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Weltdorf XXXIII

Hello, Freunde des Weltdorfs XXXIII,

schon ist‘s mit der Erregung vorbei. Es folgt die post-hysterische Ermattung.

Trump ist ein Spiegel des christlichen Westens, in dem die verstockten Weltherren sich nicht erkennen wollen. Das übermäßige Ausmaß an Erschrecken, Schockiertsein und Kannitverstan zeigt das Maß der westlichen Realitätsverleugnung.

Hätte Hollywood eine wirklichkeitsgetreue Dokumentation über die Dynastie Trump als reißerische Wallstreetfiktion vorgestellt, hätten ausgebuffte Kritiker abgewunken: welch eine Klischee-Klamotte.

Was hat er der verdutzten Welt offenbart, das sie nicht hätte wissen können und wissen müssen? Dass er Konkurrenten wegbeißt und über soziale Leichen geht? Dass er wie jedermann ein Phallo-Patriarch ist? Dass er beleidigt, demütigt und niedermacht, was ihm in die Quere kommt?

Da beten sie an die Macht des Bösen, das in ihren heiligen Büchern ausschweifend und mit himmlischem Copyright geschildert wird – und geben sich schockiert, wenn sie einen Ehebrecher, Hartherzigen und Bedenkenlosen im Rampenlicht sehen: nackt und ohne politisch-korrektes Anstandshemd.

Was ist politische Korrektheit? Das Feigenblatt vor der beschämenden Blöße und ungehorsamen Empörung.

„Da gingen den beiden die Augen auf und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren. Und sie hefteten sich Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.“

Trump, unverwundbar, pfeift auf Feigenblätter und Schurze. Er steht zu seinen Schandtaten, wobei „stehen“ als phallischer Akt gelten muss. Zum Credo der Jesuaner gehört, dass kein Sterblicher etwas Gutes an sich hat. Warum sollte

ein Machtmensch die Ausnahme sein?

Frauen muss man nicht begrapschen, es genügen sündige Gedanken:

„Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: „Du sollst nicht ehebrechen.“ Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Es ist auch gesagt: „Wer sich von seinem Weibe scheidet, der soll ihr geben einen Scheidebrief.“ Ich aber sage euch: Wer sich von seinem Weibe scheidet (es sei denn um Ehebruch), der macht, daß sie die Ehe bricht; und wer eine Abgeschiedene freit, der bricht die Ehe.“

Wie oft ist Trump geschieden? Wie oft hat er die Ehe gebrochen? Selbst, wenn er sich alle sündigen Gedanken aus dem Herzen gerissen hätte, hätte er keine Chancen:

„Denn ich bin mir nichts bewusst, aber darum bin ich nicht gerecht gesprochen.“

Die Abwesenheit sündiger Worte, Werke und Gedanken genügt nicht: der unbußfertige Mensch muss ins Feuer.

Auch wer – iim Dienst nach Vorschrift, der hinterlistigsten Form der Insubordination – das Kapital seines Herrn nicht wuchernd vervielfältigt, ist des ewigen Todes schuldig:

„Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du Schalk und fauler Knecht! wußtest du, daß ich schneide, da ich nicht gesät habe, und sammle, da ich nicht gestreut habe? So solltest du mein Geld zu den Wechslern getan haben, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine zu mir genommen mit Zinsen. Darum nehmt von ihm das Talent und gebt es dem, der zehn Talente hat. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und den unnützen Knecht werft hinaus in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappen.“

Zocken und Wuchern im Dienst dessen, dem die ganze Erde als Eigentum gehört, ist Pflicht des Frommen. Wer das heiligmäßige Kapital nicht vermehrt, ist ein Feind des Himmels. Selig sind die Armen? Selig sind die Habenden, denn sie sollen alles haben. Verdammt sind die Nichtshabenden, denn sie sollen gar nichts haben – außer ewige Schuld und Schande. Im Lasterkatalog des Timotheus kann Trump sein Konterfei erblicken:

