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Weltdorf XIX

Hello, Freunde des Weltdorfs XIX,

Amerika erbricht sein kollektives Unbewusstes. Ein epochaler Vorgang mit unübersehbaren Folgen. Was bislang nicht gesagt werden durfte, wurde von einem Riesenmogul in die Welt trompetet. Von seiner Umkleidekabinen-Heldentat weicht er keinen Millimeter zurück.

Amerika hat eine wuchernde Porno-Industrie, doch jede unverhüllte Papilla mammae – oder Nippel – wird von Facebook sofort gelöscht. Morddrohungen und NS-Botschaften hingegen gelten als Meinungsäußerungen. Woraus wir schließen sollen, welches Böse eher harmlos und welches teuflisch sein muss.

Kindern wird das Böse beim Zeugungsakt infiltriert. Menschen ökonomisch zum Elend, ja zum Hungertode verurteilen: das sind Bagatellen im Vergleich zu allen sinnlichen Begierden.

„So tötet nun eure Glieder, die auf Erden sind und in ihnen Unzucht, Unkeuschheit, böse Begierde und die Habsucht, die Götzendienst ist, um welcher Dinge willen das Zorngericht Gottes kommt.“ „Daher hat Gott sie den Lüsten ihrer Herzen in Unkeuschheit übergeben, den Geschöpfen Anbetung und Verehrung darbrachten statt dem Schöpfer.“

Der Schöpfer erträgt nicht, dass Menschen Menschen höher einschätzen und begehrlicher finden als Ihn in seiner ganzen himmlischen Pracht. Begehrlicher durch geistige Verbundenheit oder sexuelle Begierden.

Eros, in der Jugend heißblütig und sinnlich, im Alter abgeklärt und weise, war für Griechen die Lust, die Menschen mit Menschen verbindet. Alles, was Menschen zusammenführt, war für Gott eine Todsünde. Also zerstörte ER den sozialen Kitt der Menschen, um seine Selektion quer durch Sippen, Familien und Gemeinschaften zu ermöglichen. Die Zertrümmerung der Ur-Nest-Qualitäten wurde wurde zur

kapitalistischen Zerschlagung aller emotionalen Bindungen, um die Malocher an jedem Ort und zu jeder Zeit dieser Welt einsetzbar und verfügbar zu machen. Der bindungslose, enthauste, global fungible Mensch ist der Mustermensch der Tycoons.

„Und wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen, der wird’s hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben.“

Das Projekt der sozialen Totalzerstörung steht kurz vor der Vollendung. Die Frauen, bisherige Verteidiger des Familiären – wenngleich mit zunehmend schlechtem Gewissen, weil sie zur Erhöhung des Kontostands nichts beitragen – fühlen sich geschmeichelt, wenn sie sich dem mammonistischen Moloch unterordnen dürfen.

Der Propaganda der Männer sind sie widerstandslos verfallen. Selbstbewusstsein und Lösung vom Nest glauben sie nur zu erringen, wenn sie sich dem enthausten Mann unterordnen. Solange sie kein Geld verdienen, fühlen sie sich abhängig und minderwertig. Das sollen sie auch. Zu diesem Zweck wurden ihre familiären Qualitäten zur Heimchenarbeit degradiert, die per Gnadenakt vom Lohn des Mannes profitieren darf. Was sie selbst zum Erhalt der sozialen Urzellen beitragen, ist keines Pfennigs wert.

Um den Absturz der Familie zu verhindern, wurden die Frauen gezwungen, mitzuverdienen und Heim und Kinder zu vernachlässigen. Im Vergleich zum repressiven Leben ihrer Männer hatten die Frauen ein freies Leben geführt, das noch immer am besten geeignet war, private Fürsorglichkeit mit politischem Furor zu verbinden. Zeitbeobachter wundern sich über die wachsende Lähmung demokratischer Leidenschaft. Sie wollen nicht wahrhaben, dass die Lähmung der Menschen in politischen und solidarischen Dingen die Voraussetzungen eines triumphierenden Profitsystems geworden sind.

