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Weltdorf XXX

Hello, Freunde des Weltdorfs XXX,

Schockstarre in Berlin. Schulterschluss aller Parteien, mit Ausnahme der AfD. Ein Sexist und Rassist ist neuer Präsident der USA – müsste Amerika nicht mehrheitlich sexistisch und rassistisch sein? Dies zu denken, ist hierzulande ein außenpolitischer Frevel.

Ein Schock ist das Ergebnis tiefgehender Realitätsverleugnung, die deutsche Schockstarre die Folge eines dogmatisch verbotenen „Antiamerikanismus“ – der es wagt, seine Freunde zu kritisieren und ehrlich mit ihnen zu streiten. Redet man sich „sein“ Amerika zwanghaft schön, muss jede Entlarvung zur bedrohlichen Desillusion führen. (Welcher deutsche Korrespondent in Amerika schreibt nach Beendigung seines Aufenthaltes im Ausland nicht ein Buch mit dem Titel: „Mein Amerika“?)

Die gleiche Schockstarre wird sich wiederholen, wenn sich herumsprechen sollte, dass die Mehrheit der Israelis Anhänger des alle Tabus brechenden Rowdys – und nicht der affektkontrollierten Verliererin ist, die sich schon immer als unkritische Freundin des ebenfalls nach rechts rutschenden Heiligen Landes ausgab.

Gegenüber Verbündeten und Freunden können die Deutschen nicht aufrichtig und ehrlich sein. Bei Freunden decken sie sämtliche Fehler zu: das halten sie für paulinische Nächstenliebe. Gegner und Feinde hingegen ignorieren, verachten und verhöhnen sie.

Die Sieger gehen von Bord. Dem Brexit der Engländer folgt der Superbrexit der Amerikaner. Es sind die Sieger des Zweiten Weltkrieges, die Befreier und Eroberer der „verführten“ deutschen Nation. Mehr als ein halbes Jahrhundert besaßen sie die Kraft, desolate Europäer zu vorbildlichen Demokraten zu erziehen. Ohne tatkräftige Unterstützung der beiden wichtigsten Demokratien der Welt hätten die Europäer keine politische Union zustande gebracht. Doch vorbildlich sein strengt an. Besonders, wenn die Herrschaft des Volkes durch demokratie-feindliche Ökonomie

permanent unterhöhlt wird.

Unbegriffene Geschichte steht unter Wiederholungszwang. Auch nach dem Ersten Weltkrieg konnte der amerikanische Präsident Wilson seine verheißungsvolle Friedensbotschaft nicht in die Tat umsetzen. Die französisch-englischen Regierungschefs deklassierten ihren amerikanischen Kollegen zum hohlen Prediger, der mit fast allen 14 Punkten seiner Friedensordnung scheiterte. Zur riesigen Enttäuschung jener Deutschen, die die Kapitulation ihrer Armee befürworteten, weil sie ihre Hoffnungen auf die versprochene Friedensordnung gesetzt hatten.

Der 14. Punkt rief zur Gründung eines Völkerbundes auf:

„Ein allgemeiner Verband der Nationen muss gegründet werden mit besonderen Verträgen zum Zweck gegenseitiger Bürgschaften für die politische Unabhängigkeit und die territoriale Unverletzbarkeit der kleinen sowohl wie der großen Staaten.“

Warum wurde der Völkerbund – ein Programm zur Umsetzung des Kant‘schen „Ewigen Friedens“ – ein Misserfolg? Weil Wilsons Amerika es für richtig hielt, sich an der Verwirklichung seiner vorbildlichen Friedensidee nicht zu beteiligen. In Zeiten nationaler Selbstzweifel nehmen biblizistische Aversionen in Neu-Kanaan gegen globale Vernunft überhand. Von Anfang an hassten die Frommen die weltliche Hauptstadt, die sich dem verderblichen Einfluss der heidnischen Vernunft der Völker ausliefern würde.

