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Weltdorf LVIII

Hello, Freunde des Weltdorfs LVIII,

„die Auserwählten waren nicht nur die Glücklicheren, die sich in ihrem Streben nach langem Leben; Reichtum, Macht oder Schlachtensiegen der Hilfe Gottes erfreuten, sondern sie waren die Erneuerten, die ihren Sinn auf Höheres gerichtet hatten. Weltlicher Erfolg war nichts als ein Symptom der Heiligkeit. Göttliche Eigenschaften fördern natürliche und weltliche Güter. Gottes Gerechtigkeit bleibt unbarmherzig. Die Puritaner frohlocken über die Höllenstrafen für die Gottlosen und Heiden. Urheber der Höllenqualen ist Gott selbst. Der Zustand der Qual ist absichtsvoll angeordnet um der Gerechtigkeit Gottes willen. Die ewigen Flammen der Hölle können nicht heiß genug gedacht werden für die Ungläubigen. Gott ergötzt sich an ihrem Elend.“ (R.B. Perry, Amerikanische Ideale)

Das war die Kurzfassung der amerikanischen Gegenwart. Als Erfolgreicher ist Trump ein Erwählter, der das Reich des Bösen ausräuchern muss. Sein lutherischer Grobianismus – er schaut dem Volk nicht nur aufs Maul, sondern auch auf die Geschlechtsteile – ist von göttlicher Frische und Unbefangenheit. Er wird den Saustall der antiamerikanischen Umtriebe mit teuflischer Wonne ausmisten. Seine goldenen Haare werden ihn wie eine Gloriole umwehen, wenn er

die Tenne worfelt.

„Er hat die Wurfschaufel in seiner Hand und wird seine Tenne fegen und seinen Weizen in die Scheune sammeln. Die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen.“ Schließlich ist die Zeit der Ernte nahe herbeigekommen. „Suchet zuerst das Unkraut zusammen und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; den Weizen aber sammelt in meine Scheune.“

„So kam es dazu, dass sich die christlichen Glaubensrichtungen bei der offiziellen Trennung von Kirche und Staat so vollständig mit dem Nationalismus und dem wirtschaftlich-politischen System ihres Landes identifizierten, wie es die Christenheit bisher noch nicht gekannt hat.“ (S.E. Mead, Das Christentum in Nordamerika)

Noch nicht gekannt hat? Welch ein Scherz. Trump mistet den Tempel des Herrn aus, wie viele Jesuaner mit Geißeln die Wechsler aus dem Tempel peitschten. Von Thomas Münzer über Marx, Stalin bis Hitler. „Ubi Lenin, ibi Jerusalem“, hatte Ernst Bloch gejubelt. „Wie Thomas Münzer, den Bloch in mehreren Schriften als Vorbild zitierte, nehme Marx „die Geißel auf, womit Jesus die Wechsler aus dem Tempel herausgepeitscht hatte“. (M. Lilla, Der totgeglaubte Gott)

Auch Dabbelju Bush bevorzugte das Gleichnis mit der Peitsche. „Den Konservativen, die an ihn wie einen Messias glaubten, predigte er, dass er im Allerheiligsten der amerikanischen Demokratie mal so richtig aufräumen würde, so wie es Jesus Christus einst im Tempel von Jerusalem getan hatte.“ (Elmar Theveßen, Die Bush-Bilanz)

Auch der deutsche Messias liebte das Bild von der Austreibung der jüdischen Wechsler aus dem Tempel des Herrn mit der Peitsche: „Indem ich mich der Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“

Nicht nur die Parteien, auch die Systeme konvergieren – und werden immer ununterscheidbarer. Kapitalismus, Sozialismus, Faschismus werden unerbittlich zur Apokalypse-Maische zusammengerührt. Wenn die Tage gefährlicher werden, müssen die Soldaten Christi (militia christi) zusammenstehen.