Die Begierde des Menschen nach dem Menschen – die jede Begierde nach einem Gott verblassen lässt – ist die Todsünde für jeden Glauben, der seine Bedürfnisse auf einen jenseitigen Gott überträgt. Schätze auf Erden zu sammeln ist verboten, denn sie sind endlich und verrottbar. Schätze im Himmel aber sind geboten, denn sie verderben nicht. Im irdischen Leben muss jeder sein Kreuz auf sich nehmen, um mit ewigen Freuden belohnt zu werden:

„In derselben werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wo es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, auf daß euer Glaube rechtschaffen und viel köstlicher erfunden werde denn das vergängliche Gold, das durchs Feuer bewährt wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn nun offenbart wird Jesus Christus, welchen ihr nicht gesehen und doch liebhabt und nun an ihn glaubet, wie wohl ihr ihn nicht sehet, und werdet euch freuen mit herrlicher und unaussprechlicher Freude und das Ende eures Glaubens davonbringen, nämlich der Seelen Seligkeit.“

Voraussetzung der Frohen Botschaft ist die Mär vom freudlosen und bösen Dasein auf Erden. Wie kommt das Unbewusste ins christliche Leben, das von Trump in einem blasphemischen Akt aufgedeckt und enttarnt wurde?

Anderen Kulturen ist der tiefe Graben zwischen Bewusstsein und Unbewusstem unbekannt. Je weniger eine Kultur zu unterdrücken und zu verheimlichen hat, umso weniger kann sich ein Gegensatz zwischen Bewusstsein und Unbewusstem bilden. Das angeborene Böse der Menschen muss den Frommen nicht bewusst sein. Man könnte sagen, an das Böse müssen sie glauben, denn es zeigt sich dem Menschen nicht.

Menschen können schlecht und verwerflich handeln, dennoch gibt es keinen Grund, ihre Taten als irreversibel-böse zu satanisieren. Kein Kind wird als böses geboren – nur Augustin wollte die Stimme des Teufels bereits im Schreien des Neugeborenen gehört haben. Ein Menschheitsverbrechen an allen Kindern dieser Erde. Starben die satanischen Bälger vor ihrer Taufe, waren sie ebenso verflucht wie erwachsene Massenmörder. Vor kurzem erst hob ein Papst diesen schändlichen Verfluchungsartikel unschuldiger Kinder auf.

Die Verelendung vieler Kinder rund um den Globus ist kein Zufall, sondern die unausweichliche Folge eines christlichen Kapitalismus, der sein kinderfeindliches Credo mit ökonomischen Mitteln verfolgt.

Denn ich bin mir nichts bewußt, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der HERR ist’s aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der HERR komme, welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rat der Herzen offenbaren; alsdann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren.“

Der Mensch kann sich kein Urteil über seine Persönlichkeit bilden. Denn er weiß nichts von den finsteren Motiven seiner Seele. Sie bleiben ihm sein Leben lang verborgen. „Erkenne dich selbst“? Nicht für Christen. „Überprüfe dein Leben“? Nicht für Christen. Besinne dich auf dein Leben durch Wiedererinnern deiner Biografie? Nicht für Christen, für die kategorisch gilt: richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.

Richten ist, sich ein Urteil bilden. Weder kennen sie ihre guten noch ihre bösen Taten. Weder sollen sie die Welt beurteilen, noch sich von der Welt beurteilen lassen. Der Einzelne soll sein tristes Dasein in völliger Abschottung gegen alle anderen Einzelnen fristen. Nur Gott darf seine allwissende Meinung über seine verdorbene Schöpfung äußern: Daumen hoch zur ewigen Seligkeit, Daumen runter zum höllischen Feuer. Menschen tappen im Finstern, wo die wahren Beweggründe ihres Tuns verborgen sind. Dennoch muss geglaubt werden, dass der Mensch a priori ein Sündenkrüppel ist. Wann erfährt er die ganze und unverhüllte Wahrheit seines Lebens? Wenn der Herr wiederkommt und im Jüngsten Gericht die Bücher öffnet. Dort stehen die unverfälschten Bilanzen aller Menschen.

