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Weltdorf XLII

Hello, Freunde des Weltdorfs XLII,

sie können ausgezeichnet rechnen. Doch Textaufgaben aus der Realität beherrschen sie nicht. Würden sie den PISA-Test machen, fielen sie alle durch. Quel malheur! Alle VWL-Lehrstühle der Welt wären subito verschwunden.

„Die Studierenden lernen vor allem mathematische Formeln. Empirie kommt nicht vor. Selbst das Thema Geld, zentral im Kapitalismus, füllt nur 4 Prozent des Lehrplans.“ (TAZ.de)

Wann wird der PISA-Test für Politiker eingeführt? In allen Berufen wird geprüft und getestet. Nur wer vom Volk gewählt werden will, wird weder in Dreisatz, noch – sofern er C-Parteien angehört – in Theologie, noch in demokratischer Philosophie oder politischer Moral geprüft.

Es gibt, ungelogen, linke Journalisten, die Politik fordern, auf keinen Fall Moral: also unmoralische Politik. Dennoch wettern sie gegen den Verfall von Anstand und Sitte und wünschen den amoralischen Trump zur Hölle. Für 99% Moralverächter unter deutschen Edelschreibern – die nur stilistisch edel sein wollen – müsste der prächtige Milliardär der Inbegriff eines interessegeleiteten, machiavellistischen Politikers sein. Warum nur ist er es nicht? Ein deutsches Rätsel. Zu komplex für geborene Dialektiker, die zusammenwerfen, was nicht zusammen gehört und trennen, was zwei Seiten einer Medaille sind.

Kann Schäuble, außer mit seinen Fingern, überhaupt rechnen? Seine Chefin versteht von Philosophie – der Torheit der Welt – so viel wie von intellektueller Redlichkeit.

Ökonomie beherrscht die Welt, Neoliberale beherrschen die Ökonomie. Sie berechnen Tod und Teufel, nur nicht die Welt, die sie glauben, rechnend beherrschen zu können. Ihre Formeln passen auf jede Tafel einer Exzellenz-Uni, nur nicht auf das, was sie zu berechnen vorgeben: auf die Geschicke der Welt. Mit einem Wort: sie sind

Scharlatane. Eine hübsche Definition des Scharlatans bietet Pierers Universallexikon von 1857:

„Der Charlatan versteht es, sich den Schein von Gelehrsamkeit u. Weisheit zu geben u. durch niedere Mittel die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen sucht, besonders wird darunter ein Quacksalber verstanden, welcher sich durch Marktschreierei ankündigt. Ein literarischer Ch. ist ein Schriftsteller, der ohne gründliche Studien, die Arbeiten Anderer zu Plagiaten benutzt u. die Meinung des Publikums über seine Fähigkeiten u. Leistungen zu täuschen weiß.“

Heute würde man sich kürzer fassen und – von Populisten sprechen. Die hehre Ökonomie ist eine populistische Fakultät oder eine szientistische Charlatanerie. Zur Vermeidung inflationärer Begriffe könnten Populistenjäger öfter mal von Quacksalbern oder Marktschreiern sprechen.

Einen Fall obszöner Scharlatanerie vor allen Kameras der BRD ereignete sich gerade auf dem CDU-Parteitag, wo eine rhetorisch wenig begabte Hauptdarstellerin eine Rede hielt, die von ihren Claqueuren fast 10 Minuten lang beklatscht wurde. Nicht ihre Taten des letzten Jahrzehnts wurden rekapituliert und geprüft, sondern – solo verbo – allein die Aura ihrer Predigt.

Die moderne Anbetung der Redekünste ist ein klammheimlicher Wurzelfortsatz der protestantischen Kanzelpredigt. Eine Pastorentochter, die im Alleingang den Sozialismus besiegte, wird es doch schaffen, auch den christlichen Kapitalismus zum Sieg zu führen. Was erhalten wir, wenn wir politische und ökonomische Scharlatane zusammenwerfen? Die liebenswerte Welt, in der wir leben.

