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Weltdorf XLVI

Hello, Freunde des Weltdorfs XLVI,

Trump will zurück zur fossilen Energie. Das entspricht einem atomaren Generalangriff gegen die Erde. Wo alle Welt sich nach vielen Streitigkeiten auf die Rettung des Klimas geeinigt hatte, stellt Amerika sich in abnehmender, aber brandgefährlicher Übermacht gegen den Rest der Menschheit.

Amerika zuerst, bedeutet: die Welt zuletzt. Die erwählte Nation ist nicht länger gewillt, ihren Sonderweg von Nichterwählten und Nichtbesonderen beeinflussen zu lassen. Wissenschaft und irdische Vernunft zählen nicht mehr – höchstens zur Konstruktion von Maschinen, die die Welt überwachen und beherrschen sollen.

Wie lange schon kämpft der Creationismus gegen die Weisheit der Welt, um sie durch die Torheit Gottes zu ersetzen. Alles, was nach Aufklärung roch, wurde aus den Schulbibliotheken entfernt. Amerikanische Eliten besuchen nur noch private Christenschulen und werden mit weltlichem Denken gar nicht mehr behelligt.

Die neue Bildungsministerin will alle Schulen privatisieren. Ihr Bruder, Begründer der berüchtigten Privatmiliz Blackwater, hat bereits das Militär den unbefugten Händen des Staates entrissen. Bleibt noch die Polizei, das Justizwesen – wie viele Gefängnisse sind bereits in privaten Händen – und die Müllabfuhr. Die Abschaffung des Staates ist die Abschaffung der Demokratie.

Deutsche reden gern vom Staat, um die Demontage der Demokratie nicht aussprechen zu müssen. Sie ertragen es nicht, vom einstmals bewunderten Vorbild Abschied zu nehmen. Nun müssten sie ihren eigenen Weg gehen – zusammen mit ganz Europa. Doch England ist bereits ausgeschert und hofft auf eine Revitalisierung ihrer einst so glorreichen speziellen Beziehungen zu den USA. Europa ist so schwach wie nie, weil es den Selbstbetrug der Rede von den gemeinsamen Werten des Westens ahnt – aber unfähig ist, die Klüfte und Widersprüche zwischen

den Welten zu benennen.

Das gemeinsame Täuschungsmittel, um sich eine Einheit vorzugaukeln, war die Wirtschaft. Die Konkurrenz um ökonomische Überlegenheit war das einzige Bindemittel, um sich beim gemeinschaftlichen Raubzug gegen die Natur solange zu verständigen, bis, ja bis … das Finale um die Weltherrschaft beginnt. Das beginnt jetzt.

Bislang wurden die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ländern mit diplomatischen Floskeln verschleiert. Jetzt kommt Riese Gulliver und trampelt großmäulig ins Land der Liliputaner. Die cleveren Zwerge taten, was die Welt mit Trump machen sollte.

„Als er aufwacht, findet er sich an Armen, Beinen und Haaren mit Schnüren an den Boden gefesselt. Sechs Zoll kleine Winzlinge klettern auf seinem Körper herum. Gulliver gelingt es, die Fäden an seinem linken Arm zu lösen, worauf die Winzlinge eine Salve von Pfeilen auf ihn abfeuern, woraufhin er beschließt, sich besser ruhig zu verhalten.“

Die Liliputaner sind klein, aber oho. Von ihrer entschlossenen Wehrhaftigkeit gegen Maulhelden können die westlichen Staaten nur träumen. Alles geschieht nach Recht und Gesetz.

„Gulliver erfährt, dass er in Liliput wegen diverser Vergehen angeklagt worden ist, zum Beispiel wegen öffentlichen Urinierens. Anstelle der ursprünglich vorgesehenen Todesstrafe planen die Liliputaner jetzt, ihn zu blenden und allmählich verhungern zu lassen, sein Skelett soll als Monument für die Nachwelt erhalten bleiben.“

Mit öffentlichem Urinieren begnügt sich der Potenzprotz nicht. Es muss schon öffentliches Ejakulieren sein. Sind nicht alle Frauen des Landes sein Eigentum? Sollte er sie umsonst privatisiert haben? Auch die Todesstrafe haben die USA noch nicht abgeschafft. Warum sollen immer nur die Kleinen gehängt werden und die Giganten lässt man laufen?