„Der Völkerbund sollte sowohl die internationale Kooperation fördern, in Konfliktfällen vermitteln, als auch die Einhaltung von Friedensverträgen überwachen. Der hauptsächliche Grund des letztlichen Scheiterns des Völkerbundes wird in der Nichtteilnahme der Vereinigten Staaten gesehen.“

Ähnliches nach dem Zweiten Weltkrieg. Roosevelt betrieb, zusammen mit Churchill, energisch die Gründung der UNO. Doch die Liebe zum zweiten Völkerbund währte nicht lange. Spätestens mit Aufkommen des Neoliberalismus begann Washington die Autorität des internationalen Völkerparlaments mit allen Finessen und Unverfrorenheiten auszuhebeln. Heute ist die UN nur noch ein Schatten ihrer früheren Bedeutung.

Den Gedanken einer gleichwertigen Friedens- und Wirtschaftsordnung aller Völker haben die Mächtigen dieser Erde aufgegeben zugunsten partialer Bündnisse, chauvinistischer Einigelungen und einer ungenierten Deklassierung schwächerer Staaten. TTIP und CETA sind Beispiele dieser regressiven Nationalegoismen. Als die Doha-Runde endgültig scheiterte, kam es zur Kumpanei der starken Staaten zu Lasten der „Entwicklungsländer“.

Berlin immer brav im Sog der amerikanischen Führung. Merkel ist keine selbständige Politikerin, sie spielt die Vollzugsbeamtin herrschender US-Maximen, die als Weltgesetze auftreten. Ein einziges Mal hatte die Kanzlerin es gewagt, gegen die Vereinigten Staaten aufzumucken: Abhören unter Freunden geht gar nicht. Doch die fromme Frau hat die christliche Vergangenheits-verleugnung trefflich verinnerlicht: „Gedenket nicht der alten Dinge.“ Sie dreht sich um – und hat vergessen, was sie sagte, versprach und verkündete. Niemand kommt auf die Idee, sie als Populistin anzugreifen. Ihre religiöse Amnesie erfindet sich jeden Tag neu. Niemand wagt es, von ihrer betonierten Heuchelei zu sprechen. Tut sie doch alles nach bestem Wissen und Gewissen.

In einem exzellenten SPIEGEL-Kommentar hat Thomas Fricke einige Wiederholungen der Vorkriegszeit aufgezählt.

„Damals wie heute standen den Gewinnern eine Menge Verlierer gegenüber, die in den großen Umbrüchen ihre Arbeit verloren, wackelige Jobs hatten oder kaum Einkommen dazu gewannen. Was umso dramatischer wirkte, als die Reichen dank Liberalisierung unfassbar reicher wurden. Ende der Zwanzigerjahre strichen die reichsten zehn Prozent der US-Bevölkerung ein Einkommen in Höhe von fast 50 Prozent des gesamten Nationaleinkommens ein. Damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entsprachen die Privatvermögen in Europa der Leistung ganzer Volkswirtschaften über sechs bis sieben Jahre. Irre. So ähnlich wie – nach den deutlich sozialeren Nachkriegsjahrzehnten – 2010 wieder.“ (SPIEGEL.de)

Korrekturen der Fehlentwicklung blieben aus. Im Gegenteil, in blinder Gier verschärften sich die Attacken gegen ein friedliches Miteinander. Wie heute wurde die Zuwanderung erschwert, die Grenzen dicht gemacht – selbst den von Hitler verfolgten Juden wollte Amerika nur widerwillig eine Zuflucht bieten. Darauf folgte ein weltweiter Rechtsruck der Nationen.

