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Weltdorf LXXXV

Hello, Freunde des Weltdorfs LXXXV,

„Hört ihr das Glöckchen klingeln? Kniet nieder. Man bringt die Sakramente einem sterbenden Gott.“ (Heinrich Heine)

„Jetzo sank eine hohe edle Gestalt mit einem unvergänglichen Schmerz aus der Höhe auf den Altar hernieder, und alle Toten riefen: »Christus! ist kein Gott?« Er antwortete: »Es ist keiner.« »Starres, stummes Nichts! Kalte, ewige Notwendigkeit! Wahnsinniger Zufall! Kennt ihr das unter euch? Wann zerschlagt ihr das Gebäude und mich? – Wie ist jeder so allein in der weiten Leichengruft des Alles! Ich bin nur neben mir – O Vater! o Vater! wo ist deine unendliche Brust, daß ich an ihr ruhe? – Ach wenn jedes Ich sein eigner Vater und Schöpfer ist, warum kann es nicht auch sein eigner Würgengel sein? …   Jean Paul, 1797.

„Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“ Nietzsche, 1882.

Als die Deutschen mehr als ein Jahrhundert lang ihren Gott gemartert und getötet hatten – fanden sie sich mutterseelenallein im stummen Nichts, in der kalten Notwendigkeit, im wahnsinnigen Zufall. Diese furchbare Selbstbestrafung ertrugen sie nicht. Ihre metaphysische Sensibilität lechzte nach irdischer Medizin, damit sie an erbaulichen Mangelerscheinungen nicht zugrunde gingen. Da ahnten sie bereits, dass alles Übernatürliche natürlich und menschlich sei, wenn es sich mit jenseitiger Furcht und Pracht kostümiert, damit der Mensch sich selbst – in der Person eines furchterregenden Anderen – anbeten kann.

„Die Religion ist die Spiegelung des menschlichen Wesens in sich selbst.“ – „Gott ist der Spiegel des Menschen.“ – „Gott ist das offenbare Innere, das ausgesprochene Selbst des Menschen.“ Ludwig Feuerbach, 1841.

Gott auslöschen, hieße demnach, den Menschen auslöschen. Zum kollektiven Selbstmord waren die Deutschen nur halbherzig bereit. Also suchten sie

einen gottgleichen Menschen, der sie aus ihrer Not erlösen sollte. Der entschloss sich, durch Ermordung anderer Völker den Selbstmord der Deutschen zu verhindern. Als sie kläglich versagten, Ihn zum Herren der Welt zu erheben, verfluchte er sie zum völkischen Tod: ein Volk, das mich vor aller Welt blamiert, ist es nicht wert, dass es weiter lebe. Es soll zugrunde gehen.

Wenn der Mensch seinen Gott – das in den Himmel projizierte ICH-IDEAL – zum Tode verurteilt, verurteilt er sich selbst zum Tode. Solange sein schwaches Ich angewiesen ist auf die Komplettierung durch ein Allmachts-ICH, wird jeder Angriff gegen Gott zur Selbstgefährdung seiner Gattung. Gott, die Allmachtskrücke des Menschen, kann nicht weggeworfen werden, wenn der Mensch seine irdische Zukunft nicht gefährden will. Es sei denn, sein Ich wäre stark genug, um sein ICH-IDEAL nicht mehr zu benötigen.

Doch wie? Müsste sein Ich nicht selbst zu Gott werden, damit es auf ein GOTT-IDEAL verzichten kann? Was wäre gewonnen, solange die zweideutige Formel Schleiermachers gilt: „Alles Menschliche ist heilig, denn alles ist göttlich?“ Ob das Ich selbst göttlich oder aber ein GOTT-IDEAL zur Vervollständigung braucht, bliebe als Ergebnis gleich.

Ein Wesen, das sich so oder so allmächtig dünkt, gerät unausweichlich in Konflikt mit der Natur, die das Monopol des Leben-Schaffens nicht aus der Hand gibt.

