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Weltdorf XXIV

Hello, Freunde des Weltdorfs XXIV,

es gibt eine verhängnisvolle Form der Internationalen. Das Weltdorf kann nur das Ergebnis einer planetarischen Gerechtigkeit sein, keiner globalisierenden Machtzusammenballung der Superreichen. Zum Teufel mit der Globalisierung, wenn sie der grenzenlosen Macht der Mächtigen dient.

Freihandelsverträge erhöhen die Mauern zwischen Habenden und Nichtshabenden. Die jetzige Globalisierung ist eine Erweiterung nationaler Egoismen über alle Grenzen hinweg. Zugleich die Errichtung eines separaten Reiches der Reichen, das alle Schwächeren – im Ausland oder im Inland – in ein inferiores planetarisches Massenrevier zwingt. Oberhalb aller nationalen Grenzen schließen sich die Tycoons zur Internationalen des Mammons zusammen, unterhalb der Grenzen kommt es zum erbitterten Verteilungskampf der Schwachen gegen die Schwächsten.

Als vor mehr als einem Jahrhundert die revolutionären Proleten mit Wohlstandshäppchen und Sozialscherflein bestochen wurden, setzten sie Fett an und vergaßen ihre trotzige Internationale. Heute wirkt sie verrostet. Ausbeuter sind keine „Müßiggänger“. Muße (kein Müßiggang), die Fähigkeit zu leben, könnte die einzig passende Antwort sein auf das Ausbeuten der Natur durch Malochen und Maschinen. „Alles zu sein“, „dann scheint die Sonn ohne Unterlass“: das sind religiöse Siegesfanfaren. Marx war Heilsgeschichtler, unterfüttert mit ökonomischen Theorien.

Dort wird es keine Nacht geben, und man braucht weder Lampen noch das Licht der Sonne. Denn Gott, der Herr, wird ihr Licht sein, und sie werden immer und ewig mit ihm herrschen.“ „Wenn ihm aber alles unterworfen sein wird, dann wird auch der Sohn selbst sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei.“

„Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger
Alles zu werden, strömt zuhauf!

Die Müßiggänger schiebt beiseite!
Diese Welt muss unser sein;

Erst wenn wir sie vertrieben haben
dann scheint die Sonn‘ ohn‘ Unterlass!

Völker, hört die Signale!
Auf zum letzten Gefecht!
Die Internationale
erkämpft das Menschenrecht.

Ein letztes Gefecht wird es so schnell nicht geben. Viele Gefechte an allen

Orten und auf allen Ebenen müssen wir gleichzeitig führen. Jahrhundertealte Verkrustungen müssen abgetragen, die gedanklichen Rechtfertigungen der Verkrustungen seziert werden.

Die Internationale der Gegenwart muss ein Vertrag mit allen Völkern oder mit keinem sein. Nicht der Handel wird im Mittelpunkt stehen, sondern das Lernen voneinander, die Rettung der Welt, die Humanisierung des Menschen. Wozu brauchen die Reichen Verträge, die sie noch reicher machen? Der Wohlstand dringt ihnen bereits als Gift aus allen Poren. Der Reichtum muss allen zugute kommen. Eigentum verpflichtet – wozu? Zum Wohlstand aller.

Geschwister, ein neues Lied müssen wir singen. Nicht dem Herrn, sondern dem Menschen. Der Mensch muss sich im Menschen wiedererkennen, nicht in fabulösen Göttergeschichten.

Warum gibt es noch keine globale Väterliga, die dem illusionären Vater im Himmel alle Väterrechte abjagt? Warum keine Mütterliga, die der Mutter Gottes das Recht abspricht, die Mutter aller zu sein? Warum keine Kinderliga, die einem göttlichen Kind die Anmaßung vorwirft, unnatürlich geboren zu werden, welt-verdammend zu sterben, niederzufahren in eine Gespensterhöhle, aufzuerstehen in eine frühcineastische Hollywooderfindung und noch immer die Weltpolitik zu bestimmen – bis zur selbsterfüllenden Apokalypse?