Der technische Fortschritt und der Einfluss des Geldes haben eine derartig gigantische Machtfülle aufgetürmt, dass die kümmerlichen Demokratiereste der Weltherrschaft der Erwählten, Reichen und Kreativen nicht mehr gefährlich werden können. Lasst sie wählen und maulen. Solange sie tun, was wir von ihnen verlangen, ohne dass sie Lunte riechen, ist unsere Zukunfts-Tyrannei nicht gefährdet, sagen die Supermänner und lachen sich ins Fäustchen. Ab Trump nicht mehr heimlich.

Ist Trump der Bösewicht Amerikas, der sein vortreffliches Land in den Bankrott führt? Antwort seines Lieblingspredigers Franklin Graham: „Trump hat das Land nicht gespalten. Dieses Land ist schon seit Langem gespalten.“

Warum waren viele vom Wahlsieg des amerikanischen Pfälzersprösslings so überrascht? Weil er schonungslos amerikanisch ist. Nicht im Sinne der einst vorbildlichsten Demokratie der Welt, sondern im Sinn des eschatologischen Exzeptionalismus oder der unvergleichlichen Sonderrolle, zu der sich die beispielhafte Volksherrschaft schon seit Dezennien zurückentwickelt hat.

Die demokratische Mustergültigkeit gegenüber den Deutschen, die sie dreimal aus dem Schlund der Hölle erretteten, hat die Amerikaner ihre antidemokratisch-puritanische Schattenseite lange Zeit vergessen lassen. Mit Trump ist der Wilde Westen mit christlichem Halleluja zurückgekehrt.

Ist Trump wiedergeboren wie sein Vorgänger Dabbelju? Er tut, als sei er als Gottgesegneter bereits zur Welt gekommen. Schon als Geborener war er ein Wiedergeborener. In unbeherrschten Worten wie in unberechenbaren Werken.

Amerika wird sich entscheiden müssen, ob es eine widerspruchsfreie Demokratie oder eine exzeptionelle Theokratie werden will. Auserwähltheit und Demokratie schließen sich aus.

Dass die Amerikaner diesen Systemwiderspruch lange übertünchen und verdrängen konnten, liegt an dem unermesslichen Land, das erstmals erobert und zum mächtigsten Staat der Welt ausgebaut werden musste. Die Überlegenheit über alle potentiellen Rivalen war so gewaltig, dass sie zur kritischen Selbstbesinnung durch nichts und niemanden genötigt wurden.

Erst heute im Zeitalter progressiver Naturzerstörung, die sich nicht länger vertuschen lässt, in Zeiten mächtig gewordener ehemaliger Entwicklungsstaaten, die ihre Unterlegenheit abgestreift haben und in Zeiten der Kluft zwischen Reichen und Armen, die zum Himmel schreit, sind die globalen Friktionen so groß geworden, dass der Kontinent nicht mehr länger den Kopf in den Sand seiner jungen Vergangenheit stecken kann.

Exzeptionell heißt auserwählt, demokratisch heißt universell. In einer universellen Ethik gibt es keine Besonderen, für die die Regeln der kategorischen Moral nicht gelten würden. Demokratisch berechenbare Gleichheit und Regelbefolgung schließen Normenverletzung durch höhere Legitimation aus. Wohl kann sich in einer Demokratie jeder durch Vorbildlichkeit auszeichnen, doch die Auszeichnung lässt keine Ausnahme von der Norm zu. Schon gar keine, die zur Macht über die Nichtbesonderen berechtigen würde.

Amerika wollte der Welt die universelle Demokratie bringen – und dennoch auf der Ausnahme von der Regel beharren, indem es die Regeln der Demokratie nach Belieben verwarf und sich auf seine Auserwähltheit berief.

Christliche Antinomie (Gesetzlosigkeit) und demokratische Nomokratie (Herrschaft des Gesetzes) schließen einander aus. „Seid ihnen aber nicht gleich“, „stellt euch nicht der Welt gleich“, ermahnt das Neue Testament seine Gläubigen.