„Denn es werden Menschen sein, die viel von sich halten, geizig, ruhmredig, hoffärtig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, ungeistlich, lieblos, unversöhnlich, Verleumder, unkeusch, wild, ungütig, Verräter, Frevler, aufgeblasen, die mehr die Wollust lieben denn Gott, die da haben den Schein eines gottseligen Wesens, aber seine Kraft verleugnen sie. Und solche meide. Aus denselben sind, die hin und her in die Häuser schleichen und führen die Weiblein gefangen, die mit Sünden beladen sind und von mancherlei Lüsten umgetrieben.“

Täglich müsste Trump sich geißeln, seufzen und beten:

„Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. So ich aber tue, was ich nicht will, so tue ich dasselbe nicht; sondern die Sünde, die in mir wohnt.“

„Da aber der HERR sah, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich gemacht habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis auf das Vieh und bis auf das Gewürm und bis auf die Vögel unter dem Himmel; denn es reut mich, daß ich sie gemacht habe.“

Wie kommt es aber, dass Trump mit seinen Sünden nicht hinter dem Berg hält? Dass er mit ihnen geradezu paradiert? Ist er ein Ungläubiger, ein Abgefallener? Das sei ferne von ihm. Gegner werfen ihm Unglauben vor, weil er nicht das kopfnickende Sünderlein spielt – wie etwa eine deutsche Amtskollegin.

Doch es gibt zwei Phänotypen des Gläubigen, den sündenstolzen und den sündendevoten. Wer sich – vor allem in Alteuropa – seiner Erwählung unsicher ist, muss den zerknirschten Sünder spielen, dessen Taten niemals gut sein können: vergib Herr, meine Schuld, meine übergroße Schuld (non posse non peccare). Wer sich hingegen schon in Gottes eigenem Land befindet, der darf sich als guten Baum fühlen, dessen Früchte niemals böse sein können (non posse peccare).

Luthers Untertänigkeit klingt nach Sündenverkrüppelung, doch sein Slogan „Weib, Wein und Gesang“ klingt eher nach seiner trutzigen Devise: sündige tapfer, wenn du nur glaubst. Eine Übersetzung des augustinischen ama et fac, quod vis: liebe und tu, was du willst. Das Kopfnicken entspricht mehr der leidenden Kirche der Deutschen, die wiedergeborene Selbstgewissheit mehr der triumphierenden Kirche der Amerikaner.

Was aber ist mit dem Sündenstolz, den Henryk M. Broder – zu Recht – den Nachkriegsdeutschen vorwirft? Je eitler sie mit ihrer Schuld hausieren gehen, je weniger haben sie von ihr verstanden. Das rituelle Selbstgeißeln soll davon ablenken, dass sie ihre übergroße Schuld für die zeitlich eng limitierte Fehlleistung von Verführten halten, die selber zum Bösen nicht fähig gewesen wären – und nur den Verführungskünsten einer winzigen Teufelskohorte erlagen. Mit der deutschen Geschichte habe diese Schuld nichts zu tun.

Die christlichen und kulturellen Antisemitismus-Spuren der deutschen Dichter und Denker, Reformatoren und Frommen werden ausgeblendet, auf dass die deutsch-jüdische Herzensfreundschaft keine Schramme erhalte. Besonders in der Gegenwart, in der die dritte Erlöserreligion der Muslime außen vor gehalten werden muss.

In islamischen Ländern mussten in früheren Zeiten die Juden weder Pogrome noch einen Holocaust befürchten. Gleichberechtigt waren sie zwar nicht, mussten auch eine Sondersteuer entrichten, waren aber anerkannt als Religion des heiligen Buches und vor zerstörender Verfolgung sicher.

Heute hat sich die Koalition verändert. Judentum und Christentum gerieren sich als ein Herz und eine Seele, während der aufkommende Islam Mühe hat, als demokratische Religion anerkannt zu werden.

Die Schelte des Korans ohne gleichzeitige Schelte an Bibel und Talmud ist eine jener westlichen Heucheleien, die bei nichtwestlichen Völkern emotionale Aversionen hervorrufen.  