Der Tag des Gerichts wird ein Tag des vollen Bewusstseins sein. An seinen Taten kann der Fromme sich nicht erkennen, denn sie hängen ab von der „Qualität des Baumes“. Ob jemand ein guter oder fauler Baum ist, weiß der Mensch nicht, das Dunkle seiner Seele kann er nicht durchleuchten. Blind muss er glauben, dass er zu den Erretteten gehört. Sich vor dem Jüngsten Gericht mit guten Taten verteidigen zu wollen, wäre ein absurdes Unterfangen.

Sokrates konnte vor einem Volksgericht seine Unschuld mit Fakten und Argumenten verteidigen. Das Gericht war verblendet. Alles Demokratische ist menschlich, alles Menschliche fehlbar. Demokratie ist die schlechteste Staatsform – mit Ausnahme aller andern. Unfehlbar ist sie nicht. Die Deutschen erklären sie absichtlich für unfehlbar, um ihre „plötzlich entdeckte“ Fehlerhaftigkeit als Vorwand zu benutzen, um sie zu entsorgen. Weder ist das Volk vox dei noch vox Rindvieh, sondern eine menschliche Organisation, die aus ihren Fehlern lernen kann.

Der Verweis auf die Fehlbarkeit der Demokraten wird noch heute benutzt, um die Demokratie an sich zu verwerfen. Als ob Tyranneien, Faschismen und Despotien das Gelbe vom Ei wären. Erzielt ein – tückisch formuliertes – Volksreferendum ein unerwünschtes Ergebnis, verfluchen gutmeinende Demokraten postwendend jede Form der direkten Demokratie.

Deutsche Musterdemokraten sind überzeugt, mit ihrer parlamentarischen Demokratie die direkte Volksherrschaft in Athen übertroffen zu haben. Wenn zwischen Volksbefragung und politischer Tat eine Gewissenselite zwischengeschaltet wird, die Pöbelunfug korrigieren kann, soll die Gefahr eines amoklaufenden Großen Rüpels weitgehend gebannt sein. Mitten im Grundgesetz beginnt das Gesetz der naturgegebenen Ungleichheit: die Erwählten – vor allem die wirtschaftlichen Eliten – haben ein kostbares Gewissen, die unteren Klassen bleiben halt- und gewissenlos. Das Gewissen ist die Stimme jenes Gottes, der mit deutschem Verfassungsrang geadelt wurde. Das Volk bleibt im Zweifel eine gottlose Horde.

Wer an den ganzen frommen Schwindel nicht glaubt, kann kein deutscher Verfassungspatriot sein. Fast alle modernen Demokratien – mit Ausnahme der französischen – laufen am religiösen Zügel. Freiheit ist eine Gabe Gottes. Vor allem die freie Wirtschaft – die man de-regulierte nennt. Dann muss jedes System, das der totalitären Ökonomie die Krallen beschneiden will, von Gott verlassen sein. Das ist der Grund, warum im biblizistischen Amerika der kleinste Anhauch von Sozialismus aus der Ideenküche des Teufels stammen muss. Ohne begleitende Religionskritik wird der jetzige Aufbruch einer sozialistischen Jugend keine Chance haben.

Ich bin mir nichts bewusst: das ist die totale Verwerfung des Menschen als bewusstes Tier oder homo sapiens. Auch Begierden, die ich nur fühle, aber nicht ausführe, wiegen so schwer wie vollendete Tatsachen. Alle Teile unseres Leibes und der Seele, die Sündiges empfinden, aber nicht ausführen, müssen erbarmungslos amputiert werden:

„Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Ärgert dich aber dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Ärgert dich deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.“

Es genügt nicht, die Bedürfnisse meines dunklen Untergrunds durch Vernunft zu kontrollieren. Ich kann mich von meinen Sünden nur reinigen, wenn ich mich total amputiere oder auslösche.

Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch Geist und Bewusstsein? Nicht im christlichen Credo. Sein Bewusstsein ist mangelhaft, sein Geist teuflisch korrupt.

