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Weltdorf LIX

Hello, Freunde des Weltdorfs LIX,

wunderbar, wie die Welt in Wallung gerät. Es sind Frauen (inklusive 3,5 Alibimännlein), die weltweit die Männershow bekämpfen. Der weiße Mann steht vor dem Absturz. Noch einmal bläht er seine Nüstern und erigiert ins Unbegrenzte. Alle Zeichen seiner Unfähigkeit ignoriert er, lernen hat er nicht nötig, selbstverblendet hält er sich für vollkommen. Der schneidige BILD-Mann Blome schrieb bereits den Nachruf auf den Gottgleichen als Heldenepos: Allein gegen alle:

„Donald Trump will den Beweis antreten, was ein Mann allein leisten kann. Donald Trump hat seine Kandidatur und danach seinen Wahlkampf weitgehend allein durchgefochten. Er allein gegen alle. So sieht er sich, so sahen ihn die anderen. Es passt in sein Selbstbild vom „deal maker“, der in immer neuen Zweikämpfen seine Interessen durchzusetzen sucht. Und der gemeinsame Nenner dieser Zweikämpfe heißt: Donald Trump gegen die Globalisierung, Donald Trump gegen den Lauf der Welt der Wirtschaft, wie wir ihn bislang kannten.“ (BILD.de)

Trump steht für sich. Mit Amerika hat er nichts zu tun. Er ist Solitär. Er repräsentiert niemanden. Mit niemandem ist er verbündet, mit niemandem solidarisch. Allein durch Donald, allein durch Mammon, allein durch Macht: das ist die neue Dreieinigkeit, identisch mit der alten.

„Aber eines wenigstens muss von Anfang an auch klar sein: Wenn Donald Trump mit seiner Politik scheitern sollte, dann ist er allein gescheitert, nicht die amerikanischen Demokratie, nicht die amerikanische Wirtschaft und schon gar nicht die Globalisierung.“

Wie bekämpfen die deutschen Medien den neuen Behemot aus dem goldenen Trump-Tower – ohne in den Verdacht antiamerikanischer Umtriebe zu

geraten? Indem sie ihn radikal individualisieren, psychologisieren, historisch separieren, von allen politisch-religiösen Kollektiv-Kategorien lösen und auf eine frei im All schwebende, vollständig isolierte Monade reduzieren.

Der BÖSE darf kein Geschöpf Gottes sein und muss sich selbst erschaffen haben. Ein legitimer Sohn Amerikas oder des christlichen Westens darf er nicht sein. Was er ist, ist er allein durch sich. Als Unbekannter kam er aus dem Nirgendwo, als Alien wird er ins Nichts verschwinden. Niemand trägt Schuld an ihm, niemand hat ihn geprägt. Weder kennt er eine historische Verankerung noch eine persönliche Biografie. Sollte er sich eines Tages in die Lüfte heben, werden alle glauben, sie hätten einen dämonischen Irrwisch überstanden.

Ganz anders als Blome charakterisiert Dominic Johnson in der TAZ den Unvergleichlichen als ordinären Supermann. Trump ist für ihn ein typisch männlicher Despot und Kraftprotz:

„Donald Trump ist kein Politiker – er ist ein Geschäftsmann, der die USA zu sanieren gedenkt wie ein kriselndes Unternehmen. Er hält sich an keine politischen Prinzipien – er setzt in der internationalen Politik auf persönliches Vertrauen, um Deals auszuhandeln. Er verfolgt keine Ideologie – er sucht den größtmöglichen Vorteil für das eigene Land. Damit ist Trump nichts Besonderes. Genauso agieren Staats- und Regierungschefs in vielen Ländern weltweit: Putin in Russland, Orbán in Ungarn, Erdoğan in der Türkei, Sisi in Ägypten, Modi in Indien, Duterte auf den Philippinen, Zuma in Südafrika, Kagame in Ruanda, Castro in Kuba, Maduro in Venezuela; und weltweit noch viele andere mehr.“ (TAZ.de)

