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Weltdorf XIV

Hello, Freunde des Weltdorfs XIV,

zuerst stirbt das Erkennen, dann die Welt. Erkenntnis sollte die Welt erkennen, wie sie ist – was aber, wenn es

a) keine erkennbare Welt gäbe?

b) wenn Erkennen keine Welt erkennen kann – selbst wenn es eine gäbe?

c) wenn Erkennen nur subjektive Teile der Realität, aber keine allgemein gültigen Erkenntnisse der Welt erfassen könnte?

Wenn die Welt – die Überlebensnische der Menschen in der Welt – bedroht wäre und wir sie retten müssten: wie sollten wir das tun, wenn wir keine gemeinsame Erkenntnis von der Welt hätten? (Wie können Feuerwehrleute einen Großbrand löschen, wenn jeder nur sein Grillfeuer im eigenen Vorgarten löschte?)

Zuerst stirbt das objektive Denken, dann die objektive Welt. Wie können wir sicher sein, von derselben Natur zu reden, wenn jeder seine eigene, mit keiner anderen übereinstimmende Natur im Auge hätte?

Zuerst stirbt die Logik, dann die folgerechte Moral, hierauf die Welt. Nach welchen Denkregeln könnten wir streiten und uns verständigen, wenn jeder seiner eigenen irrationalen Unberechenheit folgte, alles und das Gegenteil daher plapperte – ohne dass man ihm die rote Karte zeigen dürfte?

Zuerst stirbt die gemeinsame, ineinander übersetzbare Sprache, dann die gemeinsame Welt.

Zuerst siegt das Subjektive, Perspektivische, Relative, Solipsistische, unvergleichlich-Individuelle, Atomisierte, Monadologische, Unberechenbare, Unwiderlegbare, trügerisch-Scheinbare,  persönlich-Emotionale, beliebig Narrative, Unfehlbare,

unerkennbar-Komplexe, ästhetisch-Assoziative – dann stirbt die Welt. In ihrem ärgerlich-einfachen, ordinär-erkennbaren Vorhandensein.

Gesundes Denken kam in Verruf, weil Kranksein als Vorwand zum Massenmord diente. Was aber, wenn Kranksein zur neuen Gesundheit erkoren worden wäre, um den – religiös-todkranken – Untergang der Gattung gesundzubeten? Setzt freudiges und unbedrohtes Sein nicht gesundes Denken voraus? Woran soll man gesundes Denken erkennen, wenn nicht an der Chance auf ein freudiges Leben in einer unbedrohten Natur?

Müssten wir nicht, bevor wir uns weiterhin über das Sisyphosartige unserer Rettungsbemühungen wundern, uns zuerst darauf verständigen, ob unsere subjektiven Denkwerkzeuge kompatibel sind, um uns auf übersubjektive Rettungsaktionen zu einigen? Wäre es nicht absurd, wenn die Menschheit sich eine gemeinsame Politpraxis erarbeiten wollte, obgleich ihre kulturell-national-persönlichen Theorien alles Gemeinsame ausschlössen? Wie könnte eine erdumfassende Therapie zustande kommen, wenn alle individuellen Diagnosen sich widersprächen?

Gehören zu einer gemeinsamen Sprache nicht gemeinsame logische Denkregeln? Wie kann man sinnvoll – mit Aussicht auf Verständigung – miteinander streiten, wenn jeder in seiner Einzigartigkeit unwiderlegbar wäre?

Wie kann die Völkergemeinde zueinander kommen, wenn die babylonische Sprachverwirrung nur durch ein religiöses Wunder überwunden werden könnte? Wenn es der Menschheit nicht gelingt, die Barrieren des unübersetzbaren Sprachenchaos zu überwinden, könnte sie sich in Zukunft Klimakonferenzen und UN-Gipfel ersparen. Wenn jeder nur sein eigenes Idiom spricht, wird es kein säkulares Pfingstwunder geben – das kein Wunder, sondern die rationale Verständigungsleistung aller Beteiligten sein kann.

Merkel betreibt eine irrationale, sich widersprechende Politik. Ihre Bewunderer loben ihre guten Taten, ihre kaltschnäuzig-unmenschlichen Taten ignorieren sie. Ein Kardinal bezeichnete ihre Politik als jesuanische Nächstenliebe, seine polnischen Kollegen halten sie für widerchristlich.

