicht aus. Die Natur braucht das Negative, um Positives hervorzubringen: den Fortschritt. Fortschritt muss sein, er ist das Résumée der Geschichte und rechtfertigt alles.

Der friedliebende Mensch an sich würde kein Risiko eingehen, um Fortschritt zu erzeugen. Derohalben muss er dazu gezwungen werden von der weisen Natur, die den törichten Menschen mit wirksamen Mitteln zum Fortschritt erzieht. So autonom darf der Mensch also gar nicht sein. Zu seinem Glück muss er gezwungen werden. Wäre Natur eine Persönlichkeit, wäre sie demnach totalitär:

„Dank sei also der Natur für die Unvertragsamkeit, für die missgünstig wetteifernde Eitelkeit, für die nicht zu befriedigende Begierde zum Haben oder zum Herrschen. Ohne sie würden alle vortrefflichen Naturanlagen in der Menschheit ewig unentwickelt schlummern. Der Mensch will Eintracht, aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist: sie will Zwietracht.“ (Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht)

Weltbürger wissen, dass Fortschritt sein muss und wie man den Bürger verführt, um ihn wider alle Wünsche nach Ruhe aus der Spießerruhe zu treiben. Heute spricht man von Anreiz oder Motivation.

Demnach kann es nicht stimmen, dass die deutsche Aufklärung eine Epoche der ungetrübten Friedenssehnsucht sein konnte. Mitten in ihren Träumen erwachte sie zur Anerkennung des Nichtfriedens und des kriegerischen Heroismus.

Auf diesem Boden wurde die Romantik erzeugt, in der die Deutschen ihre Heldenverehrung fanden – die sie nur der weisen Zuchtrute Putins zu verdanken haben. Ein Hoch auf den russischen Menschenfeind.

Er weiß, dass die Welt endlich Ruhe haben will vor Krieg und Kriegsgeschrei, allein: Natur und Putin, wissen es besser; sie wollen Fortschritt bis zum Ende der Geschichte, wo der Mensch „wie ein Automat sich selbst erhalten kann“.

Staunet und freuet euch, die Natur selbst sorgt dafür, dass Menschen durch Morden und Zerstören zu Automaten werden, die sich selbst ernähren können.

Moment mal, müssen Menschen zu Automaten werden? Brauchen Automaten jeden Morgen ihr Müsli, jeden Mittag ihre Königsberger Klopse, um nicht kraftlos in sich zusammenzusacken? Außer Strom benötigen sie nichts mehr, um ihren perfekten Job zu erledigen. Freuet euch, ihr lahmen Enten aus Old Germany, dass auch die Träume von Silicon Valley auf deutschem Boden erwachsen sind. Das muss nationale Brillanz genug sein.

Hegel hat den heiligen Krieg der Romantik (und der späteren Geschichte der Deutschen) vorbereitet:

Fortschritt als „Erkennen des Wahren ist erst durch das Zerreißen der Einheit von Mensch und Natur möglich geworden.“ Fortschritt: der Inbegriff des Weltgeistes „schreitet immer vorwärts zu, weil nur der Geist Fortschreiten ist.“

Endlich ist das Rätsel gelöst, warum der deutsche Geist so viele Widersprüche erzeugt, dass Spießern die Haare zu Berge stehen. Er hat das Geheimnis der Dialektik gelüftet. Denn Dialektik ist die „Verbindung der Entgegensetzung, die absolute Verkehrung der Wirklichkeit; was als gut bestimmt ist, ist schlecht, was als schlecht, ist gut. Das ist der Kampf der Gegensätze, von Gut und Böse.“

Auch die Natur ist Schauplatz dieses Scharmützels. Natur ist kein Reich der Harmonie, wie deutsche Waldläufer und Naturfreunde behaupten. Sie ist ein Schlachtfeld der Widersprüche und des ewigen Kampfes. „Wie die Entwicklung des Baums die Widerlegung des Keims ist“, so die Entwicklung des Menschen auf dem Weg zur endgültigen Beherrschung der Natur. „Unrecht ist Recht in dem Übergang der Menschen von Natürlichkeit zur Sittlichkeit.“

Irgendwann muss natürlich Schluss sein mit dem ewig pubertierenden Kampf aller gegen alle. Bevor der Geist zur Ruhe kommen darf, muss er sich das Recht dazu durch Widerspruch und Überlebenskampf um Sein oder Nichtsein erstritten haben. „Mein Kampf“ muss die Parole jedes guten Deutschen sein, der auf sein Lebenswerk stolz sein will.

