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Weltdorf LXIV

Hello, Freunde des Weltdorfs LXIV,

„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit“.

Die Mängel der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung sind die Mängel des christlichen Westens. Die jetzige Krise der Demokratien offenbart die Defizite ihrer Grundlagen. Wie eine lebendige Aufklärung den Prozess der Selbstaufklärung ständig vorantreibt, müssen vitale Demokratien ununterbrochen ihre Wurzeln überprüfen, wenn sie nicht verrotten wollen.

Es gibt kein Zurück? Es gibt kein Vorwärts ohne Zurück. Wenn wir unsere Vergangenheit nicht zur begriffenen Gegenwart machen, wird es keine Zukunft geben. „Wir schauen nicht zurück, wir schauen nur nach vorne“ ist das Motto der herrschenden Selbstzerstörer.

Auch der neue SPD-Kandidat weigert sich, die Partei-Sünden der Vergangenheit aufzuarbeiten und gibt sich just in dem Moment amerikanisch, als die amerikanische Selbstdestruktion der ganzen Welt um die Ohren fliegt. Es genügt nicht, aus einer dumpfen Provinz zu kommen, Loser gewesen zu sein und unelegante Anzüge zu tragen, um zum neuen Bergprediger der Schwachen und Armen zu werden.

Streng genommen gibt es kein Vorwärts oder Zurück, solange die unbearbeitete Vergangenheit die Geißel der Gegenwart ist. Keine Vergangenheit will vergehen, solange sie durch Erkennen nicht ad acta gelegt wurde.

Ein Generalübel der Zeit ist die verheerende Arbeitsteilung – oder Arbeitsverweigerungs-Teilung – zwischen Historikern, die sich nicht dem Verstehen des Tages und Tagesbeobachtern (Jour-nalisten), die sich nicht der Erhellung der Geschichte verpflichtet fühlen.

Historiker wollen keine Lehren aus der Geschichte ziehen, weil jede Epoche unvergleichlich sei. Die Tyrannei der Unvergleichlichkeit verurteilt sie zur

sterilen l’art pour l’art. Denken ist Vergleichen. Wer nicht alles mit allem vergleicht, hat das Denken eingestellt.

Die Beschränkung auf unbegriffene Fakten verurteilt die Journalisten zur quantitativen Stumpfheit. Der Tag kann nur verstanden werden, wenn er als Produkt aller Tage genommen wird. Geschichte kann nur erkannt werden, wenn sie im scharfen Lichte der Gegenwart begriffen wird.

Was sind „ausgemachte“ Wahrheiten? Self-evident heißt unbezweifelbar. Unbezweifelbar aber ist nichts auf der Welt. Die modernen Demokratien mussten erkämpft werden gegen mächtigen Widerstand monarchisch-klerikaler Bezweifler. Die „ausgemachten“ Grundwahrheiten sollten nicht bezweifelt werden, meinten vermutlich die Verfasser des Manifests. Doch was gesollt ist, ist noch lange nicht und muss aus Sollen in Sein überführt werden. Die erwünschte Selbstverständlichkeit des emanzipierten Menschen versinkt allzu schnell in selbstverklärendem Pathos und vergisst, dass Demokratie stets aufs neue erkämpft werden muss.

Es gibt keinen Schöpfer, der die Menschen mit Rechten ausgestattet hätte. Der Mensch musste seine Rechte selbst erobern und erkämpfen. Der Ruhm der Amerikaner (wie der Franzosen und Engländer) gründet im Kampf um die Befreiung des Menschen aus den Banden selbsternannter Eliten. Freiheit ist kein Geschenk eines Gottes, wie Dabbelju Bush eine demokratische Tugend zur himmlischen Gnadengabe verfälschte.

Der amerikanische Schöpfer wurde zum deutschen Gott in der Verfassung. Die Verfälschung der Selbstbefreiung zu einem Gnadengeschenk wurde zur deutschen Böckenförde-Doktrin, wonach Demokratie nur durch christliche Werte erhalten werden kann.