„Das Prinzip Trump ist kein Ausrutscher, sondern der Eintritt der USA in den „Big Man“-Standard globaler Politik. In diesem Standard zählt im Umgang von Staaten miteinander einfach das, was nützt. Ob es erreicht wird, entscheidet das Kräfteverhältnis.“

Die eigenen Interessen zu universellen Werten zu erheben, um Trump zu widerlegen, hält Johnson für sinnlose Überheblichkeit. Einerseits ist seine Kritik berechtigt:

„Westeuropa und die EU scheinen heute der einzige Teil der Welt zu sein, in dem ein Gegenmodell zumindest als Anspruch vorgetragen wird: das einer wertegeleiteten Politik, die selbstlos höhere Prinzipien verfolgt. Natürlich ist das in Wirklichkeit Unsinn. Auch europäische Politiker verfolgen Interessen, und zwar knallhart, wie es die Opfer der Austerität und der Flüchtlingsabwehr am eigenen Leibe erfahren.“

Andererseits aber falsch. Jede Heuchelei besteht aus zwei Elementen: der Wahrheit und der Lüge. Westliche Politik ist eine kollektive Heuchelorgie, die universelle Werte predigt und knallharte egoistische Zwecke verfolgt. Heuchelei ohne Wahrheits-Elemente aber wäre eine leicht durchschaubare bodenlose Lüge. Nur wem es gelingt, seine Eigensucht glaubhaft als Uneigennützigkeit zu verkaufen, wird die Menschen mit List und Tücke seines Weges führen können.

Es gibt keinen Zweifel: universelle Rechte waren die prägenden, völkerverbindenden Leitwerte des Nachkriegszeitalters, die die Nationen zu einer jahrzehntelangen Friedens- und Versöhnungspolitik befähigten. Ohne universelle Menschen- und Völkerrechte keine UNO, kein vereinigtes Europa, keine leidlich friedliche Epoche, in der ein atomarer Krieg verhindert und militärische Konflikte regional beschränkt werden konnten. Das Grauen des Zweiten Weltkriegs hinterließ tiefe Erschütterungen bei den Völkern und bewegte sie, ihre Nationalismen und Chauvinismen nachhaltig zu korrigieren. Ohne innere Überzeugung wäre die Friedensepoche der vergangenen fünf Jahrzehnte nicht möglich gewesen.

Ein Element aber untergrub langsam, aber stetig die Vernunft der universellen Werte. Das war die ins Maßlose ausufernde Konkurrenzwirtschaft, die den Frieden der Völker nutzte, um unter Parolen der Weltbeglückung die Nationen gegeneinander aufzuhetzen, eine unüberwindbar scheinende Kluft zwischen Menschen, Klassen und Kulturen zu errichten und unter dem Vorwand endloser Wohlstandsvermehrung die Machtverhältnisse in der Welt ins Monströse zu verzerren.

Reichtum, der übermäßig wird, ist kein Reichtum mehr, sondern tyrannische Macht – im täuschenden Gewand der Demokratie, die jede wirksame Herrschaft des Volkes ad absurdum führt.

In der Moderne wiederholt sich, was in antiken Zeiten begann. Ursprünglich war Wirtschaft eine Entdeckung menschlicher Fähigkeiten, das Leben mit ästhetischen und technischen Erfindungen, nationalen und internationalen Tauschgeschäften zu erhalten und bequemer zu gestalten. Abgesehen von uralten Handelsbeziehungen des nahen Orients mit Indien und China waren Phönizier die ersten bekannten Händler, die regelmäßig über See fuhren und ihre Waren mit anderen Völkern tauschten. Mit ihrer Neugier, ihren logischen und künstlerischen Fähigkeiten perfektionierten die Griechen die aufstrebende Ökonomie, durchdachten philosophisch ihre Chancen und Gefahren in demokratischen Verhältnissen.

Ab der hellenischen Epoche, als Alexander den griechischen Geist in die Länder des Nahen Ostens exportiert hatte, begann der leidlich rationale Kapitalismus seine erste historische Globalisierung: jene Mischung aus universellen Rechten und grenzenloser Sucht nach Reichtum und Macht, um andere Menschen durch zwanghafte Beglückung zu beherrschen.