Jetzt reicht‘s, wo bleibt unser Pazifismus?

Mir reicht‘s schon lang: wie willst du Frieden schaffen, ohne zu wissen, wie die Scharmützel entstanden sind und wie man sie befrieden kann? Wenn die ganze Welt ein Schlachtfeld ist, wie kann sie zur Ruhe kommen, wenn keiner weiß wie?

Hast du es noch immer nicht kapiert? Deutschland, das Heimatland der Dialektik, will zur Ruhe kommen, indem es nicht zur Ruhe kommen darf, kapisco? Deutschland will Frieden, indem es den Krieg erklärt. Erst der Kampf, der alle Widersprüche beseitigt, indem diese sich gegenseitig auskochen, kann über dem Schlachtfeld triumphieren.

Das Ende aller Widersprüche schafft eine Welt des endgültigen Friedens – oder des messianischen Reichs. Fromme Begriffe vermied der gelernte Theologe. Er hatte erkannt, dass Deutsche sie weder verstehen noch ertragen. Also übertrug er alle Offenbarungsbegriffe in die Sprache der Welt, damit die Welt sie verstehe.

Hegel, ein Lutheraner, wollte ein ähnlich gewaltiges Werk vollbringen wie sein Wittenberger Vorbild. Wie jener das heilige Hebräisch und Griechisch ins Deutsche übersetzte, wollte er das Deutsche in die Sprache der Philosophie übersetzen. Da gab es zwei Kulturen und zwei grundverschiedene Sprachen, die kein Deutscher verstand. Diesen Urspalt zwischen Offenbarung und Weltsprache wollte der Stuttgarter überbrücken.

Das – so erkannte er – konnte nur geschehen, wenn zuvor der Zwiespalt messerscharf zerrissen wurde. Also griff er zum Seziermesser, um die Operation in schneidender Kälte und Präzision durchzuführen.

Der bereits röchelnde Leichnam Deutschland musste endgültig seziert und zerlegt werden, um ihn reif zu machen für die finale Wiederauferstehung. Das war das Geheimnis des Lebens. Es muss ans Kreuz gehängt werden, um niederzufahren zur Hölle und am dritten Tage wieder aufzuerstehen von den Toten.

Krieg, der Kampf und die Vernichtung der Gegensätze, ist die Voraussetzung aller Wiederauferstehung zum wahren Leben.

Hast du nicht bemerkt, wie schläfrige Deutsche in dem Moment wieder putzmunter wurden, als der Krieg ausgerufen wurde? Jetzt schlägt die Stunde der nächsten deutschen Wiedergeburt. Vernichtet das Alte und Einschläfernde, wir müssen uns wieder erneuern:

„Der Krieg ist unser Vater, er hat uns gezeugt im glühenden Schoße der Kampfgräben als ein neues Geschlecht. Daher sollen unsere Wertungen auch heroische, auch Wertungen von Kriegern und nicht solche von Krämern sein, die die Welt mit ihrer Elle messen möchten. Das einzige verlässliche Beziehungszentrum im Leben ist der Tod. An ihm lassen sich wirkliche Werte messen. An ihm wird die alte Welt gewogen und zu leicht befunden. Wir werden nirgends stehen, wo nicht die Flammenwerfer die große Säuberung durch das Nichts vollzogen hat. Wir sind keine Bürger oder Krämer. Wir sind Söhne von Kriegen und Bürgerkriegen, und erst wenn dies alles, dieses Schauspiel der im Leeren kreisenden Kreise hinweggefegt ist, wird sich das entfalten können, was noch an Natur, an Elementarem, an echter Wildheit, an Fähigkeit zu wirklicher Zeugung mit Blut und Samen in uns steckt. Ein neuer stahlharter Schlag des Menschen tritt in die Gegenwart.“ (Ernst  Jünger in Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik)