„1931 waren es die Briten, zuvor noch große Verfechter des Liberalismus, die als erste den Goldstandard verließen – jenen Währungsverbund, der die Globalisierung lange ermöglichte. Sozusagen ein Ur-Brexit. Jene Briten, die auch diesmal in guten Zeiten noch für möglichst offene Grenzen (auch für polnische Arbeiter) warben, um jetzt als erste die Grenzen (für besagte) zumachen und den EU-Verbund verlassen zu wollen. In den Dreißigern sei plötzlich auch alles Rationale und Wissenschaftliche beschimpft worden, so Pierre Milza. Die Lügenpresse sowieso. Und es gab ein Comeback der Instinkte und regionalen Traditionen. Katalonien. Schottland. Bayern. Alles wieder im Angebot. Gruselig.“

Mit welchen Auswirkungen? Denselben wie heute:

„Es spricht einiges dafür, dass in alledem auch der Kern für den wachsenden Unmut im Volk liegt. Je stärker der Einfluss der Finanzsphäre, desto stärker der Eindruck, dass die gewählten Politiker die Kontrolle verlieren. Damals kam es regelmäßig zu Spekulationsattacken gegen einzelne Länder. Damals wie in der jüngsten Vergangenheit wieder, galt nach herrschender Ökonomie-Lehre, dass jeder halt im Grunde selbst zusehen muss, wie er mit dem Wandel zurechtkommt. Stichwort Eigenverantwortung. Ein irrer Anspruch in einer Welt, in der selbst die Herrschenden die Kontrolle verlieren. Verantwortung kann man ja nur für etwas übernehmen, was man selbst einigermaßen beeinflussen kann. Wie irre der Anspruch ist, wurde damals wie heute nach den Crashs offenbar – die durch Finanzspekulationen entstanden, deren Folgen aber auch Arbeitnehmer (die ihren Job verloren) und Steuerzahler gleichermaßen zu spüren bekamen.“

Alles, wie gehabt. Doch niemand will es wissen. Man tut erstaunt und gefällt sich in existentiellem Schock, der feinen Umschreibung einer strangulierten Erinnerung. Der Zwang, nach vorne zu schauen, verurteilt den Westen zur biografielosen Fata Morgana. Sie haben keine Vergangenheit. Jeden Tag fallen sie frisch und neu vom Himmel. Frickes Fazit muss man zustimmen:

„Noch ist Zeit zu belegen, dass wir die Krise einer entgleisten Globalisierung am Ende diesmal besser bewältigen – und das angehen, was tatsächlich schiefgelaufen ist. Sprich: vor allem die Ursachen von Reichtumsgefälle, Globalisierungsängsten, Bankendominanz und verheerenden Finanzkrisen beheben. Alles Dinge, für die unsere US-Freunde am besten Bernie Sanders hätten wählen müssen. Statt Grenzen zu schließen, plumpen Nationalismus zu zelebrieren und die Illusion einer heilen alten Zeit zu nähren – und damit nur alte Katastrophen zu wiederholen. Wie es in der Nacht auf Mittwoch bittere Realität werden könnte.“

Könnte? Aus dem Konjunktiv wurde heute Nacht ein unerwarteter bitterer Indikativ. In der aufwendigen Berichterstattung von ARDZDF wurde viel von einer halbierten Nation gesprochen, doch niemand erwähnte die Spaltung durch kapitalistische Kluftbildung. In medialen Eliteklassen werden „zu einfach empfundene Verschwörungstheorien“ nicht gerne in den Mund genommen.

Trotz sonstiger Allergien gegen Küchenpsychologie bevorzugt man komplexe Seelen-Syndrome, um dem Ganzen die Weihe des Unverständlichen zu verleihen. Als da wären Narzissmen des Bösewichts, die bis zum Erbrechen wiedergekäut werden. Wenn der Rüpel ein narzisstischer ist, dann ist der westliche Kapitalismus eine kollektive Narzissmusorgie. Massenneurose schützt vor Einzelneurose. Auf keinen Fall soziologische oder ökonomische Ursachen benennen, die man verändern könnte – wenn man freudianisch herumflunkern kann. Plötzlich ist die unergründliche Innerlichkeit das Zentrum der Persönlichkeit.