In Deutschland, dem Land der Dialektik, die alle Logikregeln begraben hat, gibt es kein Aufmucken. In seinem Schreckensstaat musste George Orwell ein ganzes Ministerium einrichten, um die Wirklichkeit in mühevoller Verfälschungsarbeit zu verändern. Den schlauen Deutschen genügt die Dialektik eines schwäbischen Lutheraners, mit der sie jedes X zu einem U, jedes U zu einem X machen können. Alles ist alles – und sein genaues Gegenteil.

Logik ist kein Instrument der Überprüfung mehr, weshalb es eine wirksame Überprüfungsarbeit in der deutschen Öffentlichkeit nicht mehr gibt. Wer mit Hilfe logischer Argumente Recht haben will, ist ein ordinärer Rechthaber – und wird aus dem Kreis relevanter Meinungsträger ausgeschlossen. Medien sind die Prätorianergarden des fiktiven Marktplatzes, die nur elitenkonforme Stimmen ans Megaphon lassen – dekorative Alibikritiken inbegriffen.

Merkels Vizekanzler folgt errötend ihren Spuren. Seine Meinung kann er zweimal am Tage ändern, seine Partei wird ihn dennoch zum Kandidaten küren. Erneut besucht er aus wirtschaftlichen Interessen den Iran, einen Unterstützer Assads, der sein eigenes Volk ausradieren lässt. (Merkel spricht von „barbarischen“ Verbrechen, womit sie ihren Beitrag zur Lösung des syrischen Problems geleistet hat.) Widersprechen Gabriels wirtschaftliche Interessen nicht seinen menschenrechtlichen Sonntagsreden?

„Im Interview mit dem SPIEGEL stellt Gabriel klar, dass es eben ein „doppeltes deutsches Interesse“ gebe, ein moralisches und ein wirtschaftliches, zumal „als ein Land, das vom Export lebt“. Man brauche aber auch einen «klaren Kompass.»“ (SPIEGEL.de)

Der klare Kompass besteht für Gabriel darin, dass es keinen gibt. Er tut das eine, ohne das andere zu lassen. Ein klarer Kompass bestünde im Ignorieren des Staates Iran – und der eigenen wirtschaftlichen Interessen. Gehört Deutschland nicht zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Nationen der Welt? Wenn nicht einmal wir fähig sind, auf den vergifteten Profit zu verzichten – wer dann?

Logik kaputt. Moral kaputt. Zur Verteidigung seiner Kaputtheit würde der Dialektiker mit dem grimmigen Kindergesicht vermutlich von Kompromiss sprechen. Ein praktischer Kompromiss aber ist in seiner logischen Defektheit für jeden sichtbar. Was sichtbar ist, wäre auch reparierbar.

Gäbe es keinen Anlass mehr zur Kompromissbildung, müsste jeder Politiker die Defektheit widerrufen und zur kompromisslosen Ausgangssituation zurückkehren. Doch das ist nicht die Position der Dialektik, die keinerlei Mühe hat, jeden Kompromiss als „Synthese“ von These und Antithese zu deklarieren. Dialektik schließt keine Kompromisse, sondern versöhnt und harmonisiert alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist – und wenn die ganze Welt dabei in die Luft flöge. Wer gleichzeitig auf Bremse und Gaspedal tritt, würgt seinen Motor ab.

Welche Sprache wollen wir sprechen? Welche Sprache müssen wir sprechen, wenn wir Demokraten und Menschenfreunde sein wollen? Wir müssten eine gemeinsame demokratische Sprache entwickeln. Die gibt es heute nicht. Ja, sie wird vehement abgelehnt. Westlicher Zeitgeist besteht auf Sonderwegen, Sondersprachen, Sondermeinungen, Sonderideologien, Unvergleichlichkeiten, Unübersetzbarkeiten und Unwiderlegbarkeiten.

Das Universelle und Generelle, das Menschen verbindet und seit jeher Vernunft genannt wurde, ist der Widersacher jeder einmaligen Unfehlbarkeit. In dieser ist jedermann sein eigener Gott in einem individuellen, nach außen hermetisch abgeschlossenen Revier. Leibniz sprach von Monaden, die keine Fenster nach außen besitzen.