Worin zeigt sich die Ausnahmequalität der Erwählten? Indem sie anderen predigen, was sie selber nicht tun. Sie unterstellen sich nicht der Kritik anhand jener Maßstäbe, die sie anderen vorschreiben. Netanjahu, Regierungschef einer anderen Nation, die sich – unter dem Einfluss ihrer Ultrafrommen – ständig weiter exzeptionalisiert oder fundamentalisiert, beschrieb die Ausnahmestellung seines Landes mit den kurzen Worten: Israel braucht keine Belehrung über …

Demokraten brauchen sehr wohl Kritik und Selbstkritik, um ihre politische Verlässlichkeit ständig zu überprüfen. Für Erwählte hingegen ist Kritik eine Blasphemie und freche Anzweiflung ihrer narzisstischen Sonderstellung. Für Gleiche und Freie sind Kritik und Gegenkritik die Stimulanzien ihrer Fortentwicklung. Niemand sieht alles, und seine eigenen Fehler sieht man am schlechtesten. Also ist reziproke Kritik zur Wahrnehmung der Realität durch nichts zu ersetzen.

Trump will sich gar nicht realistisch wahrnehmen. Er huldigt einem Selbstbild, das er seit seiner Jugend für sich entwickelte und gegen alle Widerstände der Welt renitent verteidigte:

„Selbstreflexion, das kritische Hinterfragen der eigenen Verhaltensweisen, hält Trump ohnehin für schädlich. „Ich mag es nicht, mich selbst zu analysieren, denn es könnte sein, dass ich nicht mag, was ich da zu sehen bekomme“, sagte Trump 2014 in einem Interview. Die Betroffenen sind so überempfindlich gegenüber Kritik, dass jeder, der ihnen Anerkennung verweigert, zum Gegner wird. Wenn ich mich zurückerinnere, wie ich als Erstklässler war, und wenn ich mich heute betrachte, muss ich sagen: Ich habe mich nicht groß verändert“, erklärte Trump vor wenigen Jahren. „Mein Temperament ist dasselbe geblieben.“ (SPIEGEL.de)

Exzeptionalismus, Erwähltheit oder Größenwahn sind nur verschiedene Begriffe für das Gleiche: für Gottähnlichkeit.

„Trump reihte Sätze wie „Ich bin irre erfolgreich“, „Ich werde der größte Jobproduzent sein, den Gott je erschaffen hat“, oder die Feststellung „Mir gebührt da großes Lob“ aneinander, ohne jedes Augenzwinkern, ohne Anflug von Selbstironie. Selbst für die USA, wo die Bereitschaft, andere auf die eigenen Vorzüge hinzuweisen, deutlich ausgeprägter ist als in Deutschland, ist ein solches Maß an Selbstlob einzigartig.“

Typisch die SPIEGEL-Bemerkung, die „Stunde des Sieges sollte eigentlich die Stunde der Demut sein.“ Typisch für den Unterschied zwischen deutscher ecclesia patiens und amerikanischer ecclesia triumphans (zwischen leidender und triumphierender Kirche). Der Nationalsozialismus war noch eine deutsche ecclesia triumphans, die den Endsieg über alle Feinde bereits errungen glaubte. Nach der Niederlage sanken die Triumphierenden zurück auf das Niveau der Demütigen. Dort gerieren sie sich noch heute als die Letzten – die insgeheim die Ersten sein wollen.

Dieses vormillenaristische Demuts- und Höflichkeitsgetue – das auf den Namen „politische Korrektheit“ hört – hat Trump ad acta gelegt. Er beharrt auf der Pose des finalen Siegers, der die Selbstkasteiung des irdischen Sünders überwunden hat.

Größenwahn ist der säkulare Begriff für Auserwähltheit. Nicht schwer zu erraten, dass Trumps Charakterstruktur nicht politisch oder theologisch, sondern mit dem psychoanalytischen Allerweltsbegriff „Narzissmus“ belegt wird.