Die Hellenen bildeten, von Ägypten über Judäa, Syrien bis Persien, jene kulturell-ökonomische Oberschicht, die noch immer von den Menschenrechten der sokratischen Schulen durchdrungen war, aber nicht bemerkte, dass ihre elitäre Absonderung und ihre kulturell-wirtschaftliche Überlegenheit langsam, aber sicher zu jener Form der Unglaubwürdigkeit führte, die auch heute – in Wiederholung des antiken Vorbildes – die Weltpolitik bestimmt.

Die Kluft zwischen Reich und Arm, die Zahl der Sklaven wuchs ins Grenzenlose, die Miserabilität der damaligen „Modernitätsverlierer“ war unermesslich. Der schreiende Kontrast zwischen philosophischer Überzeugung und realer Verelendung war die Stunde jener Erlösungsreligionen, die den Schwachen Glück und Gerechtigkeit als Seligkeit in einer anderen Welt versprachen. Heute würde man die damaligen Heilsbringer als populistische Rattenfänger bezeichnen, ohne zu bemerken, dass dieselben Heilsbringer noch immer die Götter der heutigen Religionen sind.

Die Römer beendeten die stets inhumaner werdende Herrschaft der Hellenen, indem sie sie noch verschärften, mit ihren Brachialmethoden den hellenischen Kapitalismus in ihrem riesigen Weltreich errichteten und ins Unermessliche vergrößerten. Gab es in der athenischen Polis noch genügend philosophische Kraft, um das Ausufern der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit zu verhindern, begannen die Selbstzügelungskräfte bei den Hellenen, vollends bei den Römern, zu erschlaffen, ja völlig nachzulassen und vom Erdboden zu verschwinden.

Schreiender war die Kluft zwischen Superreichen und Habenichtsen vermutlich nie in der Geschichte der Menschheit. Die Besitzlosen in Rom mussten durch tägliche Getreiderationen vor dem Hungertod geschützt werden. Befürchtete doch die winzige Oligarchie des römischen Adels den Aufstand der Sklaven und Armen, wenn sie durch Brot und Spiele nicht notdürftig am Leben und bei Laune gehalten wurden.

Noch haben wir heute das spätrömische Maß ungerechter Klassenverhältnisse nicht ganz erreicht. Doch mit Riesenschritten nähern wir uns dem absoluten Höhepunkt polit-wirtschaftlicher Unmenschlichkeit. Auch heute werden die Massen mit lächerlichen Almosen abgespeist, mit Tandaradei und TV-Spielen abgelenkt und still gehalten. Bald wird EINPROZENT der Menschheit – wie im alten Rom – 99PROZENT des gesamten planetarischen Reichtums in seinen raffgierig winzigen Händen halten.

Die Geschichte der Menschheit wiederholt sich im Grundsätzlichen, wenn die Menschen es versäumen, sie zu erinnern, zu verstehen und zu korrigieren. Doch die Menschheit soll sich nicht erinnern. Der christogene Zukunftskult soll alles, was dahinten war, für immer aus dem Gedächtnis streichen, um sich der absoluten Herrschaft der Eliten in erkenntnis- und erfahrungsloser Blindheit zu unterwerfen.

Letztlich ging das römische Reich an seiner grotesken Inhumanität zugrunde. Der Einfall der Goten und anderer Germanen vollstreckte nur, was auch ohne sie geschehen wäre.

Was früher die „unzivilisierten“ Völker aus dem Osten waren, ist heute der Zustand der ausgebluteten Natur, die die Grenzen ihrer Toleranz erreicht hat und die sadistische Menschheit mit wachsenden Katastrophen überflutet.

Was bedeutet die Wahl des Immobilienhändlers?