Es war umgekehrt: Demokratie musste gegen den erbitterten Widerstand der Theokraten durchgesetzt werden. Wie stets, haben sich die klerikalen Freiheitsfeinde längst angepasst – und sich listig an die Spitze der Bewegung gesetzt. Inzwischen plappern alle Edelschreiber und Wiedergeborenen von der Erfindung der Demokratie und Menschenrechte durch den Heiligen Geist. Die biblischen Texte werden solange willkürlich gedeutet, gerüttelt und geschüttelt, bis das erwünschte Ergebnis in den Klingelbeutel fällt.

Amerika will noch immer Gottes eigenes Land sein, abendländische Werte müssen christlich und demokratisch zugleich sein. Eine transatlantische Doppeltäuschung mit absehbaren Folgen. Christliche Heilsgeschichte will schon seit zwei Jahrtausenden ans Ende. Sie will die Menschheit spalten und die Natur vernichten, um eine neue aus dem algorithmischen Zylinder zu zaubern. Urgriechische Demokratie hingegen wollte das Glück der Menschheit in einer zyklischen Natur, die keine Heilsgeschichte nötig hat.

Sind die Menschen von ihrem „Schöpfer“ gleich erschaffen worden? Höchstens im Sinne gleicher Minderwertigkeit, die erst durch Gottes Auslese in zwei inkompatible Populationen aufgespalten wird. Aus einem Theologenlexikon:

„Die Vertreter der calvinistischen Prädestination betonen die Lehre einer prinzipiellen Unüberwindbarkeit der Ungleichheiten – auch im religiösen Bereich.“ (RGG)

Also auch im politischen und wirtschaftlichen Getriebe des Alltags. Aus der „Westminster-Confession“ von 1647:

„Der Mensch hat durch seinen Fall in den Stand der Sünde alle Fähigkeit seines Willens zu irgend etwas geistlich Gutem verloren. Gott hat durch seinen Beschluss einige Menschen bestimmt zu ewigem Leben und andere verordnet zu ewigem Tode.“ (Zitiert nach Max Weber, Die protestantische Ethik)

Kapitalistische Nächstenliebe äußert sich in erster Linie durch exzessive Berufsarbeit. Caritativ ist, wer in wirtschaftlichem Egoismus seinen Profit maximiert. Das ist der theologische Kern des neoliberalen Dogmas: wenn die Fluten steigen, heben sich alle Boote. Die Zweifel an der eigenen Erwählung konnten nur durch verschärften ökonomischen Leistungswillen gedämpft werden. Weltlicher Erfolg ist das sicherste Zeichen persönlicher Erwählung.

Von Anfang an gibt es keine Gleichheit unter den Kreaturen des Schöpfers. Adam ist wesensverschieden von seiner sündigen Frau. Kain erschlägt seinen Bruder Abel, weil dieser von Gott grundlos bevorzugt wurde: „Und der Herr sah wohlgefällig auf Abel und seine Opfer, auf Kain aber und sein Opfer sah er nicht.“ Rebekkas Kinder Esau und Jakob stoßen sich bereits in ihrem Leibe. Und der Herr sprach: „Zwei Völker sind in deinem Leibe, ein Stamm wird dem andern überlegen sein, und der ältere wird dem jüngeren dienen.“ Jakob wird Liebling Gottes und erlistet sich mit Seiner Hilfe das Erstgeburtsrecht.

Christliche Theologen verweisen auf Galater 3, 28: „Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal einer in Christo Jesu.“ In Christo sollten sie eins sein, was nicht bedeutet, dass sie gleich waren. Auch Mann und Frau sollen ein Fleisch sein. Das ändert nichts an der Überlegenheit des Mannes, der das Abbild Gottes ist, die Frau hingegen nur das Abbild des Mannes. Aus der angeblichen Gleichheit wurde in der weltbesiegenden Kirche die strengste und ungleichste Hierarchie der Welt. Selbst wenn die Gläubigen gleich gewesen wären, hätten sie sich von Ungläubigen fundamental unterschieden. Auch die Römerstelle: „Bei Gott ist kein Ansehen der Person“ begründet lediglich die gleiche Wertlosigkeit aller Menschen – vor dem Akt der Erwählung.