Deutsche Jugendliche werden mit Textaufgaben sekkiert, die nach Meinung ihrer marktförmigen Lehrkräfte der Realität entnommen wurden. Auch Hüter der Weltmärkte glauben, dass ihre Modellrechnungen passgenau der Wirklichkeit entsprächen. Doch ist die Welt kein aufschäumender, rasender Tsunami? Was hingegen ist das Modell der Tafelschreiber?

Wirtschaftsstudenten „werden dort mit einer Theorie konfrontiert, die völlig realitätsfern ist und bis heute so tut, als ob es die Finanzkrise nie gegeben hätte. Denn die sogenannten neoklassischen Modelle gehen davon aus, dass die Märkte zum Gleichgewicht tendieren. Krisen sind nicht vorgesehen, sondern werden per Definition weitgehend ausgeschlossen.“

Dynamische Geldmengen wachsen gen Himmel, Spekulanten, Zocker und Hasardeure spielen Roulette mit der Welt – im Hörsaal aber wird ein Gleichgewichtsmodell zugrunde gelegt, in dem ein rationaler homo oeconomicus die Rolle der schwäbische Hausfrau spielen muss. Während ein schwyzer Ackermann die Deutsche Bank in ein unersättliches Raubtier verwandelte, steht mathematisches Gleichgewicht für statische Unbeweglichkeit oder platonische Zeitlosigkeit. Überflüssig zu erwähnen, dass keiner der akademischen Rechner eine der Weltwirtschaftskrisen voraussah, die wie apokalyptische Reiter vom Himmel fielen.

„Der neoklassische Mainstream ist nicht nur thematisch eng und theoretisch fragwürdig – er ist auch politisch nicht neutral. Den Studierenden wird suggeriert, dass der „freie Markt“ stets die beste Lösung darstellt und der Staat tendenziell stört. Das meistverkaufte Lehrbuch stammt vom Harvard-Professor Greg Mankiw, der Wirtschaftsberater von US-Präsident George Bush war. Gleich zu Beginn warnt Mankiw davor, die Reichen progressiv zu besteuern: „Je gerechter der Kuchen verteilt wird, umso kleiner wird er.“ Empirisch belegt ist die Behauptung nicht. Ökonomische Lehrbücher sind ein politisches Machtinstrument. Von Samuelson stammt der viel zitierte Ausspruch: „Es ist mir egal, wer die Gesetze einer Nation schreibt – solange ich ihre Volkswirtschaftslehrbücher schreiben kann.“

Ist es nicht merkwürdig, dass in Talkshows immer wieder das rätselhafte Aufkommen populistisch aufgehetzter Massen erörtert wird, die wahren Ursachen aber nicht mal angedeutet werden – nämlich die Macht anonymer Elitenrechner, die das Weltgeschehen beherrschen, obgleich sie von demselben keine Ahnung haben?

Jan Fleischhauer im SPIEGEL will keine angepissten Eliten, sondern Menschen mit Abitur, zu denen er aufschauen und von denen er lernen kann. Was kann er von Eliten lernen, die mit Formeln brillieren, aber nicht wissen, wozu und zu welchem Zweck? Sollte es etwa akademie-spezifische Dummheiten geben? Dann wäre Fleischhauer extrem gefährdet. Wer warnt ihn vor der schleichenden Intelligenzvernichtung aus der Exzellenz-Uni?

Samuelson hat es trefflich formuliert. Was interessiert es ihn, wer die jeweilige Nation regiert – wenn nur sein Lehrbuch die nationale Wirtschaft regiert? Wie kann ein Gleichgewichtler ein dynamisches Ungleichgewicht beherrschen? Weil er kein Gleichgewichtler ist. Lehrbücher pauken genügt nicht. Man sollte die Bücher der Gründerväter des Neoliberalismus zur Kenntnis nehmen.

Das sollte nicht unmöglich sein. Laut PISA haben die Deutschkenntnisse leicht zugenommen, wenngleich sie für einen Job im BND noch lange nicht reichen.