Nach Hegel ist „Weltgeschichte der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit.“ Nichts davon ist lutherisch beim Lutheraner. Weder gibt es ein Bewusstsein, noch ein Fortschritt desselben.

„Der Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des Weges wohl bewusst“? Goethe und Hegel sind perfekte Dialektiker, unauflösbare Widersprüche kennen sie nicht. Alles, was sie für gut und wertvoll erachten, verrühren sie zum Einheitsbrei.

In dieser Atmosphäre ist es nicht verwunderlich, dass eine heutige Pastorentochter eine dialektische Absolutistin werden konnte. Von mutti-süchtigen Untertanen erhielt sie einen Blankoscheck, den sie willkürlich ausfüllen, löschen und beliebig neu ausfüllen kann.

Nicht nach hinten schauen, sondern nur in die Zukunft: das ist keine Kreation der Postmoderne, sondern uralter Erlöser. Vergebung der Sünden heißt auf postmodern: sich täglich neu erfinden – und den Ballast des Alten abwerfen.

Merkels Trip nach Afrika ist die Solistenkür einer Magd-Darstellerin in eitler Demutsmaske, die ohne Beistand Brüssels, ohne Begleitung von Wirtschaftsbossen nichts als teure Absichtserklärungen von sich geben kann. Konkretes zum Aufbau der maroden Wirtschaften hat sie nicht anzubieten. Die erdrückende Dominanz des „europäischen Agrarkartells“ bleibt unangetastet.

Sabine Rau hat in RBB einen famosen Vorschlag gemacht, den Merkel nie zur Kenntnis nehmen wird: gebt das Geld den unterdrückten Frauen und sorgt für ihre Bildung, damit sie selbst regulieren können, wie viele Kinder sie gebären wollen. Afrika verdoppelt seine Menschenmassen in den nächsten Jahren, wenn keine Verhütungsmaßnahmen gebilligt werden. Noch immer gilt das Machtstreben der Männer mit Hilfe gebärfähiger Sklavinnen: seid fruchtbar und mehret euch und herrschet über die Erde.

Gabriel will Margot Käßmann als Nachfolgerin des Pastors Gauck. Eine ideale Lösung, denn die Ex-Bischöfin ist geläuterte Sünderin, die zusammen mit der Pastorentochter das Lutherjahr nach allen Regeln der Kunst zelebrieren wird. Im Himmel wird mehr Freude sein über eine Sünderin, die Buße tut, als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Versteht man jetzt, warum in christlichen Ländern Moral verachtet wird zugunsten der Fähigkeit, nichts anbrennen zu lassen – und anschließend um Vergebung zu bitten? Hier ist echte Dramatik, hier pulsiert das Leben. Moralisten hingegen sind jene 99 Gerechte, die ihre blutleere Tugendhaftigkeit nur sich selbst verdanken wollen: Blasphemischeres kann es für Gott nicht geben. Christen sollen nach Herzenslust schlampampen und Böses tun – wenn sie nur alles post festum bereuen und um Vergebung bitten. Sündige tapfer, Schwester Käßmann, wenn du bereust, wirst du mit dem höchsten Amt der deutschen Christen belohnt werden.

Übrigens: Käßmann „gilt bei SPD, Grünen und Linken als geeignete Bewerberin für das höchste Amt im Staat.“ Was sagt uns das? Die GaGroKo – die Ganz Große Koalition aller Parteien, zu der sich bald die AfD gesellen wird – ist eine Koalition fröhlicher Sünder im Herrn. (FOCUS.de)

Trump ist kein Alien der unbekannten Art, sondern ein trotziger Tabuverletzer, der seine Sündhaftigkeit bekennt – und sie dennoch leugnet. Ob er weiß, was er tut, ist belanglos. Es genügt, dass er es tut. Wie kann das bigotte Amerika aufschreien, wenn Trump ein Geheimnis enthüllt, das für keinen Christen ein Geheimnis sein kann? Ich bin stolz auf meine Sünden? Nein, ich bin kein Sünder, denn als Amerikaner gehöre ich zu den guten Bäumen und bin völlig unfähig, zu sündigen. Non posse peccare: als Angehöriger der stärksten Macht der Welt ist mir jede Sünde fremd: wir gehören zu den Guten.