Die Formel pursuit of happiness, Streben nach Glück, bestätigt unfreiwillig die Ungleichheit der Menschen. Wer sich das Glück erst verdienen muss, hat es nicht. Die Ehrgeizigen werden sich ein großes Stück vom Kuchen abschneiden, die anderen dürfen neidisch zuschauen. Das irdische Leben wird zur Wettkampfarena, in der jeder gegen jeden antreten muss. Viele sind berufen, wenige auserwählt. Ein Schäfchen wird vom guten Hirten gerettet, 99 gehen verloren. EINPROZENT der Weltbevölkerung lebt in Saus und Braus und bestimmt das Geschick der Menschheit. 99PROZENT gucken in die Röhre.

Der Zufall der Geburt, der ungleichen Talente und des zufälligen Glücks macht aus Gleichheit eine groteske Verschiedenheit. Zeit und Zufall sind nach Hayek biblische Urelemente des Marktes. Im Neoliberalismus ist die Ungleichheit derart ins Extreme ausgeartet, dass nicht einmal Begabungen und Leistungsfähigkeiten entscheiden, sondern allein der himmlische Wille, der sich in Zeit und Zufall äußert. Weltliche Ungleichheit erst zeigt dem Puritaner das Signum seiner Vorherbestimmung.

Die ursprünglichen Zweifel der Calvinisten sind auf amerikanischem Boden längst dem unerschütterlichen Glauben an die „manifest destiny“, an die offensichtliche Erwählung des Neuen Kanaan gewichen. Im Gegensatz zur Kopfnickerkirche der Deutschen – nach ihrer Anbetung eines gotterwählten Führers – ist die amerikanische Nation zu einer nationalen ecclesia triumphans geworden. Hier kann es keine Zweifel mehr geben, dass Amerikaner die Guten sind und alle, die sich ihrem Willen nicht beugen, die Bösen.

Den strengen Dualismus zwischen Gut und Böse nennen deutsche Abendländer, die ihren „aufgeklärten Glauben“ schützen wollen, gerne manichäisch. Eine der üblichen Rosstäuschereien. Aus welcher Religion auch immer der Dualismus stammt, spätestens seit den Propheten und Apokalyptikern war die jüdische Religion dualistisch geworden. Die Christen übernahmen die Spaltung, wenn auch nicht mehr zwischen erwähltem Volk und Heiden, sondern zwischen Erwählten und Verworfenen quer durch alle Völker.

Der christliche Glaube kann nicht manichäisch sein, so die Theologen, weil Gott keinen gleichmächtigen Satan als feindliches Gegenüber hat. Doch Gott ist selbst in einen Gott der Liebe und der Verdammnis gespalten. Luther spricht vom Deus revelatus (dem geoffenbarten Gott) und Deus absconditus (dem verborgenen Gott). Diese beiden Götter in einem Gott sorgen manichäisch für die unkorrigierbare Trennung zwischen denen, die mit ewiger Seligkeit im Himmel belohnt und denen, die mit ewiger Verdammnis in der Hölle bestraft werden.

Diese finalen Teile ihrer Dogmatik werden von den Kirchen verschämt verschwiegen oder unter den Teppich gekehrt. Sie wollen ihre ethische und aufgeklärte Spitzenposition nicht aufs Spiel setzen durch angebliche „Gräuelmärchen“ aus vorchristlichen Zeiten. Ein entmythologisierter Glaube reklamiert für sich, die Stimme der humanen Vernunft zu sein. Doch die Stimme des Vatikans legt eindeutig fest:

„Die Lehre der katholischen Kirche besagt, dass es eine Hölle gibt und diese ewig dauert. Die katholische Kirche versteht den Begriff Hölle als den selbstverschuldeten endgültigen Ausschluss eines Menschen aus der Gemeinschaft mit Gott, also die Erfahrung letzter Sinnlosigkeit.“