„Trump weist die klassischen Sicht- und Verhaltensweisen von Menschen mit narzisstischer Störung auf. Zu den klassischen Verhaltensweisen zählen nach Ansicht der Experten: eine übergroße Sucht nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Bewunderung, die Unfähigkeit zur Empathie, das ständige Kreisen um sich selbst und grotesk übertriebenes Selbstlob. Für Narzissten ist die Welt, die sie umgibt, nur als Spiegel der eigenen Person interessant. Die Betroffenen sind so überempfindlich gegenüber Kritik, dass jeder, der ihnen Anerkennung verweigert, zum Gegner wird. Hochgradige Narzissten, auch dies eine Erkenntnis der Forschung, sind so süchtig nach Aufmerksamkeit und Bewunderung, dass sie häufig lügen. Und sie sind so überzeugt von sich selbst, dass Reue ihnen fremd ist – weil das Eingeständnis von Fehlern in ihren Augen kein Zeichen von Größe ist, sondern den Eindruck der eigenen Grandiosität schmälert.“

Indem man die Charakterstruktur individualisiert, entgeht man der Pflicht, persönliches Verhalten als politisches oder religiöses zu kennzeichnen. Was hier mit Narzissmus bezeichnet wird, ist nichts als die Beschreibung religiöser Erwählung oder des politischen Exzeptionalismus.

Alles Persönliche jedoch ist politisch. Wenn Trump ein typisch amerikanisches Erzeugnis und das Neue Kanaan ein urreligiöses Gebilde ist, müssen seine Repräsentanten mit präzisen Polit-Symptomen charakterisiert werden. Alles andere ist Rosstäuschung.

Massenwahn schützt vor Einzelwahn. Nicht, weil der Wahn nicht vorhanden wäre, sondern weil er durch Massenwahn seinen profilneurotischen Krankheitswert verloren hätte. Wenn alle verrückt sind, fällt es nicht auf, dass auch der Nachbar ein kranker Mitläufer ist. Wenn fast alle Deutschen Nazis waren, konnte jeder Einzelne sich für normal und pumperlgesund halten, wenn er dem Führer blind gehorchte.

Die Kritikimmunität zeigt sich bei Trump als Abwesenheit aller Freundschaften. Wer keine freundschaftliche Kritik kennt, muss jeden Rüffel als feindseligen Akt betrachten. (Auch hier die genaue Parallele zu Netanjahu. Fragt sich, ob zwei so ähnliche Charaktere solidarisch miteinander agieren können. Gleich und gleich gesellt sich gern? Nicht immer. Nicht selten schlägt der Gleiche dem leidigen Ebenbild die Zähne ein.)

„In dieser konkurrenzbetonten Umgebung galt er als einer der rücksichtslosesten Schüler. Freunde hatte er keine. Freunde waren ein Zeichen für Schwäche. Zuverlässigere Werte waren: Stärke zeigen, die Umgebung einschüchtern, Autorität haben, ein Mann sein.“

Erneut fehlt die politische Bewertung. Kapitalisten haben keine Freunde. Für sie gilt Hobbes‘ menschenfeindliches Motto: jeder ist jedem ein wölfischer Konkurrent. Auch die deutsche Pastorentochter kennt in wirtschaftlicher Hinsicht kein Pardon und behandelt europäische Verbündete wie uneinsichtige Gegner und verächtliche Konkurrenten.

Dass Trump die Anstandsregeln der Gesellschaft mit Lust verletzt, zeigt, dass er die antinomische Moral des Puritanismus verinnerlicht hat: der gesunde Baum kann keine faulen Früchte hervorbringen. Würde Trump den deutschen Reformator kennen, würde er mit dessen Devise vermutlich hausieren gehen: Sündige tapfer, wenn du nur glaubst. Auf derb: aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz. (Kohls Lieblingssatz)

Würde Trump die Freud‘schen Kategorien Es, Ich und Über-Ich kennen, würde er in die Welt posaunen: Mein Über-Ich habe ich längst abgeschafft. Mein Ich ist identisch mit meinem Gott, der alles Bewusste oder Unbewusste an mir akzeptiert. Wenn der Mensch gottgleich geworden ist, benötigt er keine Anstandspuffer mehr:

„Aber die Zivilisation, die Aufklärung, die menschliche Scham oder schlicht taktisches Kalkül haben bei den meisten einen Puffer zwischen Impuls und Reaktion gesetzt. Mit Trump erlebt die Welt nun eine Rückkehr in archaische Zeiten.“

Nein, keine Rückkehr in archaische Zeiten, sondern Fort-Schritt in eine eschatologische Zukunft, in der der Neue Mensch zu keiner Sünde mehr fähig ist. Trump gibt sich als freier Mensch, der alle moralischen Spießerbedenken über den Haufen geworfen hat. Die moralallergischen deutschen Feuilletonisten sollten Trump eigentlich am besten verstehen und würdigen. Gleichwohl ist ihre Koketterie mit der Amoral nur Tändeln im Reich der Fiktion. Neiderfüllt sehen sie nun, dass einer es wagt, ihre literarische Phantasiewelt eins zu eins in die Tat umzusetzen. Die deutschen Möchtegern-Amoralisten bleiben Spießer, während der selbstbewusste Amerikaner sein Spießertum hemmungslos an den Nagel hängt.

Wie aber umgehen mit solch einem gewissenlosen Gesellen (wenn man Über-Ich mit Gewissen übersetzen kann)?

„Die effektivste Form, ihn zu beeinflussen, wäre wohl, ihm zu schmeicheln, ihm jenen Respekt zu gewähren, nach dem er sich sehnt. Nach einem solchen Auftakt ließe sich vermutlich besser mit ihm reden und verhandeln. Das mag etwas simpel klingen, aber vielleicht ist genau das die Voraussetzung für den richtigen Umgang mit Trump: simpel zu denken.“

Hier siegt der deutsche Hochmut, der sich selbst für aufgeklärt und alles Amerikanische für creationistisch-hinterwäldlerisch, unaufgeklärt-fundamentalistisch und einfältig-simpel hält. Dem Simpel aber kann man nur in gleicher Simplizität begegnen.

Die Schreiber beurteilen Trump wie deutsche Eliten den Pöbel: dieser glaubt an einfache und simple Lösungen, weil er die überkomplexe Welt der Probleme nicht versteht. Mit anderen Worten: Trump ist ein grobschlächtiger Klotz, der nur mit simplen Sprüchen manipuliert werden kann.

„Narzisstische“ Menschen verlangen therapeutische Schwerstarbeit. Wenn sie zugleich unfehlbare Ausnahmechristen sind, ist an rationalen Diskurs nicht zu denken. Für deutsche Edelschreiber aber kein Problem. Weder denken sie an ehrliche Konfrontation, noch an argumentative Auseinandersetzung. Man könnte auch sagen: die Deutschen beginnen sich unter viel Getöse – simpel unterzuordnen.

Schon bei Maischberger überwogen die Stimmen diplomatischer Ranschmeiße. Steinmeiers kritischer Begriff „Hassprediger“ wurde schwer getadelt. Nach wie vor seien wir von Amerika abhängig und müssten mit dem neuen Mann im weißen Haus auskommen. Auch hier gilt: unter Freunden darf nicht Tacheles gesprochen werden.

BILD hat das Steuer über Nacht herumgerissen, den bisherigen „berechenbaren“ Sympathieträger Obama fallen lassen und sich dem „unberechenbaren“, aber ehrlichen Polterer Trump angenähert, der zwar Politik aus dem Bauch betreibe, dafür aber auch keine falschen Hoffnungen erwecke.