Das kollektive Unbewusste der Amerikaner hat ein Fenster geöffnet und enthüllt, was jedem Biblizisten bekannt ist: nichts Gutes herrscht in der Seele der Ungläubigen, nichts Böses in der Seele der Rechtgläubigen. Inneramerikanisch hat Trump keinen Tabubruch begangen. Sehr wohl aber in den Augen der Welt, die politische Entscheidungen nicht nach religiöser Motivation beurteilt, sondern nach reellen Taten.

Es ist ein riesiger Fortschritt der Menschheit, dass sie in ihrem globalen Über-Ich – nehmt alles in allem – die Kriterien der Vernunft verinnerlicht hat. Gemessen am Maßstab universeller Moral hat Trump sein „Vaterland“ vor der Welt blamiert. Das verzeihen ihm die aufgeklärten Geister seines Landes nie.

Das aufgeklärt-religiöse Doppelgesicht Amerikas beginnt, den traditionellen Konflikt zwischen demokratischer Vernunft und religiöser Antinomie ans Licht zu bringen. Der Grundkonflikt, der die amerikanische Geschichte von Anfang an geprägt hat, explodiert in der Tiefe und hat seinen ersten Auswurf in der Gestalt des hybriden Kandidaten genommen.

Trump ist nur ein Symptom. Ganz Amerika ist in Bewegung. Die Amerikaner wollen wissen, wer sie wirklich sind: selbstgerechte religiöse Amoralisten oder rational denkende Menschenrechtler?

Deutschlands feige Eliten sind weit davon entfernt, das Grollen ihres eigenen Unbewussten wahrzunehmen. Wieder einmal ist Amerika die Avantgarde des christlichen Westens, die sich einen Konflikt leistet, über den andere Länder nur den Kopf schütteln können. Erst, wenn Amerika zu einem passablen Ergebnis seiner aggressiven Selbstreflexion kommen sollte, werden die Deutschen klammheimlich imitieren. Freudianisch könnte man formulieren: das amerikanische Es will Ich werden.

Ist es nicht merkwürdig, dass es im Westen eine psychotherapeutische Bewegung gab, die mit den 68er Studentenunruhen und der Hippiebewegung einherging: und dennoch existiert nicht die leiseste Ahnung von den tektonischen Bewegungen des kollektiven Unbewussten? Einerseits kehrt Religion mit Macht zurück, andererseits setzt eine diametrale Reaktion gegen die Verdunkelungen der Vernunftfeinde ein.

Tiefenpsychologisches Wissen ist out. Der rechnende Markt hat den „unwissenschaftlichen“ Freud an der Biegung des Flusses begraben. Kaum ein deutsches TV-Rührstück ohne die Bemerkung, küchenpsychologische Versuche doch bitteschön sein zu lassen.

Solange der Staat als Maschine aufgefasst wird, die Profit- und Rechengesetzen folgt, wird es kein „Verstehen“ des kollektiven Unbewussten geben. Verstehen ist kein windiges Spekulieren, sondern tatsachengestütztes Ahnen, Vermuten und Wahrnehmen, das durch den Gang der Ereignisse falsifiziert oder verifiziert werden kann. Das Verstehen des menschlichen Fortgangs der Dinge ist des Schweißes jedes Demokraten wert. Subjektive Eindrücke müssen hier aufeinander prallen, in der Hoffnung, am Horizont eine gemeinsame objektive Schnittmenge zu entdecken, um einen weltpolitischen Entwurf vorzulegen, der allen Völkern gerecht wird.

Verstehen ist das Instrument einer utopischen Zielorientierung. Je mehr wir verstehen, was unbewusst mit uns geschieht, je eher werden wir mit Bewusstsein einen friedlichen Planeten schaffen.