Was Broder allerdings nicht sieht, ist der Umstand, dass die kritiklose und mit hohlem Pathos gefeierte Solidarität mit dem Staat Israel selbst zum Sündenstolz der Deutschen gehört. Jede Kritik an Israel wird unterschiedslos niedergebügelt mit dem Argument der „Überaufmerksamkeit“. Die Verfehlungen des jungen Staates würden strenger und unduldsamer verurteilt als ähnliche Frevel anderer Staaten.

Das ist Unsinn. Nahestehende Freunde muss man immer kritischer und aufmerksamer wahrnehmen als Fremde und Fernstehende. Natürlich könne man Israel kritisieren, aber … beteuern jene, von denen so gut wie nie ein kritisch Wörtchen an Israel zu hören ist.

Dass jede Kritik immer nur die böse Frucht eines tief verborgenen Antisemitismus sein muss, ist pauschal und wahrnehmungslos. Wohl kann sich hinter allem Unverdächtigen und Korrekten Abgründiges verbergen. Doch jeder Generalverdacht, der keine Symptome liefern kann, ist abzulehnen.

Da niemand direkt in das Gehirn anderer Leute – ja nicht mal ins eigene Gehirn – schauen kann, sind wir auf verlässliche Hinweise angewiesen. Solche kurzatmigen Schnellschüsse sind umso gespenstischer, als das christliche Credo von antisemitischen Vorwürfen völlig befreit zu sein scheint. Nur werden dort die Juden als bösartige Christusmörder hingestellt, an denen die Christen sich über Jahrtausende rächen mussten.

Die nicht existente Kritik an den Menschenrechtsverletzungen Israels zum Nachteil der Palästinenser gehört zur Dauer-Heuchelei der deutschen Regierung und deutscher Medien. BILD verurteilt jede palästinensische Untat gnadenlos, während Israel hemmungslos gerühmt wird.

In der WELT äußerte Gil Yaron Thesen über Israel, die in jedem anderen Zusammenhang als ultrarechts, ja als theokratisch gelten würden. Israel, so Yaron, sei eine „Schicksalsgemeinschaft“, die demokratischer sei als jede Demokratie, obgleich sie nicht auf liberalen Gesetzen und verfassungsgemäßer Gewaltenteilung beruhe:

„Was Israels Wesen als freier, demokratischer Staat garantiert, sind nicht trockene Paragrafen, keine theoretische Gewaltenteilung. Ginge es danach, wäre die arabische Welt freier und demokratischer als Europa. Nein, Israels Gesellschaft praktiziert Demokratie, ungeachtet des politischen Rahmens. Denn Israelis betrachten sich als Schicksalsgemeinschaft, die durch Jahrhunderte von Verfolgung in Europa und Diskriminierung in arabischen Staaten zusammengeschweißt wurde. Im Gegensatz zum europäischen Demokratieverständnis entspringt dieses Tabu nicht liberalen Werten individueller Rechte, sondern dem Gemeinschaftsgefühl. Trotz aller Bedrohungen von außen, ungeachtet sozialer Unterschiede und immenser Lebenshaltungskosten gehören sie zu den zufriedensten Bewohnern der Welt – der Solidarität und einer funktionierenden Demokratie sei Dank. So mangelt es in Israels Regierungssystem an gegenseitiger Kontrolle der Judikative, Exekutive und Legislative. Der Premier wird von einer simplen Mehrheit der Knesset gewählt und ist an der Spitze einer Koalition fast omnipotent.“ (WELT.de)

Die absurde und empörende Verteidigung Israels als bessere Demokratie, die auf verfassungsmäßigen und rechtlichen Schnickschnack verzichten könne, hat hierzulande nicht den geringsten Mucks ausgelöst. Das deutsch-israelische Tabu darf nicht verletzt werden, obgleich es allen humanen Lehren aus dem Holocaust ins Gesicht schlägt.