Wir beklagen Pegida, AfD und den allgemeinen Verfall der Demokratie. Doch welche Korporationen der Gesellschaft lassen ein lebendiges demokratisches Innenleben überhaupt zu? Nicht Betriebe, nicht Kirchen, nicht Schulen, Internate und Hochschulen, nicht Wissenschaft und Forschung, nicht die Künste, nicht der Sport, nicht die Medien, fast nicht die Parteien, fast nicht das Parlament mit seinen Fraktionszwängen, kaum Familien, ja nicht einmal linke Basisgruppen, die – wie die EU – Wert legen auf absonderliche Einstimmigkeit, die allen Streit erstickt und jeden Spielverderber rausekelt.

(Die erzwungene Einstimmigkeit Brüssels ist das ideale Herrschaftsgelände der sanftmütigen Kanzlerin. Ob Krise oder nicht, die EU denkt nicht daran, ihre demokratischen Defizite zu beheben.)

Kinder, die in einer durchschnittlich-autoritären Familie aufwachsen und staatliche Schulen besuchen, haben keine lebendige Anschauung, was Demokratie ist – wenn sie zum ersten Mal ihre Kreuzchen machen. Zensuren haben ihnen frühzeitig das Kreuz gebrochen, gestaffelte Reputations-Löhne, endlose Rankings in allen Dingen (selbst beim „Kochen der Landfrauen“), auseinanderklaffende Gesellschaftsschichten und Karrierestufen setzen die Zensuren bis zum seligen Ableben fort. Selbst Begräbniskosten sind so teuer, dass die Abgehängten sich den Tod nicht mehr leisten können. Sie vegetieren und sterben auf Kosten der Gemeinheit – in jeder Hinsicht des Wortes.

Wie kann man über antidemokratische Umtriebe in Deutschland verwundert und entsetzt sein, wenn die Majorität der Institutionen den gekrümmten Gang der Untertanen kategorisch einfordert?

Aust & Broder haben angesichts des Niedergangs Europas einen Rückblick auf ihr bisheriges Leben gehalten. Und siehe, sie halten sich für Glückskinder einer einmaligen deutschen Friedenszeit. Dass die jetzige Verwilderung der Gesellschaft nur die verborgene Schattenseite ihrer vergangenen Glücksepoche war, die nicht nach oben drang, weil Wohlstand alle Probleme erstickte, scheint den privilegierten Schreibern entgangen zu sein.

Aust: Wir sind, das kann man vielleicht in diesem fortgeschrittenen Alter schon sagen, wahrscheinlich die glücklichste Generation, die es in Deutschland jemals gegeben hat. Im Frieden gezeugt, im Frieden geboren. Dann haben wir den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg dieses Landes miterlebt, das ist schon ein ziemliches Privileg. Ich komme mir manchmal so vor, als würde ich am Ufer sitzen, und die ganze Zeit ist irgendwie an mir vorbeigezogen. Und zufällig war ich immer dabei, so wie Forrest Gump in diesem verrückten amerikanischen Film, der durch eine komische filmische Montage immer bei wichtigen Ereignissen der Geschichte dabei gewesen ist.“ (WELT.de)

Ein führender Journalist beschreibt sein Leben, als sei er somnambul durch eine unverdiente Glückszeit gewandelt. (Bestätigt sich erneut die Analyse des Historikers Clark, dass die Europäer wie Schlafwandler in den Ersten Weltkrieg stolperten?)

Nicht Aust war es, der sein Leben gestaltet habe, sondern eine „komische Montage“. Wer war der Monteur? Gott, Zeit und Zufall? Sie freuen sich, dass sie noch einmal davon gekommen sind. Ihre erkenntnislose Rückschau ähnelt der Bilanz des vorrevolutionären Adels in Frankreich, dem es schnell dämmerte, dass seine prächtigsten Zeiten vorüber waren: nach uns die Sintflut.