„In Todsünde sterben, ohne diese bereut zu haben und ohne die barmherzige Liebe Gottes anzunehmen, bedeutet, durch eigenen freien Entschluß für immer von ihm getrennt zu bleiben. Diesen Zustand der endgültigen Selbstausschließung aus der Gemeinschaft mit Gott und den Seligen nennt man ‚Hölle‘.“ (Katholischer Katechismus)

Ex-Bischof Huber zeigte in einer Talkshow bei Kerner seine meisterlichen Fähigkeiten in hallodrihaftem Zynismus:

„In der Tat ist die Kritik der Höllenvorstellung einer der stärkeren Züge in der christlichen Theologie, und die Wiederholung einer – im übrigen heidnischen – Vorstellung von der Hölle ist einer der schwächeren Züge der christlichen Theologie. … Ein ganz kluger katholischer Theologe … hat gesagt: ´Naja, wir Katholiken glauben an die Hölle, aber niemand nötigt uns, daran zu glauben, dass jemand drin ist.`

Nur durch Verleugnung des Ausgangs der Geschichte in Heil für wenige und Unheil für viele kann die Theologie sich als Extrakt aufgeklärter Humanität gebärden.

Origenes, ein noch von griechischem Geist geprägter Kirchenvater, konnte das „manichäische“ Ende der Heilsgeschichte nicht ertragen und plädierte für eine „Wiederbringung aller“. Nach einer begrenzten Strafzeit würden auch die schlimmsten Sünder von Gott begnadigt und dem Himmel zugeführt werden. Solch verweichlichtes und falsches Mitleid mit den Sündern wurde von Rom als Irrlehre verdammt. Das später eingeführte Fegefeuer war eine zeitliche begrenzte Strafe und Bewährungsprobe für die Harmlosen unter den Bösen.

Was in der deutschen Theologie abstrakte und verschämte Dogmen, sind in Neu Kanaan die harten Grundlagen der Politik. Der amerikanische Manichäismus kennt keine Selbstzweifel: Wir sind die Guten, die ungehorsamen Völker die Bösen, die ihrer verdienten Strafe nicht entgehen werden. Es ist kein bloßer Machiavellismus, wenn Trump siegesgewiss und selbstgerecht in die Welt schmettert: Amerika zuerst. Genau genommen müsste das Motto lauten: allein Amerika, die anderen können uns gestohlen bleiben.

Die Stimme des anderen Amerika redete schon vor Jahren seinen erlösungstrunkenen Weltmissionaren ins Gewissen: „Der Anspruch der USA, ihre Ideen und Wertvorstellungen über die ganze Welt zu verbreiten, ist vorbei. Sie hätte niemals beginnen sollen, weil wir nicht die von Gott erwählten Retter der Menschheit sind.“ (Fulbright)

Fulbright analysiert die psychischen Rückwirkungen des Erwähltheitsdünkels auf die Nation: „Der missionarische Trieb könnte außenpolitisch eher einen Mangel als ein Übermaß an Selbstvertrauen widerspiegeln. Offenkundig brauchen wir dauernd Bewährung und Bestätigung von außen; wir empfinden ein quälendes Verlangen nach Popularität, sind verwirrt und verbittert, wenn Ausländer unsere guten Absichten und Großzügigkeit nicht zu würdigen wissen.“

Fulbrights Thesen erhellen die gegenwärtige seelische Verfassung einer von der Welt enttäuschten Nation, die zur Strafe für die ganze Welt einen Berserker ins Weiße Haus hieven musste.