Das Malheur entstand, als ein männlicher Gott sich anmaßte, die Unersetzlichkeit der Natur zu kopieren und sich an ihre Stelle zu setzen. Der Mann erfand eine Gegennatur, die eine Übernatur sein sollte. Seitdem konkurriert er mit seiner Übernatur gegen die Natur, um sie überflüssig zu machen und zu vernichten. Der Wettbewerb aller Wettbewerbe ist der Vernichtungskampf einer männlichen Heilsgeschichte gegen die in sich ruhende Zeit der weiblichen Natur.

Der souveräne Mensch muss nicht Gott werden, um sich zur vollen Kraft seiner Fähigkeiten zu entwickeln. Eine menschliche Utopie wäre keine Gemeinde allmächtiger Götter – die sich ohnehin das Leben zur Hölle machen würden. Schon vieles hat der Mensch gelernt: wer möchte behaupten, er habe das Ende seines Lernens bereits erreicht?

Wenn wir ausschließen, utopiefähige Wesen zu sein, werden wir uns in selbstzerstörender Projektion zerfleischen. Wenn wir es für möglich halten, gibt es noch immer keine Garantie – aber die reale Hoffnung, dass wir uns in erlernter Weisheit ans Ufer retten können.

Allmächtige Götter müssten wir nicht werden. Sie kennen weder Irrungen noch Wirrungen – und halten sich für perfekt, wenn sie alles in Trümmer legen. So definiert sich der Mann, der sich für Gott hält.

Weisheit besteht in der Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen. Wer erdreistet sich, zu behaupten, die Lernfähigkeit des Menschen sei durch Bosheit so eingeschränkt, dass er seinem Elend nie entfliehen kann? Das Böse ist die Erfindung von Menschenfeinden, die den Geschöpfen der Natur kein gelungenes Leben auf Erden gönnen.

In Deutschland gilt als Gipfel priesterlichen Raunens die Äußerung des Satzes: Es gibt das Böse. Als Hallodri gilt, wer das Gegenteil behauptet: das Gute ist die Substanz des Lebens. Vernichtende Unheilsprophetie ist der Höhepunkt aller Inhumanität.

Wir können uns gegenseitig bestärken, uns gegenseitig Mut zusprechen. Was wir bei Kindern versuchen, soll bei Erwachsenen verkehrt sein? Wo steht geschrieben, dass die Welt der Kinder unverträglich sein muss mit der Welt der Erwachsenen? Kinder sollen lernen, was sie als Erwachsene schnell vergessen und verdrängen sollen?

Den Deutschen geht es gut. Es hat ihnen gut zu gehen. Zahlen und Umfragen lügen nicht. Wie könnten neugermanische Propagandisten die Überlegenheit des Landes in die Welt posaunen, wenn es seinen Bewohnern schlecht ginge?

Dennoch dürfen die Deutschen sich nicht ihres Lebens freuen. Einerseits muss es ihnen gut gehen, andererseits ist Zufriedenheit die Sünde wider den Geist. Der Reichtum eines Menschen kann grenzenlos sein, dennoch darf er nicht in Selbstzufriedenheit verfallen, die ihn träge und antriebslos macht. Milliardäre haben alles im Übermaß. Dennoch müssen sie unermüdlich weiter raffen – bis sie die gesamte Erde zum Schemel ihrer Füße gemacht haben. Du kannst so gut sein, wie du willst: immer wird es einen geben, der dich in den Schatten stellt.

Auf der Liste der Gierigsten rutschte Trump vom Platz 324 auf den Platz 544. Welch Schande für Amerika. Es wäre Zeit für eine Verfassungsänderung: wer nicht zu den ersten 100 Superreichen zählt, ist für das Amt des Präsidenten nicht geeignet.