Von Analyse ist bei Aust keine Rede. Deutsche Edelschreiber gebärden sich gern als Propheten der Zukunft. Von einer präzisen Schau der Gegenwart – bis unter die schmutzigen Ecken der Hempels unter dem Sofa – scheinen sie noch nie gehört zu haben. Sonst hätten sie sehen müssen, dass in Zeiten politischer Verwerfungen die Tage der Wohlfühldemokratie gezählt sein werden.

Wahre „Prophetie“ ist Erkennen der Gegenwart. Das Verwundern und Entsetzen der Journalisten ist die Kehrseite ihres schlechten Gewissens und Versagens, das sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Nie ist Gott schuld am Elend seiner Geschöpfe, nie eine Gesellschaft an der Misere ihrer Bevölkerung, Eltern am Unglück ihrer Kinder, Vergangenheit am Niedergang der Gegenwart, Gegenwart an der herankommenden Zukunft – die niemals zum Eldorado grenzenloser Visionen werden wird.

Aust, Broder & Co sprechen die Sprache des oberflächlichen Scheins, die Sprache des Unbewussten und Verborgenen ist ihnen eine Schrift mit sieben Siegeln. Journalisten sind an Fakten, Fakten, Fakten interessiert, am sinnlichen Schein der Phänomene. Dass nur eine begriffene Vergangenheit Fakten und Phänomene entschlüsselt, überlassen sie den Historikern, die ebenfalls nichts aus der Geschichte lernen wollen.

Auch bei ihnen herrscht das Gesetz unvergleichbarer Sondergesetze. Jede Epoche ist anders, besonders und unmittelbar zu Gott, niemals vermittelbar der Nachwelt. Schülern und Studenten wird Geschichte eingebleut mit dem apolitischen Zusatz, aus der Geschichte könne man nichts lernen. Wahrlich, Geschichte an sich lehrt uns nichts: wir belehren uns selbst – anhand der Geschichte. Erkenntnisliebende Menschen lernen aus allem, wenn sie die Sprache der Wirklichkeit entdecken wollen.

Auch Technik und Wissenschaft sprechen ihre eigene Sprache des Triumphs. Man könnte von faschistischer Machtsprache sprechen. Kritik und Einwände gegen seine messianischen Pläne akzeptiert ein Zukunftsvisionär nicht. Reden lässt er nicht mit sich. Heilande dulden keine Zweifel an ihrem Erlöserwerk:

„Musk wirkt nicht so, als ob ihn Zweifel quälten. „Wenn Dinge nicht schiefgehen, warst du nicht innovativ“, sagt er. Kritische Stimmen lässt der 45-Jährige nicht an sich ran. Er kanzele jeden mit Kritik brüsk ab und verfolge sofort seinen Plan weiter, sagt ein Manager, der Musk näher kennt. Auf diese Art reagierte der Tesla-Gründer auch auf einen Artikel des US-Magazins „Fortune“ über mögliche Defekte am Modell S: „Bullshit“ – Schwachsinn – sagte Musk.“ (SPIEGEL.de)

Menschenopfer auf dem Weg zum Ruhm sind unvermeidbar und der Grandiosität des Projekts angemessen. „Fortschritt ist unaufhaltsam“: just so sprach ein deutscher Führer auf seinem Weg zur Macht:

„Ignorant klingt auch seine Antwort auf den tödlichen Unfall: „Unter dem Strich wird der Autopilot Leben retten.“ Als ließe sich der Verlust eines Menschenlebens auf dem Weg zum höheren Ziel verschmerzen. Kaum ein Konzernchef hätte solch eine lapidare Aussage gewagt. Das ungebremste Fortschreiten – es ist Musks Erfolgsgeheimnis.“

Da kann es nur eine Petitesse sein, dass Musk dem Menschengeschlecht das letzte Stündlein anzählt:

„Irgendwann werde die Erde möglicherweise nicht mehr bewohnbar sein, dann sollten die Menschen über Alternativen verfügen, sagte SpaceX-Chef Elon Musk auf dem Internationalen Astronauten-Kongress im mexikanischen Guadalajara. „Die Menschheit sollte eine multiplanetare Spezies werden. Dazu will SpaceX sehr große Raumschiffe bauen, die mindestens 100 Menschen und sehr viel Material transportieren können. Das wird ein großartiges Abenteuer“, sagte Musk. «Das Leben ist mehr, als nur jeden Tag Probleme zu lösen. Man sollte jeden Tag aufwachen und inspiriert sein, Neues zu wagen.»“ (SPIEGEL.de)

Musk spricht exakt wie der christliche Heiland: „Siehe, das Alte ist vergangen, ich mache alles neu.“ Wer hätte hier noch Lust, mühsam das Alte zusammenzuflicken? Alles oder Nichts. Darunter machts der Musk-elmann nicht. Und der SPIEGEL liegt bewundernd auf der Fußmatte und betet an – wie es sich für ein demokratisches Sturmgeschütz geziemt.