Es ist nicht bekannt, dass Original-Narziss, betört durch Schönheit – die er nicht als seine eigene erkannte –, zum geld- und machtgierigen Maulhelden wurde, der fremde und andersdenkende Menschen beschimpfte, ausraubte und ausbeutete.

Warum, warum, warum wurde dieser Herr, der die Haare immer schön hat, von den Amerikanern gewählt? Ist das eine ernst zu nehmende Frage, wenn man weiß, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich seit Jahrzehnten abgehängt fühlt – und einen Rächer und Wiedergutmacher der schreienden Ungerechtigkeit sucht?

Robin Hoods aber müssen Ikonen der Vergangenheit bleiben. In der Gegenwart verzerren sie sich zu – Populisten. Ist es keine Vermessenheit, die Nöte der Gesellschaft aufzugreifen, um demokratische Abhilfe zu schaffen? Nein, es wäre die Pflicht jedes verantwortungsbewussten Citoyens. Wäre es nicht die Pflicht des Volkes, die Verbesserungsvorschläge unter die Lupe zu nehmen und die besten auszuwählen?

„Solon bestraft jeden, der bei inneren Unruhen nicht aktiv Partei nimmt, mit Verlust des Bürgerrechts.“ (Max Pohlenz)

Falsche Ideen und absurde Versprechungen müssen jederzeit kritisiert werden. Niemals aber notwendige Korrekturmaßnahmen im Dienste des Volkes, die heute als populistische diffamiert werden. Wie kommt ein vermaledeites Volk dazu, Kritiker der herrschenden Eliten für besser zu halten als diese selbst?

Schon stürzen sie sich auf die Erforschung der verkommenen Massen. Das Ergebnis ihrer Untersuchung ist voraussehbar: es sind, hebt die Gläser! die Verlierer der Moderne, die Abgehängten, die Ungebildeten. Man sollte sie ohn Erbarmen exkommunizieren.

Die armen Eliten: niemand bewundert ihre tückischen Finanzgeschäfte, ihre täglichen Widersprüche, ihre Lügen und Heucheleien, ihre verschleppten Hausaufgaben und Pflichten. Wenn sie sich hinstellen und jammern, wie schwierig und komplex alles sei, wollen sie für edle Unfähigkeit gerühmt werden. Sind sie nicht ehrlich und authentisch: unsere fabelhaften Egoisten und Problemverleugner, unsere alles zuplappernden Prahlhänse?

Wie lange schon existieren die asozialen Folgen des Kapitalismus? Seit Erfindung desselben in nachhomerischen Zeiten, also seit fast 3000 Jahren. Woran ist die griechische Polis letztendlich gescheitert – trotz vorbildlicher Leidenschaft des Volkes für seine eigenen Belange? Nicht nur wegen des absurden Bruderkriegs mit Sparta, nicht nur wegen gefährlicher und überheblicher Außenpolitik. Sondern weil – nach der glücklichen Perikles-Epoche – die autonomen Kräfte erlahmten und sich der überlegenen Macht der Makedonier ergaben. Doch selbst der junge König der Eroberer, Alexander der Große, war so beeindruckt vom Geist der Hellenen, dass er ihn (wenn auch mit militärischer Gewalt) in viele Länder exportierte.

Die Reichen fühlten sich im Recht, wenn sie die Macht im Volk an sich rissen. Waren sie nicht die Besten und Tüchtigsten? War es kein Gebot natürlicher Gerechtigkeit, dass die Starken die Schwachen an die Leine legten? Das war das Naturrecht der Starken – nicht zu verwechseln mit dem Naturrecht der Schwachen, aus dem die Menschenrechte abgeleitet wurden.