Wie es anders sein könnte, lässt der Senator nicht im Dunkeln:„Nur eine Nation, die in Frieden mit sich selbst, mit ihren Verfehlungen und Errungenschaften lebt, kann andere auf großherzige Art verstehen. Nur wenn wir die menschlichen Verwicklungen begreifen, die durch die Kluft zwischen dem Überfluss der USA und der Armut des größten Teils der übrigen Menschheit entstehen, werden wir verstehen können, warum der American way of life, der uns so teuer ist, der von Armut geschlagenen Mehrheit der menschlichen Rasse wenig bedeutet. Es ist eine Eigenart der menschlichen Natur, dass der Mangel an Selbstsicherheit eine Überschätzung von Macht und Mission hervorzubringen scheint.“

Ein halbes Jahrhundert nach Fulbright verrät sich Amerika aus allen Poren – durch die Wahl eines lachhaften Ich-Titans. Die Muskelspiele in Washington sind Imponiergebärden einer Nation, die ihre Selbstsicherheit durch eine Wirtschaft grotesker Ungleichheit und missionarischer Selbstgerechtigkeit zerrüttet hat.

Sie klingen hohl, die auf Gott bauenden Selbstspreizungen einer verfallenden Großmacht: „Wenn Amerika geeint ist, dann ist Amerika absolut unaufhaltsam. Es sollte keine Angst haben. Wir sind beschützt und wir werden immer beschützt sein. Wir müssen groß denken und noch größer träumen. Alle Amerikaner in jeder Stadt, nah und fern, groß und klein, von Berg zu Berg, von Ozean zu Ozean, hört diese Worte. Ihr werdet niemals mehr ignoriert werden.“ (Trump in seiner Inaugurationsrede)

Das soll klingen wie die vereinigten Stimmen von Mose, Josua und Daniel. Was die Deutschen in ihrer religiösen Blindheit nicht sehen wollen: Trump ist ein Prophet, der in ekstatischer Selbstergriffenheit, getarnt durch clownesque Kraftgebärden, sein Volk vor der Bedeutungslosigkeit retten und zur alten Weltgeltung zurückführen will. Die Anrufung Gottes – für Deutsche bloße Rituale – ist für ihn kein leerer Wahn. Er spielt den unberechenbaren Entertainer, doch hinter den Gesten lauert ein zu allem entschlossener bitterer Ernst.

Ein Satz aber scheint unverträglich mit der missionarischen Geste Amerikas. Merkwürdig, dass die internationalen Beobachter ihn übersahen. Politikerworte sind für Medien nichts als rhetorische Schmeichel-Übungen. Der Satz lautet: „Wir streben nicht danach, jemandem unsere Lebensweise aufzuzwingen, sondern, sie als Beispiel leuchten zu lassen. Wir werden leuchten, damit uns alle folgen.“

Nähme man die Worte ernst, müsste man sagen: das wäre eine Absage an alle bisherige Missionierung durch imperiale Gesten. Ja, es klingt nach klassischer Definition des Vorbilds. Ein wahres Vorbild zwingt niemanden zur Übernahme seiner Ideale. Es lebt sie – und vertraut auf die ansteckende Wirkung seiner Überzeugungskraft. Der neue „Isolationismus“, den man Trump vorwirft, wäre dann keine Absage an internationale Wirkung, sondern eine ungewohnte Art und Weise, das Schicksal der Welt durch exemplarisches Verhalten zu prägen.

Jedoch nicht durch ein Vorbild in universeller Solidarität, sondern im Gegenteil. Sollte die Welt Trumps Motto: “das eigene Land zuerst“ übernehmen, würde der internationale Wettbewerb endgültig zu einem vollendeten Darwinismus werden. Jede Nation würde, wenn sie dem amerikanischen Vorbild folgte, der anderen die Augen auskratzen.

Trumps demonstrative Selbstbescheidung ist nichts als eine neue verblüffende Art, die Welt auf den Weg rücksichtslos fremdschädigender Konkurrenz zu verleiten. Die Nachkriegsdevise der Solidarität, die Welt in eine friedliche Völkergemeinschaft zu verwandeln, wäre fürs Erste beendet.