Ernst Jünger und seine Generation haben Hegels Dialektik in die Sprache des Kriegs übersetzt. Der Kampf der Gegensätze wurde zum Kampf hasserfüllter Feinde, in welchem galt: die … oder wir. Wir müssen Leben vernichten, das nicht wiedergeboren werden kann. Wir müssen töten, um zu sehen, was tot bleibt – oder sich zu neuem Leben erhebt. Das ist das Schibboleth des wahren Lebens, das den Tod nicht fürchtet, weil er nicht das letzte Wort sein kann.

Jetzt kriechen sie aus ihren Salons, Schreiber- und Krämerbuden und wissen plötzlich: Wir waren viel zu lange verweichlicht, verzärtelt und verhätschelt. Die kleinste Brise gegen uns brachte uns aus dem Takt.

Zuerst begann es – wie immer – mit der Schelte unserer Kinder: wie mimosenhaft, leistungsunfähig und hyperempfindlich sie seien, diese verwöhnten Weicheier, deren Leistungen – verglichen mit den Jugendlichen unserer Konkurrenznachbarn – ins Bodenlose sinken. Je bessere Noten man ihnen hinterherwirft, je weniger leisten sie. Tests und Prüfungen verabscheuen sie, weil sie ein objektives Auge fürchten. Heulsusig, wie sie sind, fürchten sie das unbestechliche Auge der Realität.

Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen – und vice versa. Wenn die Jungen keine anderen Vorbilder mehr haben als ihre ausgelaugten Ernährer, dürfen wir uns nicht wundern über diese Frechdachse, die nur noch an allem herumkritteln können, ohne zu verstehen, dass sie jene Erwachsene unter Druck setzen, die ihnen einen Weg in die Zukunft bauen können.

Wir waren viel zu lange pazifistisch gewesen. Nun wundern wir uns, wie Männer à la Putin das Ruder übernehmen und unsere Hasenfüßigkeit entlarven können. Mit uns kann man‘s ja machen, die wir jedem Hader aus dem Weg gehen. Kaum guckt uns einer mal scharf an, läuft‘s uns kalt über den Rücken: wir werden gecancelt, wir werden aussortiert – anstatt uns energisch zu wehren und einen echten Streit auf dem Marktplatz anzuzetteln.

Jetzt erst, wo der Krieg ausgebrochen ist, fühlen wir uns streitlustiger. Was waren wir für verwöhnte Zeitgenossen, dass wir nur noch die Hände ausstrecken mussten, um zu haben … zu geben hatten wir nichts mehr. Das wäre ja ein Verstoß gewesen gegen die Leistungsmaschinerien unserer Väter und bleichen Mütter, die zuständig sein wollten für uns Kinder und gleichzeitig den Moloch Kapitalismus am Laufen hielten. Sie übernahmen sich von morgens bis abends – und wussten es auch. Zu mehr waren sie nicht fähig als sich selbst zu bemitleiden. Sollten sie etwa ihre Männer angreifen, die ohnehin auf dem letzten Loch pfiffen?

Hatten sie diesen nicht beweisen wollen, dass sie zwei Welten miteinander verbinden konnten, ohne sich zu übernehmen? Unter Gleichberechtigung verstanden sie, dass sie ihre Männer kopieren konnten, die Welt aber im Sinne eines wahren Lebens nicht umkrempeln wollten.

Ja, sie protestierten, aber sagten nicht, wofür und wogegen. Das führte zum folgenlosen Jammern und Wehklagen, nicht zum Beginn einer neuen Welt, in der ihre Kinder einer fröhlichen Zukunft entgegengehen können.