A) Den offiziellen Sieg der Wirtschaft über die Demokratie. Beide Mächte, einst in Athen als eineiige Zwillinge entstanden und seither in tödlichem Bruderstreit um Sein oder Nichtsein ineinander verbissen, haben ihren Konflikt in den Demokratien der Moderne zur vorläufigen Entscheidung gebracht. „Ich bin kein Politiker, ich bin Dealer“, sprach der 45. Präsident der Vereinigten Staaten. „Amerika zuerst“, bedeutet das Ende einer fast 3000-jährigen Menschheitsepoche, in der – trotz aller Hemmungen, Blockierungen und Rückschritte – die universellen Moralwerte präsent waren. Und wenn sie nur in Bibliotheken als reine Gelehrsamkeit deponiert worden waren.

Es gibt keine automatischen Naturgesetze in der Geschichte der Menschheit. Doch es scheint, als ob ihre Lerngeschichte in polaren Pendelbewegungen verliefe. Jedem Fortschritt folgt ein Rückschritt, um den nächsten Fortschritt zu ermöglichen. Dem autonomen Fortschritt der italienischen Renaissance folgte der Rückschritt der deutschen Reformation unter dem heteronomen Motto: zurück ins Urchristentum. Der europäischen Aufklärung folgte die romantische Regression ins Christliche und in den Darwinismus konkurrierender Einzelnationen, die in zwei Weltkriege mündete. Der Friedensepoche unter der Devise der universellen UN-Charta folgt nun die Rückkehr in den Egoismus der Einzelnationen, der noch mit wirtschaftlichen Methoden ausgefochten wird. Wie lange noch?

B) Den offiziellen Sieg des Scheins, der Show, des Risikos, des Zockens, der futurischen Illusion oder der linearen Heilsgeschichte – über die Solidität einer rationalen Politik im Dienst einer zufriedenen oder gar glücklichen Gegenwart, die von ihren Gegnern als Langeweile und ereignislose Trägheit verunglimpft wird.

Das rationale Ziel des menschlichen Lebens ist glückliche Präsenz, ein erfülltes Leben und ein humaner Tod als Rückkehr zur Natur, kein gaukelnder, angeblich todüberwindender Futurismus als ehernes Gesetz einer Heilsgeschichte.

Nicht Geschichte darf den Menschen, der Mensch muss seine Geschichte bestimmen. Es gibt keine totalitären Geschichtsgesetze, denen wir uns wehrlos unterwerfen müssten. Es gibt keinen Fortschritt, dem wir uns beugen müssten. Es gibt keine Technik, deren Herrschaftsgelüsten wir gehorchen müssten. Marxismus und Kapitalismus sind Erben derselben Heilsgeschichte. Schluss mit Hayek, Schluss mit Marx.

Wer den Kapitalismus überwinden will, muss wissen, wie er entstanden ist. Wer ein Ding verstehen will, muss seine Entstehung verstanden haben. Der Kapitalismus ist keine Erfindung der Moderne – hier extremisierte und technifizierte er sich nur –, sondern ist in rationaler Urform in Athen entstanden und im Hellenismus, der ersten Globalisierung der Geschichte, zur irrationalen Elitenherrschaft verkommen, die mit mehr oder minder humanen Grundsätzen ihre zunehmende Unterdrückung der Schwachen legitimierte.

Der Zweck des grenzenlosen Reicherwerdens ist nicht Wohlstand, sondern Akkumulation der Macht als Repressionsmittel über die Schwachen und Abgehängten. Was keine demokratische, monarchische oder sonstwie gemäßigte Staatsform zulässt: die unendliche Ausbeutung ihrer Untertanen, ist just der Endzweck der neoliberalen Omnipotenz.

Es war der so jovial blickende Multimilliardär Warren Buffett, der das Geheimnis der Geschichte ausplauderte: zwischen Reich und Arm herrscht Krieg – und wir Reichen werden den Krieg gewinnen. Noch Fragen, deutsche Medien und Kapitalismusverteidiger, die ihr bis zum heutigen Tag diesen Kampf hartnäckig leugnet?