„Wo Obama Versöhnung versuchte, hat er Spaltung bewirkt. Er habe „beides, Erwartungen und Ängste geweckt, die er nicht in den Griff bekommen hat“, schreibt die „New York Times“. Wer als Politiker so wie Obama Wunder verspricht, beschleunigt am Ende nur die Abkehr der Menschen von der Politik.“ (BILD.de)

Der deutsche Zufall will‘s, dass auch Theo Sommer in der ZEIT allen Heilsbringern – mit Rückgriff auf Isaiah Berlin – die rote Karte zeigt:

„Isaiah Berlin glaubte nicht an eine ideale Welt. Eine vollkommene Gesellschaft hielt er für einen Traum; hier folgte er Kants ernüchternder Einsicht: „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“ Den idealen Staat, „in dem es kein Elend und keine Habgier, weder Gefahr noch Armut, noch Furcht, weder menschenunwürdige Arbeit noch Unsicherheit gäbe“, hielt er für ebenso unrealistisch wie die Vorstellung, alle Menschen besäßen gemeinsame Ziele, und am Ende fände die menschliche Natur in zeitlosen universellen Werten ihre Erfüllung. Es gibt keine letzte Lösung für alle Übel, befand er. Und er ging noch weiter: „Die Suche nach Vollkommenheit“, meinte er, „scheint immer die Gefahr des Blutvergießens in sich zu bergen.“ (ZEIT.de)

Isaiah Berlin – wie sein Schüler John Gray – sind exzellente politische Analytiker. Eins aber haben sie komplett übersehen: Vollkommenheit als Heilslehre ist religiös und hat mit rationalen Utopien nichts zu tun. Dogmatisches Heil will die Menschen mit Zwang beglücken und steht in der Tradition des platonischen Urfaschismus, der sich zur theokratischen Despotie des Christentums aufblähte. Obama ist Christ und wollte das Heil bringen. Mit philosophischer Aufklärung hat er wenig zu tun.

BILD benutzt die Abrechnung mit dem „berechenbaren Heilsbringer“ – ein kompletter Widerspruch in sich –, um aller rationalen Politik abzusagen und bloßen Emotionen das Wort zu reden. Das ist Gegenaufklärung. Vernunft ist endgültig out. Uneingeschränkt sollen Instinkte und Gefühle herrschen und wären sie noch so widervernünftig und menschenfeindlich.

Wir müssten wieder lernen, mit Ungewissheiten zu leben, propagiert BILD, als ob Obama reine Gewissheiten verbreitet hätte. Einerseits soll er trügerisch berechenbar sein, andererseits wird seine Politik als völlig widersprüchlich dargestellt. Obgleich er der Menschheit das Heil versprach, ließ er in Syrien ungerührt eine Menschheitskatastrophe zu. Weil er sich so berechenbar gab, war er einem Schlitzohr wie Putin hilflos ausgeliefert. Ganz anders wird das mit dem unberechenbaren Trump, an dem seine Gegner sich die Zähne ausbeißen werden.

Ein Lob auf die Politzocker und undurchsichtigen Pokerspieler. Die Weltpolitik muss wieder spannend werden. Rationalistische Moralisten und Kleingeister stören nur beim Roulette der Hasardeure.

Wochenlang attackierten die deutschen Medien den amerikanischen Irrläufer aus allen Rohren. Um am Tag seiner Inthronisation die große Kehrtwende einzuleiten und sich klammheimlich an ihn heranzuschleichen – mit ihrem geballten Duckmäuser-Erbe aus der Tradition der Gegenaufklärung. Sapere aude? Habe Mut, dich deines Kopfes zu bedienen? Vergiss es. Ab heute heißt der deutsche Medien-Imperativ: Habe Mut, deinen unvernünftigen Bauch brabbeln und blöken zu lassen, um das unberechenbare Zockerspiel zu spielen.