„Das Handeln der Regierung Netanjahu gegenüber verdächtigen Bürgern, NGOs oder unliebsamen Künstlern verursacht Gänsehaut. Das klingt nach autoritärem Staat. Aber das Land der Juden tickt anders“.

Netanjahus Pressezensur wird damit begründet, dass auch Ben Gurion es nicht so genau mit der Pressefreiheit genommen habe. Zudem gebe es probate Tricks, die Zensur zu umgehen:

„Der Zensor verbietet es, im Land eine Nachricht zu veröffentlichen? Kein Problem. Die Information wird einer ausländischen Zeitung zugespielt und danach – völlig legal – im Land zitiert. Von Maulkorb keine Spur. Sieht so eine Demokratie aus? Überraschenderweise ist die Antwort ein definitives, schallendes »Ja!«.“

Käme eine ähnliche Analyse aus Erdogans Türkei oder Putins Russland, würde man sie als religiösen Rassismus bezeichnen. Die Verfassung wird ersetzt durch „Schicksalsgemeinschaft und Gemeinschaftsgefühl“. Die deutsch-jüdische Verblendungskumpanei kann nicht mehr übertroffen werden.

Wir sind ins tiefste Mittelalter zurückgekehrt, in der die Kirchen eine doppelte Wahrheit lehrten: die Wahrheit der Offenbarung – und die Wahrheit der logischen Vernunft, die in akademischen Disputationen geäußert, aber nicht dem öffentlichen Pöbel mitgeteilt werden durfte. Dies war die theologische Urform des modernen Glaubenssatzes, dass der Pöbel von den wichtigen Dingen der Politik nichts verstehe. Früher musste er glauben, weil es absurd war. Heute, weil es hyperkomplex ist. Die Geschichte der Verdummung des großen Rüpels ist noch nicht geschrieben.

Was in Israel geschieht, ereignet sich fast zeitgleich in allen religionsdominierten Nationen. Die Über-Ich-Demokratie wird abgebaut zugunsten rassistischer, nationalistischer, religiöser oder sonstwie motivierter Überlegenheitsdoktrinen.

In der ökonomischen und technischen Superiorität haben sich alle Auserwähltheitsideologien gebündelt und zusammengeballt. Entgrenzter Gigantismus mit Geld und Maschinen soll den Wettkampf um die Zukunft für sich entscheiden. Erfolg wird zur irdischen Vorwegnahme der jenseitigen Seligkeit.

Kehrt Trump zurück zu uramerikanischen Grandiositätsphantasien? Er muss nicht zurückkehren, denn die „Amerika first-Ideologie war nie unterbrochen. Nur bei der Gründung der UNO schien sie eine Weile einer Art weltparlamentarischer Gleichheit zu weichen. Doch nur für kurze Zeit. Die vorbildliche Kooperation zwischen Bush senior und Gorbi, der Deutschland seine Wiedervereinigung dankt, wurde nach 9/11 rigoros zurückgedreht.

Obama, der Vorbildliche, hatte nichts Besseres zu tun, als die Russen zur Regionalmacht zu erniedrigen. Das war eine der Hauptursachen der weltweit beginnenden Renationalisierung mit Mauern und Grenzzäunen. Die Folgen des Syrienkonflikts und einer unbegrenzten Klimaverschärfung taten ein Übriges und zwangen die notleidenden Völker zur Flucht in jene Länder, von denen sie einst erobert wurden.

Die Regression zur ungehindert schaltenden Religion ist die Inthronisation des göttlichen Mannes.