Nicht nur Obama, auch Trump ist ein Heilsbringer – für alle, die ihn gewählt haben und die bleierne Unveränderlichkeit einer immer schlimmer werdenden Gegenwart nicht mehr ertragen. Sie können es nicht formulieren, aber sie spüren es bis ins Innerste ihrer Empfindungen: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Den apokalyptischen Naherwartungen und Hoffnungen auf das Kommen des Messias entspricht das brennende Bedürfnis nach der Alternative: dem Kommen des Antichrist. Für seine Wähler war Obama der Christ und Trump der Antichrist – wie umgekehrt Trump für seine Wähler der Messias und für alle Linken der Antichrist wurde. Mögen die Heilsvorstellungen noch so verschieden sein: ganz Amerika spürt, dass es im gewohnten Trott nicht mehr weiter gehen kann. Lachhaft, wie Intellektuelle die Moderne als Zeit ständigen Umbruchs deklarieren und nicht wahrhaben wollen, dass die immer gleichen Elemente ins Grenzenlose wuchern müssen.

Was ein Prediger vor 1000en Jahren niederschrieb, gilt in der modernsten Moderne:

„Was ist’s, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist’s, das man getan hat? Eben das man hernach tun wird; und geschieht nichts Neues unter der Sonne. Geschieht auch etwas, davon man sagen möchte: Siehe, das ist neu? Es ist zuvor auch geschehen in den langen Zeiten, die vor uns gewesen sind. Man gedenkt nicht derer, die zuvor gewesen sind; also auch derer, so hernach kommen, wird man nicht gedenken bei denen, die darnach sein werden.“

Das Unbehagen der Amerikaner, die den Parvenü wählten, ist der gespürte Tiefenkonflikt zwischen hohlen Versprechungen einer Heilsgeschichte, die an den St. Nimmerleinstag verzieht – und dem Überdruss an einer unveränderlichen Unheilsgeschichte, der mit Trump umgeschlagen ist in das Bedürfnis nach einer frei bestimmbaren Geschichte ohne Klassengesellschaft, Spaltungen und Demütigungen. Dies ist eine rationale Utopie und hat mit einer passiven Heilserwartung nichts zu tun. Die Menschheit muss sich miteinander verständigen, um eine solche Utopie als Ziel aller Menschen aus eigener Kraft zu erarbeiten. Heil hingegen setzt passives und unmündiges Warten voraus.

Wirft Trump alles bisherig Gültige über den Haufen? Welch ein Unsinn. Er ist Kapitalist wie aus dem Bilderbuch. Was man dem Volk schon immer einhämmerte, dass Tiere und Menschen in gleichem Maße eigensüchtig und grausam seien, gehört zu seinem lautstarken Credo. Er entlarvt jene Seite der Amerikaner und des gesamten Westens, die jeder kennt, die aber von den Herrschenden regelmäßig mit Phrasen übertüncht wird.

Mit welcher Wut deutsche Kommentatoren dem Neuen entgegenschleuderten, in seiner Anfangsrede habe er nicht mal den Versuch zur Versöhnung des gespaltenen Landes unternommen. Wie kann man neoliberale Ungerechtigkeiten versöhnen, ohne das ganze Land in der Wurzel zu verändern? Sie wollen Merkel‘sche Opiat-Formeln hören, das Eiapopeia von geordneten und sicheren Verhältnissen im Land. Sie wollen Religion, weil sie die Realität nicht ertragen.

Trump ist ein homo novus, ein Aufsteiger, ein Querulant, der den Quasi-Adel der amerikanischen Oberschicht hasst, weil sie seine Rüpelmanieren ablehnt. Wozu braucht man einen Bürgerschreck, wenn nicht dazu, die Fassaden der Heuchelei zu demolieren? Dank Trump ist jene Ehrlichkeit ein wenig zurückgekehrt, die nicht mehr leugnet, dass es wie bisher nicht mehr weitergehen kann.

Die polternde Rückkehr der klaren Aussprache wussten seine Wähler zu schätzen. Sie wollten beides: die Wahrheit der Realität, die sie selbst nicht formulieren können – und das Versprechen, dass sich alles verändert.