Hayek war ein dynamischer kuk-Austrianer, der nichts von Gleichgewichten hielt. Sein Modell war die schäumende Evolution, die sich allem menschlichen Berechnen entzieht. Der Markt, das wilde Kind der Evolution, ist weder verstehbar noch beherrschbar. Wenn schon rechnen, dann sollte man sich zuvor vergewissern, ob das Objekt der Begierde sich überhaupt dem rechnenden Zugriff ergibt. Ergibt sich nicht, sagt der blaublütige Sprössling derer von Hayek. Es gehöre zur Hybris der Aufklärer, dass sie wähnten, mit ihrer Vernunft die Welt berechnen zu können. Da hätten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Welt ist nicht so einfältig eingerichtet, dass menschliche Erkenntnis sie mirnichtsdirnichts erfassen könnte.

Hayek ist der Großvater der überkomplexen Eliten der Gegenwart – pardon, der simplen Anbeter der überkomplexen Wirklichkeit. „Je klüger der Mensch, desto dümmere Ansichten hat er gewöhnlich,“ sagt Hayek. Diesen Satz muss man sich im Sound des verführerischen Wiener Idioms vorsagen und dann auf den Kopf stellen. Je törichter der Mensch, desto cleverer ist er. Womit wir beim Charakterprofil neoliberaler Matadore angekommen wären.

Für diejenigen, die es noch nicht bemerkten: wir befinden uns auf dem Terrain der Gegenaufklärung, einem trittsicheren Gelände für alle, die ihre Vernunft von Gottes Willen gefangen nehmen lassen. Der Friede Gottes, der höher ist denn all ihre Vernunft, bewahre ihre Herzen und Sinne, die sich mit Demut einer höheren Vernunft unterordnen.

Kein Zufall, dass alle von Demut sprechen. Gegenaufklärung und Demut gehören zusammen wie Pat und Patachon. Demut und postfaktisch ergänzen sich. Postfaktisch ist post-truth, also jenseits der Wahrheit. Man könnte auch von Lügen sprechen. Doch lügen klingt banal und vulgär. Eliten legen Wert auf eine gehobene Sprache jenseits des Pöbels. Eine Art Neulatein, damit die Massen das Gespräch der erlesenen Geister nicht belauschen und zu feindlichen Zwecken nutzen.

Nein, fromm sein und lügen sind keine Gegensätze. Du sollst nicht lügen, gehört nicht zu den 10 Geboten. Das Gebot: du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten, wird verfälscht zum Verbot des Lügens. Zeugnis ablegen ist nur eine spezielle Situation. Lügen aber hat nicht nur mit dem Nachbarn zu tun. Wenn Fakten beliebig gefälscht werden können, geht es um Wahrheit im Allgemeinen und Besonderen. Selbst wenn Lügen verboten wäre, gibt es in heiligen Büchern diverse Schlupflöcher, die zu gegenteiligen Auffassungen führen. Der elitäre Klerus predigt dem Volk strikte Eindeutigkeit, er selbst aber weiß sich jederzeit befugt, sich Sondergenehmigungen aus dem großen Buch der Offenbarung zu errteilen.

„Es ist aber auch festzustellen, dass in manchen Texten die Lüge nicht prinzipiell abgelehnt wird. Besonders auffällig ist die dreifach überlieferte „Gefährdung der Ahnfrau“ (Gen 12,10-20): hier sichert die Lüge des Stammvaters Abraham bzw. Isaak das Überleben des Gottesvolkes. In Gen 27 erlistet Jakob durch eine Reihe von Lügen den väterlichen Segen, ohne dass das negativ bewertet würde; ähnlich Gen 38, wo die mit der Vorspiegelung falscher Tatsachen arbeitende Tamar ausdrücklich als „gerecht“ dargestellt wird. Die Bibel geht also davon aus, dass Lügen unter bestimmten Umständen geradezu nötig sind.“

Die moralischen Antinomien gehören zum Kern des Credos und ziehen sich quer durch die abendländische Geschichte. Augustin verbietet das Lügen, bis er einräumt, dass es biblische Lügengeschichten gebe, die von Gott genehmigt wurden. Schon Platon gibt die Erlaubnis, das niedere Volk mit einer heiligen Lüge zu hintergehen – um die Stabilität seines idealen Staates zu gewährleisten. Um des idealen Staates der Christen willen (des Himmelreichs) dürfen die Gläubigen ebenfalls durch die Finger gucken.