Natürlich waren wir nicht pazifistisch und es ist Nonsens, von einer Zeitenwende zu sprechen. Unser Pazifismus ließ die Panzer in ihren Schuppen verrosten und verlottern. Was wir an Geldern für den Wehretat versprochen hatten, bezahlten wir nicht. Nach Möglichkeit verweigerten wir uns, an kriegerischen Einsätzen des Westens teilzunehmen. Begründung – keine. Nie kam eine klare Stellungnahme aus Berlin, ob sie den Krieg für gerecht hielten oder nicht. Überall war man dabei, ohne dabei zu sein. Am Hindukusch wird Deutschland verteidigt: mit solch dreisten Dummheiten verteidigten sie ihren Einsatz in Afghanistan. Als sie mit Schande fliehen mussten, verrieten sie alle Gesetze der Humanität und ließen ihre einheimischen Helfer in die Hände der Taliban fallen.

Sie haben keine Grundsätze. Dann passiert, was so oft passierte: sie passen sich an und folgen dem Trend. Das nennen sie eine überraschend neue Erkenntnis. Sie wachten auf und die Welt hat sich verändert. Eine neue Welt offenbart neue Erleuchtungen – die mit autonomen Erkenntnissen nichts zu tun haben. Nach dem ewigen und öden Einerlei der Wirtschaftszahlen empfinden sie es als Erleichterung, wenn andere Dinge geschehen.

Ihr Pazifismus war ein unlauterer Bellizismus, der sich stets hinter den Großen versteckte. Wie ihre Politiker die Nation verrotten ließen, so ließen sie ihre Waffen verrotten und verkauften ihre Lotterwirtschaft als dezenten Pazifismus.

Und nun der Aufruf zur nationalen Ertüchtigung mit BILD-Imperativen zur moralischen Aufrüstung. Eine einzige Schändlichkeit. Nie wurde der Springerverlag müde, gegen Moral zu wettern und nun plötzlich die Forderung nach einer moralischen Aufrüstung. Ist Aufrüstung plötzlich etwas Moralisches?

„Wir müssen die Bundeswehrsoldaten wieder als wichtigen Teil in die Mitte unserer Gesellschaft zurückholen. Wir müssen militärisch und moralisch aufrüsten. Waffen allein schrecken Putin nicht ab, Kämpferherzen wie in der Ukraine schon.“ (BILD.de)

Und Döpfner erst. Wie er mit messerscharfer Logik um die Wirtschaftsmacht Deutschland kämpft, die sie auch in Zukunft bleiben soll. Wenn nicht anders, auf eigene Faust und ohne Unterstützung der NATO. Wie wär‘s mit Atomwaffen?

„Wenn Putin Kiew erobert, weil der Westen, also vor allem die Mitglieder der Nato, keinen militärischen Widerstand geleistet haben, ist der Westen geschwächt. Wenn der Westen geschwächt ist, werden die Chinesen Taiwan annektieren. Wenn Taiwan ohne Widerstand übernommen ist, ist der Westen politisch am Ende. Deshalb müssen die Nato-Mitglieder JETZT handeln. Sie müssen JETZT ihre Truppen und Waffen dahin bewegen, wo unsere Werte und unsere Zukunft NOCH verteidigt werden. Zur Not ohne Nato.“ (BILD.de)

Jakob Augstein wagte es, mutig gegen den modischen Neubellizismus Stellung zu beziehen:

„Dass „wir“ den Russen konventionell einmal das Wasser reichen werden, das lässt sich mit noch so viel Milliarden nicht erkaufen. Hier kann es nur um die Nuklearmacht Deutschland gehen. Die FAZ hat das frohlockend auch gleich so verstanden: zur „überfälligen Wende“ in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehöre die nukleare Frage, „auch wenn das den Deutschen besonders schwerfalle“. Die Waffen des Westens aber verlängern das Leid des Krieges und werden an seinem Ausgang nichts ändern. Wer die Kosten für den russischen Aggressor erhöht, erhöht sie auch für die ukrainischen Opfer. Unsere Demonstranten sollten darauf achten, dass ihre gute Empörung nicht von der Bundesregierung auf die eigenen Mühlen geleitet wird, um damit eine falsche und verderbliche Politik zu betreiben. Es ist ein Jammer, dass man den Wurzeln des Konflikts auf diese Weise nicht näherkommen wird. Sie liegen tief in der Vergangenheit, sie sind historisch gewachsen und verzweigt – es wird Zeit kosten, Geschick und Geduld, zu ihnen vorzudringen.“ (der-Freitag.de)