Zum ersten Mal ist Neu-Kanaan zum Opfer der Geschichte geworden. Bislang konnte die Weltmacht alle Widersprüche durch Geld, Technik, militärische Missionseinsätze oder Salbungen der Religion überpinseln. Es ist ein unbestreitbarer Fortschritt, dass die Amerikaner ihre Lage sehen wollen, wie sie sie selbst empfinden. Just ein Nestbeschmutzer muss das Fenster öffnen, um frische Luft hereinzulassen. So verkorkst und verkrustet sind die Verhältnisse.

Keinem deutschen Edelschreiber fiel auf, daß die bisherigen Inaugurationsreden vom Salböl hohler Versöhnung überquollen, das Wort Solidarität aber kein einziges Mal erwähnt wurde. Wie zum Teufel kann man eine zerklüftete Klassengesellschaft mit Phrasen versöhnen? Wie zum Teufel kann man sie mit einer bloßen Rede versöhnen? Was erleben wir? Den Triumph der Rhetorik über die ungeschminkte Wahrheit. Längst gehört die Staatsrhetorik zum stehenden Bestand der offiziellen Fake-News.

Warum wollen die Deutschen, gerade in amerikanischen Angelegenheiten, besonders angelogen werden? Weil Kinder, deren Eltern beim lügenhaften Bankrott ertappt wurden, verzweifelt ihre Erzeuger verteidigen – um sich selbst zu verteidigen. Gehört doch die Illusion elterlicher Souveränität zur absoluten Voraussetzung kindlicher Lebensfreude. Jost Kaiser hat im SPIEGEL auf diese enge Verzahnung zwischen deutscher und amerikanischer Befindlichkeit hingewiesen:

„Bis Freitag konnte man in Deutschland noch den größten Unsinn fordern, weil im Hintergrund immer die Amerikaner über uns wachten. Das ist vorbei. US-Präsident Trump bedeutet das Ende der alten Bundesrepublik.“ (SPIEGEL.de)

Im Schutz der elterlichen Weltmacht konnten sich die Deutschen alle möglichen Illusions-Debatten erlauben. Wachten doch die Eltern jenseits des Teiches getreulich über uns. Zu den Themen der Narrenrepublik gehörten Kapitalismus, NATO, unerwünschte Atomwaffen. Doch was, wenn uns Trump seine schützende Hand entziehen wird? Müssten wir nicht schnell erwachsen werden, um unsere Sicherheit selbst in die Hand zu nehmen? Müssten wir die bedrohlichen Einflusssphären der Großmächte nicht endlich zur Kenntnis nehmen, unseren Wehretat erhöhen, unseren Salonpazifismus aber und unseren notorischen Antikapitalismus endgültig begraben?

„Es ist einfach nicht mehr so wie früher in unserem Narrenparadies Bundesrepublik, dem Spaßland, in dem man politisch nicht erwachsen werden musste.“

In der Tat: die deutschen Edelschreiber scheinen sich existentiell bedroht zu fühlen. Warum sonst plagiieren sie den Angreifer – um ihm bewusstseinslos Recht zu geben? Sie merken es nicht, doch sie tun, was Trump von ihnen fordert: Rückzug auf das Nationale, militärische Aufrüstung und wirtschaftlichen Egoismus. In all diesen Punkten benötigt die Kanzlerin keinen Nachhilfeunterricht. Mit ihrem darwinistischen Wirtschaftskurs hat sie erheblich dazu beigetragen, Europa zu spalten und zu zerstören. Da sie aber so wunderbar lachen kann und punktgenau zur Eröffnung des Wahlkampfes mit dem Orden wider den tierischen Ernst ausgezeichnet wird, kann sie Deutschland eine weitere Regierungsepoche beruhigen und zur fröhlichen Zukunftsarbeit ermuntern.

Kaiser bestätigt alle Kernpunkte des Trump‘schen Wahlprogramms: Deutsche, zieht euch warm an. Der böse Geist geht um. Sei es, dass er auf den Namen Putin oder Xi Jinpink hört. Schluss mit eurem infantilen Friedens- und Antikapitalismusgerede.