Mit solchen Gräuelnarrativen werden wir uns in den Abgrund navigieren. Wir wollen keine Heilsgeschichte noch sonstige Geschichten mehr hören. Wir wollen leben, freudig, leidenschaftlich und mitfühlend. Wir wollen keine Zukunft anbeten, die unsere Probleme löst, indem sie uns abschaffen oder aufs Abstellgleis schieben will. Wir wollen keine Sklaven der Vergangenheit bleiben, die uns aus dem Untergrund bestimmt.

Geschichte, mach dich von hinnen. Fortschrittsgeschichte, Verfallsgeschichte, Untergangsgeschichte, Siegergeschichte, Verdammtengeschichte, Zukunftsfanatismus, Vergangenheitsblindheit; die Unfähigkeit, einen einzigen Tag ruhig im Zimmer zu sitzen; der Zwang, gegen Kinder Aversionen zu entwickeln, weil wir ihnen nicht mehr ins Auge schauen können; die Sucht, Großfamilien, Freundschaften und tragfähige Beziehungen zu zerstören, damit wir für den Profit rund um den Globus rasen können: all dies soll uns gestohlen bleiben. Niemand soll über unser Leben bestimmen, der sich in rotzfrecher Überhebung anmaßt, uns besser zu beglücken als wir uns selbst.

Vorschläge und Angebote – immer. Aber keine, die keine sind, sondern unaufhaltsame, unfehlbare und allmächtige Zukunftslokomotiven, die über uns hinweg rattern. Weg mit solchen faschistischen Kolumnen: was kommt auf uns zu? Nichts und niemand soll auf uns zukommen als das, was wir in friedlichen Gesprächen zusammen beschlossen haben. Weg mit Grenzenlosigkeiten, mit menschheitsgefährdenden Risiken, mit 4.0, 5.0 und sonstigen 00-Gehirnverseuchungen.

„Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit. … Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, die selbst auf ihrer Bahn dahinjagt. Legt Feuer an die Regale der Bibliotheken, … Leitet den Lauf der Kanäle um, um die Museen zu überschwemmen! … Ergreift die Spitzhacken, die Äxte und die Hämmer und reißt nieder, reißt ohne Erbarmen die ehrwürdigen Städte nieder!“ (Futuristisches Manifest)

Nicht lange nach dieser Anbetung einer unmenschlichen Zukunft standen Mussolini, Hitler und Stalin auf der Matte. Der Kern des Futurismus war die Verachtung des Weibes. „Das Problem der Reproduktion will Marinetti mit dem „metallisierten Mann“ lösen, der, weiblichen Reizen gegenüber unempfindlich, über die Möglichkeit verfügt, sich selbst zu reproduzieren.“

Kaum 100 Jahre nach dem futuristischen Manifest sind alle Silicon Valleys dieser Welt dabei, die Fieberträume des messianischen He-Mans zu realisieren.

Haben wir nichts dazugelernt? Wie können wir lernen, da wir Lernen abgeschafft haben? Mechanisches Drillen, um den globalen Wettbewerb zu gewinnen, das kennen wir aus dem Effeff. Lernen halten wir für Plagiieren. Genies haben solche Dinosauriermethoden nicht nötig, alles schöpfen sie aus dem Fond ihrer Unvergleichlichkeit. Übermänner sind omnipräsent, um sich die Welt unter den Nagel zu reißen. Wer ihrer Unvergleichlichkeit nicht gleicht, muss unverzüglich abtreten.

Geschwister, diesen Metall-Monstren müssen wir uns entgegenstellen. Wir müssen sie zu Fall bringen, sie lächerlich machen, sie dem Spott der Vernünftigen ausliefern. Die Menschheit soll beginnen, mit planetarischem Gelächter die metallenen Tröpfe zum Straucheln zu bringen. Kleinste Ähnlichkeiten der Individuen werden von ihnen als Uniformierung abgelehnt, gleichzeitig schaffen sie identische Plagiate aus Metall, die sie als Herren der Menschheit anbeten.