Das Kabinett Trump hat schon jetzt ein größeres Vermögen als ein Drittel der amerikanischen Bevölkerung zusammen. Er droht, die atlantischen Beziehungen in allen wesentlichen Punkten zu verändern. Er könnte die NATO schwächen und das arme Europa Putin, dem cäsaropapistischen Bruder im Herrn, als Beute vor die Füße werfen.

„Zudem befürchtet man in Berlin, dass Trump mit dem kritischen Kurs seines Vorgängers Barack Obama gegenüber der israelischen Regierung brechen und der Zwei-Staaten-Lösung eine Absage erteilen könnte.“ (SPIEGEL.de)

Berlin „befürchtet“ – was schon längst Fakt, Fakt, Fakt ist. Der lächerlich kleinlaute Widerspruch Europas gegen das Netanjahu-Regime hat die imperialistische Besetzung der Palästinenser – in unterschwelliger Sprache – längst abgesegnet. Netanjahu kungelt schon lange mit Europas Feind aus dem wiedererwachten Reich des Bösen. Bei solchen Gegensätzen wundere sich noch jemand, dass Aleppo als gemeinsames Opfer der Nationen notwendig wurde, um eigene Händel stellvertretend auf dem Rücken anderer auszutragen.

Obama war Erlöserfigur – die gescheitert ist. Trump ist der Antichrist. Diese beiden Hauptfiguren aus der Apokalypse des Johannes bestimmen in Pendelbewegung die Politik Neu-Kanaans. Europa, im Wahn, aufgeklärt zu sein, nimmt diese Urelemente der amerikanischen Politik nicht zur Kenntnis.

Schon seit der Gründung der USA waren griechische Demokratie und religiöse Heilsgeschichte die beiden Polaritäten, die sich nur tolerierten, wenn es dem Land wirtschaftlich und politisch gut ging. Kaum aber begann der Glanz zu verwelken, fiel das religiöse Lager über das demokratische her. Es wird sich zeigen, mit welcher Entschlossenheit das säkulare Lager imstande ist, sich gegen die Anmaßungen der Frommen zur Wehr zu setzen. Obamas Ende ist ein Jammer. Putin wirft er vor, Blut an den Händen zu haben – wie viele unschuldige Menschen hat er selbst mit Drohnen liquidieren lassen?

„Obama verteidigte seinen Syrien-Kurs, räumte aber zugleich ein, dass er offensichtlich nicht erfolgreich war. „Ich muss damit (mit dieser Erkenntnis) jeden Abend schlafen gehen“, sagte Obama. Er habe aber in Sachen Syrien das Beste getan, was unter den gegebenen Umständen möglich gewesen sei. Die andere Option, eine große Zahl von Bodentruppen zu entsenden, wäre kein „nachhaltiger“ Weg gewesen, so Obama.“ (SPIEGEL.de)

Wem ist damit gedient, dass Obama jeden Abend mit dieser Erkenntnis schlafen gehen muss? Wer will schon Krieg führen? Wenn man aber von vorneherein einen wankelmütigen Kurs fährt, rote Linien definiert, aber keine Konsequenzen folgen lässt, dann darf man sich nicht wundern, dass man von niemandem ernst genommen wird. Obama schwankte zwischen pazifistischem Heilsbringer und machiavellistischem Realpolitiker. Am Ende wollte er nur noch ungeschoren über die Runden kommen.

Doch die bösen Feinde verhagelten seine Bilanz. Der Friedensnobelpreisträger, mit riesigen Vorschusslorbeeren gestartet, endet in selbstverschuldeter Desillusion. Nie war sein Gesicht so grau und jeder Aura beraubt als in den letzten Tagen seiner Regierung. Was sagte de Gaulle über das tragische Ende von John F. Kennedy? Sic transit gloria mundi, so vergeht der Ruhm der Welt.

Eine deutsche Kanzlerin, bar jeder demokratischen Basiserfahrung, beschimpfte die Engagiertesten ihrer Bevölkerung, wegen Kritik an Freihandelsverträgen auf die Straße zu gehen, wegen Aleppo aber untätig geblieben zu sein. Gelegentlich zeigt sich die sadistische Rache der Mutter an ihren Untertanen, wenn diese der gottgewollten Mutter nicht genug untertan sein wollten. Selbst bekennt sie, zu ohnmächtig gewesen zu sein, um den Massenmord zu verhindern. Demonstrationen werden unternommen, wenn Aussicht auf Korrekturen besteht. Wer ist schuld an der Tragödie? Natürlich die Friedensbewegung – warum hat sie sich nicht leidenschaftlicher für den Frieden eingesetzt?