Um auf Trump zu reagieren, hätten die Deutschen sich auch entschließen können, die universellen Werte zu betonen und bei ihren europäischen Verbündeten in die Tat umzusetzen. Doch dazu fühlen sie sich zu schwach. Wenn Eltern nicht länger für den phrasenhaften Überbau sorgen, verkriechen sich die verängstigten Kinder unter die Decke und – hoffen auf ein Wunder.

Versteht sich, dass die verwaisten Deutschen auch zu Netanjahu nichts sagen können, zumal sie ohnehin nichts Kritisches über seine Menschenrechtsverletzungen zu sagen haben. Unter dem Schutz des Großen Bruders kann nun der israelische Premier seine inhumane Landnahmepolitik ungestört fortsetzen. In keiner einzigen Debatte über Trump fiel der Name Netanjahu. Könnte es sein, dass auch Deutschland seinen Trump bräuchte, um die Ställe der ewigen GAGROKO auszumisten? Kaum ist Trump inthronisiert, lässt Netanjahu die letzten Hüllen fallen und folgt den Spuren seiner altbiblischen Annexionspolitik:

„Der Amtsantritt von Donald Trump wirkt sich unterdessen bereits auf die israelische Siedlungspolitik aus. Das Kabinett beriet am Sonntag über die Annektierung einer Siedlung im Westjordanland, verschob dann aber eine Abstimmung über das Vorhaben. Erst solle das vereinbarte Treffen Netanjahus mit Trump abgewartet werden. Die Annektierung einer jüdischen Siedlung zu israelischem Gebiet wäre ein bislang beispielloser Schritt im Nahostkonflikt.“ (ZEIT.de)

Bettina Gaus fordert gar, „an der Seite von Trump“ zu stehen – wenn auch mit kritischen Anmerkungen. Ist ein Mann namens Hitler vom deutschen Volk nicht auch regulär gewählt worden? Kann es sein, dass bei dieser seltsamen Korrektheit gegenüber dem Sieger noch immer die lutherische Obrigkeitslehre eine Rolle spielt? Seid untertan der Obrigkeit, es gibt keine demokratische Obrigkeit, die nicht von Gott wäre?

„Es macht keinen Spaß, sich auf die Seite von Trump zu stellen. Aber wer es ernst meint mit der Demokratie, muss das jetzt tun. Demos gegen ihn sind in Ordnung, natürlich. Aber es gibt – bisher – keinen Anlass, so zu reagieren, als habe der neue US-Präsident sich seines Staats bemächtigt.“ (TAZ.de)

Bleibt zum tröstlichen Schluss die weltmännische Perspektive unseres nächsten Bundespräsidenten:

«Welche Ordnungsvorstellungen sich im 21. Jahrhundert durchsetzen werden, wie die Welt von morgen aussehen wird, ist nicht ausgemacht, ist völlig offen.» Die Welt müsse sich auf unruhige Zeiten einstellen.“ (SPIEGEL.de)

Pardauz, die Zukunft ist immer offen und niemand weiß, was sie bringen wird. Wozu brauchen wir solche leeren Passivformeln?

Wenn Krisen übers Land kommen, werden tiefsinnige Deutsche zu Propheten. Sie stellen sich still und leise an den Rand des Universums und halten Ausschau – oder beobachten, wie das Lieblingsverb der Edelschreiber heißt. Sich in die Dinge der Weltpolitik einmischen, empfinden Deutsche noch immer als Hochmut. Einen energischen politischen Willen scheinen sie nicht zu kennen.

Wirtschaften können die Deutschen wie die Teufel. Aber mit anrüchiger Politik wollen sie nichts zu tun haben. Steht ihnen für solch niedrige Dienste nicht eine Magd zur Verfügung: ihre demütige Kanzlerin, die alles Politische in unbeflecktem Weiß präsentieren kann? Gewürzt mit einem mütterlichen, alle Sorgen vertreibenden Lächeln?

 

Fortsetzung folgt.