Das Ziel des Wohlhabenden, dem es nie wohl sein darf, ist Grenzenlosigkeit, die Abwesenheit eines konkreten Ziels. Das Ziel ist nichts, der Weg ins Nichts ist alles. Der Weg ins Nichts aber ist der Weg zu Gott.

Gott ist Alles, doch zufrieden darf auch er nicht sein. Mitten in Allem überkam ihn der Ehrgeiz, eine Welt aus Nichts zu schaffen und Kreaturen zu erfinden, die ihn lieben sollten. Auf die Liebe seiner Geschöpfe war er versessen. Alles, was ihn nicht liebte, vernichtete er aus unerfüllter Liebe und Eifersucht. Er wollte allmächtig sein und war doch der Ärmste unter allen Lebewesen.

Um seine bedürftige Allmacht zu vertuschen, verbreitete er Angst und Schrecken unter seinen Geschöpfen. Seine Schöpfung nannte er sehr gut, obgleich sie vom Bösen unrettbar verseucht war. Mit Seligkeit und höllischen Strafen erpresst er seine Kreaturen zur Liebe. Seine Geschöpfe erlöst er, wenn sie sich ihm als Nichtse unterwerfen. Von wem ist die Rede? Vom Mann.

Ursprung und Ziel der Evolution ist Gott. Nicht nur für die Gläubigen, sondern für alle Menschen. Profane Geschichte wurde Heilsgeschichte. Wenn der externe Gott tot ist, liegt es am Menschen, ihn mit eigenen Kräften herzustellen. Also musste der Fortschritt erfunden werden.

Fortschritt ist unendliche Annäherung an Gott. Das Produkt aller technischen Produkte ist Gott. Das Ziel allen technischen Fortschritts ist Gott. Der Zweck aller technischen Risiken ist Gott. Die Spitze aller Kreativität ist die technische Zeugung Gottes. Der Traum aller Techniker ist die gottgleiche Maschine. Tusch!

Ein Historiker hat das Ziel der Evolution enthüllt:

„Wann erreicht der Mensch die nächste Evolutionsstufe? Sehr bald, glaubt der Historiker Yuval Noah Harari. Dank neuer Technologien wird der gottgleiche Homo Deus den Homo sapiens verdrängen.“ (SPIEGEL.de)

Die Katze ist aus dem Sack. Homo sapiens, der weise Mensch, wird von Homo Deus, dem unweisen Gott, abgelöst. Wer ist Yuval Noah Harari, ein junger israelischer Historiker, der sich als Prophet der Evolution vorstellt? Nach SPIEGEL-Tradition muss zuerst die geniale Persönlichkeit gerühmt werden. Daraus folgt zwanglos ihre geniale Tat:

„Harari befindet sich auf Vortragstour für sein Buch in den USA. Mit seinem auffällig großen, spärlich behaarten Kopf und der schmächtigen Statur sieht der Mann selbst ein wenig aus wie eine künftige Evolutionsstufe des Menschen, eine mit noch größerem Gehirn.“

Es ist nicht so, dass Hararis Prophetie nur Frohlocken auslösen soll. Zwar öffnet er die Pforten zum Garten Eden – doch ohne Schaudern wird der Triumph nicht zu haben sein. Tremendum und Faszinosum bestimmen noch immer die technische Religion der Zukunft. Zuerst aber die Heldentaten: „Sie sagen, dass der Mensch sich im 21. Jahrhundert neuen Zielen zuwenden kann, weil er seine drei größten Feinde in den Griff bekommen hat, nämlich Krieg, Krankheiten und Hunger.“

Harari: „Zum ersten Mal in der Geschichte sterben mehr Menschen, weil sie zu viel essen, nicht, weil sie zu wenig essen. 2010 starben drei Millionen Menschen an den Folgen von Übergewicht – das sind mehr als durch Hunger, Kriege, Gewaltverbrechen und Terrorismus zusammen.“

Wer zu viel isst, dem geht es noch lange nicht gut. Warum kann er nicht Maß halten? Weil er hungrig ist – nach Emotionen, die man weder trinken noch essen kann. Ist es Fortschritt, wenn Menschen innerlich verhungern, weil sie äußerlich nicht den Schlund voll kriegen?