„Männliche Attribute sind solche, die mit Herrschaft und Transzendenz zu tun haben. Alles, was vorschreibt und diktiert, ist männlich. Das Recht auf den Besitz bestimmter Dinge oder zur Ausübung bestimmter Handlungen steht in engem Zusammenhang mit dem Recht über Menschen und Dinge – allesamt männliche Attribute. Männlich sind Eigenschaften, die im Zusammenhang mit der Fähigkeit zu töten stehen: Tapferkeit, Mut, Aggressivität. Männliches Dasein gründet in der Macht zum Töten; weibliches wurzelt in der Natur, deren Inbegriff das Gebären ist.“ (Marilyn French)

Es gibt noch keine Solidarität der Frauen. Gäbe es den geringsten Anhauch einer solchen, wären die Männer schon weggeblasen. Da Frauen für das Wohl ihrer Kinder zuständig sind, fühlen sie sich abhängig von der materiellen Versorgung der Männer. Das wird sich erst ändern, wenn die Frauen – nein, sich nicht dem kapitalistischen Manne unterordnen, sondern die wirtschaftliche Gesamtstruktur ändern und, zusammen mit ihren Kindern, das Recht auf wirtschaftliche Unabhängigkeit erwerben. Etwa mit dem BGE.

Die französische Philosophin Badinter will alle Frauen in die Betriebe schicken, damit sie auf beruflichem Wege ihre gesellschaftliche Reputation erringen. Das ist ein Fehlschluss der Frau aus reichem Hause. Frauen sind in der Wirtschaft nicht gleichberechtigt und müssen die Rolle der erotischen Beute spielen. Nur wenn sie mit ihren Kindern auf der Agora die Politik aufmischen können, werden sie zu autonomen Subjekten der Gesellschaft. Der Geschlechterkampf ist kein Kampf biologischer, sondern politischer Geschlechter.

Trump, ein Mann mit Eigenschaften, die er als Kampfmethoden einsetzt, gab sich als Entertainer-Wüstling. Das ist nichts Neues. Seit Machiavelli ist der bedenkenlose Berserker das Ideal des männlichen Machtwesens.

«In Principe» lehnt ausdrücklich die anerkannten Moralgesetze ab, wo es sich um das Verhalten von Herrschern handelt. Wenn ein Herrscher nur gut sein würde, wäre er verloren; er muss schlau wie ein Fuchs und wild wie Löwe sein – wie der Italiener Formulierungen des Thukydides übernimmt. Machtmenschen müssen ihr Wort nur halten, wenn es sich für sie lohnt. Sonst nicht. Ein Fürst muss auch treulos sein können. Freilich ist es nötig, dass man dieses Verhalten geschickt zu tarnen versteht und in der Verstellung und Falschheit ein Meister ist.“ (Bertrand Russell, Philosophie des Abendlandes)

Nichts Neues unter der Sonne. Trump ist ein ordinärer Machiavellist. Er trickst und täuscht, wie Machtmenschen schon immer ihre Untertanen hinters Licht führten. Warum also zeigen sich die Zeitgenossen so erstaunt und erzürnt? Weil Zukunftsfanatismus und Verleugnung der Vergangenheit zur Bildungs-Blindheit geführt haben.

Die Moderne will nichts lernen. Schon gar nicht von der Vergangenheit. Jedes Lernen ist für sie ein autoritärer Akt. Lieber wollen sie sich von Konsumreizen manipulieren lassen als sich uralte Weisheiten der Menschheit prüfend erarbeiten. Lieber wollen sie – wie Goethes Quidam – Narren auf eigene Faust sein. Indem sie das Lernenswerte ins „Zurück“ verlagern, von dem man nichts lernen könne, schrumpfen sie mit ihrem Gehirn auf das Nichts der Gegenwart, die alles Erstrebenswerte von der unbekannten Zukunft erwartet, die die Rolle des sehnlichst erwarteten Messias spielen muss.

Macht-Interessen seien gefragt, nicht political correctness, sprach Professor Hacke bei Hart aber Fair. Nicht mal Fritz Pleitgen widersprach. Mit anderen Worten: Moral ist out, gefragt sind amoralische Winkelzüge. Das sagen just dieselben Zeitgenossen, die Trump obszöne Amoral vorwerfen. Ein kulturelles Desaster des Westens, der seine gefährlichen Widersprüche ausblenden muss.