Noch besser wäre es gewesen, wenn Augstein selbst die Wurzeln des Konflikts aufgedeckt und vor allem die Alternative zum Krieg gezeigt hätte: eine nachhaltige Friedenspolitik, die nicht wartet, bis fremde Truppen vor den Pforten stehen, sondern den Ernstfall unter allen Umständen verhindern will.

Pazifismus ist unerschütterliche Friedenpolitik, die nichts weniger als Frieden mit allen Nationen herstellen will.

Pazifismus ist am wenigsten eine private Lebenseinstellung, die mit Politik nichts zu tun haben will. Was soll daran bellizistisch sein, wenn man den Frieden mit Waffen verteidigt, um viele Menschen zu retten. Ein privates Getue will vor allem den Ruhm vor Gott:

„Er wird unter vielen Völkern richten und mächtige Nationen zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des Herrn Zebaoth hat’s geredet.“

Das ist kein Pazifismus, kein eigenständiges Erarbeiten des Friedens, das ist ein Friedensgebet, dass Gott selbst den Frieden herstellen möge.

Sokrates unterschied zwischen Politik und persönlicher Haltung. Als Bürger unter Bürgern war er an pazifistischer Milde nicht zu übertreffen, denn sein kategorischer Imperativ lautete: Besser Unrecht erleiden als Unrecht tun. Was ihn aber nicht daran hinderte, sich gegen falsche Anschuldigungen rabiat zur Wehr zu setzen (Apologie).

In politischer Hinsicht aber war ein getreuer Patriot, der sich keinem Waffengang verweigerte, den er für gerecht hielt:
„Also weder wieder beleidigen darf man, noch irgendeinen Menschen misshandeln, und wenn man auch, was es immer sei, von ihm erleidet. Also ist es nicht Sache des Gerechten, zu schaden, Polemarchos, nicht nur seinem Freunde nicht, sondern auch sonst keinem.“

Ein historisch zuverlässiges Urteil über Sokrates muss dennoch umstritten bleiben, denn es gibt auch ganz andere Äußerungen von ihm.

„Und doch“, heißt es, „scheint der Mann des größten Lobes wert zu sein, der zuerst den Feinden Böses und den Freunden Gutes tut.“

Sokrates ist kein unfehlbarer Jesus, dessen Worten man bedingungslos folgen muss. In der Philosophie ist jeder selbst gefragt, seine Meinung zu bilden.

Pazifismus ist Frieden schaffen: eine permanent vorbeugende Friedenspolitik, die nicht wartet, bis das Unheil ausgebrochen ist. Sich mit Waffen zu wehren, um noch größeres Elend zu verhindern: was soll daran bellizistisch sein? Der Zweck aller Tätigkeiten muss Frieden sein und die Mittel zu diesem Zweck so beschaffen, dass eine Eskalation zum Schaden aller unter allen Umständen verhindert wird.

Heute grassiert im Westen die Furcht vor der Weltmacht China, der den Niedergang des Westens dazu benutzen könnte, um seine Macht zur Allmacht über die Welt auszudehnen – was nicht ausgeschlossen ist.

Dennoch dürfen wir die klassische Friedenspolitik des einstigen Weltreichs nicht unterschlagen. Was wäre das für eine zukünftige Welt, wenn China zurückkehren würde zur Friedensliebe seiner Vergangenheit:

„Die Kraft Chinas lag in seiner Kultur. Chinas Pazifismus war seine Kultur. Nur Europäer sprechen von Starrheit. In seiner Welt hatte China den Frieden als Geisteshaltung der meisten so weit realisiert, wie wahrscheinlich kein anderes Land auf Erden.“ (Engelhardt, Weltbürgertum und Friedensbewegung)

Fortsetzung folgt.