Der fromme Zweck heiligt die profanen Mittel. Das Böse ist Agens des Guten und Heiligen. Die Lehre von der doppelten Wahrheit oder der doppelten Moral der Erleuchteten ist der Humus, aus dem die Bigotterie heutiger Eliten kroch – der eigentliche Grund, warum das eingeschüchterte Volk den doppelzüngigen Eliten nicht aufs Maul schaute, um sie mit deren eigenen Waffen zu schlagen. Ihr Protest beschränkte sich notgedrungen auf Bellen, Beißen und auf die Barrikaden gehen.

Die unendlichen Bücher der Weisen waren das sichere Gehäuse der Klugen und Weisen, deren Herrschaft auf der systematischen Unbildung der Massen beruht. Heute wird viel von Bildung für alle gesprochen. Gleiche Bildungschancen sollen jedem die Chance zum Aufstieg geben. Aufstieg wohin? Zu gebildeten Eliten? Sind Trump, Erdogan, Putin, Duterte, Merkel Gebildete? Sie sind gewitzte Machtakrobaten, Fachidioten oder sonstige Schlaumeier, Gebildete sind sie nicht. Ein Gebildeter ist unabhängig von Macht und Moneten. Er ist autark und benötigt keinen Einfluss auf andere, um sich selbst zu finden.

In bester katholischer Gegenaufklärung beteuert Hayek, unser Gehirn sei nicht etwas, das Vernunft produziere, sondern, was sich der Tradition unterwerfen muss. Welcher Tradition? Der römisch-katholischen. In seinem Alterswerk häufen sich die Anmerkungen über den Nutzen der Religion, besonders des Christentums.

„Ungeachtet des naturwissenschaftlich und kirchenfernen Hintergrunds seiner Familie fühlt Hayek sich in der römisch-katholischen Tradition verwurzelt, von der er sich formell nie trennte. Ihm ist bewusst, dass viele Menschen einer Religion zur Sinnstiftung und Handlungsanleitung bedürfen, und er beknnt sich ausdrücklich zu den zentralen Positionen des Christentums, in denen er jene Merkmale wiederfindet, die auch für eine freie, spontane Gesellschaft grundlegend sind. Nur solche Religionen hätten langfristig überleben können, die wie das Christentum den Privatbesitz als zentralen Wert beschützen.“ (Hennecke, F. A. von Hayek)

Wie aber verträgt sich Hayeks bedingungsloser Egoismus mit der angeblich altruistischen Nächstenliebe des Neuen Testaments? Wie Schäubles Plädoyer für die Barmherzigkeit mit den Notwendigkeiten staatlichen Lebens. „Die altruistische Maxime „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, sei als Grundregel für die Großgesellschaft schlichtweg ungeeignet“, so Hayek. Ergo folgert er in kühler Konsequenz, dass eine Rückkehr zu diesen „tribalistischen Werten“ innerhalb weniger Generationen zum Tode von 99,5% der Bevölkerung führen müsste.“

Ob Merkel Bücher über Ökonomie liest, ist eher unwahrscheinlich. Instinktiv aber erahnte die Lutheranerin den verwandten Geist des Hayek‘schen Katholizismus. Es ist ja nicht so, dass der weltbekannte Gelehrte kein Herz für andere Menschen gehabt hätte. Doch nur im allerengsten persönlichen Bereich. Im Bereich evolutionärer Kräfte hingegen könnten archaische Sentimentalitäten nur Schreckliches anrichten.

Merkel agiert, als hätte sie Hayek gelesen und inhaliert. Almosen für die Schwachen aus Gründen propagandistischer Caritas, sonst aber die Dauerkälte der erfolgreichen und tüchtigen EU-Königin, die über alle Überflüssigen hinweg trampelt. Merkels Luthertum und Hayeks Katholizismus finden sich in bester ökumenischer Eintracht jener Sieger der Heilsgeschichte, die als ein Prozent der Schafe ins Himmelreich kommen, um 99% in die Hölle zu schicken.

„Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen.“

EINPROZENT der Weltbevölkerung ist dabei, den Reichtum der restlichen 99% an sich zu reißen. Die Kluft zwischen eins und neunundneunzig ist der angestrebte Klassenabgrund des christlichen Neoliberalismus. Zwar gibt es einen befriedigend-abgehängten Weltpöbel, doch noch immer erdreistet sich ein Mittelstand, ein wirtschaftliches Wörtchen mitzureden.

Doch Mittelstand will er nicht bleiben. Also müht er sich, den Anschluss nach oben zu gewinnen. Nur wenige werden es schaffen, der große Rest wird abstürzen. Wer hat heute die größte Angst vor dem Absturz? Diejenigen, die am tiefsten fallen können: die Ehrgeizigen, die ganz nach oben streben. Deshalb müssen sie energisch alle Rivalen nach unten treten. Zu den Ehrgeizigen gehören Politiker und Edelschreiber, die alle Kritiker der anschwellenden Ungerechtigkeit unisono als populistische Extremisten abkanzeln müssen.

Welcher zurückgetretene oder abgewählte Politiker bewegt sich noch im Umkreis seiner ehemaligen Wähler? Bei solch einer naiven Frage würden sie vor Lachen wiehern, die Schröders, Fischers, Steinbrücks, Kochs e tutti quanti, die ihren Honigtopf bei großen Firmen gefunden haben, um sich ihre Alterszeit ein wenig zu versüßen.

Selbst bei linkeren Ökonomen, so Ulrike Herrmann, fänden sich überwiegend neoliberale Elemente:

„Überraschend: Der neoklassische Mainstream durchzieht sogar die Lehrbücher von Ökonomen, die als „links“ oder als Keynesianer gelten. Dieses Phänomen lässt sich auch beim Nobelpreisträger Paul Krugman beobachten, der ein viel genutztes Lehrbuch über internationale Ökonomie verfasst hat.“

Wir sehen, der Geist der GAGROKO entstand nicht im politischen Raum, sondern in den Köpfen eindimensionaler Theoretiker. Es ist das Bewusstsein, welches das Sein prägt. Auch die Linken pfeifen auf dem letzten Loch, weil sie – nicht anders als die theorielose Kanzlerin – das historische Werden der Verhältnisse aus dem Imperativ des Denkens ignorieren.

Es gibt zurzeit keinen einzigen Politiker in Deutschland, der fähig wäre, seine Agenda historisch herzuleiten und philosophisch zu begründen. An der Qualität der Talkshows kann man die Gedankenflucht erkennen. Kaum ein grundsätzlicher Gedanke – und schon beginnt das beliebte Ping-Pong-Spiel um Schlagworte des Alltags. Die sorgfältig ausgekungelte Choreografie der Eingeladenen sorgt für das erwünschte Endergebnis: wenn jeder gegen jeden agiert, ist die Summe aller Scharmützel die permanente Null. Ergebnisse soll es nicht geben. Eine gewonnene Einsicht könnte den Impuls auslösen, die Politik der Regierung in die Mangel zu nehmen, um konkrete Reformen zu verlangen.

Man stelle sich vor, als Ursache der jetzigen Krise ergäbe sich die matthäische Formel, wer hat, dem wird gegeben, wer nicht hat, dem wird genommen, was er hat: würden die Menschen nicht auf der Stelle auf die Barrikaden gehen, um Regierungen und Klerus zur Kasse zu bitten? Ist die regelmäßig wiederkehrende Meldung, die Reichen würden reicher und die Armen ärmer, nicht die genaue Bestätigung der matthäischen Formel?