Selbst Feingeist H. Broder empfiehlt, Trump eine Chance zu geben. Er habe in regulärer Wahl gesiegt. Als ob es undemokratisch wäre, eine gefährliche Volksentscheidung mit demokratischen Mitteln zu bekämpfen. (WELT.de)

Was der Bauch für BILD, ist Gnade für den SPIEGEL. Die Gnade von Oben, die dem Menschen die eigene, mühsame Arbeit erspart. In einem Vergleich des Politstils Obamas mit dem von Hillary schreibt das Magazin:

„Hillary Clinton dagegen, 2008 Obamas innerparteiliche Konkurrentin, wirkte schon damals wie ein abgehalfterter Star, angestrengt und verbissen, eine Kämpferin, der man die Mühen der Arbeit ansah. Das ist Gift, in der Politik wie im Showgeschäft. Glamour und Charisma müssen schwerelos wirken, nicht erarbeitet, sondern geschenkt.“ (SPIEGEL.de)

BILD lässt sich vom deutschen Bauch beschenken, der SPIEGEL vom Himmel, der allein für Charisma und Glamour zuständig ist (Charisma = Gnadengabe). Beim Pöbel setzen sie auf protestantisches Arbeitsethos, bei Eliten muss geschenkte Mühelosigkeit jede Anstrengung im Schweiße des Angesichts ersetzen. Abhängige stehen unter dem Fluch der Arbeit als Folge des Sündenfalls, gottgeliebte Eliten schweben, von aller Anstrengung erlöst, im Äther der Wiedergeborenen.

Auch im Hamburger Magazin für Aufklärung und Demokratie herrscht blanke Unkenntnis über aufgeklärte Autonomie. Sich seines Verstandes zu bedienen, ist mühsame und lebenslange Arbeit. Wer sich in entscheidenden Angelegenheiten beschenken lässt, hat seine Vernunft verraten und sich der Torheit ergeben.

Die einen flüchten in ihren vernunftlosen Bauch, die anderen in unvernünftige Offenbarung. Für die Romantik waren Gefühle identisch mit Gnadengaben des Himmels. Diese jedoch könnten schnell in Gaben der Hölle umkippen, wenn ein Unberechenbarer seiner göttlichen Bauchstimme folgte und einen katastrophalen Befehl erließe – wie ein amerikanischer Nuklearspezialist im SPIEGEL-Interview erläutert:

„Trumps Finger auf dem Atomkoffer macht mir Angst. Ich habe keinerlei Vertrauen in Trumps Urteilskraft, was Krieg und Frieden angeht. Er ist impulsiv. Er ist aggressiv, schlecht oder falsch informiert. Er weiß praktisch nichts über Atomwaffen oder internationale Beziehungen. Er ist ein Hitzkopf. Er denkt nicht. Er will nicht lernen. Und ganz wichtig: Er hat gezeigt, dass er die Welt in Gewinner und Verlierer einteilt. Ganz ehrlich: Ich lebe in Angst. Ich fürchte, irgendwann trifft Trump eine schlechte Entscheidung, was Atomwaffen angeht. Es ist unglaublich: Der Präsident hat eine Entscheidungsmacht, die die Zivilisation beenden kann. Vollkommen ohne Hürden.“ (SPIEGEL.de)

Bei aller Verschiedenheit zwischen dem alten und neuen Kontinent müssen wir festhalten, dass Amerika denselben Fehler begeht wie Deutschland: beide halten Vernunft und Glauben, Demokratie und Aufklärung für kompatibel. Beide sind nicht der Tradition der Aufklärung verpflichtet, sondern der gefährlichen Gefühlsseligkeit frommer Romantiker.

Für R.B. Perry gibt es eine eindeutige Verbindung zwischen Puritanismus und Demokratie. Vernunft und Glauben forderten übereinstimmend gute Taten; gute Demokraten müssten der Forderung gehorchen.

„Die amerikanische Demokratie war eine Manifestation jener Tendenzen, deren Blüte im 18. Jahrhundert den Namen Aufklärung erhalten hat. Die Quintessenz der Aufklärung war der Glaube, dass rechtmäßige Autorität in einem Wohltun liegt, das von dem zum Gehorsam aufgerufenen Individuum als solches anerkannt wird.“

Gottes Antinomie unterstellt sich keinem Moralgesetz des Menschen. Gehorsam gegen Gott ist mit selbstbewusstem Denken unvereinbar. Vernunft gehorcht niemandem – außer sich selbst.

 

Fortsetzung folgt.