Ihre Schulen sind Verdummungsmaschinerien geworden. Je informierter sie sein wollen, je dümmer werden sie. Ein Hirnforscher beklagt sich: „Wir verlassen uns darauf, dass für uns gedacht wird. Wir schließen uns zu bereitwillig Meinungen an, die andere bereits vorgeformt haben. Damit leben wir in selbst verschuldeter Unmündigkeit. Wer vage denkt, kann auch nur vage handeln. Denken ist eine Voraussetzung für richtiges Handeln – es ist gleichsam eine überlebenswichtige Dienstleistung unseres Gehirns. Gerade in der heutigen, turbulenten Zeit ist es wichtig, Verantwortung zu übernehmen und selber über anstehende Fragen und die wichtigen Dinge des Lebens nachzudenken.“ (WELT.de)

Waren es nicht Hirnforscher, die dem Menschen das selbstbestimmte Denken absprachen? Wie erklären wir uns, dass genau diese Frage dem empörten Professor nicht gestellt wurde? Nähern wir uns bereits der gattungsmäßigen Demenz?

„Wie konnte Donald Trump auch nur in die Nähe des Weißen Hauses gelangen? Sie wussten also nicht, dass der Präsident – als auf Zeit gewählter Monarch – die Exekutive verkörpert, dass der Kongress, der aus zwei Kammern besteht, als Parlament die Gesetze erlässt und dass der Oberste Gerichtshof in Washington darüber wacht, dass dabei niemand gegen die Verfassung verstößt.“ (WELT.de)

Wer nun glaubt, die Deutschen seien klüger, der irrt:

„Allerdings sieht es in Deutschland kaum besser aus. Der Forschungsverband SED-Staat an der Freien Universität Berlin hat unter dem Titel „Später Sieg der Diktaturen?“ eine Studie vorgelegt, die zeigt: 40 Prozent der Jugendlichen wissen nicht, was der prinzipielle Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur ist.“

Je vernetzter die Welt wird, je weniger weiß sie voneinander. 80% aller Studenten sind studierunfähig, können keine Bücher lesen, haben Angst, sich zu binden, stellen einander keine Fragen mehr. Soziale Dummheit ist die Spitze aller Dummheiten. Es gibt Mächte, die die Dummheit der Menschen mit allen Mitteln fördern. Es sind – die Mächte der Metallic-Maschinen, die die verblödete Menschheit ersetzen sollen:

„In Amerika haben unsinnige, scheinprogressive Ideen das Erziehungssystem verwüstet: Es gehe – so heißt es – nicht darum, den Schülern Wissen zu vermitteln, sondern darum, ihnen beizubringen, wo man die Fakten nachschlagen kann. Der Lehrer solle nicht vorne an der Tafel Zusammenhänge erklären, sondern nur vom Rand her den Unterricht moderieren et cetera.“

Im deutschen TV gibt es nur noch Quiz-Orgien. Hohle Fakten wissen, ohne zu wissen, was sie zu bedeuten haben – das wird dem dummen Pöbel eingetreichert. Fakten, Fakten, Fakten – das ist das Einmaleins der Medien, die Begriffsklärungen für „Wortklaubereien“ halten (Poschardt). Wer dubiose Sätze erklären will, der ist ein „Schwafelexeget“:

Die ganze Schwafelexegese (Wer ist „wir“? Was ist „schaffen“? Was ist „das“?) war voll für den Arsch.“ (TAZ.de)

Gehört das Christentum zu Deutschland? Fragt Ulf Poschardt die siamesischen Zwillinge Blome & Augstein. Zu etwas gehören heißt was? Ist es historisch verankert, ist es Grundgesetz-kompatibel, ist es heilsnotwendig für eine säkulare Demokratie? Antwort:

„Blome: Das Christentum füllt nicht mehr alle Kirchen. Aber seine Werte prägen Alltag und Denken in diesem Land nach wie vor am stärksten.