Auch Hayek stützt seine Verachtung der Vernunft auf die Erkenntnis des Predigers Salomo, Zeit und Zufall würden die Geschicke der Menschen bestimmen. Zeit und Zufall – oder Kontingenz, um ein Lieblingswort der Gegenaufklärung zu benutzen – lassen sich weder erkennen noch berechnen. Zeit und Zufall sind Umschreibungen des göttlichen Willens, der unerfassbar für den Menschen sein Schicksal bestimmt. Hier hülfe nur Beten und Hoffen.

Merkels christlicher Glaube in sozialistischer Umgebung fühlte sich wesensverwandt mit der Marx‘schen Heilsgeschichte, die lediglich unter dem Mangel litt, dass sie den Fortgang ins Paradies vom Menschen und nicht von Gott erwartete. Als die Frommen glaubten, diese minderwertige Form des Credos überwunden zu haben, fühlte sich Angie bereit, auch den Kapitalismus zu besiegen.

Zu besiegen? Schnell merkte sie, dass es nichts zu besiegen gab. Der amerikanische Exzeptionalismus in seiner Konkretion als neoliberale Wirtschaft war das, was ihrem siegessicheren Glauben entsprach. So geschah es, das Merkel zuerst den Sozialismus bezwang, dann den Kapitalismus als Vehikel ihrer eschatologischen Zuversicht kaperte. Ein Christ ist in allen Sätteln gerecht:

„Ich habe gelernt, mit dem zufrieden zu sein, was ich habe. Ich kann in Armut leben und mit Überfluss umgehen. Ich bin in alles eingeweiht. Ich weiß, wie es ist, satt zu sein oder zu hungern; ich kenne Überfluss und Mangel. Durch den, der mich stark macht, kann ich in allem bestehen.“

„Die Armen habt ihr allezeit, mich habt ihr nicht allezeit.“

Ob arm oder reich: das sind Peanuts. Es kommt darauf an, alles als Gnadengabe des Herrn zu betrachten und sich seiner eitlen Werke nicht zu rühmen. Das Neue Testament ist kein revolutionäres Handbuch zur Humanisierung der Welt. Die Welt muss trostlos bleiben, auf dass Mägde Gottes das Elend auf konstanter Ebene abwickeln, bis hoffentlich der Herr kommt. Merkels Durchwursteln ist ein ecclesiogener Imperativ: wachet, denn ihr wisst nicht, wann der Herr kommt.

Hayeks Verachtung der Vernunft begründet er mit der Tugend der Bescheidenheit. Der Mensch sei nicht in der Lage, seine Situation in der Welt zu erkennen und autark zu gestalten. Es wäre Hybris, Herr über sein Schicksal sein zu wollen. In assoziativer Anlehnung an das sokratische „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, ermahnt der Freund Poppers die Menschen, sich nicht zu übernehmen.

Auch Popper spricht emphatisch von der Bescheidenheit des Sokrates. Hier kam es zur verhängnisvollen Gleichsetzung der sokratischen Bescheidenheit mit katholischer Demut. Sokrates‘ Bescheidenheit bezog sich auf theoretische Erkenntnisse, nicht auf seine unbeugsame moralische Selbstgewissheit, die er in seiner Verteidigungsrede vor dem Volksgericht mit Argumenten unterstrich, die von keinem Ankläger widerlegt werden konnten. Demut ist das Gegenteil dieser Haltung: Herr, vergib, wir sind unnütze Knechte. Ohne deine Gnade und Erbarmen wären wir nichts.

Ökonomen wollen die Welt berechnen, ohne zu bemerken, dass sie eine Welt des unberechenbaren Zufalls unterstellen. Sie scheitern bei der „Textaufgabe“, dem Problem also, ihre Rechenkünste in der Wirklichkeit zu beweisen. Indem sie behaupten, etwas zu können, was sie nicht können, erweisen sie ihr postfaktisches – oder lügenhaft-ideologisches – Wesen.

Die Jugendlichen spüren instinktiv die doppelte Wahrheit oder einfache Lüge, wenn sie sich wehren, ihre mathematischen Fähigkeiten an der Übertragung auf die Realität zu beweisen. Dieser Transfer begann bei Galileo, der die widersprüchlich-schwankende Struktur der Offenbarung erkannte und durch zeitlose Mathematik ersetzen wollte. Gott offenbart sich in der Natur durch zeitlos gültige Gesetze.