Dem ersten Licht folgt der erste Schatten. Warum wurde Trump gewählt? „Ich glaube, die Wähler in den USA und anderswo spüren derzeit durchaus mit Recht, dass das politische System nicht mehr funktioniert. Die Politik ist nicht mehr in der Lage, sinngebende Visionen für die Gesellschaft anzubieten.“

Wer will die folgende Analyse für falsch halten? „Wir werden immer mehr Innovationen erleben, die unser Leben verändern, unsere Beziehungen, unsere Jobs, sogar unsere Körper. Aber nichts davon wird vom demokratischen Souverän beschlossen. Also wählen die Leute jemanden wie Trump, um dem System, Pardon, einen Tritt in den Hintern zu geben.“

Der angebliche Souverän der Demokratie ist ein Getriebener und Rechtloser, der in allen Fragen seiner Existenz kein Mitspracherecht hat. Die Freiheit der Superfreien ist die Despotie der Mächtigen über alle Unfreien. Die viel gepriesene Unsicherheit – „nur Tröpfe sind vollkasko-versichert“ – ist die Quelle der schlimmsten emotionalen Defizite der Gegenwart:

„Wir wissen heute nicht mehr, was wir unseren Kindern in der Schule beibringen sollen, um sie auf die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte vorzubereiten. Wir haben keine Ahnung, wie die Gesellschaft und die Arbeitswelt von 2050 aussehen werden. Wir irren auf kurze Sicht im Weltnebel herum. Das ist ein historisches Novum.“

Nein, das ist kein Novum. Sondern das Zeitgefühl der Abendländer seit Einführung ihrer Erlösungsreligion. Seit 2000 Jahren warten sie auf die Wiederkehr ihres Herrn. „Darum wachet, denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. Weh aber den Schwangeren und Säugerinnen zu der Zeit! Bittet aber, daß eure Flucht nicht geschehe im Winter oder am Sabbat. Denn es wird alsbald eine große Trübsal sein, wie nicht gewesen ist von Anfang der Welt bisher und wie auch nicht werden wird. Und wo diese Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen werden die Tage verkürzt.“

Der Verzug der Parusie zermürbt die Frommen seit 2000 Jahren. Der hektische Fortschritt ist die Antwort auf das zermürbende Warten, das durch Beschleunigen aller Vorgänge überdeckt werden muss. Harari hat den Mut, dem Lobgesang auf die Ungewissheit ihre seelenzermürbende Realität entgegenzuhalten. Wo aber bleibt Homo Deus? Er kommt, er steht schon vor der Tür: „Es geht eher um Jahrzehnte als um Jahrhunderte. Es hat ja längst begonnen.“

Was aber ist der Homo Deus? „Ein Mensch, der die Fähigkeiten erlangt, die in traditionellen Vorstellungen Göttern vorbehalten sind. Manches davon haben wir längst erreicht, insofern müsste schon der heutige Mensch seinen Vorfahren wie ein Gott vorkommen.“

Ist das kein grandioser Widerspruch zur behaupteten existentiellen Unsicherheit der Menschen, die keinerlei Mitspracherechte über ihr Schicksal kennen? Wäre es nicht viel wahrscheinlicher, dass selbstdenkende, naturverehrende Griechen unsere logische Inkompetenz, unsere Naturzerstörung, unsere Maßlosigkeit, unsere Untertänigkeit unter den Fortschritt, unsere Ungerechtigkeit und mangelhafte Solidarität für verkommene amoralische Hybris halten würden? Der Chor der thebanischen Alten in Sophokles‘ Antigone hat den modernen Wahn vorausgeahnt:

„Ungeheuer ist viel. Doch nichts
Ungeheuerer als der Mensch.