Augstein: So wenig, wie die meisten Deutschen sich heutzutage in „ihrer“ Religion auskennen, ist das eine berechtigte Frage. Frei nach Merkel: Wer den Muslimen ihre Religiosität vorwirft, sollte selber mal wieder zur Bibel greifen.“ (WELT.de)

Das ist der Bankrott des deutschen Journalismus. Was ein Land prägt, muss nicht demokratisch sein. Selbst, wenn alle die Bibel auswendig könnten, wären sie keine authentischen Christen. Kennt denn Augstein die Bibel und wenn ja, was folgt für ihn daraus?

Wer wird den hohen Herren solche Pöbelfragen stellen? In vornehmen Kreisen delektiert man das Ungefähre und Vieldeutige. Scheinantworten auf unernsthafte Fragen: das ist Dümmlichkeits-Alltag in Neugermanien mit dem Genieflair abgestandener Aufklärungsfeinde. Nur keine Begriffe herleiten, nichts verstehen und nichts erklären: das ist bundesdeutscher Dumpfheits-Standard. Wer auf Genauigkeit besteht, ist doktrinärer Besserwisser – gar ein intellektueller Faschist? So spricht die Ignoranzstyrannei derer, die die öffentliche Meinung exklusiv unter sich hatten.

Frau Käßmann wird gefragt, ob sie sich vorstellen könne, mit dem Berserker Luther verheiratet gewesen zu sein, der über Frauen diesen sympathischen Satz absonderte:

„Ob sie sich aber auch müde und todt tragen, das schadet nichts, lass sie nur todt tragen, sie sind darum da.“

Wie antwortet die Ex-Bischöfin, die für viele Politiker die ideale Nachfolgerin des Pastors in Bellevue wäre?

„Jaja, kenne ich. Das ist natürlich grausam und klingt in unseren Ohren ganz furchtbar. Gleichzeitig will ich mal sagen, dass, wenn alles, was Männer heutzutage beim Stammtisch oder im Bierzelt sagen, 500 Jahre später zitiert wird, käme auch nicht sehr viel Schönes raus. Bei Donald Trump hat es nur zehn Jahre gedauert, bis seine frauenverachtenden Prahlereien öffentlich wurden. Man kann diese Zitate nicht wegreden. Luther war sicher nicht der erste Feminist.“ (ZEIT.de)

Sie kennen alle Sauereien der Kirchen. Somit sind sie abgetan und abgesegnet. Ein Schlenker auf den Bösewicht der Saison und das Problem ist abgehakt. Nachfrage? Der Interviewer ist froh, dass seine Gesprächspartnerin die lästige Pflichtfrage professionell an sich abtropfen ließ. Gehört er doch mit größter Wahrscheinlichkeit zu jener Fraktion, die sich der Kirche überlegen fühlt – sie aber für sein prekäres Seelenheil nicht vermissen will.

Fragen mögen so intelligent sein, wie sie wollen – Interviews sind notorische Dummheitsveranstaltungen. Die Frager stellen ihre Fragen nur für die Empore, eigene Meinungen haben sie keine. Zu Streitgesprächen ohne Netz und doppelten Boden sind sie unfähig. Ihr gesamter Denkstil stammt von dem Kantschüler Vaihinger, dessen Namen sie noch nie gehört haben: sie tun, als ob. Sie fragen, als ob sie eine Sache klären wollten. Doch klären wollen sie nichts. Sie begnügen sich mit Antworten, die tun, als ob sie die Frage beantworten würden. Doch antworten wollen sie nicht. Sind Fragen nicht unendlich deutungsfähig? Stammen eindeutige Antworten nicht aus dem Wörterbuch der Einfachen und Simplen?

Ein preisgekrönter Literat hört zum ersten Mal das Heideggerwort „Widerfahrnis“ und ist so perplex, dass er eine Novelle daraus machen muss. Was ist sein eigenes Fazit?