Die Kritikpunkte an den Handelsverträgen hat die Kanzlerin mit keinem Wörtchen zur Kenntnis genommen. Dann wirft sie den Menschen vor, für Frieden nicht auf die Straße gegangen zu sein? All dies mit der gekonnt-betrübten Muttermiene. In Elitenkreisen scheint es einen kaum unterdrückten Hass gegen lebendige Protestbewegungen zu geben. Diese kann man nach Belieben schuldig sprechen, um von eigenen Fehlleistungen abzulenken – oder sie für doof erklären, wenn sie das eigene Konzept angreifen.

Merkel ist keine Widerständlerin, sondern eine Koryphäe im Erspüren erfolgreicher Polit-Elemente. Hat sie den Eindruck, eine Stimmung setzt sich durch, springt sie auf und setzt sich an die Spitze der Bewegung.

Warum ist Politik zur Maische geworden? Weil Parteien sich fürchten, eine klare Position zu beziehen. Lieber ist ihnen das richtungs- und gesichtslose Ohngefähr. Wenn man nicht sagt, was man will, kann man beim Scheitern nicht ertappt werden.

In der Disziplin des rechtzeitigen Aufspringens sind Politiker nicht allein. Die Medien sind Weltmeister im prophetischen Erhaschen der jeweiligen Zeitgeistphilosophie, die man präziser Zeitgeistoffenbarung nennen sollte. Ihre Position ist stets kompatibel mit der jeweiligen Mehrheitsmeinung der Führungsklassen. Sie sind süchtig, im Pulk der Erleuchteten mitzuschwimmen. Kommen Turbulenzen, hacken sie in einmütiger Entrüstung auf jenen herum, die es wagten, den Pulk zu attackieren. Nur in der Mitte, in der sie sich selbst befinden, ist das Licht.

Kommt eine Streitfrage auf, müssen sie sich immer „aufmachen“, um den „Mann auf der Straße“ wie einen Fremdkörper zu kontaktieren. Dort stellen sie Fragen, als ob sie Aliens zu befragen hätten. Was versteht ihr unter Zusammengehörigkeitsgefühl? Wenn das keine existentielle Frage ist, die die Intelligenz des unbekannten Pöbels weit übertrifft!

In ihrem Kommentar zu Lage konstatiert die schnörkellose Brigitte Fehrle: „Das Einzige, was zählt, ist die nüchterne Wahrheit.“ (Berliner-Zeitung.de)

Recht hat sie. Doch wo bleibt die selbstkritische Bemerkung, dass es Edelschreiber waren, die jede Wahrheit an den Pranger stellten? Medien kennen ihre Philosophie nicht. Sie lassen sich im Strom der Geschichte treiben. Wahr ist, was gerade angesagt ist. Also sind sie unfähig, den Wandel ihrer Rede wahrzunehmen und die Gründe des Wandels zu benennen. Weder wird der Wandel konstatiert, noch die Ursachen desselben aufgedeckt. Sie sind Vertreter jenes heiligen Wandels, der nur von Gott gesteuert werden kann. Wer zurückschaut, um seine frühere Wahrheit selbstkritisch zu benennen, erstarrt zur Salzsäule. Sie sind Nomaden des Geistes. Wo sie gehaust haben, hinterlassen sie abgegraste Wüste. Aus den Augen, aus dem Sinn. Kommt ein neuer Tag, kommen neue Herausforderungen – und Wahrheiten. Gott gibt, Gott nimmt, der Name Gottes sei gepriesen.

Diese Medien haben keine Wahrheit, sie haben Dekaden-Offenbarungen. Typisch ihre selbstbejammernden biografischen Rückblicke: Als ich als junger Lokaljournalist begann, galt die Wahrheit X. Heute mache ich mich lächerlich, wenn ich dieselbe Wahrheit X vertrete. Doch wenn sie heute falsch ist, muss sie nicht schon damals falsch gewesen sein? Warum hat der Berufseinsteiger nicht gelernt, das Modische vom Plausiblen zu unterscheiden? Sich nur dem Tage überlassen, ist nicht einmal die Philosophie des Eseltreibers, der weiß, dass sein treues Tier einer zeitübergreifenden Eselsphilosophie huldigt.

Der tiefste Grund für die Mitläuferhaltung der Deutschen ist der Unterschied zwischen der Philosophie des Seins und der Philosophie des Werdens. Das Sein gilt als reglose und unlebendige Diktatur, das Werden als vitaler Prozess der Moderne in eine grenzenlose Zukunft. Statik gegen Dynamik. Dogmatisches Denken gegen allseits offene Grenzen, die man permanent zu überschreiten hat.