Der Mensch, der alles kann und alles beherrscht, und dennoch vor die Hunde geht: das ist der ungeheure Mensch des Tragödiendichters.

Kann Homo Deus auch Leben erschaffen? Der Interviewer verkleinert die Omnipotenz des biblischen Gottes. Nicht ordinäres Lebenschaffen, sondern eine Welt aus Nichts kreieren: daran erkennt man den wahren Gott. Auch Harari schrumpft Homo Deus zu einem Kreator, der sich an das Vorhandene halten muss, um bloße Variationen des Seienden herzustellen.

Der eigentliche Punkt der Gottgleichheit wird von beiden nicht gesehen. Der Supermensch will Alles aus Nichts herstellen. Dazu aber muss das Nichts erst hergestellt werden – durch Vernichtung der alten Natur. Erst nach vollendeter Apokalypse könnte Homo Deus seine Fähigkeiten beweisen, aus Nichts eine ganze Schöpfung zu zaubern. Gottgleichheit muss Mensch und Natur prophylaktisch vernichten, um im Tod festzustellen, dass Homo Deus sich übernommen hat.

Den Einwand des Fragers, ob der Begriff Übermensch in Deutschland nicht belastet sei, wischt Harari beiseite. „Während Hitler und die Nazis vor 80 Jahren den Übermenschen durch selektive Fortpflanzung und „ethnische Säuberungen“ züchten wollten, verfolgt die Wissenschaft der Gegenwart ein verwandtes Ziel mit wesentlich effizienteren Mitteln“.

Geht es um das prinzipielle Ziel oder nur um sekundäre Mittel? Die Nationalsozialisten bewiesen ihr Übermenschentum vor allem in der Lizenz, Untermenschen auszurotten. Wissen Täter und Opfer das nicht mehr?

Nun die Schattenseiten. Waren wir denn bislang bei den Sonnenseiten? „Schon heute aber sind die allermeisten Menschen militärisch zu nichts mehr zu gebrauchen. Die höchstentwickelten Armeen verlassen sich auf eine kleine Zahl hoch entwickelter Superkrieger, wie die mit Hightech ausgerüsteten amerikanischen Spezialeinheiten. Generäle setzen heute lieber Drohnen und Cyberkrieg-Computerwürmer ein als menschliches Kanonenfutter.“

Sollen das Schattenseiten sein, wenn die Menschen „militärisch nicht mehr zu gebrauchen sind?“ Oder wenn sie als „Kanonenfutter nicht mehr taugen?“

Die kommende Roboterisierung wird viele Menschen überflüssig machen. „Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Algorithmen und Roboter nicht nur Industriejobs übernehmen, sondern auch Dienstleistungsberufe.“

Hier darf der neoliberale Einwand nicht fehlen: „Bislang hat jede bahnbrechende Technologie der Geschichte immer auch neue Jobs geschaffen.“

Ungewöhnlich genug beharrt Harari darauf, dass die Massen zu nutzlosen Parasiten der Evolution werden. Wo aber bleibt sein Aufruf zum Kampf gegen diese Spaltung der Menschheit in Notwendige und Überflüssige?

Hararis Kritik bleibt bloße Alibikritik. An der Unvermeidlichkeit der Zukunft gibt es für ihn keine Zweifel. Es ist wie in der jüdisch-christlichen Heilsgeschichte: mit Sicherheit ist Gott der Erlöser aller Menschen – mit Ausnahme jener, die in der Hölle schmoren werden.