Der kleine Gag von Gabriel, rein zufällig auf die Urschrift der Unabhängigkeitserklärung gestoßen zu sein, um rein zufällig den Amerikanern mit eigenen Worten ins Gewissen zu reden, war das Haschen nach Wind eines theologisch Erblindeten. Trump müsste keine Künsteleien anwenden, um seine Inaugurationsrede mit Sätzen des Manifests zu rechtfertigen. Gott, der Schöpfer der Christen, ist kein Freund der Gleichheit. Er will gnadenlosen Wettbewerb aller Menschen im Endspurt auf das Goldene Jerusalem.

„Wisset ihr nicht, daß die, so in den Schranken laufen, die laufen alle, aber einer erlangt das Kleinod? Laufet nun also, daß ihr es ergreifet!“

Paulus ist das biblische Vorbild Trumps. Schluss mit sentimentaler und verlogener Universalmoral. Jede Nation ziehe sich warm an und rüste sich zum bedingungslosen Vernichtungswettbewerb. Nur eine Nation kann den finalen Slalom gewinnen – und das soll die von aller Welt ausgenutzte Lieblingsnation Gottes sein. Trump ist der wieder erstandene Mose, der sein Volk in das Gelobte Land führen will.

Dass es ein Garten Eden nur für Milliardäre und technische Genies sein wird und gerade nicht für Schwache, werden die Abgehängten in naher Zukunft bemerken.

Ist die amerikanische Demokratie eine Wiederauferstehung der athenischen Polis? James Bryce schrieb im Jahre 1924, die revolutionären Denker Frankreichs hätten ihre Vorbilder aus einer Zeit hervorgeholt, die 2000 Jahre zurückliegt. Doch R. B. Perry widerspricht in seinem Buch „Amerikanische Ideale“. Die amerikanische Demokratie sei in keiner Weise eine Kopie der Antike, sondern wurzele in der „Gesetzestradition Englands, in der christlichen Humanität und in einer radikal individualistischen Philosophie, die keineswegs griechischen Denkern zu verdanken ist. Die Demokratie, mit der wir es hier zu tun haben, ist spezifisch amerikanisch und am wenigsten europäisch.“

Mit Verlaub: Demokratie ist das politische Modell einer universellen Vernunft. Menschenrechte gelten für alle Menschen, Demokratie gilt für alle Völker. Je nationaler und spezifischer eine Demokratie pigmentiert sein will, je weniger demokratisch kann sie sein. Ob Trump gegen amerikanische Standards verstößt, ist eine zweitrangige Frage und geht vor allem die Amerikaner an. Ob er gegen demokratische Standards verstößt, geht die ganze Welt an. Die Verblendung Amerikas ist die Verblendung aller westlichen Demokratien. Die tatsächlichen demokratischen Elemente sind griechischen Ursprungs und entstammen der englischen Bewunderung für die athenische Polis.

Eine christliche Humanität ist ein Widerspruch im Beiwort. Die Weisheit des Menschen wird im Neuen Testament als Erfindung des Teufels gebrandmarkt. „Vernichten werde ich die Weisheit der Weisen und die Einsicht der Einsichtigen werde ich verwerfen.“ Die Einsicht der Vernünftigen war der Ursprung der europäischen Menschenrechte und Humanität.

Sofern eine individualistische Philosophie den Egoismus des Einzelnen über die Solidarität der Gemeinschaft stellt, ist sie die Totengräberin jeder Demokratie. In einer wahren Demokratie lebt das zoon politicon nicht nur für sich selbst. Sein Eigeninteresse verknüpft es mit dem Interesse der ganzen Gesellschaft.

„Er kann nicht für sich leben, ohne für andere zu leben“, wie ein römischer Stoiker schrieb. Er lebt auch nicht nur für seine eigene Generation, sondern hält es für seine Pflicht, „auch für die kommenden Geschlechter um ihrer selbst willen Sorge zu tragen. Gerechtigkeit und Menschenliebe sind die grundlegenden Tugenden, die eine Gesellschaft zusammenhalten.“ So Zenon, der Gründer der Stoa.

Zenons Einsichten kann man als Wortgeklingel abtun. Dann sollte man sich nicht wundern, wenn der Trumpismus ungehindert die Welt erobert.

 

Fortsetzung folgt.