Für die Starken waren Polis-Gesetze Erfindungen des niederen Pöbels, um die Starken trickreich zu beherrschen. Diese Rohrkrepierer an der Basis ertrugen es nicht, wenn die Starken darauf beharrten: Macht ist Recht. Andere Rechte gibt es nicht. Die Machtlosen wollten die Starken auf ihr jämmerliches Niveau herunterzwingen, weil sie deren Überlegenheit nicht ertrugen:

„Das Naturrecht des Stärkeren ist ewig, wird auch durch die Vereinbarungen, die eine Mehrheit der Schwachen auch im eigenen Interesse trifft, nicht aufgehoben. Die Gesellschaft nennt den rücksichtslosen Gebrauch der Überlegenheit schimpfliches Unrecht und tut alles, um mit ihren Sittenregeln die Starken einzulullen. Aber wenn einmal ein junger Löwe seine Kraft fühlt, die Schranken sittlicher Konvention wie Zwirnsfäden zerreißt und sich zum Gewaltherrscher emporschwingt, dann leuchtet blitzartig das natürliche Recht hervor, und staunend beugen sich ihm die Menschen. Alkibiades, eine Kraftnatur, nimmt Nietzsches Übermenschentum vorweg. Die alte Anschauung, dass die regierende Klasse den Staat nach ihrem eigenen Vorteil leitet, konnte nun „wissenschaftlich“ begründet werden. Thrasymachos definiert das Gerechte als das, was der Mächtige in seinem eigenen Interesse bestimmt. (Max Pohlenz, Staatsgedanke und Staatslehre der Griechen )

Das gilt noch heute. In, mit und unter demokratischen Gesetzen herrschen unerkannt-anonyme Gewaltregeln des Naturrechts der Starken. Just das ist die Definition des Neoliberalismus, der den Staat aus seinen Angelegenheiten verdrängen will, um seine Regeln der Macht allen Beteiligten aufzuoktroyieren. Dies spüren die Schwachen – und rebellieren gegen die Anmaßungen der Führungsklassen.

Beim Volk herrschen keine niederen Instinkte, sondern gesunde und von Gerechtigkeit kündende Gefühle, die allerdings darunter leiden, dass sie – wegen gewollter Unbildung seitens der Eliten – nicht adäquat formulieren können, was sie im Innern bewegt. Die Ursachen ihrer Empörung sind rational, sie spüren, was ist, nicht, was sie sich phantasmagorisch einbilden. Wären ihre Emotionen irrational, so wären sie Böse, die das Böse um seinetwillen suchten. Doch das sind Gräuelmärchen aus der Glaubensfibel der Frommen.

Warum dröhnt man das Volk ab der Grundschule mit Gedächtnisleistungen zu, damit es nicht das kritische Denken erlerne? Man muss sich nur die inflationären Quizsendungen der öffentlichen Kanäle anschauen, um das Ausmaß des Gehirndrills zu ermessen. Nicht genug mit der Indoktrinierung durch Faktenmüll, Gehirnforscher müssen zudem beweisen, wie unfrei die Gehirne der Menschen sind. So werden die Menschen zu Robotern, die sich als Götter fühlen, wenn sie selbst Roboter entwickeln, die ihre Größenphantasien zu erfüllen haben.

Was ist ein guter Vater? Wenn er sein Kind vor dem Spiegel das Sätzchen repetieren lässt: Ich arbeite hart und niemand ist besser als ich. Hartes Arbeiten ist Religion einer christlichen Kultur, in der Arbeit als gerechte Strafe für den Sündenfall gilt. Mit Arbeiten wird niemand steinreich. Es sei, das Scheffeln von Geld wird zur Arbeit umgelogen. Der Pöbel soll hart malochen, damit die Starken ihnen den Lohn der Arbeit unter den Händen weg klauen. Der Sinn des Lebens ist nicht das erfüllte Leben, sondern das Malträtieren der Natur, um wenigen zum Reichtum zu verhelfen. (ze.tt)

Als Obama gewählt wurde, zeigten sie in einer Doku eine amerikanische Mutter, die ihren Vierjährigen in die Luft hob: nun könne sie ihm sagen, dass der amerikanische Traum wieder funktioniere und er alles werden könne.