Hätte Galileo sich durchgesetzt, hätten die Abendländer Schwierigkeiten bekommen, diese perfekte Natur zu überwältigen um des Nutzens des Menschen willen. Nicht Galileo setzte sich durch, sondern Francis Bacon, der alle Wissenschaften zu Herrschaftsinstrumenten erniedrigte. Dem Nutzen und der Bequemlichkeit des Menschen sollten Technik und Wissenschaften dienen.

Der antike Mathematiker Euklid hatte jeden Nutzen seiner rationalen Wissenschaft abgelehnt. Auf dieser Stufe stehen noch immer die Kinder der Gegenwart, die es instinktiv ablehnen, vom nutzlosen, aber staunenswerten Rechenakt auf die unreine Beherrschung der Natur überzugehen.

Will uns jemand weismachen, Kinder der Welt seien so unterschiedlich intelligent, wie der PISA-Test unterstellt? Das wäre potenzierter Rassismus. Was beweist der Test? Dass Staaten und ihre Pädagogen die Kinder des Landes für ihre machtpolitischen Zwecke einbinden. Niemandem fällt auf, dass an der Spitze des Wettbewerbs Staaten wie Singapur oder Südkorea stehen. Wie werden Kinder in Singapur erzogen?

„Der Staat in Singapur will den Bürger erziehen, damit er sich ins große Ganze fügt. Das beginnt mit Details. Schulkindern, die zu dick sind, stecken die Lehrer einen Button ans Revers, damit sie in der Schulkantine weder Schokolade noch Fettiges bekommen. Wer nach ein paar Monaten nicht abgenommen hat, wird in Therapie geschickt.“ (ZEIT.de)

Singapur ist eine Erziehungsdiktatur. Von der Kita an muss jeder Mensch Höchstleitungen bringen, wenn er nicht abstürzen will. Eine soziale Absicherung der Versager gibt es nicht. Was bei uns verschwiegen wird: Singapur hat eine der weltweit höchsten Suizidraten unter Jugendlichen. Sollte unter Merkels neoliberaler Ägide unsere Republik sich weiter zu einer PISA-Aristokratie entwickeln, werden wir singapurischen Verhältnissen entgegen gehen.

„Trotz aller Defizite in Deutschland, die ernst genommen werden müssen, ist Pisa kein Leistungsmesser für die Güte eines Bildungssystems. Pisa zeigt allenfalls Trends und erlaubt in ganz bestimmten Testbereichen einen internationalen Vergleich. Es eignet sich übrigens auch nicht dazu, die Siegerländer aus dem ostasiatischen Raum zu imitieren. Die hohen Leistungen dort werden mit einem enormen Druck, viel privat finanzierter Nachhilfe, ohne musische Fächer und zusätzliche Fremdsprachen und nicht zuletzt einer hohen Selbstmordrate unter Jugendlichen erkauft.“ (FAZ.NET)

Auf welche Verhältnisse wir zusteuern, wenn Merkels Zustände anhalten, beschreibt eine Kennerin des amerikanischen Wallstreet-Systems:

„Gleich und Gleich gesellt sich gern. Die globale Elite ist ein Mikrokosmos mit einer transnationalen Identität. Ihre Mitglieder „sprechen die gleiche Sprache“. Sie sind auf die gleichen Schulen gegangen, haben ähnliche Karrieren, leben in ähnlichem sozialen Umfeld, teilen die gleichen Hobbys, denken gleich. Sie bewegen sich im Wesentlichen nur unter ihresgleichen. Ihre Beziehungen pflegen sie wie ein Heiligtum mit viel Zeit und Aufwand. Selbst im digitalen Zeitalter ist persönlicher Kontakt unersetzlich.“ (BILD.de)

Was ist Bildung in Deutschland? Die Chance zum Aufstieg. Zum Aufstieg wohin? In die erwählte exklusive EINPROZENT, die 99PROZENT in den Abgrund stürzt.

 

Fortsetzung folgt.