Was heute in Amerika als Gärungsvorgang geschieht, wurde von der deutschen Romantik in philosophisch-poetischen Formulierungen vorweggenommen. Die Romantik hasste die allgemein verbindliche Vernunft und Moral der Aufklärer. Sie verwarf alle objektive Wahrheit zugunsten unvergleichlicher subjektiver Entwürfe. Fichte war der entscheidende Denker der vernunft-hassenden Poeten:

„In Fichtens Moral sind die richtigsten Ansichten der Moral. Die Moral sagt schlechterdings nichts Bestimmtes – sie ist das Gewissen – eine bloße Richterin ohne Gesetz. Sie gebietet unmittelbar, aber immer einzeln. Sie ist durchaus Entschlossenheit. Richtige Vorstellung vom Gewissen. Gesetze sind der Moral durchaus entgegen.“

So charakterisierte Novalis die amoralischen oder antinomischen Prinzipien des messianischen Feuerkopfes. Das Verbrechen bestand nicht in der Verletzung allgemein-gültiger Regeln und Gesetze, sondern in der Verletzung der eigenen subjektiven Unfehlbarkeit. Seine eigenen Vorstellungen hat man zu realisieren, koste es, was es wolle. Dem gottgleichen Genie ist nichts verboten, was es sich selbst erlaubt. Es gibt nur ein Verbrechen: seiner eigenen Individualität untreu zu werden.

„Das Ziel des Menschen besteht jetzt darin, um jeden Preis die eigene persönliche, innere Vision zu verwirklichen, sein schlimmstes Verbrechen besteht darin, diesem inneren Ziel, das ihm und nur ihm angehört, untreu zu werden. Welche Auswirkungen diese Vision für andere hat, geht ihn nichts an, er muss seinem inneren Licht folgen, mehr weiß er nicht, mehr braucht er nicht zu wissen.“ (Isaiah Berlin, Das krumme Holz der Humanität)

Aufklärung setzt auf Vernunft und helles Bewusstsein. Romantiker – wie der Regisseur Peymann, der jede Moral aus seinem ästhetischen Wirken verbannt – setzen auf das Geheimnisvolle, Helldunkle, Unklare, Schillernde und Willkürliche. Mit Paulus wollen sie sagen: uns ist nichts bewusst, doch im Geist unserer heiligen Subjektivität können wir nicht irren. Der Deutsche in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst. Ein Volk, das aus dem Dunkel kam, sieht ein großes Licht. Das Licht am Horizont war die Feuersäule der Völker, die im Bombenhagel zweier Weltkriege atomisiert wurden.

Die unwiderlegbare Subjektivität hat den deutschen Zeitgeist der Gegenwart erreicht. Sie moralisiert gegen Moralisierer und hebt den Zeigefinger gegen die Zeigefinger der anderen. Sie verleugnet Wahrheit und allgemeine Menschenrechte. An der erbarmungslosen Objektivität des Super-Geldes und der Super-Maschinen hegt sie nicht den geringsten Zweifel.

Die deutsche Romantik mit ihrer Lizenz zur grenzenlosen Amoral hat den gesamten Westen erobert. Mit aufrüttelnden Worten warnte Isaiah Berlin vor dieser weltbedrohenden Neuromantik:

„Ein einziger Grundsatz war der Romantik heilig und musste gewissenhaft beobachtet werden: dass jedermann seinen eigenen Zielen treu sei, auch wenn der Preis der Freiheit dafür Zerstörung und Tod ist. Dies ist das romantische Ideal in seiner vollständigen fanatischsten Ausprägung.“

Romantik war die Exekution des Subjektiven durch objektives Zerstören all dessen, was nicht Ich, meine Nation, mein Volk, meine Religion war. Ich – oder die anderen? Ich! Wir – oder die Welt? Wir. Wir sind der Mittelpunkt der Welt. Wir sind die Welt. Das absolute Ich wurde zum absoluten Volk, das der Welt zeigen würde, wer die Geschichte als Sieger beenden wird.

„Das absolute Ich ist schlechthin, was es ist, und dies lässt sich nicht weiter erklären.“ (Fichte)


Fortsetzung folgt.