Schirrmacher war einst der Oberprophet amerikanischer Wundermänner. Da will sich der SPIEGEL nicht lumpen lassen. Ein einziger Federstrich und die Menschheit ist aus den Akten des Universums getilgt.

All dies geschieht, ohne erkennbaren Widerstand, mitten in demokratischen Gesellschaften. Auch in der Weimarer Demokratie unterschätzte man das Dämonische, das der Gesellschaft aus allen Poren drang.

Wollen die Deutschen aus der Geschichte gelernt haben? Das ist kein Schlafwandeln mehr, das ist Tiefschlafwandeln im Morast der eigenen Geschichte.

Über moralische Utopien höhnen die Technikanbeter. Doch die totalitärsten Visionen sind ihre brünstigsten apokalyptischen Halluzinationen. Christliche Mythen sind bis aufs I-Tüpfelchen das Drehbuch der technischen Moderne. Und da wagen es die Deutschen, von Säkularisation zu sprechen? Selbstredend haben sie sich von diesen kindischen Mythen längst befreit, obgleich sie an abendländischen Werten festhalten. Die Mythen in ihrer biblischen Urgestalt kennen sie nicht mehr. Doch als Hollywoodfilme und gleißende Technikprojekte sind Mythen für sie etwas ganz Neues und Außerordentliches. Musk ist Noah mit der Arche, der einen winzigen Bruchteil der Menschen retten will. Damit kommt er ins Armageddon-Buch der Heiligen der letzten Tage.

Wirklichkeit ist schlecht, hoffnungslos – oder unerkennbar. Also muss man sie in eine Realität potentieller Wunder verklären. Novalis sprach von Romantisieren. Man muss glauben, dass hinter der trügerischen Fassade der Welt sich das Eigentliche und Wunderbare verbirgt, das gesucht und entdeckt werden will. Die Urbotschaft forderte Glauben und verbot jeden Zweifel. Alles ist eitel, heißt auf deutsch: alles ist Wahn. Die Wirklichkeit ist vergänglich und nichtig. Das Motiv der Vanitas – der prahlenden Lüge – „soll zeigen, dass der Mensch keine Gewalt über das Leben hat“.

Das war Mittelalter. Doch seit Francis Bacon sollte der technische Fortschritt die Folgen des Sündenfalls überwinden. Dank seines Wissens sollte der Mensch das zweite Paradies auf Erden installieren. Elon Musk ist – ob er es weiß oder nicht – ein glühender Fan Francis Bacons.

Auch die Lieblinge der Kanzlerin sind keine leidenschaftlichen Demokraten oder Flüchtlingsfreunde, sondern kleine Nachwuchsvisionäre und potentielle Kandidaten von Silicon Valley, wo der homo novus erschaffen werden soll aus a) erlöster Materie und b) mit Hilfe reiner Mathematik.

a) Erlöste Materie ist der Traum der Alchimisten, unreine Materie in jene jungfräuliche zu verwandeln, die vor dem Sündenfall im Garten Eden existierte. In den Worten C.G. Jungs: „Die Ewigkeit der prima materia weist bei Paracelsus auf ein der Gottheit ebenbürtiges Prinzip hin, welches einer „dea mater“ – einer göttlichen Mutter – entspricht.“ („Psychologie und Alchemie“)

b) Mathematik ist die reine Sprache Gottes. Jene Sprache, die „wir als fortschrittliche Wesen mit Gott teilen.“ (So Bertrand Russell über religiöse Mathematik)