„Und gleichzeitig geschieht dann etwas, was das Ganze vollkommen auf den Kopf stellt, und das ist ja in einer Novelle häufig der Fall. Im strengen theologischen Sinn meint Widerfahrnis ein spirituelles Ereignis, dem man selbst nichts entgegensetzen kann. Dem man sich nur beugen kann und das einen tief verändert. Das reicht für mich über die Theologie hinaus. Das Entscheidende ist, es gibt kein Verhaltensrezept in diesem Fall. Und das gilt auch für das, was wir alle erleben, seit einem Jahr, aber eigentlich schon länger, und auch weiter erleben werden, mit Menschen, die zu uns wollen. Auch da gibt es kein Rezept.“ (Sueddeutsche.de)

Über die Theologie hinaus? Was ist denn über der Theologie? Das kann nur das Paradies sein. Was Kirch-hoff beschreibt, hätte Paulus eine Bekehrung, eine Begegnung mit Gott genannt. „Und er stürzte zu Boden und hörte eine Stimme“. Ein moderner Intellektueller beschreibt eine traditionelle „Wiedergeburt“ und weiß nicht, was ihm geschah. Mit Theologie darf es nichts zu tun haben – und muss doch jede Kirchengläubigkeit übersteigen. Die persönliche Offenbarung ist so niederschmetternd, dass man ihr nichts entgegensetzen kann. Genau das ist die Grundbefindlichkeit der Deutschen und des gesamten christlichen Westens. Wir sind zur Passivität verurteilt und können unser Schicksal nicht in eigener Regie steuern. Wie aber lautet die Überschrift des Gesprächs? Richtig:

Es nervt mich, wenn die Leute sagen: Unser Land wird sich nicht verändern.“

Ohne Verstehen aber geht die Chose nicht. Was sind die Gründe der Dummheit? Kein Mensch wird dumm geboren. Bei dem amerikanischen Politologen Mark Lilla werden wir fündig. Seine Landsleute seien eine Nation von Kindern – die nie erwachsen werden. Warum nicht?

„Amerikaner sind süchtig nach Hoffnung. Wir glauben an Bekehrungen und an die Möglichkeit, noch einmal ein neues Leben anzufangen. Wir reden nicht über unsere Pläne; wir reden über Träume und legen unseren Kindern ans Herz, auch welche zu hegen oder wenigstens so zu tun. Wir haben nichts als Hohn übrig für die alte Lektion der Stoiker, dass der Schlüssel zum Glück darin liegt, Grenzen zu kennen und sich in ihnen einzurichten. Mit der gleichen Haltung gehen wir an die Politik heran. Und zudem mit einem sehr kurzen Gedächtnis. Wir vergessen, dass wir die heurigen Wahlversprechen schon beim letzten Wahlkampf hörten und dass herzlich wenig daraus geworden ist.“ (NZZ.de)

Lilla hätte sich mit dem lakonischen Statement begnügen können: Amerikaner sind Christen. Ihr Prinzip Hoffnung, ihre grenzenlosen Träumereien, ihr blinder Optimismus sind biblische Tugenden. Sie kennen keine Vergangenheit, denn sie blicken nie nach hinten. Was geschehen ist, wird verdrängt. Ein Geschichtsbewusstsein haben sie nicht. Nach hinten blicken, ist verboten, sonst erstarren sie zur Salzsäule. Jeden Tag werden sie neu geboren: was haben sie mit ihrem alten Adam zu tun?

Die amerikanische Ideologie des kollektiven Alzheimer wird von den Deutschen imitiert. Keine Rede eines Politikers oder eines bankrottierenden Bankers ohne die Floskel: ich schau nur nach vorne. Was vergangen ist, ist vergangen. Selbst deutsche Historiker sind flott dabei, ihre eigene Disziplin unter Kuratel zu stellen. Sie lehnen es ab, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Denn nichts sei vergleichbar, Epochen seien so individuell wie Individuen. Warum sollte man Geschichte studieren? Um sie zu vergessen.