Die Naturstämme, die seit undenklichen Zeiten die phantastische Fähigkeit besitzen, im Einklang mit der Natur zu leben, gelten – selbst bei Popper – als geschlossene Gesellschaften, in denen abweichende Meinungen nicht geduldet würden. Die westlichen Gesellschaften debattieren viel, schreiben Massen von Büchern, doch mit welchem Ergebnis? Wir wissen nicht, wie wir unsere Probleme lösen können. Ja, wir sind zur Überzeugung gekommen, dass kein Mensch es wissen kann.

Der „offene Geist“ ist eine Scheinveranstaltung, eine sich selbst dekorierende Beschäftigungstherapie. Je mehr Sätze wir ausstoßen, umso wahrer müssen sie gewesen sein. Die offene Gesellschaft, die jegliche übertägige Wahrheit verabscheut, betrachtet den Wandel an sich als Wahrheitsbeweis. Das Veränderliche ist das Wahre, nicht, weil es wahr, sondern weil es veränderlich ist.

Natürlich lernt der Mensch hinzu und kann seine Meinungen ändern. Aber muss er sie ändern, um das Veränderte als die allerneuste Wahrheitsoffenbarung anzubeten? Eine Gesellschaft kann unmöglich eine geschlossene sein, wenn sie ihre Überlebensphilosophie seit undenklichen Zeiten immer wieder erprobt und überprüft hat. Nicht mit Abhandlungen und gebildeten Schwarten, sondern im Leben selbst. Wie kommt es, dass Urwaldstämme, die in Berührung kamen mit der Zivilisation, keinen Augenblick daran dachten, sich von ihrer Sippe zu lösen und in das ach so Freie und Offene zu stürzen? Sie haben nie etwas vermisst und erleben die Zivilisation als natur- und menschenfeindlich.

Popper ging von der falschen Vorstellung aus, das Unbehagen in der Kultur sei notwendig, um Erkenntnisfortschritt zu erlangen. Er unterschied nicht genug zwischen einer Kultur, die das Denken verbietet und einer, die ihre Probleme im Zusammenhang mit der Natur zur Zufriedenheit – ja zum Glück – aller gelöst hat. Popper verwechselte die geschlossene Gesellschaft mit dem platonischen Faschismus oder der mittelalterlichen Theokratie, in der freie Geister nicht überleben konnten. In einer Gesellschaft aber, die ihre Probleme zur optimalen Zufriedenheit aller gelöst hat, gibt es – unglaublich, aber wahr – keine unerledigten Probleme.

Um ihre Unfähigkeit, mit der Natur zu leben, zu kaschieren, gibt sich die Moderne das flotte Image allseitiger Offenheit. Eine schreckliche Selbstverblendung. Am Fortschritt, an den Wundern der Technik, am Vorrang der Zukunft, an der Notwendigkeit hektischen Wandels darf heute niemand irre werden, der sich nicht als Außenseiter lächerlich machen will. Warum brabbelt jeder wie ein Gebet: Wir leben in Zeiten des Umbruchs? Nichts wird mehr sein, wie es war? Weil das Gegenteil stimmt und diverse Grundelemente wie Stahlseile unser Dasein bestimmen.

Käme irgendeine Partei auf die Idee, eine Volksbefragung über die Notwendigkeit des technischen Fortschrittes vorzuschlagen – sie könnte sich gleich in den Bärenhöhlen verkriechen. Die meisten Grundelemente unseres Daseins sind eisenhart festgezurrt. Wir müssen einen Preis dafür bezahlen, schrieb Popper, dass wir unablässig nach neuen Erkenntnissen streben können. Ging es ihm tatsächlich um Erkenntnisse, oder um prinzipienlose Änderungen um der Änderungen willen?

Wozu erkennt der Mensch? Was ist der Sinn der Wahrheit? Damit er sein Leben in Freude verbringen kann. Hat er das geschafft, wäre das Ziel des Erkennens erreicht. Endstation. Der Eremit, der mit sich in Einklang lebt, braucht keine Erkenntnisse über die neusten westlichen Ismen, um seinem Leben ständig einen neuen Kick zu verschaffen. Wozu bräuchten naturnahe Stämme komplizierte Erkenntnisse über die Vermeidung von Mikroplastik, wenn es in ihrer Umgebung diesen Müll gar nicht gäbe?