Ein interessanter WELT-Artikel vom 7.12.2015 beschreibt präzis die psychische Charakterstruktur des neuen Präsidenten. Ein Jahr später allerdings haben die Edelschreiber ihre Erkenntnisse schon wieder in den Wind geblasen:

„Psychologen nennen die Kombination aus Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie die „dunkle Triade“. Wer sie verkörpert, kommt bestens durchs Leben – auch, weil niemand einen aufhält. Anständig durch das Leben zu kommen, ist nicht das Motto des Mannes, der unzählige Leben und unzählige Frauenherzen auf dem Gewissen hat. Er verfügt zwar selbstverständlich über gute Umgangsformen, weiß sich zu benehmen. Er ist höflich, charmant, einnehmend sogar, pöbelt und rempelt nicht. Doch der moralische Unterbau dessen, was Anstand bedeutet, ist ihm weitgehend fremd: Rücksicht zu nehmen, anderen Raum zu lassen, ihnen nicht zu schaden, seine Ziele nicht vor alles zu stellen und auch auf Kosten anderer durchzusetzen. Selbstherrlich, machthungrig und manipulativ sind solche Menschen im Kern. Ihre Ziele stellen sie vor das Wohl anderer, sie setzen sie, einmal gefasst, ohne Rücksicht auf Verluste um. Das gelingt ihnen im Vergleich zu anderen Menschen oft spielend leicht – nicht nur, weil sie es clever anstellen, sondern auch, weil niemand sie aufhält. Der fehlende Anstand weniger Menschen führt gerade deshalb zum Erfolg, weil alle anderen so anständig, zu anständig sind. Die Psychopathie ist die dunkelste der drei Facetten. Wer hier hohe Werte erreicht, ist kaltherzig, impulsiv und angstfrei. Das macht den Psychopathen besonders risikobereit. Er fürchtet keine Konsequenzen, und Reue ist ihm fremd. Gemeinsam ist den drei Merkmalen vor allem ihre niedrige soziale Verträglichkeit, die sich in Rücksichtslosigkeit und einer Tendenz zur Täuschung anderer zeigt, ebenso wie im Unwillen, sich an Regeln oder moralische Prinzipien zu halten.“

Sollte Amerika den Weg der außergewöhnlichen Berufung (des Exzeptionalismus) weiter verfolgen und der Welt mit wirtschaftlicher, technischer und militärischer Gewalt den pursuit of happiness (das Streben nach Glück) aufs Auge drücken, wird es scheitern. Der neue Kontinent hat seine führende Rolle im europäischen Desaster zweimal vorbildlich wahrgenommen. Doch an seiner Rolle des Exemplarischen hat er sich übernommen.

Nun muss er sich gesund schrumpfen und auf seine realen Möglichkeiten besinnen. Seine eschatologische Verbohrtheit wird er sich nicht mehr leisten können. Denn seine Naherwartung des Messias verdammt alle ökologischen Bemühungen der Menschheit zu Sünden wider den heiligen Geist – ein Umstand, den die deutschen Grünen niemals begreifen werden, solange sie den amerikanischen Biblizismus als liebenswerte Folklore auffassen. (RNZ.de)

Obama wollte Amerika ein wenig entmythologisieren – leider mit unzulänglichen Mitteln. Trump zieht die Konsequenz aus dem Scheitern seines Vorgängers, indem er die bizarre Devise ausgibt: vorwärts, Amerikaner, wir müssen zurück. Zurück wohin? Dorthin, wo Andrew Carnegies „Evangelium des Reichtums“ den exquisiten Platz seiner Nation erblickte:

„Unsere Republik bleibt ein festes Ganzes mit ihrem fest umschlossenen Besitz, vereinigt, uneinnehmbar, triumphierend und dazu bestimmt, die vorderste Macht der Welt zu werden, wenn sie weiter dem richtigen Pfade folgt.“

Amerika muss sich nicht neu erfinden. Es muss sich ändern. Sich auf die Humanität seiner frühen Aufklärung besinnen und gleichwertiges Mitglied der Völkergemeinde werden.

Für den Kurs der Besonnenheit ist Trump der falsche Mann: er wird scheitern.


Fortsetzung folgt.