Die kollektive Dummheit der modernen Eliten, die sie ständig auf das „Volk“ abwälzen, ist gewollt. Sie ertragen es nicht mehr, die Folgen ihres Tuns filterlos wahrzunehmen. Sie binden sich eine Drei-D-Brille vor die Nase, mit der sie die unerträgliche Realität ausblenden. Die Brille ist ihre künstlich hergestellte Dummheit, mit der sie den Olympier Goethe auf den Kopf stellen: der Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des Weges nicht mehr bewusst. Sie tappen in selige Dunkelheit. Die Völker, die aus dem Dunkel kamen, sahen am Horizont ein winziges Licht – und kehrten erschreckt in jene Dunkelheit zurück, aus der sie kamen.

Sie wissen nicht mehr, was Demokratie ist. Das tapfere Wallonien wehrt sich aufrecht gegen einen inhumanen Handelsvertrag – und wird als undemokratisch gescholten. Die TAZ hat die Situation auf den Punkt gebracht:

„Unterstützung bekommen die Wallonen auch aus der Zivilgesellschaft. „Das Nein Belgiens zu Ceta steht für das Nein eines großen Teils der Menschen in Europa“, sagte etwa Attac-Handelsexperte Roland Süß. „Sie teilen die Kritik an Sondergerichten für Konzerne und einer Aushöhlung der öffentlichen Daseinsvorsorge.“ (TAZ.de)

Die großspurige Regel der Europäer ist 100%ige Harmonie. Ergo muss es undemokratisch sein, wenn ein Land sich dieser Regel bedient? Plötzlich heißt es: nicht mehr alle nach allem befragen. Europa muss funktionieren. Da können demokratische Bedenken nur unliebsame Störungen des Betriebes sein.

Alle Bedenken unendlich vieler Europäer wurden in den Wind geblasen. Fast alle Medien sind zu antidemokratischen Funktionären geworden. Was ist der Grund? Die Schreiber schämen sich. Europa habe sich vor aller Welt blamiert. Das nehmen Zeitungsverleger persönlich und ihre Vasallen riechen den Braten. Da bedarf es keiner ausgesprochenen Direktiven, um den Redaktionen den richtigen Weg zu weisen.

In Deutschland gab es keine einzige Debatte der Kanzlerin mit CETA-Kritikern. Ihr samaritanischer Erleuchtungsaugenblick ist längst ins schreckliche Gegenteil verkehrt. Dank einer solistischen Reise zu diversen Despoten verlaufen die europäischen Grenzen inzwischen mitten in der Sahara – mit aufwendigem elektronischem Gerät. Einem Geschenk der mildtätigen Kanzlerin. So nützlich kann uneigennützige Entwicklungshilfe sein.

Was bemerkt die deutsche Bevölkerung? Nichts. Was schreiben deutsche Gazetten? „Alles wartet auf Merkel.“ Was ist das? Unergründliche Dummheit, die sich als blindes Vertrauen in die christliche Obrigkeit deklariert. Gescheitheit oder Bewusstsein wäre eitles Vertrauen in die menschliche Vernunft. Weisheit aber ist Torheit vor Gott. Christen müssen lebenslänglich unmündige Kinder bleiben. Also müssen sie verdrängen und vergessen:

„Eins jedoch tue ich, ich vergesse, was hinter mir ist, strecke mich aber nach dem aus, war vor mir ist und jage, das Ziel im Auge, nach dem Kampfpreis der Berufung nach Oben.“

Der Wettbewerb der Nationen ist der Kampf um den Glauben mit wirtschaftlichen Methoden. Mit Hauen und Stechen muss um die seltenen Plätze im Himmelreich konkurriert werden. In meines Vaters Hause gibt es viele Wohnungen – aber nicht genug für alle. Es herrscht das heilige Prinzip der kleinen Zahl. Viele sind berufen, aber wenige auserwählt. Also jeder gegen jeden:

„Wisset ihr nicht, daß die, so in den Schranken laufen, die laufen alle, aber nur einer erlangt das Kleinod?“

Das ist die verborgene Heilslogik westlicher Handelsverträge: nur einer kann gewinnen. Und dies muss der auserwählte Staat sein. Wer mit Hilfe fair scheinender Bedingungen den Vertragspartner übers Ohr haut, auf dem ruht das Auge des Herrn mit Wohlgefallen. Wer hat, dem wird gegeben. Die Kluft zwischen Habenden und Nichtshabenden ist göttlicher Wille.

Es ist ein Märchen, dass der klassische Wirtschaftsliberalismus gerechte Tauschbedingungen anvisierte, um den Nationen einen gerechten Wohlstandszuwachs zu bescheren. Von Anfang an waren jene Völker im Nachteil, die die Unverschämtheit besaßen, ihre Bodenschätze nicht optimal zu nutzen. Wer das Land, das Gott ihm gibt, nicht vorschriftsmäßig ausbeutet, dem muss es genommen werden – das war die Meinung des sonst so demokratischen Locke:

„Weil die Erde allen Menschen gemeinsam gegeben ist, haben die Engländer denselben Anspruch auf das Land in der Neuen Welt wie ihre Bewohner. Implizit räumt er den Engländern allerdings ein Vorrecht ein. Denn sie könnten denn Boden ertragreicher nutzbar machen als die Indianer im Stande wären.“

Von Anfang an waren militärische und wirtschaftliche Methoden austauschbare Mittel, um die gottlosen Heiden zur Raison zu bringen. Ein kleines Beispiel:

„Marktöffnung und ein Freihandel mit sehr ungleichen Austauschbeziehungen wurden von den europäischen Mächten, vor allem von England, sowie von den USA jedoch auch gewaltsam durchgesetzt und militärisch abgesichert. In zwei Opiumkriegen zwischen 1839 und 1860 zwang England China zur Öffnung seiner Märkte für indisches Opium, was zu den Kriegsopfern noch Millionen von Opiumtoten zur Folge hatte.“ (Wiki)

Europas Eliten sind außer Rand und Band – und die Medien treu an ihrer Seite. Es geht abwärts und sie schämen sich. Aber nicht wegen demokratischer Dekadenz, sondern wegen mangelnder BIP-Gigantomanie. Intellektuelle und moralische Dummheit stützen und fördern sich.

Dunkelmännerbriefe waren einst klerikale Attacken gegen das Aufkommen der denkenden Vernunft. Die deutschen Medien sind auf die Stufe der Dunkelmännerbriefe zurückgefallen. Früher war die Frontstellung klar: Vernunft gegen Glauben. Licht gegen Finsternis, das das eigentliche Licht Gottes sein wollte. Heute versteht sich instrumentelle Vernunft – der technische und wirtschaftliche Fortschritt – als Harmonie aus Gehorsam und Autonomie. In Deutschland ist der Satz des Widerspruchs am Kreuz des Glaubens gestorben.

Was fehlt? Die tröstliche Weihnachtsbotschaft unserer lutherischen Kanzlerin an ihr tapferes Volk, das im Dunkeln steht:

„Angela Merkel hat von ihrer Partei mehr Selbstbewusstsein im Umgang mit den christlichen Wurzeln gefordert. Sie schlug vor, Liederzettel zu kopieren und jemanden aufzutreiben, der Blockflöte spielen kann.“ (WELT.de)

Prompt wurden die deutschen Leitkulturregeln für Flüchtlinge präzisiert: wer ein echter Deutscher werden will, muss Stille Nacht flöten können. Von der Blockflötenpartei zum Blockflötenvolk ist nur ein kleiner Schritt.

Die Kunde vom Weltdorf ist in Deutschland noch nicht angekommen.

 

Fortsetzung folgt.