Und dennoch können die Eingeborenen jeden Tag das Überraschende in der Natur erleben, das ihnen noch unbekannt war. Muss ich erkennen, weil mein Leben davon abhängt? Oder darf ich erkennen, weil mein Leben in ruhiger Sicherheit verläuft – wie bei Aristoteles?

Ruhe und Sicherheit, die tiefsten Bedürfnisse des Menschen, sind durch die Philosophie der hektischen Moderne zu Lächerlichkeiten einer vormodernen, vordemokratischen Gesellschaft geworden. Kein Mensch, der mit den Verhältnissen hadert, traut sich, seine unmodernen Bedürfnisse offen zu legen. Jeder muss in artistischer Kühnheit das Risiko suchen, das er hasst wie die Pest.

Es gibt auch fremdenfeindliche Naturstämme, doch sie bilden die absolute Minderheit. Wie freundlich und menschlich haben die meisten Ureinwohner die ersten Spanier, Portugiesen, Holländer, Engländer und Deutschen aufgenommen, Bis sie von den Soldaten und Priestern des Herrn mit fürchterlicher Gewalt ausgerottet wurden.

Nach Popper müssten die Menschheitsverbrecher die offene und ihre Opfer die geschlossene Gesellschaft repräsentiert haben. Das ist der helle Wahnsinn, der noch immer auf der Legende der überlegenen weißen Rasse beruht. Die angebliche Überlegenheit der westlichen Kultur ist noch immer die größte Hypothek der Gegenwart, um mit allen Völkern der Welt die Frage zu erörtern: wie müssten wir leben, um unser gemeinsames Überleben nicht zu gefährden?

Die Überlebensfrage ist die entscheidende. Sie ist identisch mit der Frage nach dem besten Leben aller Menschen. Nur, wenn wir uns als Menschen begegnen, werden wir als Menschen überleben können.

Immer weiter durch die Tundra, jagen die Tscherkessen: das ist die Philosophie aller westlichen Schnäppchenjäger um die besten Plätze in der Exportstatistik. Handelsverträge müssen abgeschlossen werden, damit die international Stärksten einmarschieren und den national Schwächsten den Saft abdrehen. In solchen Revieren steigen die Selbstmorde, die Lebenslust ist abhanden gekommen. Man lebt nur noch vom Träumen, weswegen Theologen und marxistische Philosophen so viel über das Hoffen schreiben.

Wenn ich schon ein erbärmliches Leben führe, kann ich noch immer hoffen, irgendwann das große Los zu ziehen. Die Lebenschancen werden auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. Und wenn sie nicht gestorben sind, hoffen sie noch heute.

Nein, das erfüllte Leben ist keine endlose Hoffnungsarie, die im Raum der Zukunft verhallt, sondern die pralle und gegenwärtige Lust am Dasein. Jede Hoffnung wird zum Trug, wenn sie nicht dazu beiträgt, sich selbst zu erfüllen.

Das ist die ewige Sackgasse der Linken, die sich immer an der gleichen Stelle wie Lemminge in den Abgrund stürzen. Wie immer, wenn er nicht mehr weiter weiß, holt Jakob Augstein die Bände von Marx und Lenin, um sein Mantra zu beten: sie haben doch schon alles gewusst. Folgen wir den Spuren der marxistischen Kirchenväter – und wir werden im Paradies aufwachen.

Denkste, nichts werden wir. Marx war ein Fortschritt ins Verhängnis. Er hatte geniale Einfälle, doch seine religiöse Heilsgeschichte führte die Proleten in die Sackgasse einer neuen Abhängigkeit. Seine Kritik an der Religion war so anämisch, dass er nicht wahrnahm, wie sehr seine revolutionären Ideen religiös blieben. Auf Wiedersehen, Gott, für uns existierst du nicht mehr! Willkommen, allmächtige Heilsgeschichte, der wir uns nur unterordnen müssen, um – niemand weiß, wann – eines fernen Tages anzukommen.

Marx erbrachte eine absurde Leistung: er wollte den Menschen befreien, indem er ihn einer neuen Gottheit mit neuen Priestern unterstellte. Die Gesetze der Wirtschaft betrachtete er als Gesetze der Natur, nicht als Folgen bestimmter philosophischer Entscheidungen. Er wollte den Menschen emanzipieren, indem er ihm das eigenständige Denken verbot. Sie sollten auf der rechten Seite der Geschichte stehen, alles andere würde sich finden. Doch Wirtschaft ist keine Maschine, die man mit mathematischen Formeln kurieren kann. Die höchste Kraft des Menschen, das eigenständige Denken, wurde bei Marx zum folgenlosen Interpretieren.