Das ist kein Traum, sondern ein Alptraum. Wer alles wird, verurteilt die Konkurrenten zu nichts. Der amerikanische Traum ist eine Kriegserklärung gegen alle Mitmenschen. Wenn einer Millionär wird, müssen 99 zu Abgehängten und Obdachlosen werden.

Mein Traum ist nur mein Traum. Demokratie aber ist der kollektive Traum des zoon politicon, der gesamten Gattung des homo sapiens. Mein Traum ist die Story von der ewigen Seligkeit, die nur Ich erringen kann. Meinen Lieben, meiner Familie, meiner Gemeinde, meiner Gesellschaft kann ich nicht helfen. Seligkeit ist das Eigensüchtigste, das die Menschheit je erfand. Einer wird gerettet, einer kam durch, einer ist der Beste, nur der Erste zählt, die Nummer Zwei ist nichts mehr: alles Parolen exkludierender Seligkeit, die vor Egoismus nicht aus den Augen schauen kann.

Trump ist eine belanglose Figur, die nach oben geschwemmt wurde. Alle Übel der Gegenwart an seiner Person festzumachen, wäre, ein Nichts zu einem Giganten zu erheben. Das Brüllen der Meute wird von den Medien als Gebrüll aus dem Abgrund gedeutet.

Damit sie das Brüllen so früh wie möglich lernen, sollen sie bereits als Kinder zu Brüllaffen – pardon, liebe Affen – gedrillt werden. „Brüllen lassen, bis sie resigniert verstummen“, so ein SPIEGEL-Artikel über die passgenaue Pädagogik zum „populistischen Rechtsruck“. (SPIEGEL.de)

Bald werden die Schwulen wieder diskriminiert und die Abtreibungen verboten. Die Todesstrafe muss ja nicht neu eingeführt werden. Wie wär‘s mit obligatem Schießunterricht ab Kindergarten? „Kinder, lasst uns Spaß haben, machen wir Schießübungen auf mexikanische Flüchtlinge!“

Carsten Luther zielt auf die Abgehängten, die nicht erkennen würden, dass alle Menschen die gleichen Chancen hätten. Opfer eines Systems in Täter zu verfälschen, die aus purer Bosheit versagen, ist ein Stilmittel der Eliten seit den griechischen Erfindern des Naturrechts der Starken: selber schuld, wer schwach ist. Warum hat er sich nicht als Starker gebären lassen? Das Konkurrenzprinzip dient nicht dem gemeinsamen Ansporn auf der Suche nach einem lebenswerten Leben. Sondern der gnadenlosen Auslese zugunsten einer winzigen Minderheit auf Kosten der meisten. Jeder Mensch hat seine Fähigkeiten und das Recht, diese zu entfalten. Ohne Schikanen eines Verdrängungswettbewerbs, der – wie der Erlöser – eine Seele ans Licht führt und 99 in die Dunkelheit wirft.

„Mit Trump können sich die vermeintlich Abgehängten als Gewinner fühlen. Der Traum von einem Amerika, in dem jeder die gleiche Chance hat, bedeutet ihnen nichts mehr. Ihr entfesselter Hass richtet sich wahlweise gegen Schwarze, Muslime, Hispanics, Frauen, Journalisten – die Liste kann nur unvollständig sein. Im Zweifel sind es alle, die bei dieser Wahl verloren haben. Sieg oder Untergang – darauf hat Trump seine Anhänger eingeschworen. Das ist der Weg aller totalitären Bewegungen.“ (ZEIT.de)

Wir erleben den hysterischen Gipfel elitärer Hassgesänge. Der ungewohnte, ungeübte, unausgegorene, aber sachlich berechtigte Widerstand des Volkes wird zum Weg ins Totalitäre verteufelt. Hier verschlägt es einem den Atem. Das ist die Kriegserklärung der Auserwählten gegen jene, die auf dieser Welt keinen Platz mehr haben sollen. Pastor Malthus verurteilte die Überflüssigen zum Tode per Verhungern. Den Schwachen geschähe nur das Ihrige, wenn sie den Reichen und Erwählten nicht mehr im Wege stünden.