Jungforscher Tassilo Schwarz, der neue „Schwarm Merkels“ „entwickelte im Fachgebiet Mathematik/Informatik ein Abwehrsystem zum Aufspüren und Verfolgen kleinerer Flugobjekte wie Drohnen und Quadrokopter. Die Kanzlerin, selbst promovierte Physikerin, lauschte den Erläuterungen des Jungforschers gebannt, ließ sich dann nicht lumpen und überreichte dem Pennäler ein Kuvert. Der Preis ist mit 3000 Euro dotiert.“ (BILD.de)

Sündige Welt ist unwahr, unerkennbar und eine teuflische Fratze. An die wahre Welt jenseits dieses Spuks muss der Mensch glauben. Der Glaube aber soll in Schauen übergehen. Am Anfang im Jenseits, im Verlauf des abendländischen Fortschritts aber senkt sich das Jenseits herab ins Diesseits.

„Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ (Bergpredigt)

Die religiöse Wissenschaft der Moderne ist dabei, Glauben in Schauen zu verwandeln – in Silicon Valley. Und die Deutschen haben nichts Besseres zu tun, als übers Wasser zu gehen und im Mekka der Moderne anzubeten. Der Einzige, der bisher rebellierte, war sonderbarerweise der BILD-Kolumnist Wagner:

Der Mensch auf dem Mars wäre ein Nach-Mensch, ein Roboter. Nichts Menschliches ist auf dem Mars. Zwei Monde gibt es, nur mit Sauerstoffgeräten kann man den Mars betreten. Was wollen wir auf diesem Planeten? Es gibt keine schöne Bucht, kein Fisch springt aus dem Wasser. Keine Bäume wachsen. Alle großen Dichter der Menschheit würden verstummen. Als Marsianer wäre man ein neuer Mensch, wir wären eine technische Innovation.Wir wären keine Menschen mehr.“

Ein WELT-Artikel hegt nicht die geringsten Zweifel, dass diese Welt nicht real ist, sondern eine bloße Computersimulation:

„Es kann gut sein, dass wir eigentlich nur Teil einer Computersimulation sind. Sagen Leute, die durchaus anerkannt und keine Freaks sind. 1999 kam ein Film in die Kinos, der ziemlich revolutionär war. Nicht nur die Special Effects und die Kampfszenen, sondern auch die Story ließen uns staunen: „Matrix“ erzählte von einer Welt, die eine Computersimulation war – die Menschen nur Batterien für Maschinen, die längst die Macht in der echten Welt übernommen hatten. Und den Menschen vorgaukelten, in ihrer gewohnten Welt zu leben.“ (WELT.de)

Die Moderne beginnt nicht, wie die Griechen, mit Staunen über einen wunderbaren Kosmos, sondern mit ätzenden Zweifeln an der Existenz von Natur und Mensch. Der nur noch pathologisch oder religiös zu nennende Zweifel an Urtatsachen des Lebens führte zum pathologischen Fortschrittsglauben, der dem Menschen eine gottgleiche Zukunft vorgaukelt, weil er seiner eigenen Präsenz nicht sicher sein kann. Eigentlich weiß er nicht, ob es ihn selbst gibt.

Selbstverletzer müssen sich Schmerzen bereiten, um sich selbst zu spüren. Also muss der Mensch die Erde zerstören und eine neue schaffen, um seine Gegenwart zu empfinden. Erst wenn er Gott ist, darf er sich als Mensch fühlen. Erst wenn er träumt, darf er sicher sein, dass er existiert.

„René Descartes entwickelt seine ganze Philosophie aus dem „methodischen“ Zweifel heraus: Könnte nicht alles in der Welt und das eigene Bewusstsein eingeschlossen bloß ein Traum sein? Zunächst lautet seine Antwort „Ja!“ – vielleicht träumen wir nur. Doch selbst wenn wir nur träumen bleibt etwas übrig, dass wir nicht mehr bestreiten können, nämlich dass wir träumen.“

Der Traum des Descartes wurde zum Alptraum der Moderne. Wer die Wirklichkeit der Mutter Natur nicht erkennt, dem bleibt nur noch, seine wirren Träume zu entziffern und in technischen Fortschritt zu verwandeln.

Technische Träumer sprechen nur ihre eigene Zungen-Sprache in ekstatischen Algorithmen. Die Sprache der Vernunft erreicht sie nicht mehr.

 

Fortsetzung folgt.