Hararis Kritik an einem universellen BGE ist nicht vollständig falsch: „Das Konzept des universellen Basiseinkommens hat allerdings große Schwierigkeiten. Ein Problem ist, dass es seinen Empfängern keinerlei Sinngehalt bietet, keinen Daseinszweck. Wir schuften nicht nur für Geld, sondern ziehen auch Lebenssinn aus unserer Arbeit. Da gibt es allerdings vielleicht Alternativen. Eine Idee ist, dass Menschen ohne Arbeit künftig ihre Zeit vermehrt mit Computerspielen verbringen.“

Woher soll sinnvolle Arbeit kommen, wenn gottgleiche Maschinen alle Arbeit übernehmen werden? Dass Computerspielen eine sinnerfüllende Betätigung für Überflüssige sein soll, kann nur als Zynismus betrachtet werden.

Was aber geschieht mit dem Homo sapiens, wenn sein gottähnlicher Nachfolger das Ruder übernehmen wird? Der Mensch wird mit seinen Maschinen zu einer gottgleichen Symbiose verschmelzen. Nein, die neuen Supermenschen haben es nicht nötig, den weisen Menschen zu vernichten. Gleichwohl könnte es zu einem Kastensystem kommen: „Vielleicht werden Homo Deus und Homo sapiens gleichzeitig leben. Das wäre eine Art biologisches Kastensystem, in dem die untere Kaste eine andere Spezies ist. Die Vorstellung mag man schrecklich finden, aber so ungewöhnlich ist das nicht.“

Ist Harari ein Seher, der seine Visionen für unvermeidlich hält? Dann wären seine Warnungen nur paradoxe Begleitsprüche einer goldenen Zukunftsgewissheit. Ein wenig Selbstkritik fördert den objektiven Schein des Wünschenswerten. Mit niederer Politik will Harari nichts zu tun haben. Von Klimakatastrophen, Flüchtlingselend und Hungerepidemien scheint er noch nichts gehört zu haben. Er hat das Große und Ganze im Auge:

„Die Art der Geschichtsforschung, wie ich sie betreibe, kann die Analyse aktueller Probleme nicht ersetzen. Wer sich mit konkreten heutigen Missständen wie dem Syrienkrieg oder der Schwulenfeindlichkeit in Russland auseinandersetzen will, muss andere Fachleute fragen. Doch wir müssen auch das große Bild im Blick haben, nicht nur die Details des Tages. Ich möchte aber betonen, dass die Szenarien, die ich entwerfe, besser als Möglichkeiten denn als Prognosen begriffen werden. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass solche Entwicklungen möglich sind. Das heißt nicht, dass es so weit kommen muss. Noch – noch± – liegt die Zukunft in unseren Händen.“

Eben betonte der Prophet, der keiner sein will, dass die Menschen bei der Gestaltung der Zukunft nicht gefragt werden. Nun spricht er von bloßen Möglichkeiten – und dass die Zukunft in unseren Händen liege. In welchen Händen? In den Händen von Silicon Valley? In den Händen der Völker, die nicht das geringste Mitspracherecht über ihre Zukunft haben? Krasser können Widersprüche nicht sein.

Für Deutschland ist es ein Durchbruch, wenn die Gottähnlichkeit des Menschen endlich zur Sprache kommt. Die ecclesia patiens der Lutheraner will von der eschatologischen Gottgleichheit der Frommen nichts wissen. Deutsche geben sich gern demütig – wenn es nicht gerade um ihre wirtschaftliche Überlegenheit geht.

Amerikanische Biblizisten hingegen machen kein Geheimnis aus ihren Visionen einer triumphierenden Kirche. Die einen beziehen sich auf das Wort: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Die anderen auf die Zuversicht: „Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch.“

Doch so oder so: wenn das Ziel des Menschen in seiner Gottwerdung besteht, werden wenige Auserwählte zu Masters of Universe, die Überflüssigen landen auf den Deponien der Geschichte.

Wir glauben aber nicht an die Hölle, beteuern aufgeklärte deutsche Gottesgelehrte. Was sie nicht glauben, gibt es nicht. Versprochen.

 

Fortsetzung folgt.