Die Geschichte des satanisierten Volkes ist noch nicht geschrieben. Die Wundergeschichten über die gottgleichen Erfindungen, Heilsreligionen und tiefgründigen Theorien der Oberklassen hingegen füllen ganze Bibliotheken.

In Athen klang das so: „Denn nichts ist unverständiger und mehr zum Übermut geneigt als die Masse, die sich von Tyrannenwillkür nur dadurch unterscheidet, dass sie ohne Grundsätze und Einsicht blindlings ihren Launen folgt.“

Selbst ein Schwur der aristoi gegen den Demos ist überliefert: „Und dem Demos will ich feindlich gesinnt sein und ihm so viel Böses zufügen als ich nur tun kann.“

Sokrates wehrte sich gegen den Verfall der Polis, indem er jeden Bürger auf der Agora mit der Frage belästigte: weißt du, welche Tugenden ein wehrhafter Bürger benötigt, um den Staat zu retten? Lass uns gemeinsam darüber nachdenken und miteinander streiten.

Sein Schüler Platon wollte die verwerfliche Athener Polis durch den Entwurf eines vollkommenen Staates retten. Seine Politeia wurde zur Vorlage des Gottesstaates im heraufdämmernden Urchristentum. Die Politeia beruhte auf der Herrschaft der Weisen, die im Besitz der vollkommenen Erkenntnis waren.

Der christliche Gottesstaat war perfekt durch die Herrschaft des allmächtigen, allwissenden und allpräsenten Gottes und der Priester, seiner irdischen Stellvertreter. Klerus und die Mächtigen übernahmen die Allmacht der platonischen Weisen. Der athenische Pöbel wurde zu jenen Verworfenen, die in der himmlischen Politeia keinen Platz mehr fanden. Im Orkus mussten sie für immer verschwinden. Der Himmel wurde zur Belohnung elitärer Minderheiten, die Hölle zum Bestimmungsort unrettbar verdorbener Massen:

„Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Und sie werden in die ewige Pein gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben.“

In Amerika verschmolz der Kapitalismus mit der Frohen Botschaft. „Nichts Böses, sondern Gutes ist der Menschheit aus der Anhäufung des Reichtums durch diejenigen erwachsen, die die Fähigkeit und Tatkraft besessen haben, ihn hervorzubringen.“ (Andrew Carnegie, Das Evangelium des Reichtums)

Carnegie hatte keine Hemmungen, das Evangelium des Mammons als Utopie der Brüderlichkeit zu bezeichnen:

„Das Problem unserer Zeit liegt in der rechten Verwaltung des Reichtums, in der harmonischen Vereinigung des Reichen und des Armen durch die Bande der Brüderlichkeit.“

Der Aufstand gegen die bigotte Harmonie einer himmel-schreienden ungerechten Gesellschaft mit Hilfe eines abtrünnigen Mitgliedes der Oberschicht, der seine Wähler in den kommenden Jahren noch mehr in den Abgrund stürzen wird, ist der verborgene Sinn der gegenwärtigen amerikanischen Revolution.

Dämonen können nur besiegt werden, wenn sie sich zeigen. Während ihre bisherigen Vorbilder offen ihre Ratlosigkeit zeigen und an der Demokratie zu zweifeln beginnen, ziehen es die deutschen Schüler vor, in vorbeugende Schockstarre zu verfallen. Sie wollen nicht mündig werden, um ihren gefallenen Lehrern nicht die Hand reichen zu müssen zur Solidarität der gemeinsam Suchenden.

 

Fortsetzung folgt.