Griechische Philosophie war eine Philosophie des sich ewig wiederholenden Seins. Natur war ein Kreislauf, in dem sich alles veränderte – und sich dennoch gleich blieb. Auch Heraklits „Alles fließt“ war alles andere als ein moderner Prozesswahn ins Unendliche. Bei ihm ist „die Welt eine Einheit, ein ewig lebendiger Prozess des Werdens und Vergehens und steter Wandlung seiner innersten Substanz, des vernunftbegabten Feuers.“ Die Gegensätze dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie die unsichtbare Harmonie der Welt nur dem Kurzsichtigen verhüllen. Der Erkennende aber sieht, dass die Polaritäten des Seins seine Harmonie niemals vernichten können. „Und so verläuft alles Geschehene streng notwendig nach dem Gesetze der Entzweiung der Einheit und der Vereinigung des Entzweiten.“

Das Grenzenlose und Maßlose beginnt erst, als der frühe kapitalistische Seehandel die bekannten Grenzen sprengte und die Raffgierigsten glaubten, umso mehr vom Kuchen der Welt zu erhalten, je endloser sie die Welt einschätzten.

Das Christentum zerbrach den Zirkel der Natur und erfand die Linie der Heilsgeschichte, die irgendwann an ihr Ende kommen wird. Da wir diesen Zeitpunkt nicht kennen, müssen wir handeln, als ob wir ins Unendliche weitergingen.

Deutsche Denker erfanden die Philosophie des Werdens,, die heute die Moderne dominiert. Vermutlich hing die Erfindung damit zusammen, dass die Deutschen den Nachbarn immer hinterher hinkten. Sie mussten auf das Werden hoffen, weil ihr Sein immer mangelhaft war. Nietzsche konstatiert:

„Die beiden größten (von Deutschen gefundenen) philosophischen Gesichtspunkte: Der des Werdens und – der Entwicklung“.

Wer heute stehen bleibt, fällt zurück. Wer nicht immer wird, hat schon verloren. Die Völker haben keine Freiheit, über ihre Art des Lernens selbst zu entscheiden. Entscheidungsträger sind die unermüdlichen Motoren des Werdens an den technischen Zentralstellen der Führungsmächte.

Und was ist das Geheimnis des Werdens?

„Meine erste Lösung, die dionysische Weisheit. Lust an der Vernichtung des Edelsten und am Anblick, wie er schrittweise ins Verderben gerät: als Lust am Kommenden, Zukünftigen, welches triumphiert über das vorhandene noch so Gute. Wir müssen Zerstörer sein“.

Schumpeters fruchtbare Zerstörung ist kein Naturgesetz, sondern ein Ableger Nietzsches. Ohne Philosophie werden wir weder die Wirtschaft verstehen – noch sie ändern. Erst müssen wir unser Denken ändern. Dann wird das veränderte Denken die Kraft haben, die Wirklichkeit zu verändern.

Was geschieht in der Philosophie des Werdens? „Zeitalter ungeheurer Kriege werden kommen. Zeitalter der größten Dummheit, Brutalität und Erbärmlichkeit der Massen und der höchsten Individuen.“

Das erleben wir momentan, wo die Eliten alle Macht an sich reißen und den Pöbel für alle Defizite schuldig erklären.

Wenn es höchste Individuen gibt, muss es auch eine neue Rangordnung geben:

„Meine Philosophie ist auf Rangordnung gerichtet. Nicht auf eine individualistische Moral. Die Führer der Herde bedürfen einer grundverschiedenen Wertung ihrer eigenen Handlungen – wie die Raubtiere.“

Wäre Trump ein Philosoph, wäre er ein Nietzscheaner. Sein Wille zur Macht, der vor nichts zurückzuschrecken scheint, wird den Abstand zwischen Oben und Unten ins Unüberbrückbare vergrößern.

Die Deutschen haben den Pfarrersohn vom Vorwurf befreit, Gedankengeber der Nationalsozialisten zu sein, und den Berserker zu einem innerlichen Seelensucher entstellt.

Schon rüsten die amerikanischen Eliten sich zum Abenteuer des nächsten evolutionären Schrittes und beginnen, sich als Fußtruppen des neuen Welttycoons einzuschmeicheln.

Knapp dahinter lauern die Deutschen. War Nietzsche kein Deutscher?

 

Fortsetzung folgt.